Die Sandwich-Gene­ration — Umver­teilung, Inflation, Nullzins, Immo­bi­li­en­preise, Schulden,

„Uns geht es gut“, jubelte unlängst SPIEGEL ONLINE. Neue Zahlen des Finanz­kon­zerns Allianz belegen, dass die Geld­ver­mögen weltweit weiter anwachsen, beinahe doppelt so schnell wie die Wirt­schafts­leistung. Zwar merken die Experten der Allianz kri­tisch an, dass dies auch auf die Politik des bil­ligen Geldes der Noten­banken zurück­zu­führen ist, die alle Ver­mö­gens­werte von Anleihen über Aktien bis zu Immo­bilien nach oben treibt. Dennoch blieb das gute Gefühl: Wir werden immer reicher. Noch erfreu­licher dabei ist die Tat­sache, dass auch die Mit­tel­schicht pro­fi­tiert, es also nicht nur in die Taschen der oberen zehn Prozent fließt.
Schaut man genauer hin, muss man jedoch kon­sta­tieren, dass es keinen Grund zum Jubel gibt. Vor­der­gründig mag es uns finan­ziell gut gehen, in Wahrheit stellt sich die Situation völlig anders dar. In den kom­menden Jahren werden wir recht unan­genehm aus unseren Träumen erwachen, doch da sind die Mel­dungen von heute lange ver­gessen. Dies liegt vor allem an diesen Ursachen:

  • Die Erträge der kom­menden Jahre wurden durch die heute beju­belten Wert­zu­wächse bereits vor­weg­ge­nommen. Doch kommt es mit Blick auf die Alters­vor­sorge auf den gesamten Ertrag an.
  • Während die Finanz­märkte von den stei­genden Bewer­tungen pro­fi­tieren, wachsen zugleich die Lücken in den pri­vaten und staat­lichen Altersvorsorgesystemen.
  • Par­allel zum Anstieg der Ver­mögen sind auch die Schulden weltweit wei­ter­ge­wachsen. Da Letztere zu einem immer grö­ßeren Teil nicht mehr bedient werden können, droht eine ent­spre­chende Anpassung bei den Vermögen.
  • Die demo­gra­fische Ent­wicklung wird zwangs­läufig zu einer Anpassung der Ver­mö­gens­werte führen, weil mehr Ver­käufer weniger Käufern gegenüberstehen.
  • Die Infla­ti­onsrate dürfte vor allem bei nicht-han­del­baren Gütern wie Dienst­leis­tungen in den kom­menden Jahren deutlich anziehen und den realen Wert der Erspar­nisse zusätzlich mindern.
  • Die poli­ti­schen Mehr­heiten werden noch stärker als heute auf die Umver­teilung satt die Schaffung von Wohl­stand setzen.
Gerade die Baby­boomer-Gene­ration der 1960er-Jahre wird diese Trends mit voller Wucht treffen. Sie ist die Sandwich-Gene­ration, gefangen in fal­lenden Ver­mö­gens­werten, Leis­tungs­kür­zungen, stei­genden Abgaben und höheren Kosten. Noch kann man sich darauf ein­stellen. Viel Zeit bleibt jedoch nicht.

Vor­weg­ge­nommene Erträge

Rich­ti­ger­weise ver­weist die Allianz auf die Politik der Null- und Nega­tiv­zinsen, wenn es darum geht zu erklären, weshalb die Ver­mögen fast doppelt so schnell wachsen als die Wirt­schaft. Denn letztlich können die Ver­mögen nach­haltig nur zunehmen, wenn die Volks­ein­kommen ent­spre­chend steigen. Tiefere Zinsen erlauben es, diese Ein­kommen mit einem gerin­geren Satz abzuzinsen.

