Da hat mit Herrn Sigmar Gabriel mal ein Minister der „Groko“ Schneid gezeigt und zu Recht das Royale Regime Saudi Arabiens mit dem Spruch „Abenteurertum im Nahen Osten“ beschrieben, da rutscht der neue Außenminister besagter Groko auf Knien hinterher und küsst die Stiefel, die im Nahen Osten erbarmungslos das bettelarme Land Jemen in den Staub trampeln.
Unsere Medien titelten fast schon unisono: „Deutschland und Saudi Arabien beenden diplomatischen Krise“. Es sein ein „Missverständnis“ gewesen und der wunderbare Herr Außenminister Heiko Maas habe nun die Kastanien aus dem Feuer geholt.
In einem mit Absperrgurten zurechtgemachten Eckchen irgendwo ganz hinten im dritten Stock des UN-Gebäudes im New Yorker Stadtteil East River durfte der deutsche Außenminister seinen Kotau vor dem saudischen Amtskollegen, Herrn Adel al Dschubeir, gnädigst absolvieren. Eine offizielle Studiowand mit UN-Emblem auf vornehmem Taubengrau im Hintergrund verlieh der deprimierenden Szene noch etwas Offizielles. Man lächelte, schüttelte Hände und die Vokabel „diplomatisch“ wurde sehr oft in den Presseberichten strapaziert.
Was ist Diplomatie?
„Diplomatie“ beschreibt eine professionelle, feine Methode, die außenpolitischen Interessen eines Staates durch seine geschulten Vertreter im Ausland wahrzunehmen.
Jeder versteht darunter die Fähigkeit, als „Diplomat“ zwar die Interessen seines Landes durchzusetzen, dies aber verbindlich, kenntnisreich, formvollendet — und: indem er auch die Grenzen und Möglichkeiten und Interessen der Gegenseite mit berücksichtigt. Diplomatie erfordert darüber hinaus, die Würde der Gegenseite dabei ebenso zu wahren, wie die eigene.
Herr Außenminister Heiko Maas reist also nach New York und vollführt das, was man international „unconditional surrender“ nennt, eine politische, bedingungslose Kapitulation. Mit Diplomatie hat das nichts zu tun. Er schreitet zum Mikrophon und in drei Sätzen legt er mit einem nostra culpa Deutschland den Saudis zu Füßen: In den vergangenen Monaten habe es in den Beziehungen beider Länder „Missverständnisse“ gegeben, „wir bedauern das aufrichtig, wir hätten klarer in unserer Kommunikation und in unserem Engagement sein sollen“.
Nicht mehr und nicht weniger als eine Bankrotterklärung der deutschen Diplomatie.
Was war geschehen und was hatte Herr Außenminister a.D. Sigmar Gabriel gesagt?
Der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri weilte im November 2011 in Saudi Arabien, Riad, zu Gesprächen über die brisante Lage im Nahen Osten und die Rolle des Libanon. Während er dort war, trat er vollkommen überraschend zurück und begründete dies damit, dass er Angst um sein Leben habe. Herr Hariri war Staatsoberhaupt eines Libanon, in dem eine breite Koalition alle wichtigen politischen und religiösen Gruppen vereint. Das gesellschaftliche System des Libanon ist eine sehr zerbrechliche Balance zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen, Christen und Drusen.
Das galt als großer Erfolg und Friedenshoffnung nach jahrelangen, gewaltsamen Konflikten im Land. Dennoch heizten nach wie vor die USA und das sunnitische Saudi Arabien auf der einen Seite und die schiitische Hisb’ollah (Partei Allahs) und der schiitische Iran die Spannungen im Libanon beständig an. Auch Israel hat ein sehr intensives Interesse daran, die schiitischen Kräfte im Libanon unten zu halten. Anfang der 1980er Jahre invadierte Israel den Libanon. Die Schwelle zum nächsten Bürgerkrieg im Jemen ist sehr niedrig. Und schon der Vater von Herrn Saad Hariri, Rafik Hariri, war 2005 einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen.
Kurz nach dem Rücktritt des libanesischen Ministerpräsidenten, Herrn Hariri, traf der damalige Außenminister, Herr Sigmar Gabriel, seinen Amtskollegen, den libanesischen Außenminister, Herrn Gebran Bassil, in Berlin. Dabei erfuhr er von diesem, dass der zurückgetretene Ministerpräsident Hariri offenbar in Riad festgehalten werde und sich seines Lebens nicht sicher fühle. Es tauchten Gerüchte auf, Riad habe Herrn Hariri festgesetzt und zum Rücktritt gezwungen. Denn eigentlich hätte der Rücktritt schriftlich beim libanesischen Präsidenten eingereicht werden müssen. Frankreich hatte eine wirklich diplomatische Lösung der Situation angestrebt, indem es Herrn Hariri samt Familie hochoffiziell nach Paris einlud, dem stand offensichtlich entgegen, dass Riad ihn nicht ausreisen lassen wollte.
Diese Vorgehensweise Saudi Arabiens, sollte dies so zutreffen, ist heutzutage unter zivilisierten Staaten nicht mehr so wirklich üblich. Zumindest war dieses Szenario äußerst außergewöhnlich. In Anbetracht dessen, dass der die Staatsgeschicke Saudi Arabiens lenkende Kronprinz Mohammed Bin Salman gleich zu Beginn seiner Regentschaft erst einmal die Superreichen seines Landes verhaften ließ, in einem Luxus-Hotel gefangenhielt und erst nach beträchtlichen Geldspenden wieder auf freien Fuß setzte, war die These der Gefangennahme Herrn Hariris möglicherweise nicht vollkommen unglaubwürdig.
