Neben den Men­schen gibt es noch Journalisten

Wenn ein ARD-aktuell-„Faktenfinder“ über Rechts­extre­mismus, Gewalt und die Würde des Men­schen schwa­dro­niert, muss man das aufwischen
Von Friedhelm Klink­hammer und Volker Bräutigam
„Kom­mentare geben grund­sätzlich die Meinung des jewei­ligen Autors und nicht die der Redaktion wieder“, heißt es am Schluss der Mei­nungs­seite auf tagesschau.de. Und damit gilt das auch für Schrei­ber­linge, die als Mit­ar­beiter der Redaktion ARD-aktuell Son­der­zu­griffs­rechte auf die Seite haben. Sie können dort gleich etwas unter sich lassen, wenn ihnen danach ist und eine ordent­liche Portion Selbst­ge­fäl­ligkeit abprotzen. Wie zum Bei­spiel Patrick Gensing, Chef des ARD-„Faktenfinders“. Wer wollte es ihm ver­sagen, sich über den Rechts­extre­mismus aus­zu­lassen? Wo wir doch eh alle die Guten sind und Rechts­extre­mismus zum Kotzen finden?
Also sprach Patrick Gensing im Duktus des edel Selbst­ge­rechten und namens der ARD Vor­kämpfer für Demo­kratie und Menschenrechte:
„Die Gewalt ist der Kern des Rechts­extre­mismus: Diese Ideo­logie basiert auf Aus­grenzung, auf der Idee, dass Men­schen nicht gleich­wertig seien. Der Rechts­extre­mismus bekämpft die Pfeiler des demo­kra­ti­schen Rechts­staats, der jedem Men­schen eine ein­zig­artige Würde und deren Schutz garan­tieren soll. Der Rechts­extre­mismus kon­struiert eine eigene Iden­tität, die nur durch Abgrenzung und Abwertung von anderen Men­schen­gruppen funk­tio­niert. Der Rechts­extre­mismus ver­achtet die Dis­kussion, den Kom­promiss und glo­ri­fi­ziert die Tat.“ (1)
Wir kommen noch darauf zurück, wie men­schen­ver­achtend die ARD-aktuell-Redaktion in ihren Sen­dungen “Tages­schau”, “Tages­themen”, “Tageschau24”, “Nacht­ma­gazin” usw. ihren Auftrag inter­pre­tiert, objektiv zu unter­richten; wie sie mit Nach­rich­ten­kon­su­menten umspringt, die gebüh­renzwangs­weise ihre Kunden sind.
Zunächst jedoch ist dem Ein­druck ent­ge­gen­zu­treten, den Gensing, der Tages­schauer, mit seinem Beitrag her­vorruft. Rechts­extreme Gesinnung ist keine neu­deutsche, schon gar nicht eine auf den Osten des Landes beschränkte Erscheinung (Gensing bezog sich spe­ziell auf die Vor­fälle in Chemnitz). Seine reichlich ober­fläch­liche Auf­fassung vom Rechts­extre­mismus als Gewalt­ur­sache endet bereits da, wo die Unter­su­chung beginnen müsste: Bei der Frage, welche intel­lek­tuelle Elite den Faschismus vor­spurt und wie weit dessen rechts­extreme Denk­muster von sozialer, ras­sis­ti­scher, ideo­lo­gi­scher und recht­licher Aus­grenzung eigentlich in unsere Gesell­schaft hin­ein­reichen. (2)
Kratzt man den Lack ab, kommen Grund­ten­denzen der gesell­schaft­lichen “Nor­ma­lität” in Deutschland zum Vor­schein: Vor allem die rück­sichtslose Aus­grenzung lang­zeit­ar­beits­loser Mit­men­schen und deren Ver­ächt­lich­ma­chung. Wieviel rechts­extreme Gesinnung steckt im men­schen­ver­ach­tenden Hartz-IV-Gesetz? Nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sind Lang­zeit­ar­beitslose die stärkste von abwer­tender Ein­stellung betroffene Gruppe (48 Prozent), dahinter erst folgen die Asyl­su­chenden (40 Prozent). (3)
Der Ideo­logie der Aus­grenzung, des Chau­vi­nismus, des Ras­sismus und der Ungleich­wer­tigkeit von Men­schen anzu­hängen, ist demnach kein Allein­stel­lungs­merkmal der Rechts­extremen, wie ARD-aktuell uns glauben machen will. Sie zeigt sich vielmehr bis weit in die Mitte der Gesell­schaft hinein und ist auch bei Poli­tikern und Ver­tretern der gesell­schaft­lichen Eliten erkennbar. In einer Rede vor Unter­nehmern in Hamburg hatte zum Bei­spiel der CDU-Poli­tiker Oet­tinger Chi­nesen als „Schlitz­augen“ bezeichnet sowie von einer „Homo-Pflichtehe“ gesprochen. (4) Als er dar­aufhin in der Öffent­lichkeit kri­ti­siert wurde, bekam er Bei­stand vom ZDF-Anchorman Claus Kleber:
„Wo nur noch von Image­be­ratern, PC-Tugend­wächtern und Juristen abge­schlif­fenes Zeug geredet wird, möchte ich weder Redner noch Zuhörer sein“. (5)
Auch ARD-aktuell wagte es nicht, Oet­tinger einen Ras­sisten zu nennen, man sprach nur rück­gratlos von „Scherzen“ des Politikers.
