Unseren Vorfahren waren sie heilig, die zwölf Tage zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag – die magischen Raunächte. Die Natur hat sich um die Wintersonnenwende in das Innere von Mutter Erde zurückgezogen und bereitet sich auf die Wiedergeburt des „ewigen Lichtes“ vor. Die erste Schneedecke legt sich schützend um die Welt, kalte Winde fegen übers Land. Oft leuchtet an diesen Tagen der Sternenhimmel besonders schön. Nun „stehen die Tore der Anderswelt weit offen“, heißt es in den alten Schriften.
Hörst Du das Raunen in der Nacht?
Raue Tage sind entfacht.
Der Tag ist kurz, die Nacht ist lang,
kalt, hart, still liegt alles da.
Werde des Unsichtbaren gewahr.
Eisige Winde wehen um die Häuser und rütteln an den Fensterläden. Nebelschwaden verhüllen die Berggipfel. Die Natur hat sich verkrochen unter Schnee und Eis. Die Raunächte sind Nächte voller Magie. Früher nannte man sie auch die Tage außerhalb der Zeit. Die Nächte passten nicht in die Zeitrechnung unserer Vorfahren, sagt der Frankfurter Mythenforscher Wolfgang Bauer:
„Früher hatte man das Jahr über den Mond definiert, es gab also 12 à 28, 29 oder 30 Tage und das summiert sich auf etwa 354 Tage, und es brauchte aber 365 oder 366 Tage, und so gab es zwölf Tage, die in der Luft hingen, die toten Tage. Das waren Tage, da hat man befürchtet, dass die außerhalb der Zeit sind und dass sie voll mit Magie besetzt sind.“
In der Niemandszeit gelten besondere Regeln. Zwischen den Jahren soll man nicht arbeiten, keine große Wäsche waschen, keine Stallarbeiten machen, auch weben soll man nicht; wenn man in dieser Zeit webt, so webt man sein eigenes Leichentuch. Und würde ein Mädchen in dieser Zeit ein Spinnrad schnurren lassen, so käme Frau Holle unverzüglich in der Nacht und würde die Wolle heillos verwirren. Dem Volksglauben nach sammelt sie in ihrem Netz aus Flachs die Seelen des vergangenen Jahres und spinnt gleichzeitig ein Netz für die Toten, für die Seelen des kommenden Jahres.
Schier Unglaubliches geschieht in den Raunächten. Es heißt, die Tiere im Stall sprächen um Mitternacht und erzählten über die Zukunft. Die Naturgesetze sind außer Kraft gesetzt. Jetzt schlägt die Stunde der rastlosen Seelen, der Geister, der Wiedergänger. Sie irren umher, um Erlösung zu finden. Die Raunächte gelten aber auch als Zeit der Besinnung, des Kräftesammelns und des Neubeginns. Die Kelten glaubten, dass jetzt das Flüstern und Raunen der Götter und Ahnen besonders gut zu hören sei. An den Tagen außerhalb der Zeit befragten die Weisen das Orakel, um ihre Wünsche für das nächste Jahr zu erkennen.
Von langer Hand vorbereitet sind die Schicksalsweichen. Nimm an, was Du erfährst in diesen raunenden Nächten. Hör zu. Sei da. Lausche dem Wind, dem himmlischen Kind, das neue Kunde für Dich bringt.
Die Schleier zwischen dem Diesseits und dem Jenseits sind hauchdünn. Um das Bewusstsein für die Anderswelt zu öffnen, wurde in diesen Nächten seit Urzeiten geräuchert. Mit getrockneten Kräutern, Zapfen und Nadeln von Nadelbäumen oder Baumharzen. Weihrauch und Myrrhe waren die wichtigsten Substanzen für die Raunacht-Räucherung. Sie wurden mit anderen Harzen wie Mastix und Wacholder gemischt, um „dunkle“ Geistwesen auf Abstand zu halten. Weihrauch galt als Botschaft an das Übersinnliche. Auch deshalb machten die Magier aus dem Morgenland dieses Räucherwerk Jesus zum Geschenk.
In der Antike wurde die Wintersonnenwende am 25. Dezember gefeiert, zum Beginn der Raunächte. In der Dunkelheit wurde das Licht geboren. Im alten Ägypten verbrachten die Menschen die letzte Nacht des Sonnenjahres gemeinsam in einem dunklen Raum und feierten am Morgen den Sonnenaufgang. Sie huldigten der Göttermutter Isis im blauen Sternenmantel. Sie trug ihr in dieser Nacht geborenes Kind auf dem Schoß, den Sonnengott Horus. Auch in anderen Kulturen und Religionen wurde die Geburt des Sohnes der Großen Göttin gefeiert: Die keltische Rhiannon gebiert ihren Sohn Pryderi, Demeter ihre Tochter Persephone und im christlichen Verständnis kommt Jesus als Sohn Marias zur Welt. Die Geburt des göttlichen Sohnes symbolisiert die Geburt des Lichts.
Auf die Wintersonnenwende folgen zwölf magische Tage des Übergangs. In diesen Tagen wird symbolisch das ganze Jahr vorweggenommen. Die zwölf Raunächte symbolisieren die 12 Sternzeichen bzw. auch die zwölf kommenden Monate des neuen Jahres. Sie sind gut dazu geeignet, Altes loszulassen, in die Zukunft zu schauen und mit anderen Welten in Kontakt zu treten. Es heißt, dass wir in diesen Nächten auch die Wünsche für das kommende Jahr empfangen. Wir sollten zur Ruhe kommen; auf unser Herz hören, auf unsere Gedanken und darauf, welche Worte in uns Resonanz finden. Und wir sollten auf unsere Träume achten. Es heißt, dass Träume, die man in den einzelnen Nächten hat, im jeweils zugeordneten Monat des neuen Jahres in Erfüllung gehen werden.
Vera Wagner
www.weihrauchplus.de
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