Die Wege in die Selbstzerstörung sind oft durch gute Vorsätze gepflastert. Europas Verfechter des postmodernen neuen Humanismus haben eine Reihe von Idealen formuliert, die in der Theorie und auf den ersten Blick gut klingen mögen, sich aber bei genauer Betrachtung als Brandbeschleuniger des Zerfalls präsentieren und in eine Endzeit führen werden, wenn man sie nicht bekämpft.
Die neuen Missionare
Wir alle kennen die ideologisch getriebenen Herolde, die unentwegt ihre Botschaften vom neuen Menschen ins Publikum schmettern. Die führenden Vertreter des totalen Säkularismus und des postmarxistisch-kultursozialistischen Denkens haben sich mittlerweile selber den Status von Hohepriestern verliehen — allerdings ohne diese Usurpation klar auszusprechen. Sie behaupten, keiner Religion anzugehören und verfechten im selben Atemzug ihre Ideologie mit einem Eifer, der selbst den fanatischen Vertretern gewisser Glaubensrichtungen alle Ehre machen würde.
Die Kathedralen dieser neuen Säkular-Religion sind die Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie die Parteizentralen der linksgerichteten politischen Fraktionen. Und die Missionszentren sind die Schreibstuben der vielen selbstermächtigten “Qualitätsmedien”, von wo aus die neuen weltlichen Evangelien weiter verbreitet werden sollen.
Für alle
Die zentralen und kompromisslos verbreiteten Ziele der neuen Pseudoreligion sind immer “für alle” da: Gleichheit der Menschen in jeder Hinsicht, totale Gleichstellung von Mann und Frau auch in den biologischen Fragen, Auflösung aller Geschlechtsunterschiede, durchdringender Feminismus, Ausdehnung der Menschenrechte bis hin zum Recht auf Abtreibung, totale sexuelle Befreiung für alle, Vernichtung der traditionellen Familienstrukturen, Ehe für alle, offene Grenzen für alle und ungehinderte Migration für alle.
Naive Geister können sich mit diesen Forderungen sehr schnell identifizieren, denn wer könnte etwas dagegen haben, dass “die Menschheit” überall die gleichen, möglichst guten Bedingungen vorfindet?Wer könnte den Wunsch nach der vollkommenen Freiheit des Menschen für problematisch halten? Und wer könnte guten Gewissens gegen “soziale Gerechtigkeit”, gegen die Migrationsfreiheit oder gegen die vollkommene Gleichheit von Mann und Frau auftreten? Unter den nicht so kritikfähigen Leuten und bei verträumten Sozialromantikern gibt es daher Unzählige, die dieser Ersatzreligion anhängen und ein gutes Gefühl dabei haben, die erwähnten neuen und stets absolut gesetzten “Werte” zu vertreten.
Die Masterminds geben sich als Tugendbolde
Perfide, dafür aber intelligentere Charaktere, die in ihrer intellektuellen Unredlichkeit das Pharisäer-Dasein zum Lebensinhalt gewählt haben, hängen formal mit Verve den neohumanistischen Gleichheits-Idealen an, auch wenn sie selber ganz anders leben und nur nach außen hin das neue Menschenbild vertreten. Man kann sich in diesem eifrig zur Schau getragenen, angeblich menschlichkeitsorientierten Tugendstolz ja so herrlich als überlegen präsentieren. Um als guter Mensch wahrgenommen zu werden, braucht man nur die Fähigkeit der moralischen Empörung zu kultivieren und diese fleißig überall zu demonstrieren.
Woher kommt diese neue “Religion”?
Paradoxerweise ist es so, dass einerseits die linke und am Diesseits orientierte Weltanschauung für die Entwicklung der hier geschilderten Phänomene als Ursache zu nennen ist und andererseits die durch den Siegeszug des Kapitalismus entstandene materielle Besserstellung der Menschen die kausale Bedingung für die Etablierung der neuen Idealen bildet. Die westliche Wohlstands- und Konsumgesellschaft bereitete den Boden für den Vormarsch des pseudoreligiösen, säkularen und kultursozialistischen Gedankenguts. Dazu kommt, dass viele von uns den traditionellen Glauben sowieso verloren haben und Religion für eine Sache halten, die der Vergangenheit angehören sollte. Und wenn schon Religion, dann bitte nur als Privatangelegenheit.
Der Mangel an Metaphysik
Dadurch entsteht aber in der Gesellschaft eine metaphysische Lücke, die mit eben der Säkular-Religion und dem daraus abgeleiteten Hypermoralismus und dem Tugendstolz gefüllt wird. Als Religionsersatz eignen sich im Weiteren für die nicht so auf politische Moral erpichten Leute auch diverse Extremsportarten, die Esoterik oder monomane Ernährungs-Philosophien wie der Veganismus usw.