Ein anderer Fall betraf den gebür­tigen Viet­na­mesen Philipp Rösler, FDP, von 2009 bis 2013 Gesund­heits- bzw. Wirt­schafts­mi­nister im Kabinett Merkel:
„Bei Philipp Rösler würde ich aller­dings gerne wissen, ob unsere Gesell­schaft schon so weit ist, einen asia­tisch aus­se­henden Vize­kanzler auch noch länger zu akzeptieren”,
gab der ehe­malige Hessen-FDP-Chef Hahn zum Besten und wurde von seiner Entourage sogleich mit “das war nicht so gemeint“ in Schutz genommen. (6) ARD-aktuell assis­tierte kurz und empa­thielos, auf tagesschau.de ver­mutete man eine „dumme“, kei­neswegs jedoch eine „ras­sis­tische“ Entgleisung.
Die ver­lo­genen Ver­harm­lo­sungen haben Methode. Die ARD-aktuell macht Unter­schiede, wo es keinen prin­zi­pi­ellen Unter­schied gibt: Rechter Popu­lismus ist für sie erst dann “igitt”, wenn er sich als par­tei­po­li­tische Kon­kurrenz orga­ni­siert. Zeigt er sich inmitten der Gesell­schaft und im Feld der eta­blierten Par­teien, wird er ent­weder voll­kommen igno­riert oder kleingeredet.
Die berufs­ethische Prin­zi­pi­en­lo­sigkeit der ARD-aktuell offenbart sich in einem ganz spe­zi­ellen Bei­spiel: Die Redaktion igno­riert rechts­extre­mis­tische Gewalt­täter in der Ukraine und bietet ihnen mittels dieses Ver­schweigens jour­na­lis­ti­schen Schutz. Wenn deutsche Neo­nazis, NPD-Jungvolk und Rechts­ra­dikale der Partei “Der Dritte Weg”, das “Dritte Reich” ver­harm­losend, grölend durch die Straßen der Haupt­stadt Kiew mar­schieren und mit den ukrai­ni­schen braunen Horden den 76. Jah­restag der Bandera-Auf­stands­armee feiern (7), kommt darüber kein Wort in der Tages­schau. So viel Ver­schwie­genheit grenzt an Kumpanei.
Seit fast fünf Jahren erfahren die deut­schen Zuschauer so gut wie nichts über innen­po­li­tische Vor­gänge in der Ukraine: Nichts über die deso­laten Lebens­be­din­gungen der Bevöl­kerung, nichts über die Ver­suche aus­län­di­scher Kapi­ta­listen, das wert­volle Ackerland zu rauben, nichts über die Emi­gration von Mil­lionen Ukrainern, schon gar nichts über die faschis­ti­schen Umtriebe von rechts­extre­mis­ti­schen Ter­ror­banden und Milizen. Da mag der ukrai­nische Par­la­ments­prä­sident allen Ernstes Hitler als “großen Demo­kraten” feiern (8), die Tages­schau schweigt. Kein Wort zu den abscheu­lichen Men­schen­rechts­de­fi­ziten in der Ukraine, selbst nicht nach einem alar­mie­renden Bericht der UN über Mord und Tot­schlag, dem Min­der­heiten wie die Roma oder die Ungarn in der Ukraine aus­ge­setzt sind. (9), (10).
Kritik des Faschis­ten­terrors in der Ukraine ist für die Tages­schau tabu. Darüber schreiben andere (11), nur nicht ARD-aktuell. Kor­rekte, um Voll­stän­digkeit und Objek­ti­vität bemühte Nach­rich­ten­ge­staltung nämlich würde das Publikum zu der Erkenntnis führen, dass die deutsche Ukraine-Politik und die Medi­en­be­richt­erstattung darüber von Anbeginn auf Lügen und Des­in­for­mation gebaut waren. Diesen Erkennt­nis­prozess blo­ckieren Chef­re­dakteur Dr. Gniffke und seine regie­rungs­frommen “Qua­li­täts­jour­na­listen”.
Für der­gleichen Lohn­schreiber gibt es eben Men­schen­rechte unter­schied­licher Qua­lität. Solche, die ohne Gefahr fürs eigene Wohl­be­finden und per­sön­liche Fort­kommen rekla­miert werden können, vor­zugs­weise bei Ländern, die sich dem trans­at­lan­ti­schen Imperium nicht unter­ordnen wollen. Und außerdem solche, nach deren Ver­bleib in der west­lichen Wer­te­ge­mein­schaft man lieber nicht fragt, weil das der Ber­liner Regierung ganz und gar nicht in den Kram passte. Womit wir bei einem tages­schau-typi­schen Fall von Cha­rakter- und Prin­zi­pi­en­lo­sigkeit ange­langt wären.
