By MOs810 - Own work, CC BY-SA 4.0, Link

Die kul­tu­relle Identitätsstörung

“Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Men­schen­würde, Freiheit, Demo­kratie, Gleichheit, Rechts­staat­lichkeit und die Wahrung der Men­schen­rechte, ein­schließlich der Rechte der Per­sonen, die Min­der­heiten ange­hören. Diese Werte sind allen Mit­glied­staaten in einer Gesell­schaft gemeinsam, die sich durch Plu­ra­lismus, Nicht­dis­kri­mi­nierung, Toleranz, Gerech­tigkeit, Soli­da­rität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.”
So lautet das Wer­te­ver­ständnis der EU und genauso ist es im Vertrag von Lis­sabon fest­ge­schrieben. In diesen schönen Worten steckt aber nicht nur ein Ergebnis langer zivi­li­sa­to­ri­scher Ent­wick­lungen, sondern auch die ganze Pro­ble­matik, welche die vielen Schwächen und die daraus resul­tie­rende Hand­lungs­un­fä­higkeit des post­mo­dernen Kolosses “Euro­päische Union” ausmachen.
Nur auf den ersten Blick überzeugend
Auf den ersten Blick mag diese Charta ja über­zeugend und als Inbe­griff unserer Kultur wirken, aber bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die Wider­sprüch­lich­keiten domi­nieren. Die­selben sind sogar so stark, dass man von kul­tu­reller Iden­ti­täts­störung sprechen muss. Schon die Begriffe “Freiheit” und “Gleichheit” stellen ein Wider­spruchspaar dar, denn Freiheit kann es nur geben, wenn die Gleichheit nicht domi­niert. Die Gleichheit muss in einem wirklich frei­heits­ori­en­tierten Kul­turraum sogar als poten­zielle Bedrohung gesehen werden. Wird umge­kehrt die Gleichheit als echter Wert betrachtet, ist die Freiheit nur eine Chimäre, weil die Gleichheit die echten Frei­heiten erstickt.
Was tun wir mit den kul­tu­rellen Antagonisten?
“Toleranz” und “Gerech­tigkeit” sind eben­falls nur schwer ver­einbar. Wo ist die Grenze der Toleranz anderen Kul­turen gegenüber, die sich in Europa aus­breiten, aber den Lis­sa­boner Werten dia­metral gegen­über­stehen? Wie geht eine “gerechtes Europa” mit der ori­en­ta­li­schen Kultur um, welche die im EU-Wer­te­ka­talog gefor­derte Gleich­be­rech­tigung von Mann und Frau defi­nitiv nicht haben will und nicht zuletzt des­wegen par­allele Kul­tur­räume mitten im tole­ranten Europa ent­wi­ckelt hat? Was ist daran “gerecht” — nämlich den hier in der EU lebenden und kul­turell anders sozia­li­sierten Frauen gegenüber, die aus unserer Sicht unter­drückt und ein­ge­schränkt werden? Das beste Bei­spiel für den wider­sprüch­lichen Umgang mit den wesent­lichen kul­tu­rellen Fragen ist das Kopftuch: Für die einen ist es ein Symbol der Unter­drü­ckung, für die anderen ein Zeichen der Selbst­be­stimmung der ori­en­ta­li­schen Frau. Ein eigenes Iden­ti­täts­merkmal ist es sowieso. Und ein Zeichen der euro­päi­schen Hilf­lo­sigkeit auch.
Nun sind sie halt mal da
Sollen wir im Rahmen der “Toleranz” und der “Freiheit” diese Fragen einfach igno­rieren und alle so werken und leben lassen, wie sie sind? Getreu Angela Merkels unse­ligem Diktum: “Nun sind sie halt mal da”? Sollen sich regional, je nach kul­tu­reller Struk­tu­rierung von Stadt­teilen oder Land­strichen, die Bürger und Neu-Bürger alles selber unter­ein­ander aus­machen? Das führt unmit­telbar zur totalen Segre­gation der Gesell­schaft, zum Verlust der kul­tu­rellen Zusam­men­ge­hö­rigkeit Europas und kon­ter­ka­riert alle gemein­samen Bestre­bungen der EU.
Wozu noch EU-Werte?
