Soviel zu “Eine Isla­mi­sierung findet nicht statt” — Ramadan-Regeln bei Abitur­feier in Kassel

Die Nerven liegen langsam überall blank. Ein Sturm im Was­serglas? Oder eine Grund­satz­frage? In der Dis­kussion um den Abiball an der Kas­seler Friedrich-List Schule zeigt sich im Brennglas das, was für sich allein und als Ein­zelfall genommen, keiner Rede wert wäre. Da es aber wieder ein Symptom einer grö­ßeren Pro­ble­matik ist, ent­zündet sich der Streit um Grund­sätz­liches. Beim Thema „Isla­mi­sierung“ ist die Zünd­schnur bei allen Bevöl­ke­rungs­gruppen mitt­ler­weile nur noch wenige Mil­li­meter lang.
Die Hessische/Niedersächsische All­ge­meine berichtete neutral und objektiv, dass um das Ein­la­dungs­schreiben zum Abiturball der Schule heftige Dis­kus­sionen ent­brannt sind.
Zuerst einmal hier das corpus delicti, um das es sich dreht, zur Ansicht:

 
Der Satz, der für Auf­regung sorgt, heißt: „Auf Grund von Ramadan wird das Buffet erst nach Son­nen­un­tergang sein (21 Uhr)!“
(Was mich am meisten daran aufregt ist, dass Abitu­ri­enten der­maßen viele Schreib‑, Syntax‑, Inter­punk­tions- und Gram­ma­tik­fehler auf einem DIN A4 Blatt unter­bringen können und so einen ver­korksten Satz zusam­men­stoppeln: „Auf Grund von Ramadan“ … bitte Leute, welch furchtbare For­mu­lierung! „Wegen der Regeln des Ramadans“ oder „auf­grund der Vor­schriften des Ramadans“ wäre korrekt, denn „auf­grund dessen“ erfordert den Genitiv! . „… wird das Buffet erst nach Son­nen­un­tergang sein (21 Uhr)“ … Schmerz! … Wie wär’s damit: „wird das Buffet erst nach Son­nen­un­tergang eröffnet.“ ?)
Zurück zur Sache. Dieser Satz rief einige Irri­ta­tionen hervor. Der AfD Stadt­ver­ordnete Thomas Materner äußerte öffentlich das, was viele dachten: „Die­je­nigen, die sich an den Ramadan halten, können das Büfett ja um 21 Uhr kon­sul­tieren. Es besteht kein Grund, dies zum Problem aller anderen zu machen.“ 
Abge­sehen davon, dass man ein Büfett schlecht kon­sul­tieren kann, weil es wahr­scheinlich jede Aussage ver­weigern wird, hat der Mann ja nicht Unrecht. Um den mus­li­mi­schen Familien nicht ein wenig appe­tit­liches, „abge­grastes“ Angebot zu prä­sen­tieren, hätte man einen Extra-Teil zuge­deckt und unbe­rührt belassen können, bis nach Son­nen­un­tergang diese Gäste dann ein fri­sches, unbe­rührtes Angebot an Speisen hätten genießen können.
Wenn man, wie aus der Ein­ladung ersichtlich, Rück­sicht auf Vege­tarier, Veganer, All­er­giker und „Car­ni­voren“ nimmt, ist es voll­kommen in Ordnung, auch auf die Gruppe der Muslime Rück­sicht zu nehmen. Deshalb sind deren Beson­der­heiten aber nicht für alle ver­pflichtend. Man erwartet ja auch nicht, dass alle Gäste nur vegane und aller­gen­freie Speisen zu sich nehmen, weil es unter den Teil­nehmern auch einige Veganer und All­er­giker gibt. Genauso wenig würden Nicht­muslime, die an einer mus­li­mi­schen Feier teil­nehmen, deshalb eine Extra-Abteilung mit deut­schen Gerichten erwarten.
Weshalb aber alle Gäste des Abitur­balls ab dem Sekt­empfang um 17:30 drei­einhalb Stunden warten müssen, um essen zu dürfen, erschließt sich nicht. 21 Uhr ist für die meisten ein zu später Zeit­punkt. Übli­cher­weise isst man zwi­schen 19 und 20 Uhr zu abend. Spätes Essen ver­dirbt bekanntlich den Schlaf und ist schwer verdaulich.
Natürlich war der Kom­mentar des Büfetts kon­sul­tie­renden AfD-Stadt­ver­ord­neten schon allein wegen seiner Par­tei­zu­ge­hö­rigkeit für alle Gut­men­schen ein Auf­reger. Im Internet wurde schon gemutmaßt, die AfD habe das Schreiben gefälscht, um wieder einmal eine Gele­genheit zu haben, pole­mi­sieren zu können.
Der Schul­leiter der Friedrich-List-Schule bestä­tigte zwar die Echtheit des Ein­la­dungs­schreibens, wandte aber ein, dass das fest­liche Büfett tra­di­tionell zwi­schen 20:30 und 21:15 Uhr eröffnet werde, weil nach dem Sekt­empfang stets die besten Schüler geehrt werden. Das Essen gebe es dann zur Halbzeit der Ver­an­staltung, die meistens erst gegen 23:30 ende. Der „Ramadan-Satz“ sei nur eine unglück­liche For­mu­lierung: „Als “freund­liche Geste für ein Mit­ein­ander” sollten die Schüler des für die Orga­ni­sation zustän­digen Abiball-Teams darauf hin­weisen, dass das Büfett auch für Veganer, Vege­tarier und All­er­giker sowie durch seinen späten Beginn auch für Muslime geeignet sei.“
Die For­mu­lierung in dem Schreiben macht aller­dings ganz und gar nicht diesen Ein­druck. Das Aus­ru­fe­zeichen hinter der Zeit­angabe „21 Uhr!“ sowie die For­mu­lierung „Auf­grund von Ramadan“ ver­mitteln ganz klar die Infor­mation, dass das Büfett wegen des Ramadans später als sonst eröffnet wird, zumal alle anderen Gruppen nur in einem Nebensatz auf­ge­zählt werden.
Die meisten Leser werden Abitur­feiern kennen und viel­leicht schon mehrere mit­ge­macht haben. Nach der Eröff­nungs- und Begrü­ßun­gesrede zum Sekt­empfang gibt es meist ein kleines Musik­stück oder sonst eine kurze, erbau­liche Dar­bietung, dann folgt die Ausgabe der Zeug­nisse. Danach werden die besten zehn oder 15 Schüler geehrt und bekommen in der Regel Buch­preise, werden knallrot auf der Bühne und beeilen sich, wieder an ihren Tisch zu kommen. Wieder ein Auf­tritt eines Strei­cher­quar­tetts aus dem Leis­tungskurs Musik, dann Eröffnung des Büfetts, was nor­ma­ler­weise zwi­schen 19 und 20 Uhr statt­findet. Schon allein deshalb, weil sich die jungen Eleven sonst aus lauter Erleich­terung, dass jetzt endlich alles aus­ge­standen ist, zu viel Sekt auf die Lampe kippen.
Ver­ständ­li­cher­weise lavierte der Schul­leiter Michael Kircher bei diesem pre­kären Thema so gut er konnte um den heißen Brei herum. Es handle sich um einen miss­ver­ständ­lichen Satz, den er selber auch „unglücklich“ finde: Der Direktor ver­si­chert, dass „wir unsere Iden­tität nicht auf­geben”, auch wenn wir in einer glo­ba­li­sierten Gesell­schaft “welt­offen und zusammen handeln” müssen. Er bedauert, dass der Satz Anlass zu Miss­ver­ständ­nissen gibt, er sagt aber auch: “Man muss den Satz schon miss­ver­stehen wollen.”

