Collage mit Angela Merkel - Quelle: Bundesarchiv Bild_183-57000-0139,_V._Parteitag_der_SED

DDR Zwei Punkt Null

Hon­ecker und Merkel: Wie sich die Bilder gleichen, und was in wenig erbau­licher Weise anders ist
Seit drei Jahr­zehnten lebe ich in Mit­tel­deutschland, vulgo: Ost­deutschland. Hier ticken die Uhren etwas anders als im Rest der Republik. Ich bin, weiß Gott, nicht der Einzige, dem das auf­ge­fallen ist.
(Von Helmut Roewer)
Bereits in den letzten Jahren der mor­biden DDR hat hier – aus­ge­rechnet in der Gegend im süd­öst­lichen Sachsen, die wegen der Unmög­lichkeit, West­fernsehn zu emp­fangen, das Tal der Ahnungs­losen genannt wurde – der Teil der deut­schen Bevöl­kerung gelebt, der kom­pro­misslos den Untergang des SED-Regimes her­bei­ge­führt hat. Die Sachsen, Allah möge sie in der Hölle schmoren lassen, erzwangen das Regime-Aus mit Mas­sen­pro­testen, die zu beenden die marode Führung nicht mehr die Potenz besaß.
Das Erzwingen der deut­schen Einheit ist umso erstaun­licher, als die Zahl der Gegner unüber­schaubar war: Die Sie­ger­mächte mit Aus­nahme der USA, die Polen und man­cherlei andere Möch­te­gern­sieger und – nicht zu ver­gessen – die poli­ti­schen Eliten beider deut­scher Staaten (inklusive CDU/CSU, der Kanzler der Einheit sprang erst im letzten Moment auf den fah­renden Zug). Der Umsturz im Osten erfolgte dann in kür­zester Frist und mit großer Radi­ka­lität. Unge­zählte Männer und Frauen ver­loren ihre ange­stammten Arbeits­plätze und mussten sich nur zu häufig mehr oder weniger schlecht durch­schlagen. Die Einheit ver­letzte viele. Es waren see­lische und mate­rielle Wunden, die nur schlecht ver­narben sollten.
Tüchtige mit natur­wis­sen­schaftlich-tech­ni­scher Aus­bildung kamen als erste wieder auf die Beine. Was sie erreichten, ver­dankten sie dem Mut durchzustarten.
Wie anders sah es dagegen in Deutsch­lands Westen aus. Die Einheit war eine Geld­sache, die sich in einer über­schau­baren Steu­er­erhöhung aus­wirkte. Die Masse der Deut­schen West zeichnete sich – völlig unbe­rührt von den Stra­pazen der Einheit, die man bes­ten­falls vom Hören­sagen kannte – durch Spaß und Selbst­zu­frie­denheit aus. Alles paletti:
Der Strom kam aus der Steckdose und das Geld vom Konto.
Bei solch unter­schied­licher Dis­po­sition der Deut­schen ist es nicht ver­wun­derlich, dass die her­auf­zie­henden Sturm­wolken der öffentlich befür­wor­teten und sodann ins Werk gesetzten ille­galen Mas­sen­zu­wan­derung unter­schied­liche Emp­fin­dungen aus­lösten. Die einen sahen sich auf dem Son­nendeck eines Kreuz­fahrt­schiffes in exo­ti­schen Gewässern, die anderen befürchten, dass die mit äußerster Anstrengung geschaffene neue Lebens­mitte zum zweiten Mal – und diesmal mut­willig – zer­schlagen werden könnte. Diese Befürchtung lehrte sie, Erprobtes zu wie­der­holen, nämlich sich zusam­men­zutun, um das Uner­wünschte zu bekämpfen. Der Absicht folgte die Tat: Pegida und heutige AfD sind Kinder des Ostens. Ihr Gegner ist das poli­tische Estab­lishment, von dem sie behaupten, dass es in seiner Abge­ho­benheit der DDR-Nomen­klatura aufs Haar gleiche.
In der Tat, die Sprechal­lüren sind die gleichen, wenn auch das Voka­bular modi­fi­ziert worden ist. Aus den Wort­wolken des angeblich wis­sen­schaft­lichen Mar­xismus-Leni­nismus („Die Lehre von Marx ist all­mächtig, weil sie wahr ist“) ist die Alter­na­tiv­lo­sigkeit geworden.
Alter­na­tivlos ist, was die modernen Polit-Plap­perer nicht dis­ku­tiert haben wollen. Wer sich nicht an die ein­schlä­gigen Sprech­verbote hält, ist Nazi.
Nun hat sich mit der stark anwach­senden Zahl der Nenn-Nazis erst ganz langsam, dann anschwellend etwas merk­wür­diges unter den auf diese Weise Bezich­tigten ein­ge­bürgert. Sie sagen: Wenn ich nicht mehr sagen darf, was offen­sichtlich zutreffend ist, dann bin ich halt Nazi. Was soll’s. Doch merke: Nimmt man einem Speer die Spitze, so ist er keine Waffe mehr, sondern nur noch Feu­erholz. Das haben auch die Eliten des polit­me­dialen Kom­plexes bemerkt. Sie haben sich ver­ständigt, dass es tunlich sei, von Kon­fron­tation auf Appeasement (zu Deutsch: Beschwich­tigung) umzuschalten.
