Die Helvetia Goldunze von der Finemetal AG zeigt auf der Vorderseite die Helvetia Schutzpatronin in einem modernen Erscheinungsbild. Auf der Rückseite sind Angaben zu der Reinheit, dem Gewicht und das Gütesiegel des Herstellers eingeprägt. -By FM2012 - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Helvetia_Goldunzen_999.9.PNG, CC BY-SA 3.0, Link

Über die Spiel­regeln der Goldwährung

Wenn es immer nur “Inflation” oder “Deflation” wären, durch welche die Preise im Durch­schnitt erhöht oder gesenkt werden, dann wäre die For­derung nach Sta­bi­li­sierung des Preis­durch­schnitts berechtigt. In Wirk­lichkeit sind aber die Preis­än­de­rungen nicht nur von seiten des Geldes, sondern auch von der Waren­seite her bedingt, und in der Praxis kann man nicht ent­scheiden, wo die Änderung ihren Ausgang genommen hat. Wenn bei­spiels­weise dank tech­ni­scher Fort­schritte oder dank der Ergie­bigkeit der Natur die Pro­duktion ver­billigt wird, so sinkt das Preis­niveau, ohne daß eine “Deflation” vor­liegt. Ver­mehrt man jetzt die Geld­menge, um den Preis­rückgang wieder wett­zu­machen, so müßte man gerade dieses Sta­bil­halten der Preise als infla­tio­nis­tisch bezeichnen. Das haben jene Theo­re­tiker erkannt, die keine Preis­sta­bi­lität, sondern eine Neu­tra­lität des Geldes ver­langen. Das Geld soll von sich aus keine Ver­än­de­rungen der Preise und der Pro­duktion her­vor­rufen, es soll aber auch die natür­lichen Ver­än­de­rungen der Preise und der Pro­duktion nicht auf­halten und nicht stören. Könnte nicht eine voll­kommen unver­än­der­liche Geld­menge diese Eigen­schaft, “neutral” zu sein, besitzen?
Dies wäre gewiß sehr einfach. Da hätte man nichts anderes zu tun, als die Geld­menge einfach auf ständig gleicher Höhe zu halten. Ein Land mit einem Noten­umlauf von 10 Mil­li­arden Mark dürfte nie mehr und nie weniger als 10 Mil­li­arden Mark im Umlauf haben, gleich­gültig ob die Güter­er­zeugung gestiegen oder gesunken ist! Leider ist es nicht so einfach. Wir haben ja früher schon von der Existenz der Horte und des Kas­sen­be­darfs gesprochen und wissen, daß auch von dieser Seite Ver­än­de­rungen aus­gehen können. Gestie­gener Kas­sen­bedarf ließe das Geld nur “neutral” bleiben, wenn die Geld­menge zufällig zur gleichen Zeit und im gleichen Maß gestiegen wäre. Sin­kender Kas­sen­bedarf (Ver­rin­gerung der “Horte” und der Bar­vorräte) würde eine gleich­zeitige Außer­ver­kehr­setzung der ent­spre­chenden Geld­menge erfordern. Da man aber die Ver­än­de­rungen des Kas­sen­be­darfs auf keine Weise prak­tisch erkennen kann, bleiben solche über­le­gungen nur fromme Wünsche.
Also ist weder jene Wäh­rungs­ma­ni­pu­lation, die auf den sta­bilen Waren­preis­durch­schnitt abzielt, noch jene, die eine absolut stabile Geld­menge sucht, frei von Stö­rungen für den Aufbau der Pro­duktion. Wenn man dieses Ideal nicht erreichen kann, so sucht man ein solches Geld­system, das wenigstens mög­lichst viel andere Vor­teile hat. Die Gold­währung, die sich noch immer sehr vieler Anhänger erfreut, hat ver­schiedene Vor­teile: 1. Die Aus­tausch­ver­hält­nisse zwi­schen dem Geld ver­schie­dener Gold­wäh­rungs­länder, d. h. die Devi­sen­kurse sind stabil. 2. Der Einfluß der Politik auf die Währung ist weit­gehend aus­ge­schaltet. 3. Die Gefahr infla­tio­nis­ti­scher Expe­ri­mente ist ver­ringert.
Gold­währung besitzt ein Land, dessen Geld in einem festen Aus­tausch­ver­hältnis zum Gold steht. Dazu ist es kei­neswegs not­wendig, daß ein Umlauf von Gold­münzen besteht (Gold­um­laufs­währung). Es kann das Gold auch in den Noten­banken liegen (Gold­kern­währung), ja sogar in aus­län­di­schen Noten­banken, gegen welche man For­de­rungen besitzt (Gold­de­vi­sen­währung). Das Wesent­liche ist, daß man das inlän­dische Geld jederzeit zum festen Kurs in aus­län­di­sches Geld umtau­schen kann und auch umge­kehrt das Geld anderer Gold­wäh­rungs­länder jederzeit zum festen Kurs in inlän­di­sches. Durch diesen Umtausch kommen die Preis­systeme aller Gold­wäh­rungs­länder in eine feste Ver­bindung: die inlän­dische Kauf­kraft kann jederzeit im Ausland, die aus­län­dische im Inland geltend gemacht werden. Dies wird auch immer der Fall sein, wenn die Preise eines Landes sich nicht par­allel mit denen der anderen Gold­wäh­rungs­länder bewegen. Diese Länder treten in ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­system, das an das phy­si­ka­lische System der kom­mu­ni­zie­renden Gefäße erinnert.
Wenn bei­spiels­weise ein Gold­wäh­rungsland seine Bank­no­ten­menge durch Kre­dit­ge­währung an seine Pro­du­zenten erhöht, so ent­steht die Tendenz zu einer Preis­stei­gerung, es sinkt die Kauflust des Aus­lands (Export­senkung) und es steigt die Kauflust aus dem Ausland (Import­stei­gerung). Es wird also inlän­di­sches Geld zum Umtausch in Gold oder Aus­landsgeld zur Notenbank gebracht werden, deren Gold und Devi­sen­vorrat (Reserve) auf diese Art geschwächt wird; der inlän­dische Umlauf aber, der durch die Kre­dit­ge­währung erhöht worden war, wird durch den Umtausch in Aus­landsgeld (Ein­lösung in Gold) wieder abnehmen. Kurz: das Gold strömt aus den Ländern, die andere Geld­schöp­fungs­me­thoden über­treiben, in jene Länder, die das nicht tun. (“Schlechtes Geld ver­drängt das gute Geld.” Gre­s­ham­sches Gesetz.)
Nicht nur, daß auto­ma­tisch durch das Abströmen des Goldes die Umlaufs­menge wieder zurückgeht, sondern es wird das Land durch den Gold­verlust auch daran gemahnt, in der Kre­dit­geld­schöpfung zurück­hal­tender zu sein. Es kann auf diese Art kein Land iso­liert eine infla­tio­nis­tische Politik betreiben, da es sonst Gefahr läuft, seinen Gold­schatz zu ver­lieren. Solange es ander­seits keine anderen Arten der Geld­schöpfung befolgt, braucht kein Land zu fürchten, daß es sein Gold ver­liert. Das Gold strömt immer vom Land der relativ höheren Preise in die Länder der relativ nied­ri­geren Preise und durch das Abströmen des Goldes wird auch gleich jener Druck her­vor­ge­rufen, der die relative Preis­er­höhung wieder beseitigt. Nochmals mit anderen Worten: das Gold strömt aus dem Land, das zuviel Bank­kredite gewährt, in die Länder, die damit vor­sich­tiger sind.
Die Spiel­regeln der Gold­währung sind also recht einfach. Jedes Land, das “mit­spielt”, ist genötigt, sich in seiner Kre­dit­geld­schöpfung nach den anderen zu richten; wer seinen Zinsfuß künstlich ermäßigt und zuviel Kre­ditgeld (z. B. durch Wech­se­les­kon­tierung) schafft, ver­liert Gold und muß geschwind wieder mit dieser frei­ge­bi­geren Kre­dit­po­litik auf­hören, sonst muß er aus dem Spiele aus­scheiden, d. h. er ver­liert alles Gold oder tritt frei­willig aus der Reihe der Goldwährungsländer.