Schuldgefühle als Hebel
Die kapitalistische Wohlstandsgesellschaft bietet den Kultursozialisten einen wunderbaren Hebel, die Leute beim schlechten Gewissen zu packen: Warum sollte der Westen alles besitzen, wenn doch dieser Reichtum angeblich nur durch die Ausbeutung der ehemaligen Kolonien und der Dritten Welt entstanden ist? Der wohlhabende Westmensch hat daher die Verpflichtung, den Armen und Verfolgten dieser Welt jederzeit Zuflucht und Brot zu gewähren. Schlichte Gemüter fallen auf diese Argumente schnell herein, denn sie klingen überzeugend, weil man ihnen jenen hypermoralistischen Gehalt verpasst hat, der uns aus allen politischen Reden und Medien-Artikeln entgegen trieft.
Auch wenn die aktuelle Politik in einigen europäischen Ländern zunehmend und mehrheitlich Stellung gegen die hier geschilderten Fehlentwicklungen bezieht und besonders die Migrationsproblematik, die durch den Humanitarismus (also die überschiessende und kontraproduktive Form des Humanismus) entstanden ist, wieder lösen will, so bleibt im Überbau der Gesellschaft doch der Kultursozialismus bestehen, um dort sein unheilvolles Werk fortzuführen.
Die Medien als Kaderschmieden
Die Gegner jeder rechten Politik und die Proponenten der neuen Moral sind in den Medien zuhauf vertreten und sie werden nicht ruhen, denn sie beziehen ja ihre Existenzberechtigung aus ihrer Haltung. Die Konfrontationen werden sich also zuspitzen und sie werden über die Medien passieren und dort forciert werden, weil die originäre politische Linke zu schwach und zu blass geworden ist, um neue Anhänger zu finden. Und sie ist intellektuell zu ausgelaugt, um die politische Konfrontation zu bestreiten geschweige denn zu gewinnen. Wir sehen daher, wie die führenden Linken ihre Sermone auf Bassena-Niveau abliefern und die demokratische politische Auseinandersetzung sich dafür von den für sie geschaffenen Institutionen (wie Parlament und Landtage) in die diversen medialen Einrichtungen verlagert — inklusive Social Media.
Und im Hintergrund machten Richter Politik
Keinesfalls darf man übersehen, dass auch in den maßgeblichen juristischen Institutionen (wie dem OGH, dem VfGH und dem EuGH) auffällig viele Kultursozialisten versuchen bzw. versucht haben, die eigene politische Haltung in ihre Urteile und Sprüche einfließen zu lassen. Die europäische Politik wurde und wird ganz massiv von richterlichen Entscheidungen beeinflusst, weil die sozialistisch dominierte Legislative die längste Zeit zu schwach oder, besser, unwillig war, die Grundlinien vorzugeben.
Cui bono?
Bleibt zu klären, warum die Kultursozialisten und die zahllosen Postmarxisten ihre politische Haltung überhaupt in diese Richtung eingenommen haben und warum sie weder durch rationale Argumente noch durch die Mehrheit der Bevölkerung (also durch den Souverän) zu überzeugen sind, dass ihre Positionen zwangsweise zu einem Lemming-Schicksal für alle führen würden, wenn ein Großteil des Volkes so dächte wie sie. Was nützt es also den von den Bildschirmen und aus den Leitartikeln predigenden Hypermoralisten, wenn sie so sind, wie sie sind?
Die Antwort ist mehrschichtig. Einerseits sind viele Kultursozialisten wirklich überzeugt von ihrem Tun, sie fühlen sich als die neuen Missionare, die die Welt vom modernen Hypermoralismus überzeugen müssen. Andererseits haben viele der Kultursozialisten gehofft, dass sie durch einen Art Orwell‘schen “Animal Farm”- Effekt eines Tages die Elite der Schweine bilden können und getreu dem Spruch “Alle sind gleich, aber manche sind gleicher” für sich materielle wie reputative Vorteile generieren können.
Beide Verhaltensweisen sind zu verurteilen, weil sie der westlichen Zivilisation schaden, ja diese sogar zerstören können. Denn alles, was die Kultur-Lemminge in ihrem gekünstelten oder schlimmer noch, in ihrem echten Eifer anstellen, schwächt unsere Gesellschaft, spaltet sie und erschwert die Schaffung einer guten und starken Zukunft. Man muss daher, wenn einem etwas an Österreich und an Europa liegt, die Hypermoralisten und die Tugendstolzen sichtbar machen und ihre intellektuellen Unredlichkeiten und ihre Irrtümer aufzeigen, wo immer man sie antrifft.
Dr. Marcus Franz ist Arzt und Mitglied zum österreichischen Nationalrat — www.thedailyfranz.at