Diesen Umschalt­vorgang erleben wir im Moment. Das Weiter-so soll wei­ter­gehen, aber nunmehr unbe­merkt. Zur Ablenkung des Publikums werden Schein­ak­ti­vi­täten los­ge­treten und ein Sün­denbock namhaft gemacht, der unter großem öffent­lichen Getöse abge­räumt werden soll. Vorbild ist das Abser­vieren von Erich Hon­ecker. Das Politbüro beschließt nach einer clow­nesken Sitzung, den Rück­tritt des Gene­ral­se­kretärs zu akzep­tieren. Er wird durch den Genossen Egon Krenz ersetzt.
Antrag des Genossen E. Honecker:
Der Bun­destag möge beschließen: Frau Merkel, alter­na­tivlos in ihrem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.
Dieser Sitzung war eine kon­spi­rative Tour von Stasi-Minister Erich Mielke nach Moskau vor­an­ge­gangen, um das Okay (rus­sisch: да давей) des Kolo­ni­al­herrn einzuholen.
Dieser Weg ist im Moment ver­sperrt, da sich der deutsche polit-mediale Komplex vor drei Jahren auf den sicheren Sieg der Hei­ligen Hillary im US-Wahl­kampf ein­ge­schworen hatte.
Jetzt ist der Herr­scher im Weißen Haus jedoch ein anderer und eine Persona non grata. Die Abneigung gilt wech­sel­seitig. Daraus folgt: Man muss nun ohne den Segen des US-Geschi­ckel­enkers aktiv werden. Dabei hilft das bewährte Bord­mittel der Denun­ziation. Den ersten Schuss gab ein namen­loser Reporter aus dem Mit­tel­deut­schen Rundfunk in der Tages­schau ab. Das war klug aus­ge­dacht, denn diese CDU-domi­nierte Anstalt lamen­tierte urplötzlich öffentlich, dass die Kanz­lerin die euro­päi­schen Lösungen störe. Sie habe nicht nur nichts bewirkt, sondern sie spalte.
Spaltung!
Das ist in jeder Religion ein töd­licher Vorwurf. Der Spal­terin Merkel soll es an den Kragen gehen wie weiland unter Stalin den Trotz­kisten. Um das klar­zu­stellen: Es geht bei der los­ge­tre­tenen Medien-Empörung nicht um die voll­kommen ver­fehlte illegale Ein­wan­de­rungs­po­litik zugunsten von Mil­lionen nicht alpha­be­ti­sierter Gefäß­chir­urgen, sondern es geht um das Beschwören von Floskeln (euro­päische Lösung, Spaltung, keine Allein­gänge), bei deren Auf­sagen die Kanz­lerin nunmehr angeblich stört. Doch in Wirk­lichkeit handelt es sich darum, dass diese Frau fürs Estab­lishment gefährlich zu werden droht, denn sie treibt durch ihre schiere Existenz der AfD die Wähler zu. Noch einmal: Die Attacke ist kein Signal für eine Rückkehr zu Recht und Ver­nunft, sondern ein ver­deckter Apell für den Macht­erhalt, und der bedeutet inhaltlich:
Weiter-wie-gehabt mit reno­viertem Dekor.
Man wird sehen, was daraus wird. Ich stelle mir vor, dass der mediale Steinwurf schnell Kreise ziehen wird, und ich stelle mir auch vor, dass die Kanz­lerin zum ersten Mal in ihrem poli­ti­schen Leben im Eigen­in­teresse ins Grund­gesetz blickt. Darin steht, dass ihr Amt endet, wenn der Bun­destag mit der Mehrheit seiner Mit­glieder einen neuen Kanzler wählt.
Nach diesem unge­wohnten Geset­zes­studium könnte sie dann wie gewohnt patzig werden: Na, dann wählt mal schön.
Doch Spaß bei­seite. DDR Zwei Punkt Null hat einen ent­schei­denden Unter­schied zum Ori­ginal: Es gibt in diesem Fall keinen sta­bilen Nachbarn, der die unter­ge­hende Gesell­schaft auf­fangen könnte.


Quelle: conservo.wordpress.com — ©Helmut Roewer, Juni 2018 ‑Dr. Helmut Roewer wurde nach dem Abitur Pan­zer­of­fizier, zuletzt Ober­leutnant. Sodann Stu-dium der Rechts­wis­sen­schaften, Volks­wirt­schaft und Geschichte. Nach dem zweiten juris­ti­schen Staats­examen Rechts­anwalt und Pro­motion zum Dr.iur. über ein rechts­ge­schicht­liches Thema. Später Beamter im Sicher­heits­be­reich des Bun­des­in­nen­mi­nis­terium in Bonn und Berlin, zuletzt Minis­te­ri­alrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Prä­sident einer Ver­fas­sungs­schutz­be­hörde. Nach der Ver­setzung in den einst­wei­ligen Ruhe­stand frei­be­ruf­licher Schrift­steller. Lebt und arbeitet in Weimar und Italien.