Zukünftige Zah­lungen sind bei einem Zins von einem Prozent heute deutlich mehr wert als bei einem Zins von fünf Prozent. Deshalb sind wir heute bereit mehr für einen Ver­mö­genswert zu bezahlen. Legt man jedoch einen län­ger­fris­tigen Horizont an, wie zum Bei­spiel in der Alters­vor­sorge, kommt es nicht so sehr darauf an, wie groß mein Ver­mögen heute ist, sondern wie groß es zum Zeit­punkt des Ren­ten­ein­tritts ist.

Da die Erträge der Ver­mö­gens­werte jedoch unver­ändert bleiben  die Anleihe zahlt wei­terhin fünf Euro pro Jahr, egal ob ich dafür 100 oder 500 Euro bezahle – sinkt die Rendite. Die Tat­sache, dass die Ver­mö­gens­werte schon gestiegen sind, bedeutet nichts anderes, als dass die Ren­diten auf diesen Ver­mö­gens­werten auf Jahre hinaus mau sein werden.

Das mag jenen egal sein, die schon für das Alter vor­ge­sorgt haben. Wer jedoch wei­terhin für das Alter spart, muss zu den heu­tigen hohen Preisen kaufen und garan­tiert damit geringe, wenn über­haupt positive, Erträge. Wahrlich kein Grund zum Jubeln.

Ver­mö­gens­min­derung wird unterschlagen 

Schon lange ist bekannt, dass die staat­liche Rente nur dann „sicher“ ist, wenn der Staat sich deutlich ver­schuldet, die Abgaben erhöht oder Leis­tungen kürzt. Auf bis zu 400 Prozent des BIP werden die Kosten der der­zei­tigen Zusagen geschätzt. Wenig tröstlich, dass Deutschland nicht alleine steht: In einer aktu­ellen Studie beziffern die Ana­lysten der Citigroup die Lücke in den staat­lichen Ren­ten­sys­temen der west­lichen Indus­trie­länder auf atem­be­rau­bende 78 Bil­lionen US-Dollar.
Da die staat­liche Rente bekanntlich ohne Rück­lagen arbeitet, trifft das tiefe Zins­niveau diese nicht. Anders ist das bei den pri­vaten Alters­vor­sor­ge­ein­richten. Bei den Lebens­ver­si­che­rungen genügt ein Blick nach Japan um abzu­schätzen, was auf die Branche zukommt. Mit Null-Ren­diten lassen sich die Leis­tungs­zu­sagen nicht erwirtschaften.

Zwar wird die Politik keine Pleiten von deut­schen Lebens­ver­si­che­rungen zulassen. Aus Sicht der Ver­si­cherten ist das Resultat jedoch ein­deutig. Die Ren­diten werden deutlich geringer aus­fallen, als heute noch erhofft. Die Ablauf­leistung deutlich kleiner sein als erwartet. All­fällig staat­liche Ret­tungs­ak­tionen werden uns als Steu­er­zahler belasten.
Ebenso schlimm trifft es die Pen­si­ons­kassen der Unter­nehmen. Schon für das Jahr 2014 wurden die Pen­si­ons­de­fizite der Dax- und MDax-Unter­nehmen von Flossbach von Storch auf 153 Mil­li­arden Euro bzw. rund 27 Prozent des Eigen­ka­pitals geschätzt. Wenig tröstlich, dass es um Unter­nehmen in den USA mit einer Lücke von mehr als 600 Mil­li­arden noch schlimmer steht. Tiefe Zinsen wirken auch hier. Statt der erhofften fünf bis acht Prozent jähr­licher Rendite werden nur noch ein bis drei Prozent erwirt­schaftet. Wenn über­haupt. Bekanntlich ist nicht so kraftvoll wie der Zin­ses­zins­effekt. Nur wirkt der eben in einem Null­zins­umfeld nicht mehr.

Die Wirkung der Schulden
Bereits bei frü­heren Kom­men­taren an dieser Stelle anlässlich von Ver­mö­gens­studien habe ich erklärt, dass ein ganz ent­schei­dender Faktor hinter der Ver­mö­gens­ent­wicklung die Zunahme der Schulden ist. Dieser Faktor wird auch von Wis­sen­schaftlern wie Thomas Piketty völlig ver­nach­lässigt. Dabei ist die Ver­mö­gens­stei­gerung eng mit der Zunahme der Ver­schuldung ver­bunden. Die Mög­lichkeit vor­handene Assets mit Schulden nach­zu­fragen, führt zu einer Preis­stei­gerung von diesen Assets, was wie­derum ermög­licht, die Ver­schuldung zu erhöhen.
Nicht zufällig waren Immo­bilien in den letzten Jahr­zehnten die Ver­mö­gens­po­sition, die am meisten an Wert gewonnen hat, relativ zu den Erträgen. Man stelle sich nur das Preis­niveau am deut­schen Immo­bi­li­en­markt vor, wenn die Zinsen bei sechs Prozent lägen und die erfor­der­liche Eigen­fi­nan­zie­rungs­quote bei 50 Prozent.
Wir haben das System über mehr als dreißig Jahre immer höher gele­veraged. Das Problem ist jedoch, dass die Schuldner zunehmend Schwie­rig­keiten haben, ihren Ver­pflich­tungen nach­zu­kommen. Das ist ja auch der Grund, weshalb die Noten­banken die Zinsen immer tiefer treiben. Unwei­gerlich muss es jedoch zu einer Berei­nigung der Schul­denlast kommen. Diese wird die Ver­mögen in zwei­facher Hin­sicht treffen: weniger Leverage dämpft zunächst die Ver­mö­gens­werte während Schul­den­schnitte und Zah­lungs­ein­stel­lungen direkt immer auch die Gläu­biger treffen. Diese sind in letzter Kon­se­quenz wir. Unsere For­de­rungen stellen sich dann als nicht so wert­haltig heraus, wie wir heute noch denken.

Mehr Ver­käufer als Käufer  Haus­preise werden wieder fallen 

Hinzu kommt, dass eine alternde Gesell­schaft Angebot und Nach­frage nach Ver­mö­gens­werten nach­haltig ver­ändert. Sind die Zinsen in den letzten Jahren unter anderem auch wegen einer Flut an Erspar­nissen und zu wenigen Inves­ti­tionen gesunken  ein Trend, den die Noten­banken durch ihre asym­me­trische Politik unheilvoll ver­stärkt haben  so droht nun eine Umkehrung dieses Trends. Die Ana­lysten von Bar­clays haben ana­ly­siert, dass mit jedem Pro­zent­punkt, um den die Anzahl der Rentner steigt, der Zins um 1,15 Pro­zent­punkte steigt.
Auf den ersten Blick wären dies gute Nach­richten für Sparer. Das Problem für unsere Vor­sorge ist, dass  wie wir oben gesehen haben  die heutige Bewertung der Ver­mö­gens­ge­gen­stände, von Aktien, Immo­bilien bis hin zu Kunst, durch die tiefen Zinsen getrieben wurde. Steigen die Zinsen, kommen die Bewer­tungen ent­spre­chend unter Druck.
Hinzu kommt, dass das „Ent­sparen“ der nicht mehr Erwerbs­tä­tigen die Ver­mö­gens­werte eben­falls belastet. Wer von seinen Erspar­nissen leben will, muss Akti­en­fonds, Immo­bilien und Anleihen verkaufen.

Vor allem selbst­ge­nutzte Immo­bilien in Vor­stadt­lagen dürften unter erheb­lichen Preis­druck kommen. Rentner wollen sich ver­kleinern und lieber nah an medi­zi­ni­scher Ver­sorgung und Infra­struktur leben. Zugleich gibt es weniger Familien, die ihre Kinder im Grünen auf­ziehen wollen.
Mit wei­teren Wert­stei­ge­rungen ist aber auch sonst kaum zu rechnen. Ins­gesamt schrumpft die Bevöl­kerung nun mal. Daran ändert auch der Flücht­lings­strom nichts. Und so wird die Nach­frage all­gemein sinken, was auch in guten Lagen zu Preis­druck führt. Stei­gende Zinsen treffen gerade auch Immo­bi­li­en­be­wer­tungen empfindlich.