Seit Montag kon­fe­rieren am Sitz der Ver­einten Nationen in Genf die Ver­treter von 120 Nationen über ein Abkommen, das den Men­schen­rechts­normen endlich auch im Bereich der Wirt­schaft, im Macht­be­reich des Geldes und der Kon­zerne, Geltung ver­schaffen will. (12) Schon zu Dis­kus­si­ons­beginn im Jahr 2014 haben die deut­schen Ver­treter in der UNO gemauert. Jetzt ver­sucht das Kabinett Merkel, das Projekt zu tor­pe­dieren. Mit for­malen Ein­wänden, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Diese Ein­wände wurden in der vorigen Woche in einem offenen Brief von 116 Rechts-und Wirt­schafts­pro­fes­soren aus aller Welt als völlig haltlos zurück­ge­wiesen. Aber: Kein Wort von all dem in der Tagesschau.
Men­schen­rechte in der Arbeitswelt? Als wohl­feiles Lip­pen­be­kenntnis, aber doch kei­nes­falls als indi­vi­du­eller Rechts­an­spruch auf völ­ker­recht­licher Grundlage! Bitte kein Wort davon in der Tages­schau, sonst bekämen ja Mil­lionen Men­schen im unteren Drittel der Gesell­schaft mit, welch bodenlose Schwei­ne­reien von Poli­tikern ermög­licht und von “Qua­litäts-Jour­na­listen” ver­heim­licht werden!
„Neben den Men­schen gibt es noch Sachsen und Ame­ri­kaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoo­logie erst in der nächsten Klasse“ (13),
schrieb Tucholsky vor 87 Jahren. Er kannte Dr. Gniffkes Tages­schauer-Exem­plare noch nicht, sonst hätte er sie statt der Sachsen erwähnt, die mitt­ler­weile Freiwild für Schmier­anten sind.
Zum Schluss ein Sah­ne­häubchen. Der NDR-Rund­funkrats-Vor­sit­zende ver­langte den Mit­gliedern seines Gre­miums eine Selbst­ver­pflichtung zur Ver­schwie­genheit ab. Die Rund­funkräte (wirklich alle, aus­nahmslos?) begaben sich ihrer Würde und banden sich per Unter­schrift den Maulkorb vor. Auf­rechter Cha­rakter wird in der Gar­derobe abgelegt, im Sit­zungssaal herr­schen Grup­pen­zwang und Geheim­bün­delei. So sieht sie aus, die Praxis “demo­kra­ti­scher” Kon­trolle des öffentlich-recht­lichen Rund­funks. Was hätte Tucholsky über solche Rund­funkräte geschrieben?
Quellen:
(1) https://www.tagesschau.de/kommentar/chemnitze-hass-101.html
(2) https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Die-Virulenz-faschistischer-Versatzstucke
(3) https://www.evangelisch.de/inhalte/111246/20–11-2014/44%20Prozent%20der%20Deutschen%20werten%20Asylbewerber%20ab
(4) https://www.tagesschau.de/ausland/oettinger-eu-haushaltskommissar-103.html
(5) https://www.heise.de/tp/features/ZDF-und-Oettinger-Quod-licet-Iovi-non-licet-bovi-3446891.html
(6) https://www.tagesschau.de/multimedia/video/sendungsbeitrag213112.html
(7) https://www.sat1.de/news/politik/npd-marschiert-unter-tausenden-nationalisten-durch-kiew-101996
(8) https://www.rubikon.news/artikel/hitler-war-ein-grosser-demokrat
(9) https://www.ohchr.org/Documents/Countries/UA/ReportUkraineMay-August2018_EN.docx
(10) https://orf.at/stories/3057801/
(11) https://lostineu.eu/gruenrote-welle-in-belgien-braune-umtriebe-in-der-ukraine/
(12) https://www.infosperber.ch/Artikel/Wirtschaft/UNO-Abkommen-fur-globale-Konzernverantwortung
(13) in der „Welt­bühne“ unter seinem Pseudonym Kaspar Hauser. S.a. http://www.glanzundelend.de/konstanteseiten/tucholskyuebersicht.htm

Das Autoren-Team:

Friedhelm Klink­hammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mit­ar­beiter des NDR, zeit­weise Vor­sit­zender des NDR-Gesamt­per­so­nalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräu­tigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 im NDR, zunächst in der Tages­schau, von 1985 an in der Kul­tur­re­daktion für N3. Danach Lehr- und For­schungs­auftrag an der Fu-Jen-Uni in Taipeh.
Anmerkung der Autoren:
Unsere Bei­träge stehen zur freien Ver­fügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Mas­sen­ver­blödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden zumeist auf der Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert.