Dass die Renten nicht wirklich sicher sind und bereits jetzt alles andere als üppig, weiß jeder. Ständig macht uns der liebe Vater Staat darauf aufmerksam, dass der Bürger neben Steuern, Arbeitslosenversicherung, Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer, Krankenkasse und Rentenversicherung auch noch ordentlich was für seine private Altersversorgung zurücklegen soll.
Der Staat drängt auf private Altersvorsorge, weil die Rente nicht sicher ist
Dazu wurde mit großen Versprechungen und Sirenengesängen die berühmte „Riesterrente“ aufgelegt. Praktisch jeder wurde darauf angesprochen, Vermögensberater hatten einen neuen Verkaufsschlager im Portfolio. Doch die anfängliche Begeisterung legte sich rasch. Es gibt kaum noch Neuabschlüsse, weil sich herumgesprochen hat, dass die Rendite gegen Null tendiert. Horst Seehofer nannte 2016 das moribunde Kind im Brunnen beim Namen: „Riester ist gescheitert“.
Also blieben die Deutschen lieber bei den doch als seriös eingestuften Kapitallebensversicherungen, um sich vor Armut im Alter zu schützen. Wie verbreitet und bedeutsam diese Säule der privaten Altersversorgung ist, versteht man, wenn man weiß, dass im Schnitt jeder Deutsche, also vom Baby bis zum Greis, 1,2 Lebensversicherungen besitzt.
Es handelt sich also nicht um eine kleine Minderheit von Zockern, die das Risiko kannten und sich folglich nicht beschweren können, wenn das Investment schiefgeht und deren kleine Zahl auch nicht weiter groß Auswirkungen auf das Gesamtsystem hat.
Es handelt sich vielmehr um ein ganzes Volk von Zockern, die nur nicht wissen, dass sie welche sind. Interessierten ist das schon länger klar, und ein Politiker-Statement, genauer gesagt, das bemühte Vermeiden eines Statements zum Thema „sind Lebensversicherungen sicher?“ lässt die Alarmglocken läuten.
Bericht zur Lage der Lebensversicherer lässt Schlimmes ahnen
Das Bundesfinanzministerium hat im Juni einen Bericht zu den Lebensversicherern herausgegeben. Der zeichnet kein rosiges Bild für die Kapitallebensversicherungen (KLV). Dem Bericht zufolge drohen 34 von 84 Lebensversicherern mittel- bis langfristig „finanzielle Schwierigkeiten“. Die Bafin über eine „intensive Aufsicht“ über die betroffenen Konzerne aus, die Unternehmen müssen im Halbjahresabstand Bericht erstatten, zum Beispiel, ob sie Maßnahmen ergreifen, um ihren Auszahlungsverpflichtungen nachzukommen, wie und ob diese wirken und wie sich ihre finanzielle Lage entwickelt.
So mittel-bis langfristig scheint die Gefahr aber nicht zu sein, denn laut dem Bundesverband der Verbraucherzentralen kann es durchaus sein, dass Versicherer unter die gesetzlich vorgeschriebene Eigenkapitalquote fallen. Dann brennt es, und wenn nicht innerhalb weniger Monate frisches Kapital hereinkommt, wird das Unternehmen abgewickelt. So etwas kann sehr kurzfristig geschehen. Im Prinzip geht es daher den Lebensversicherern, wie den Banken.
Es dürfte sehr schwer sein, Kapitalgeber und Investoren für angeschlagene Lebensversicherer zu finden, denn das Geschäftsmodell Kapitallebensversicherung ist durch die Niedrigzinspolitik stark gefährdet. Dagegen gibt es – außer Risikoinvestments mit höheren Renditen – auch kein gutes Rezept. So riskante Spekulationen sind den Versicherern aus gutem Grund per Gesetz verboten.
Das Finanzministerium kneift
Wolfgang Schmidt ist ein Spitzenbeamter im Finanzministerium, ein Fachmann und Strippenzieher, wird von ihm gesagt. In einer Gesprächsveranstaltung von Handelsblatt und Wirtschaftswoche wurde Herr Schmidt zu den Problemen der Lebensversicherer befragt. Er gab fachkundig Auskunft, wollte aber keine Aussage dazu machen, wie sicher denn die Lebensversicherungen seien. Man kann auch sagen, Herr Schmidt hat sich herausgeredet. Er wolle hier nicht den Blüm geben, sagte er.
