Akte Nord­stream 2: Müssen wir wegen der Ukraine bald frieren?

Wenn Russland zu schä­digen ist, sind dem Westen viele Mittel recht. Pünktlich zum Win­ter­beginn wird die alte „Pipeline-Karte“ gezogen und das Nord­strem 2‑Projekt massiv atta­ckiert. Werden wir wegen der Ukraine bald frieren, wenn das bedrängte Russland irgendwann den Gashahn zudreht?

Worst case: Wann würde Russland die Gas­lie­fe­rungen kappen?

Auch in Zeiten großer Kon­flikte blieb Russland ver­tragstreu. Kanzler Schmidt hat nach dem sowje­ti­schen Afgha­nistan-Ein­marsch in 1979 ebenso Mut bewiesen und ist den US-Sank­tionen nicht gefolgt. Das Erdgas-Röhren-Geschäft konnte erfüllt werden. Heute könnte Russland in zwei Fällen den Gashahn zudrehen. So, wenn die Zah­lungen im euro­päi­schen SWIFT durch ame­ri­ka­nische Ein­mi­schung (casus Iran) — Obama hatte hier Zugang ver­langt — gestört wären und die Russen kein Geld bekämen. Auch eine Ver­ur­teilung des Mono­po­listen Gazprom im west­lichen Ausland zu irgend­welchen Mam­mut­zah­lungen ließe sich Moskau nicht gefallen. Gegen das Land gab es schon oft aben­teu­er­liche Urteile. Beide Fälle sind jedoch unwahrscheinlich.

Ist Russland von west­lichen Gas­ein­nahmen abhängig?

Russland braucht keine west­lichen Devisen um „zu über­leben“. Auch ein Total­ausfall aller Ener­gie­ex­porte in den Westen würde dem Land nicht besonders schaden. Unge­achtet der Sank­tionen und Ölpreis-Delle hat Moskau seit 2014 sein Devi­sen­polter auf 400 Mrd. € auf­ge­stockt, ver­bes­serte sich im Weltbank-Index „Doing Business“ auf Platz 31 (Deutschland 24), baute Wirt­schafts­be­zie­hungen zu China aus und plant neue Pipe­lines mit der Türkei und in Süd­europa (South Stream). Russland erwirt­schaftet jährlich einen Außen­han­dels­über­schuss von 100 Mrd. USD, das Gros aus dem Erd­öl­export. Es wird bald Deutschland als die stärkste Volks­wirt­schaft Europas über­holen. Das rus­sische BIP wird zu 90% nicht im Ener­gie­sektor erwirt­schaftet, was wenige wissen. Nach­weise zu diesen Fakten sind im Internet zu finden. Nur ein Laie kann glauben, die 10–15 Mrd. € Ein­nah­me­ausfall aus deut­schen Gas­lie­fe­rungen täten dem Ost­riesen weh.

Ist Deutschland von rus­si­schen Ener­gie­lie­fe­rungen abhängig?

Auch Deutschland ist von rus­si­schen Ener­gie­lie­fe­rungen nicht so hoff­nungslos abhängig, wie andere Länder (Öster­reich, Finnland, Ukraine, Ost­europa, Bal­tikum, Türkei). Nur etwa ein Drittel der Gas­lie­fe­rungen kommt aus dem Osten über die bestehenden „alten“ Pipe­lines. Diese Abhän­gigkeit wird zudem suk­zessive abgebaut. Nord­stream 2 würde die Lie­ferung über den Landweg über­flüssig machen. Das passt vielen Akteuren nicht und es gibt mehrere Störer. Wenn es um die deutsch-rus­sische Wirt­schafts­be­zie­hungen ging, war es leider schon immer so, sowohl in Zeiten der Hanse (Handel Now­gorods mit Lübeck) wie auch heute.

Tipps für Berlin: Externe Störer igno­rieren, EU und Grüne vom Projekt fernhalten

Die Störer wettern gegen Nord­stream 2 mit Pseu­do­ar­gu­menten (juris­tisch bedenklich, unwirt­schaftlich, unso­li­da­risch, umwelt- und wett­be­werbs­schädlich) und hoffen auf eine US-Ein­mi­schung. Jeder weiß, dass die Tran­sit­länder Polen und Ukraine ihre „Mit­kon­trolle“ bei Ober­land­pipe­lines behalten wollen. Die bank­rotte Ukraine, soll früher sogar Gas abge­zapft haben. Da kann Berlin aus­nahms­weise geraten werden, sich nicht beirren zu lassen. Wenn Deutschland rus­si­sches Gas bekäme, die beiden jedoch nicht, viel­leicht werden sie dann gegen Russland weniger hetzen. Polen erkennt den Ernst der Lage und will Atom­kraft­werke bauen. Gefährlich wären wei­terhin Ein­mi­schungen der EU, die neues Zustän­dig­keitsfeld ent­deckt und der Grünen, die primär mit gericht­lichen Stopps drohen könnten. Ginge es nach ihnen, würden sie das Projekt wahr­scheinlich stoppen und der Schaden deut­schen Betreibern ersetzen. Natürlich aus Steuergeldern.
Fazit: Wir werden aus Soli­da­rität mit der Ukraine nicht frieren müssen. Russland wird sich nicht pro­vo­zieren lassen. Russen hörte ich oft sagen: Merkel und die EU werden ver­gehen, das deutsche Volk aber bleiben.


Dr. Viktor Heese – Finanz­analyst und Fach­buch­autor; www.prawda24.com; www.finanzer.eu