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Viele Eltern, die offenbar auch wollten, fragten bei Schul­leiter Kircher per E‑Mail nach, warum sich denn der Ablauf der Feier in diesem Jahr wegen des Ramadans ändere. Herr Kircher ließ dar­aufhin wissen, dass es sich um eine lediglich unglück­liche For­mu­lierung handle und dass „wir unsere Iden­tität nicht aufgeben“.
Oh, welch wun­der­volle Neu­sprech-Eloge: Iden­tität nicht auf­geben, aber welt­offen sein. Glo­ba­li­sierte Gesell­schaft aber regional ver­wurzelt. Rück­sicht auf jede denkbare Opfer­gruppe, aber natürlich keine Extra-Vor­rechte, Veganer und Vege­tarier, und All­er­giker, und sogar Nor­malesser dürfen auch noch mit­essen. Bloß nicht irgendwo anecken und es allen recht machen.
Nun ja, man kann den Mann ver­stehen. Ein fal­scher Satz und jede Seite lauert schon darauf, ihn öffentlich zu schlachten.
Inter­es­san­ter­weise hat sich der Zen­tralrat der Muslime in Deutschland noch nicht gemeldet. Oder einfach noch nichts mit­be­kommen, Herr Mazyek?
AfD-Poli­tiker Thomas Materner findet letztlich aber zurück zu gelas­senem Prag­ma­tismus, „so wichtig ist das Thema mit dem Büfett auch nicht“.