Frau SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli empört sich gern. Nicht nur über unverfängliche Komplimente gebildeter Botschafter, die sie als sexistisch empfindet. Auch über die Essener Tafel, die sie ungerechterweise beschuldigte, nur noch Deutschen etwas zu essen geben zu wollen. Und wenn es politisch opportun ist, auch über Antisemitismus. Allerdings betrachteten jüdische Organisationen Frau Cheblis lobenswerte Stellungnahme gegen muslimischen Antisemitismus mit Skepsis, hatte sie sich doch all die Jahre vorher irgendwie so gar nicht zu den wöchentlichen, judenfeindlichen Angriffen in Berlin zu Wort gemeldet. Sie gilt sogar eher als dem politischen Islam und der Moslembruderschaft zugeneigt, die nicht gerade bekannt sind für eine positive Haltung zum Judentum.
Nun wollte sie sich möglicherweise auf ein neues, publicity-trächtiges Empörungsthema eingrooven. Ein tief berührendes Foto hatte es ihr angetan: Ein barfüßiger kleiner Junge schläft, in eine Decke eingewickelt, zwischen zwei Gräbern. Darunter stand der Text
„Dieses Foto hier ist sicherlich eins, das Dich sehr nachdenklich macht. Ein Junge schläft zwischen den Gräbern seiner Eltern in Syrien!! Und Du denkst, Du hast Probleme???? Egal, wer recht oder unrecht hat. Das muss aufhören!“
Frau Staatssekretärin Chebli teilte dieses Foto und postete es mit dem Kommentar „Das tut weh.“ auf Facebook. Wenn Lieschen Müller, ohne lange nachzusuchen, so etwas teilt, ist das verzeihlich. Eine Staatssekretärin muss da sorgfältiger sein. Es ist nun mittlerweile schon sehr bekannt, dass man bei Bildern aus Nahost, auf denen Krieg, Zerstörung, Leid, Verletzte oder Tote zu sehen sind, sehr vorsichtig sein muss. Oft sind sie gestellt oder stammen von einem ganz anderen Ort oder einer ganz anderen Zeit. Sie werden benutzt, um Stimmung zu machen und um politische und militärische Entscheidungen zu beeinflussen.
Gerade eine Politikerin wie Frau Chebli weiß das. Gerade eine Politikerin, die sehr schnell harsche Kritik übt, muss besonders gewissenhaft sein. Gerade Frau Chebli, die sofort die Essener Tafel, als die in der Kritik stand, mit falschen, ungerechten Vorwürfen „Essen nur für Deutsche“ regelrecht beleidigte, sollte sorgsamer sein.
Und es wäre so einfach gewesen. Gibt man das Foto in die Suchmaschinen ein, erhält man sehr schnell die Information, dass es älter als vier Jahre und ein gestelltes Foto ist. Es ging damals um die Welt und wurde sehr schnell politisch benutzt. In der indischen Online Zeitung Daily Bhaskar mutierten bereits Anfang Januar 2014 die angeblich toten Eltern in den Gräbern rechts und links von dem Jungen zu Opfern des bösen Diktators Baschar Al-Assad. Der arme Bub habe als vermisst gegolten, man habe ihn dann schlafend zwischen den Gräbern seiner Eltern gefunden. Das zeige, wie sehr das arme Kind seine Eltern geliebt habe. Die Bilder in diesem Bericht sind heute entfernt. Darunter steht die Notiz, Daily Bhaskar sei nicht für die Authentizität der Bilder verantwortlich.
Schon wenige Tage später, am 17. Januar 2014, veröffentlichte ein Reporter namens Harald Dornboos die Tatsache, dass das Foto ein Kunstobjekt ist und kein echtes Foto und die ganze Geschichte darum herum erfunden war.
Der Fotograf des Bildes, Abdel Aziz Al-Atibi, ist nicht Syrer, sondern Saudi. Der Junge auf dem Bild ist sein Neffe Ibrahim und kein Waisenkind. Auch die Gräber auf dem Bild sind nicht echt, sondern gestellt, es sind auch keine Toten darin. Schlussendlich wurde es auch nicht in Syrien, sondern in Saudi-Arabien aufgenommen. Das Bild ist ein Kunstprojekt und Al-Atibi hat auch die dazugehörigen Fotos gemacht, die das belegen. Auch diese Fotos sind innerhalb von Minuten im Netz zu finden.
„I’m a photographer and I try to talk about the suffering that is happening in society, it’s my hobby and my exaggeration is intended to deliver my idea.”
(Ich bin Fotograf, und ich versuche, über das Leiden, das in der Gesellschaft geschieht, zu sprechen, das ist mein Hobby und meine Übertreibung soll meine Ideen dazu weitergeben.)
Al-Atibi sagte sogar, dass er nicht einmal einen Bezug zu Syrien beabsichtigt hatte. Als er erfuhr, welche Story sich um sein Foto rankte, veröffentlichte er auf Instagramm ein paar „Making-of-Bilder“, um zu beweisen, dass die Story vom schlafenden Waisenjungen zwischen den Gräbern der Eltern eine Erfindung ist.
Eine kurze Suche hätte gereicht, um herauszufinden, dass dieses herzzerreißend wirkende Bild zu einer vollkommen anderen Aussage umgedeutet wurde, also „Fake News“ im besten Sinne war. Offenbar wurde Frau Staatssekretärin Chebli auch sehr schnell darauf aufmerksam gemacht, denn sie löschte ihren Facebookpost sofort und vollkommen kommentarlos.
Spätestens hier zeigt sich, dass ihr ganzes Empörungsgehabe eine Inszenierung ist. Frau Staatssekretärin Chebli hätte schlicht und ergreifend eingestehen müssen, dass sie einem Irrtum aufgesessen ist, dass das Bild sie sehr berührt hatte und sie es impulsiv teilte, ohne die gebotene Sorgfalt walten zu lasssen. Dass sie in Zukunft vorsichtiger sein wird und einfach, dass es ihr leid tut. Kann passieren, wäre verzeihlich und sie hätte es klargestellt.
Aber nein, das braucht sie ja nicht. Frau Staatssekretärin Chebli gehört zu den Guten und wird allseits hofiert, egal, wen sie fälschlicherweise beschuldigt, wie unfair und effekthaschend sie sich benimmt oder aus Nachlässigkeit Desinformation betreibt, um sich in ein gutes Licht zu stellen.
Welche Gerechtigkeit und für wen ist es, wofür Sie, Frau Staatssekretärin Chebli, so couragiert kämpfen? Würden Sie einer Tatjana Festerling so einen Missgriff einer Desinformation auch kommentarlos durchgehen lassen, wie Sie es für sich in Anspruch nehmen?