Minis­ter­prä­sident Tarek Al-Wazir? Hessen könnte Grün-Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün werden

von Dr. Rainer Zitelmann | Laut den letzten Umfragen könnte es in Hessen rech­ne­risch für ein Zusam­men­gehen von Grünen, SPD und Linken reichen. Meine Pro­gnose: Wenn es reicht, werden sie es tun. Der nächste Minis­ter­prä­sident von Hessen könnte Tarek Al-Wazir heißen.
Gestern ver­öf­fent­lichten Infratest dimap und die For­schungs­gruppe Wahlen Umfra­ge­er­geb­nisse, nach denen SPD, Grüne und Linke zusammen 49 bzw. 50 Prozent der Stimmen bei der Hes­senwahl auf sich ver­einen könnten. Das würde vor­aus­sichtlich für eine Mehrheit der Sitze im Hes­si­schen Landtag ausreichen.
“Rech­ne­risch wären freilich auch andere Koali­tionen möglich. SPD, Grüne und FDP kämen nach den Ergeb­nissen beider Institute gemeinsam auf 50 Prozent. Eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen käme klar auf eine Mehrheit von 56 bzw. 55 Prozent der Stimmen, was mit Sicherheit auch eine Mehrheit der Mandate bedeuten würde.
Die Frage, was in Hessen geschehen wird, hängt also von ver­schie­denen Fak­toren ab:
1. Wird die FDP für ein Bündnis mit SPD und Grünen bereit stehen? Zwar hat die FDP das nur indirekt und nicht direkt aus­ge­schlossen, aber die FDP in Hessen ist tra­di­tionell eher rechts als links und ich rechne nicht damit, dass sie mit SPD und Grünen zusam­men­gehen würde. Jamaika mit CDU und Grünen würde die FDP jedoch machen.
2. Die SPD ist in Hessen tra­di­tionell sehr weit links. Bereits 2008 wäre es fast zu einer Rot-Grünen Regierung mit Duldung der Linken gekommen. Bei der Land­tagswahl am 27. Januar 2008 verlor die CDU ihre absolute Mehrheit und die SPD wurde mit 0,1 Pro­zent­punkten Abstand zweit­stärkste Partei nach der CDU. Die damalige SPD-Vor­sit­zende von Hessen Andrea Ypsi­lanti strebte nach der Wahl eine von der SPD geführte Regie­rungs­bildung unter Betei­ligung der Linken an. Eine solche Rot-Rot-Grüne Min­der­heits­re­gierung unter Tole­rierung der Linken stand zwar ein­deutig im Gegensatz zu Aus­sagen Ypsi­lantis vor der Wahl, mit denen sie wie­derholt jedwede Zusam­men­arbeit mit der Linken aus­ge­schlossen hatte. Nach der Wahl meinte sie jedoch, sie habe es sich anders überlegt. Dieser Wort­bruch sorgte bun­desweit für Empörung. Am 3. November 2008 kün­digten vier Mit­glieder der SPD-Land­tags­fraktion an, bei der für den 4. November geplanten Wahl zur Minis­ter­prä­si­dentin nicht für Ypsi­lanti zu stimmen. Sie musste dar­aufhin zurück­treten. Doch das ist Ver­gan­genheit: Diesmal haben weder SPD noch Grüne ein Zusam­men­gehen mit der Linken aus­ge­schlossen. Die SPD ist im Bund im Ver­gleich zur Situation vor zehn Jahren weit nach links gerückt. Der Druck des linken Kühnert-Flügel, der ein­deutig für Rot-Rot-Grün steht, wird immer stärker. Vor allem: Aus Sicht dieser Genossen wäre eine Rot-Rot-Grüne oder auch eine Grün-Rot-Rote Regierung das befreiende und mobi­li­sie­rende linke Signal gegen die ver­hasste Groko in Berlin. Selbst wenn es rech­ne­risch für eine Koalition aus SPD und CDU in Hessen reichen würde (was derzeit eher unwahr­scheinlich erscheint), so ist es sehr unwahr­scheinlich, dass die SPD diesen Weg gehen würde, denn die „Große Koalition“ ist in der Partei inzwi­schen regel­recht ver­hasst. Für die SPD wäre es im Falle einer hauch­dünnen Mehrheit mit der CDU wahr­schein­licher, dass es bei der Wahl eines CDU-Minis­ter­prä­si­denten Abweichler aus den eigenen Reihen gibt als bei einer hauch­dünnen Mehrheit von SPD, Grünen und Linken.
3. Wie steht es mit den Grünen? Gestern in der ZDF-Talkshow maybritt Illner wei­gerte sich der Grünen-Chef Robert Habeck, ein Zusam­men­gehen mit SPD und Linken aus­zu­schließen. Schwarz-Grün oder gar Jamaika ist für meisten Grünen nach wie vor eine Not­lösung; ihr Herz schlägt links und sie prä­fe­rieren ideo­lo­gisch ein Zusam­men­gehen mit SPD und Linken statt mit den „Neo­li­be­ralen“ von der FDP. Und falls die Grünen in dieser Kon­stel­lation – anders als bei Jamaika – viel­leicht sogar mit Tarek Al-Wazir den Hes­si­schen Minis­ter­prä­si­denten stellen könnten (wenn sie nämlich die SPD knapp über­holten, wie das etwa die For­schungs­gruppe Wahlen erwartet), dann ist klar, wofür sich die Grünen ent­scheiden würden. Selbst bei einer nur hauch­dünnen Mehrheit von Grünen, SPD und Linken von nur einem oder zwei Man­daten könnten es die Grünen wagen – trotz des Rest­ri­sikos, dass es, so wie vor zehn Jahren, Abweichler aus den Reihen von einer der drei linken Par­teien gibt. Denn wenn die Wahl­pro­gnosen sich als richtig her­aus­stellen, würde es für eine Koalition aus CDU und SPD wahr­scheinlich rech­ne­risch nicht reichen und die Grünen würden somit auf jeden Fall für eine Regie­rungs­bildung gebraucht. Sollte es mit Rot-Rot-Grün nicht klappen, könnten sie danach immer noch eine Jamaika-Koalition bilden.
4. Und die Linken? Sie wären über­glücklich, wenn sie mit­re­gieren dürften und würden der SPD und den Grünen mit Sicherheit keine unzu­mut­baren Bedin­gungen stellen.
Ergebnis: Es besteht die reale Gefahr einer Grün-Rot-Roten oder Rot-Rot-Grünen Regierung in Hessen. Für die SPD würde dies eupho­ri­sierend wirken – Kevin Kühnert & Co wären begeistert, denn das ist genau die (bun­desweit feh­lende) Macht­per­spektive, von der sie träumen. Es wäre für sie ein klares Signal, dass die SPD sich end­gültig von der „Agenda“-Politik abge­wendet hat und könnte sogar das Aus für die GroKo in Berlin befördern.
Leider schreckt Rot-Rot-Grün (anders als noch vor zehn Jahren) die meisten Wähler nicht mehr. Und dies, obwohl ein Blick auf die Haupt­stadt, wo SPD, Linke und Grüne zusammen regieren, jedem zeigen könnte, was für kata­stro­phale Folgen dies hat – ob im Bereich der Woh­nungs­po­litik, der Bil­dungs­po­litik oder der inneren Sicherheit. Leider sind die kata­stro­phalen Zustände in diesen Bereichen außerhalb der Haupt­stadt jedoch kaum bekannt. Man sollte den Wählern in Hessen in der letzten Woche vor den Wahlen genau davon berichten.


Quelle: TheEuropean