Honecker und Merkel: Wie sich die Bilder gleichen, und was in wenig erbaulicher Weise anders ist
Seit drei Jahrzehnten lebe ich in Mitteldeutschland, vulgo: Ostdeutschland. Hier ticken die Uhren etwas anders als im Rest der Republik. Ich bin, weiß Gott, nicht der Einzige, dem das aufgefallen ist.
(Von Helmut Roewer)
Bereits in den letzten Jahren der morbiden DDR hat hier – ausgerechnet in der Gegend im südöstlichen Sachsen, die wegen der Unmöglichkeit, Westfernsehn zu empfangen, das Tal der Ahnungslosen genannt wurde – der Teil der deutschen Bevölkerung gelebt, der kompromisslos den Untergang des SED-Regimes herbeigeführt hat. Die Sachsen, Allah möge sie in der Hölle schmoren lassen, erzwangen das Regime-Aus mit Massenprotesten, die zu beenden die marode Führung nicht mehr die Potenz besaß.
Das Erzwingen der deutschen Einheit ist umso erstaunlicher, als die Zahl der Gegner unüberschaubar war: Die Siegermächte mit Ausnahme der USA, die Polen und mancherlei andere Möchtegernsieger und – nicht zu vergessen – die politischen Eliten beider deutscher Staaten (inklusive CDU/CSU, der Kanzler der Einheit sprang erst im letzten Moment auf den fahrenden Zug). Der Umsturz im Osten erfolgte dann in kürzester Frist und mit großer Radikalität. Ungezählte Männer und Frauen verloren ihre angestammten Arbeitsplätze und mussten sich nur zu häufig mehr oder weniger schlecht durchschlagen. Die Einheit verletzte viele. Es waren seelische und materielle Wunden, die nur schlecht vernarben sollten.
Tüchtige mit naturwissenschaftlich-technischer Ausbildung kamen als erste wieder auf die Beine. Was sie erreichten, verdankten sie dem Mut durchzustarten.
Wie anders sah es dagegen in Deutschlands Westen aus. Die Einheit war eine Geldsache, die sich in einer überschaubaren Steuererhöhung auswirkte. Die Masse der Deutschen West zeichnete sich – völlig unberührt von den Strapazen der Einheit, die man bestenfalls vom Hörensagen kannte – durch Spaß und Selbstzufriedenheit aus. Alles paletti:
Der Strom kam aus der Steckdose und das Geld vom Konto.
Bei solch unterschiedlicher Disposition der Deutschen ist es nicht verwunderlich, dass die heraufziehenden Sturmwolken der öffentlich befürworteten und sodann ins Werk gesetzten illegalen Massenzuwanderung unterschiedliche Empfindungen auslösten. Die einen sahen sich auf dem Sonnendeck eines Kreuzfahrtschiffes in exotischen Gewässern, die anderen befürchten, dass die mit äußerster Anstrengung geschaffene neue Lebensmitte zum zweiten Mal – und diesmal mutwillig – zerschlagen werden könnte. Diese Befürchtung lehrte sie, Erprobtes zu wiederholen, nämlich sich zusammenzutun, um das Unerwünschte zu bekämpfen. Der Absicht folgte die Tat: Pegida und heutige AfD sind Kinder des Ostens. Ihr Gegner ist das politische Establishment, von dem sie behaupten, dass es in seiner Abgehobenheit der DDR-Nomenklatura aufs Haar gleiche.
In der Tat, die Sprechallüren sind die gleichen, wenn auch das Vokabular modifiziert worden ist. Aus den Wortwolken des angeblich wissenschaftlichen Marxismus-Leninismus („Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist“) ist die Alternativlosigkeit geworden.
Alternativlos ist, was die modernen Polit-Plapperer nicht diskutiert haben wollen. Wer sich nicht an die einschlägigen Sprechverbote hält, ist Nazi.
Nun hat sich mit der stark anwachsenden Zahl der Nenn-Nazis erst ganz langsam, dann anschwellend etwas merkwürdiges unter den auf diese Weise Bezichtigten eingebürgert. Sie sagen: Wenn ich nicht mehr sagen darf, was offensichtlich zutreffend ist, dann bin ich halt Nazi. Was soll’s. Doch merke: Nimmt man einem Speer die Spitze, so ist er keine Waffe mehr, sondern nur noch Feuerholz. Das haben auch die Eliten des politmedialen Komplexes bemerkt. Sie haben sich verständigt, dass es tunlich sei, von Konfrontation auf Appeasement (zu Deutsch: Beschwichtigung) umzuschalten.
