Blau gilt als Farbe des Gemüts, stimmt positiv. Und ist neben Rot der Deutschen liebste Farbe. Die Textilindustrie verwendet es, die Werbung setzt es ein, um den Verbraucher konsumfreudig zu stimmen. Viele Unternehmen haben die Farbe in ihrem Firmenlogo, Waschmittelfirmen suggerieren mit dem Blau Sauberkeit und Frische für weiße Wäsche, Getränkefirmen setzen die „blaue Wirkung“ der erquickenden Flüssigkeiten ein.
Die Alchemisten träumten früher vom Gold – aus unedlen Metallen wie Blei und Quecksilber wollten sie das edelste aller Metalle herstellen. Sie suchten den magischen Stein der Weisen, das fünfte Element. In gewissem Sinne waren sie Mystiker – wollten aus einem vergänglichen sterblichen Körper einen unsterblichen physischen Körper reiner Erleuchtung machen. Vera Wagner über die Sehnsuchtsfarben Blau und Gold.
Das blaue Gold
Der Ursprung des Blauen liege weit jenseits des Meeres, sagten die Künstler des Mittelalters. Sie meinten das reine Ultramarin, gewonnen aus Lapislazuli. Man nannte es auch das blaue Gold. Damals war der Lapislazuli so wertvoll, dass er mit purem Gold aufgewogen wurde. Zu feinstem Pulver zermahlen, ergab er das begehrte Ultramarin. Nur diese kostbare Farbe erachtete man als würdig, das Göttliche auf Erden abzubilden.
Der Stein der Weisen
Sie träumten davon, den Stein der Weisen zu finden. Fast zwei Jahrtausende lang saßen die Urahnen der modernen Chemie mit rußgeschwärzten Gesichtern in ihren Laboratorien, schlugen sich die Nächte um die Ohren und ruinierten ihre Gesundheit auf der Suche nach dem Stein der Weisen – dem Elixier des ewigen Lebens, dem fünften Element, der Formel, mit der sich aus unedlem Metallen der König der Metalle herstellen ließe: Gold. In gewissem Sinne waren sie Mystiker und wollten aus einem vergänglichen sterblichen Körper einen unsterblichen physischen Körper reiner Erleuchtung machen. Keinem von ihnen ist es je gelungen, toter Materie den göttlichen Funken einzuhauchen.
Burg Frankenstein. — Foto: Vera Wagner
Mythos Frankenstein
Burg Frankenstein bei Darmstadt im Winter. Es heißt, in den rauen Nächten zwischen Weihnachten und Neujahr treibe er sein Unwesen zwischen Kapelle und Pulverturm, der Geist des Alchimisten Johann Conrad Dippel, geboren 1673 auf Burg Frankenstein. Die Legende sagt, in diesen dunklen Nächten sitze er auf dem Kapellendach, klappere mit seinen dürren Knochen und suche den Zugang zu seinem Labor. Dort soll er einst Versuche gemacht und aus Leichenteilen ein Wesen geschaffen haben, das seinen Schöpfer erschlug und in der Umgebung junge Mädchen und Kinder fing, um mit ihnen zu spielen und sie anschließend zu verspeisen.
Das Berliner Blau
Dippel, 1673 in den Wirren des pfälzischen Erbfolgekrieges auf Burg Frankenstein geboren, schlug sich als Arzt und als Wahrsager durch, war ein Rastloser, immer wieder verfolgt wegen seiner radikalen religiösen Anschauungen. Und wie so viele Kollegen der geheimnisumwitterten Alchemie, die bei ihren Recherchen zufällig etwas anderes entdeckten – Johann Böttger das weiße Porzellan, Henning Brand den Phosphor –, so machte auch Johann Konrad Dippel eine Entdeckung: das Berliner Blau.
Johann Konrad Dippel
Berliner Blau in der Bildenden Kunst
Grablegung Christi, Pieter van der Werff, 1709
Dieses Bild ist der früheste bisher bekannte Nachweis der Verwendung von Berliner Blau, auch Eisenblau genannt, in der Malerei. Dabei handelt es sich nicht um ultramarinblau, sondern um ein Pigment, das Johann Konrad Dippel als erster hergestellt haben soll: das sogenannte „Berliner Blau“. So benannt nach den damals blauen preußischen Uniformen. Und das kam so: Ein Kollege war um 1706 mit der Herstellung eines roten Farbstoffs beschäftigt, als ihm die Pottasche zur Ausfällung des Farbstoffs ausging. Von seinem Kollegen Dippel ließ er sich einen Ersatzstoff, verunreinigt mit dessen Tieröl, geben und entgegen seinen Erwartungen färbte er sich blau. Das Berliner Blau spielte von da an eine große Rolle, nicht nur in der Aquarell- und Ölmalerei.
Die ganze Welt in blau
Yves Klein
Ein Sommermorgen in den 1950er-Jahren. In seiner Heimatstadt Nizza liegt der französische Künstler Yves Klein im Gras und betrachtet den Himmel. Er versinkt buchstäblich in dieser Farbe. „Zuerst gibt es ein Nichts, dann ein tiefes Nichts, und schließlich eine blaue Tiefe. Ich verspürte den Impuls, ihn zu signieren.“, sagte Yves Klein später. Er verschrieb sich dem Blau, benutzte ausschließlich diese Farbe für seine Bilder. Um den perfekten Farbton zu finden, experimentierte Klein ein Jahr lang mit Chemikern. Er hatte den kühnen Traum, die ganze Welt mit blau zu überziehen. Mit seinen blau-monochronen Bildern schockierte der 1928 geborene Künstler in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Öffentlichkeit, ebenso wie mit ausgefallenen Aktionen. So lud er zu einer Vernissage in eine völlig leere Galerie ein. Nur die Schaufenster waren blau angemalt. Der blaue Cocktail, der gereicht wurde, färbte den Urin blau.
Burg Frankenstein: Inspiration für Shelleys Schauerroman?
Möglicherweise hat Johann Konrad Dippel eines Tages doch noch den Stein der Weisen gefunden. Kurz vor seinem Tod wollte er offenbar das Rezept zur Herstellung von Gold gegen Burg Frankenstein tauschen. Der Mythos vom Alchemisten Dippel, der auf Burg Frankenstein versuchte, aus Blut, Knochen und Leichenteilen einen Menschen zu erschaffen, lebt bis heute. War es diese Legende, die Mary Shelley dazu inspirierte, ihren Schauerroman „Frankenstein“ zu nennen? Die Geschichte eines Naturwissenschaftlers, der besessen ist von der Idee, zu den Geheimnissen des Lebens vorzudringen?
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