Wenn wir diese Ent­wick­lungen tole­rieren — wozu brauchen wir dann über­haupt einen euro­päi­schen Werte-Katalog, an den man sich ganz offen­sichtlich ohnehin nicht halten muss? Sind dann nicht jene, die sich ver­zweifelt an den dif­fusen EU-Werten ori­en­tieren wollen, die Deppen des Kon­ti­nents? Und warum inter­es­sieren eigentlich gerade diese fun­da­men­talen Dis­kre­panzen in den Frauen-Fragen die femi­nis­tisch ori­en­tierten Lobbys prak­tisch über­haupt nicht? Warum greifen diese Inter­es­sen­gruppen noch immer den soge­nannten “weißen alten Mann” an? Wohl weil das unge­fähr­licher ist und man sich als nur scheinbar kämp­fe­rische Frau an den abge­dro­schenen Phrasen des Geschlech­ter­kampfes noch immer so herrlich abar­beiten kann. Aller­dings ist auch dieses Ver­halten zwei­fellos ein Merkmal der kul­tu­rellen Identitätsstörung.
Die Zuwan­derung legt die Dis­kre­panzen offen
Auch und gerade in den prin­zi­pi­ellen Fragen der Zuwan­derung wird die innere Spaltung und die Ambi­valenz der euro­päi­schen Hal­tungen immer wieder klar erkennbar. Ein beliebtes Schlagwort, das unsere Werte sym­bo­li­sieren soll, ist das von der “Inte­gration”. Andauernd sollen kul­tur­fremde Leute in Europa inte­griert werden, die als Asyl­werber zu uns kommen und die defi­ni­ti­ons­gemäß nur für die Zeit ihres even­tuell gewährten Schutzes hier­bleiben sollen.
Asyl ist keine legale Einwanderung
Was in der Debatte immer gern über­gangen wird: Asyl ist grund­sätzlich keine Form von Ein­wan­derung, wird aber durch Umdeu­tungen und ten­den­ziöse Argu­men­ta­tionen sehr oft dazu gemacht. Einen Asyl­werber inte­grieren zu wollen, ist jeden­falls eine im Kern sinnlose und kon­tra­pro­duktive Ange­le­genheit, denn der Betref­fende muss zunächst das Asyl­ver­fahren abwarten. Wird ihm Asyl gewährt, soll er auch dann so bald wie möglich trotzdem wieder in seine Heimat zurück. Und wird sein Ansuchen abge­lehnt, dann ist die Inte­gration noch unsin­niger, weil er nach dem Bescheid sowieso abge­schoben werden muss. Diese Art der Inte­gration ist also nur eine Ver­geudung von Zeit und Res­sourcen im Namen der euro­päi­schen Werte — dafür aber zu Lasten des euro­päi­schen Bürgers. Und letztlich eben­falls eine kul­tu­relle und schäd­liche Ambivalenz.
Was ist mit den Bürgerrechten?
Schluss­endlich ist es auch absurd, den Immi­granten, die keine Staats­bürger sind, die­selben Rechte zumessen zu wollen, welche die Staats­bürger besitzen. Das betrifft vor allem das Wahl­recht, aber auch die Berech­tigung, soziale Leis­tungen zu erhalten. Wozu soll es dann über­haupt Bürger und bestimmte national eta­blierte Bür­ger­rechte geben, wenn man einfach über die Grenze in ein x‑beliebiges anderes Land gehen kann und dort mit­reden und mate­rielle Zuwen­dungen vom Staat erhalten soll, die von den jewei­ligen Staats­bürgern erwirt­schaftet werden? Wie ist das mit den EU-Werten “Gerech­tigkeit” und “Soli­da­rität” ver­einbar? Gar nicht — es ist einfach nur kul­turell iden­ti­täts­ge­stört und widersprüchlich.
Nur die Nation kann uns noch retten
Die präch­tigen Wort­hülsen, die den Lis­sa­bonner Werte-Katalog füllen, erzeugen gerade in der jet­zigen exis­ten­zi­ellen Krise Europas viel mehr Pro­bleme als sie lösen. Der einzige Weg, die daraus ent­standene kul­tu­relle Schi­zo­phrenie zu behandeln und letztlich auch zu heilen, besteht in der Stärkung der natio­nalen Kom­pe­tenzen der ein­zelnen Länder. Nur ein Europa der Nationen kann die Kraft auf­bringen, wieder ver­nünftig und rational zu agieren. Ein in sich wider­sprüch­liches und auf tönernen Füßen ste­hendes EU-Kon­strukt ohne echte Fun­da­mente kann das nicht. Es wird unwei­gerlich in sich zusammenstürzen.


Dr. Marcus Franz — www.thedailyfranz.at