Diesen Umschaltvorgang erleben wir im Moment. Das Weiter-so soll weitergehen, aber nunmehr unbemerkt. Zur Ablenkung des Publikums werden Scheinaktivitäten losgetreten und ein Sündenbock namhaft gemacht, der unter großem öffentlichen Getöse abgeräumt werden soll. Vorbild ist das Abservieren von Erich Honecker. Das Politbüro beschließt nach einer clownesken Sitzung, den Rücktritt des Generalsekretärs zu akzeptieren. Er wird durch den Genossen Egon Krenz ersetzt.
Antrag des Genossen E. Honecker:
Der Bundestag möge beschließen: Frau Merkel, alternativlos in ihrem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.
Dieser Sitzung war eine konspirative Tour von Stasi-Minister Erich Mielke nach Moskau vorangegangen, um das Okay (russisch: да давей) des Kolonialherrn einzuholen.
Dieser Weg ist im Moment versperrt, da sich der deutsche polit-mediale Komplex vor drei Jahren auf den sicheren Sieg der Heiligen Hillary im US-Wahlkampf eingeschworen hatte.
Jetzt ist der Herrscher im Weißen Haus jedoch ein anderer und eine Persona non grata. Die Abneigung gilt wechselseitig. Daraus folgt: Man muss nun ohne den Segen des US-Geschickelenkers aktiv werden. Dabei hilft das bewährte Bordmittel der Denunziation. Den ersten Schuss gab ein namenloser Reporter aus dem Mitteldeutschen Rundfunk in der Tagesschau ab. Das war klug ausgedacht, denn diese CDU-dominierte Anstalt lamentierte urplötzlich öffentlich, dass die Kanzlerin die europäischen Lösungen störe. Sie habe nicht nur nichts bewirkt, sondern sie spalte.
Spaltung!
Das ist in jeder Religion ein tödlicher Vorwurf. Der Spalterin Merkel soll es an den Kragen gehen wie weiland unter Stalin den Trotzkisten. Um das klarzustellen: Es geht bei der losgetretenen Medien-Empörung nicht um die vollkommen verfehlte illegale Einwanderungspolitik zugunsten von Millionen nicht alphabetisierter Gefäßchirurgen, sondern es geht um das Beschwören von Floskeln (europäische Lösung, Spaltung, keine Alleingänge), bei deren Aufsagen die Kanzlerin nunmehr angeblich stört. Doch in Wirklichkeit handelt es sich darum, dass diese Frau fürs Establishment gefährlich zu werden droht, denn sie treibt durch ihre schiere Existenz der AfD die Wähler zu. Noch einmal: Die Attacke ist kein Signal für eine Rückkehr zu Recht und Vernunft, sondern ein verdeckter Apell für den Machterhalt, und der bedeutet inhaltlich:
Weiter-wie-gehabt mit renoviertem Dekor.
Man wird sehen, was daraus wird. Ich stelle mir vor, dass der mediale Steinwurf schnell Kreise ziehen wird, und ich stelle mir auch vor, dass die Kanzlerin zum ersten Mal in ihrem politischen Leben im Eigeninteresse ins Grundgesetz blickt. Darin steht, dass ihr Amt endet, wenn der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Kanzler wählt.
Nach diesem ungewohnten Gesetzesstudium könnte sie dann wie gewohnt patzig werden: Na, dann wählt mal schön.
Doch Spaß beiseite. DDR Zwei Punkt Null hat einen entscheidenden Unterschied zum Original: Es gibt in diesem Fall keinen stabilen Nachbarn, der die untergehende Gesellschaft auffangen könnte.
Quelle: conservo.wordpress.com — ©Helmut Roewer, Juni 2018 ‑Dr. Helmut Roewer wurde nach dem Abitur Panzeroffizier, zuletzt Oberleutnant. Sodann Stu-dium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen Rechtsanwalt und Promotion zum Dr.iur. über ein rechtsgeschichtliches Thema. Später Beamter im Sicherheitsbereich des Bundesinnenministerium in Bonn und Berlin, zuletzt Ministerialrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Präsident einer Verfassungsschutzbehörde. Nach der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand freiberuflicher Schriftsteller. Lebt und arbeitet in Weimar und Italien.