Die Inflation kehrt zurück 

Unab­hängig von den bisher erfolg­losen Bemü­hungen der Noten­banken, die Inflation anzu­heizen, um auf diesem Wege die Schulden zu ent­werten, droht auch auf­grund der demo­gra­fi­schen Ent­wicklung ein Anstieg der Infla­ti­ons­raten. Vielfach wird erwartet, dass eine alternde Gesell­schaft wie Japan eher in eine Deflation fällt, doch dies ist kei­neswegs sicher.
Unstrittig ist, dass die Kon­sum­neigung mit dem Alter abnimmt. Der Höhe­punkt der Aus­gaben liegt meist im Alter zwi­schen 30 und 55 Jahren, wenn Fami­li­en­gründung und stei­gende Ein­kommen den Konsum befeuern. Im Ren­ten­alter hin­gegen sind die Leute spar­samer und fragen weniger nach. Diese Faust­regel gilt immer noch, auch wenn Rentner heute aktiver leben als vor 30 Jahren. Insofern wird die Wirt­schaft wohl weniger wachsen und die Preise werden ten­den­ziell fallen  so, wie wir es in Japan gesehen haben. Selbst wenn das BIP pro Kopf wächst, wie in Japan, genügt dies nicht, um den Rückgang der Erwerbs­be­völ­kerung zu kompensieren.
Es gibt aber auch einen gegen­läu­figen Trend. Das Arbeits­kräf­te­an­gebot wird sinken. Dies spricht für eine Umkehrung eines Mega­trends der letzten Jahr­zehnte. Statt fal­lender Löhne, könnten wir es mit stei­genden zu tun bekommen, die sich dann auch in stei­genden Preisen nie­der­schlagen. Zuneh­mende Auto­ma­ti­sierung wird diesen Trend abschwächen, die erfor­der­lichen Inves­ti­tionen werden die Unter­nehmen sich aller­dings auch bezahlen lassen. In Summe also ein Sze­nario, in dem vor allem nicht auto­ma­ti­sierbare und nicht han­delbare Güter und Dienst­leis­tungen teurer werden. Dies betrifft aber einen großen Teil der Aus­gaben der künf­tigen Rentner: Gesund­heits­ver­sorgung, Betreuung und Lebensmittel.

Wir sollten uns darauf ein­stellen, dass die Lebens­haltung für die Baby­boomer im Ren­ten­alter deutlich teurer wird. Dafür vor­zu­sorgen, erfordert ange­sichts des tiefen Zins­ni­veaus heute noch mehr Ersparnis.

Noch mehr Umverteilung

Geringe Kapi­tal­erträge, unge­deckte Ver­sprechen für Renten und Pen­sionen, dro­hende For­de­rungs­ver­luste wegen Schul­den­schnitten, fal­lende Ver­mö­gens­werte und stei­gende Preise für die rele­vanten Güter führen zu einem Sandwich-Sze­nario für die Gene­ration der Baby­boomer. Von­seiten der Politik wurde in den letzten Jahren nichts getan, um diese Zeit­bombe zu ent­schärfen. Im Gegenteil wurden die Lasten noch erhöht. So wird es auch in Zukunft sein.

Wir müssen rea­lis­tisch davon aus­gehen, dass der Staat Renten kürzt und mit Steuern und Abgaben gerade bei jenen Rentnern zugreift, die über Erspar­nisse und andere Ein­künfte verfügen.
Eine poli­tische Mehrheit für solche Ein­griffe ist zu erwarten. Bei der Bun­des­tagswahl 1980 lag der Anteil der Wahl­be­rech­tigten im Alter von 60 Jahren und darüber noch bei 26 Prozent, 2013 waren es schon 34 Prozent; 2030 dürften es min­destens 43 Prozent sein.
Uns geht es gut? Ja, aber nur vordergründig. 

→ manager-magazin.de: „Die Sandwich-Gene­ration“, 23. Sep­tember 2016


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com