In den letzten Jahren haben einige der Wäh­rungs­po­li­tiker die Spiel­regeln anders aus­legen wollen. Wenn der Mecha­nismus der Gold­wäh­rungen das Gold aus einem Land ins andere treibt, dann sollte ihrer Ansicht nach nicht das Gold­aus­fuhrland zu einer vor­sich­ti­geren Kre­dit­po­litik (Zins­fuß­er­höhung) über­gehen müssen, sondern das Gold­ein­fuhrland sollte sei­ner­seits in der Kre­dit­ge­währung frei­ge­biger werden. Man sollte sich also nicht mehr nach den zurück­hal­tenden, sondern nach den groß­zü­gi­geren Noten­banken richten. Wenn Gold aus England nach Frank­reich strömte (bevor noch England den Gold­standard auf­ge­geben hatte), so hätte nach den alten Regeln in England der Dis­kontsatz erhöht werden müssen. England war nicht geneigt, das zu tun, und wollte, daß Frank­reich lieber seinen Dis­kontsatz ermäßige, damit durch eine ver­stärkte fran­zö­sische Kre­dit­geld­schöpfung der Gold­zu­strom nach Frank­reich zum Still­stand gebracht werde. Diese neuen Spiel­regeln, die als “Koope­ration (Zusam­men­arbeit) der Noten­banken zur Erleich­terung inter­na­tio­naler Kre­ditin­flation” bezeichnet werden können, sind zwei­fellos wider den Geist des Gold­wäh­rungs­systems. Der soge­nannte “Kampf um die zu kurze Gold­decke”, den die ver­schie­denen Noten­banken mit­ein­ander führten, war gerade eine der wich­tigsten Erschei­nungen des Gold­wäh­rungs­systems, weil die ein­zelnen Noten­banken dadurch zu grö­ßerer Vor­sicht gegenüber den Lockungen der Kre­dit­aus­dehnung ver­anlaßt wurden.
Die Geld­menge ist ander­seits beim System des Gold­stan­dards auch nicht ganz starr. Abge­sehen von der immerhin noch bestehenden, wenn auch beschränkten, Elas­ti­zität des Noten­bank­kredits, wird die Geld­menge auch durch die neue Pro­duktion des Goldes ver­größert. Die Gold­pro­duktion ist gering im Ver­hältnis zur bereits exis­tie­renden Gold­menge. Das ist gerade der Vorteil des Goldes als Wäh­rungs­grundlage, daß der Welt­vorrat nur um wenige Pro­zente im Jahr größer wird. Man hat errechnet, daß der Zuwachs lange Zeit hin­durch durch­schnittlich 3 % jährlich betragen hat. Man befürchtete mit­unter, daß der Zuwachs – also die Neu­pro­duktion von Gold – geringer werden könnte. Man glaubte, daß die Zunahme der sons­tigen Waren­er­zeugung 3 % jährlich betrage und daß es “defla­tio­nis­tisch” wirke, wenn die Gold­pro­duktion nicht 3 % des Gold­vorrats erreichte. Diese Befürchtung ist unbe­gründet. Solange die Gold­pro­duktion aus­reicht, den indus­tri­ellen Gold­bedarf – für Zahn­plomben, Schmuck­stücke usw. – und den neuen Hor­tungs- und Kas­sen­hal­tungs­bedarf zu decken, solange wird kein Gold der Funktion als Umlaufs­regler ent­zogen und solange ist auch von einer stö­renden Deflation keine Rede. (Vor Preis­sen­kungen infolge von Pro­duk­ti­ons­ver­bil­ligung braucht man sich nicht zu fürchten, da daraus keine Krisen ent­stehen können.)
Auch die Klagen über die “schlechte” Gold­ver­teilung sind nicht begründet. Wenn die Länder A, B, C, D und E alle gleich viel Gold besessen und dann A, Bund C durch Bank­kredite den Zinsfuß künstlich nied­riger gehalten hätten, so wäre das Gold nach D und E geströmt. Das Gold ist hernach ungleich­mäßig ver­teilt, aber weitere Folgen hat das nicht. Zurück nach A, Bund C ginge das Gold nur, wenn diese Länder eine Defla­ti­ons­po­litik oder wenn D und E mit einer Inflation beginnen würden. Keiner von beiden Wegen hätte Vor­teile für die Wirt­schaftslage. Die ungleich­mäßige Gold­ver­teilung – als bereits voll­zogene Tat­sache – schadet nie­mandem, sie ver­ur­teilt die gold­armen Banken höchstens zu noch grö­ßerer Ent­halt­samkeit vor über­mä­ßigen Kreditausdehnungen.
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Aus: Fritz Machlup, „Führer durch die Kri­sen­po­litik“ (1934)


Fritz Machlup (1902–1983) war ein öster­rei­chisch-ame­ri­ka­ni­scher Ökonom. Er war einer der ersten Öko­nomen, der Wissen als öko­no­mische Res­source untersuchte.