Ohne Saudi-Arabien direkt zu nennen, sprach Herr Außenminister Sigmar Gabriel anschließend von „brandgefährlichen Entwicklungen im Libanon“ und von drohenden, „blutigen Auseinandersetzungen“ sowie von „politischem Abenteurertum“ in der Region und forderte, dass Herr Hariri nach Beirut zurückkehren könne. Auch das deutsche Auswärtige Amt gab eine Erklärung ab, dass man „angesichts der aktuellen Lage große Sorge über die Stabilität in der Region habe“ und „alle Seiten zum Abbau der Spannungen“ aufrufe. Dabei richtete man die Botschaft an „alle Akteure der Region“.
Es erforderte tagelange, diplomatische Bemühungen, um zu erreichen, dass Herr Hariri samt Familie von Riad nach Paris fliegen konnte. Ganz kurz vor dem Abflug twitterte Herr Hariri: „Zu sagen, dass ich in Saudi-Arabien festgehalten werde und es mir verboten sei, das Land zu verlassen, ist eine Lüge.“
Eine merkwürdige Botschaft in Anbetracht dessen, dass es eines großen diplomatischen Aufwandes bedurfte, seine Ausreise nach Europa zu ermöglichen. Mag sich jeder seine eigenen Gedanken dazu machen.
Außenminister Gabriel hatte, wie erwähnt, Saudi Arabien gar nicht genannt, sondern nur von Akteuren der Region gesprochen. Bezeichnenderweise fühlte sich die saudische Regierung aber durch die Äußerungen Herrn Gabriels angesprochen und reagierte vergrätzt. Botschafter wurden zurückbeordert. Eine Krise war geboren.
Jubel über Deutschlands Niederlage – ein „diplomatischer“ Sieg Saudi Arabiens?
Die Krise wird nun als diplomatisch beigelegt bezeichnet. Der saudische Außenminister lächelte freundlich bei dem Kniefall des deutschen Außenministers.
Wer nun erwartet hat, dass Saudi Arabien aus dem Debakel und den eigenen Grenzüberschreitungen gelernt hat, staunte über die Reaktion des Wüstenkönigreiches. Die Saudis nennen recht undiplomatisch die Worte des deutschen Außenministers Heiko Maas ein „Eingeständnis einer Niederlage“. Elf Millionen Follower, so berichtet der Spiegel, jubilierten über die Twitter-Nachricht des News-Channels „SaudiNews50“: „Deutschland entschuldigt sich … die saudische Diplomatie siegt!“
Laut Spiegel habe sogar ein saudischer Dichter namens Turki bin Rashid al-Zlami ein Gedicht zu diesem Anlass geschrieben und veröffentlicht, dessen erste Zeilen lauten: „Würde Hitler heute noch leben, wäre er gegen seinen Willen nach Riad gekommen, um sich zu entschuldigen.“ Ganz, ganz großartig.
Was auch immer die Saudis unter „Diplomatie“ verstehen mögen, ihre Vorstellung scheint ebenso weit von deren wahrer Bedeutung entfernt zu sein, wie die unseren verehrten Herrn Außenministers, Herrn Heiko Maas.
Es mag sein, dass es Interessen einer dritten Seite gibt, die ihre Entschlossenheit in Berlin deutlich gemacht hat, dass Deutschland sehr gut daran täte, sich mit den Saudis ins Benehmen zu setzen und im Sinne dieser Interessen dieser „Dritten Seite“ den Saudis bei ihren „Engagements im Nahen Osten zu“ helfen. Diese sind jedoch nicht unumstritten: Die Saudis blockieren nicht nur Hilfslieferungen für die gequälte, hungernde Bevölkerung des Jemen, sondern bombardieren zusammen mit Alliierten das arme Land praktisch ununterbrochen. Das Leid der Menschen dort ist unfassbar. Die UNO veröffentlicht einen eindringlichen Appell nach dem anderen, dass, sollte sich dort das Blatt nicht wenden, die größte Hungersnot eintreten werde, die die Welt seit Jahrzehnten erlebt habe. Es werde bald Millionen von Hungertoten geben.
Auf eine gute Zusammenarbeit!
Das Händeschütteln in einer abgelegenen Ecke des des UN-Gebäudes am East River trug daher auch gleich Früchte einer neuen, gedeihlichen Zusammenarbeit: Hurra! Deutschland darf wieder Waffen an Saudi-Arabien liefern! Rüstungsexporte für 254 Millionen Euro dürfen in das Königreich Saudi Arabien exportiert werden, obwohl im Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD — auf Wunsch der SPD! — ein Exportstopp für alle die Länder festgeschrieben wurde, die sich „unmittelbar“ an dem grausamen Jemen-Krieg beteiligen. Und da ist Saudi Arabien ganz vornedran. Das, was sie in Deutschland einkaufen, setzen sie direkt im Jemen gegen halbverhungerte Menschen ein.
So ist das aber mit der Diplomatie. Selbst Herr Niels Annen, einstmals Chef der Jusos, heute Staatsminister mit Abgeordnetenmandat im Auswärtigen Amt, ficht das nicht an.Ein Abbruch der Kommunikation mit Saudi Arabien sei nicht im deutschen Interesse, meint er. Das Scheichtum spiele eine große Rolle in der Region.
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