Das lässt tief blicken. Dr. Norbert Blüm, damals CDU-Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, sagte diesen Satz zum ersten Mal 1986 im Bundestagswahlkampf. Er wiederholte dieses Versprechen 1997 in einer hitzigen Debatte im Bundestag. Schon damals zwang die gestiegene Lebenserwartung und die geringe Geburtenrate zu einer Neustrukturierung der Rente. Am selben Tag, wie Herr Dr. Blüm seinen berühmten Satz wiederholte, wurde die umstrittene Rentenreform verabschiedet. Schon damals sagte der SPD-Politiker Rudolf Dreßler: „Die Folgen dieses Gesetzentwurfes sind klar: Die Operation ist gelungen, die Rentenversicherung auf der Intensivstation.“
Wenn Herr Scholz diesen Vergleich zieht, dann ist klar, dass er die Lebensversicherungen eben nicht für sicher hält und sich auch nicht dafür hergibt, aus Beschwichtigungsgründen zu lügen. Dankenswerte Offenheit und ein seltenes Juwel in der Politik.
Zu viele Alte werden ausgezahlt, zu wenig Junge schließen ab
Und die Lebensversicherungen sind in der Tat nicht sicher. Nicht nur aus den bereits genannten Gründen. Auch die Tatsache, dass immer weniger junge Leute solche Kapitallebensversicherungen (KLV) abschließen, höhlt das Modell KLV nachhaltig aus. Die geringe Geburtenrate schwächt nicht nur das Rentensystem, sie zieht auch den Lebensversicherern den Teppich unter den Füßen weg, denn die private Altersversorgung per KLV funktioniert ganz ähnlich: Die geburtenstarken Jahrgänge kommen ins Auszahlungsalter, aber zu wenig junge Versicherungsnehmer nach. Einerseits mangels junger Leute, andererseits wegen der stagnierenden oder gar sinkenden Einkommen der Jungen und zum Dritten wegen der systemischen Risiken.
Das Geschäftsmodell der KLVs hängt nicht nur an den im Markt zu erzielenden Renditen für die ihnen anvertrauten Ersparnisse der Kunden, sondern auch daran, dass mindestens genauso viele Neuverträge abgeschlossen werden, wie alte ablaufen und ausgezahlt werden. Insofern sind auch Lebensversicherungen ein Schneeballsystem.
Und noch ein Problem haben die Lebensversicherer: Immer mehr Kunden führen die bestehenden Verträge nicht mehr weiter und wollen rückabwickeln. Manche, weil sie dringenden Finanzmittelbedarf haben, viele aber auch, weil sie begreifen, dass der Versicherungsvertrag, wie alles, was auf Papier geschrieben steht, nur ein Versprechen ist, das gebrochen werden wird, wenn es hart auf hart kommt. Angesichts der globalen Banken- und Schuldenkrise ist ein unerschütterliches Vertrauen in eine Jahrzehnte entfernte Auszahlung schon extrem frohgemut.
Lebensversicherung in der Klemme? Auszahlungsstopp bei Einzahlungspflicht!
Offenbar haben aber auch die Versicherungskonzerne dieses Vertrauen nicht. Denn es gibt das Versicherungsaufsichtsgesetz § 89, ein Gesetz, das die wenigsten Versicherungskunden kennen. Das Gesetz sieht vor, die Auszahlungen fälliger Lebensversicherungen an Kunden zeitweise oder auch ganz zu stoppen, falls die Vermögenslage des jeweiligen Unternehmens das erfordert. Außerdem muss der Versicherungsnehmer, also der Kunde, weiter bezahlen, auch wenn es einen Auszahlungsstopp des Unternehmens gibt:
VAG § 89 Zahlungsverbot; Herabsetzung von Leistungen (Versicherungsaufsichtsgesetz)
- Ergibt sich bei der Prüfung der Geschäftsführung und der Vermögenslage eines Unternehmens, dass dieses für die Dauer nicht mehr imstande ist, seine Verpflichtungen zu erfüllen (…) Alle Arten Zahlungen, besonders Versicherungsleistungen, Gewinnverteilungen und bei Lebensversicherungen der Rückkauf oder die Beleihung des Versicherungsscheins sowie Vorauszahlungen darauf, können zeitweilig verboten werden.(…)
- Unter der Voraussetzung in Absatz 1 Satz 1 kann die Aufsichtsbehörde, wenn nötig, die Verpflichtungen eines Lebensversicherungsunternehmens aus seinen Versicherungen dem Vermögensstand entsprechend herabsetzen. (…) Die Pflicht der Versicherungsnehmer, die Versicherungsentgelte in der bisherigen Höhe weiterzuzahlen, wird durch die Herabsetzung nicht berührt.
Dieses Gesetz zeigt, dass die Versicherungskonzerne und die Politik ganz konkret mit einem Zusammenbruch des Schneeballsystems „Kapitallebensversicherung“ rechnen. Die Lebensersparnisse der Deutschen stehen auf dem Spiel. Bei den Summen, die in dieser Form der privaten Altersvorsorge stecken, wird ein wahrscheinlicher Crash der Versicherungskonzerne mit möglichem Totalausfall aller Auszahlungen katastrophale Auswirkungen auf die Bevölkerung und das Sozialgefüge haben.