Im Abwärts­strudel des Kulturmarxismus

von Antony P. Mueller
Seit den 1960er-Jahren hat die neo­mar­xis­tische Strömung des „kul­tu­rellen Mar­xismus“ immer mehr an Ein­fluss gewonnen. Zuerst mit viel Fan­faren während der Stu­den­ten­re­bellion ver­breitet, hat sich die Bewegung seither auf den „Marsch durch die Insti­tu­tionen“ gemacht. Heute sind Teile der Medien, der Uni­ver­si­täten und selbst des Jus­tiz­systems in der Hand der Kul­tur­mar­xisten. Die Über­nahme vollzog sich sanft und schritt­weise, sodass der Vorgang kaum große Beachtung fand. Erst in jün­gerer Zeit – nicht zuletzt seit Beginn der Flücht­lings­krise – ist die mei­nungs­bil­dende Macht der Kul­tur­mar­xisten unüber­sehbar geworden. 
Neo­mar­xismus
Ein anderer Name für kul­tu­rellen Mar­xismus ist Neo­mar­xismus. Diese Theorie besagt, dass die trei­bende Kraft für die sozia­lis­tische Revo­lution nicht das Pro­le­tariat sei, sondern die Intel­lek­tu­ellen. Während der Mar­xismus weit­gehend aus der Arbei­ter­be­wegung ver­schwunden ist, blüht die mar­xis­tische Theorie heute in der Kultur, in der aka­de­mi­schen Welt und in den Mas­sen­medien. Dieser „Kul­tur­mar­xismus“ geht auf Antonio Gramsci (1891–1937) und die Frank­furter Schule zurück.
Die Theo­re­tiker des Mar­xismus erkannten, dass das Pro­le­tariat nicht die erwartete his­to­rische Rolle als „revo­lu­tio­näres Subjekt“ spielen würde. Damit die Revo­lution trotzdem statt­finden kann, muss die Bewegung von den Kul­tur­schaf­fenden geleitet werden. Die Aufgabe dieser Revo­lu­ti­ons­führer ist nicht der gewaltsame Umsturz, sondern der kul­tu­relle Wandel. Wenn dieser bewerk­stelligt ist, fällt die Macht gleichsam wie ein reifer Apfel in die Hände dieser Kulturelite.
Auf dem Weg zur Macht­über­nahme durch die Links­in­tel­lek­tu­ellen müssen die alten Kul­tur­träger beseitigt werden. Dies bedeutet einen lang­an­hal­tenden Kampf gegen die bestehende, haupt­sächlich christ­liche Kultur und Moral. Diese gilt es zu zer­stören, um dann die ori­en­tie­rungs­losen Massen zum Kom­mu­nismus als ihr neues Glau­bens­be­kenntnis zu treiben. Ziel dieser Bewegung ist es, eine Welt­re­gierung zu eta­blieren, in der die mar­xis­ti­schen Intel­lek­tu­ellen das Sagen haben. In diesem Sinne sind die kul­tu­rellen Mar­xisten die Fort­setzung dessen, was mit der rus­si­schen Revo­lution begann. Urvater der Kul­tur­mar­xisten ist Wla­dimir Lenin. Wie kein anderer vor ihm ver­körpert Lenin den Geist dieser Bewegung.
Unter der Führung Lenins betrach­teten die Revo­lu­ti­ons­führer ihren Sieg als den ersten Schritt zur Welt­re­vo­lution. Die rus­sische Revo­lution war weder rus­sisch noch pro­le­ta­risch. Im Jahr 1917 stellten die Indus­trie­ar­beiter in Russland nur einen kleinen Teil der Arbeits­kräfte. Die große Mehrheit bestand aus abhän­gigen Bauern. Die rus­sische Revo­lution war nicht das Ergebnis einer Arbei­ter­be­wegung, sondern einer Gruppe pro­fes­sio­neller Revo­lu­tionäre. Ein Blick auf die Zusam­men­setzung der bol­sche­wis­ti­schen Partei und der ersten Regie­rungen des Sowjet­staates und seines Repres­si­ons­ap­pa­rates offenbart den wahren Cha­rakter der Sowjet­re­vo­lution als ein Projekt, das nicht darauf abzielte, das rus­sische Volk vom zaris­ti­schen Joch zu befreien, sondern als Start­rampe für die Welt­re­vo­lution zu dienen.
Die Erfah­rungen des Ersten Welt­kriegs (1914–1918) und seiner Nach­wir­kungen zeigten, dass das mar­xis­tische Konzept des „Pro­le­ta­riats“ als revo­lu­tionäre Kraft eine Illusion war. Am Bei­spiel der Sowjet­union konnte man auch sehen, dass der Sozia­lismus ohne Dik­tatur nicht funk­tio­nieren kann. Diese Über­le­gungen brachten füh­rende mar­xis­tische Denker zu dem Schluss, dass eine andere Stra­tegie erfor­derlich sei, um den Sozia­lismus zu eta­blieren. Diese kom­mu­nis­ti­schen Autoren erar­bei­teten die These, dass die sozia­lis­tische Bewegung getarnt werden müsse, um erfolg­reich zu sein. Bevor der Sozia­lismus erfolg­reich sein kann, muss man die bestehende Kultur ändern. Gedan­ken­kon­trolle muss der poli­ti­schen Kon­trolle vor­aus­gehen. Dieser Vorgang erfordert eine bür­ger­liche Tarnung, denn offen vor­ge­tragen würde sich die Masse nicht dem Kul­tur­mar­xismus beugen. Aber zurei­chend ver­schleiert und mit der ent­spre­chenden Ziel­stre­bigkeit ver­folgt, würde sich das Ziel erreichen lassen.
Der Auf­stieg des Neo-Mar­xismus zur neuen poli­ti­schen Kultur des Westens geschah par­allel zum Ein­griff des Staates in die indi­vi­du­ellen Frei­heiten. Während der letzten Jahr­zehnte, in denen die Dik­tatur der poli­ti­schen Kor­rektheit zuge­nommen hat, haben die Regie­rungen auch ein rie­siges Arsenal an repres­siven Instru­menten erhalten. In dem Ausmaß wie die Mei­nungs­freiheit ein­ge­schränkt wurde, hat der Über­wa­chungs­staat aufgerüstet.
Opium der Intellektuellen
Marx­gläubige finden sich typi­scher­weise vor allem in den Uni­ver­si­täten. Denn die Arbeiter sind schließlich ein Teil der wirt­schaft­lichen Rea­lität des Pro­duk­ti­ons­pro­zesses und so wissen die meisten, dass die sozia­lis­ti­schen Ver­sprechen Hirn­ge­spinste sind. Nir­gends hat sich der Sozia­lismus als Ergebnis einer Arbei­ter­be­wegung eta­bliert. Die Arbeiter waren nie die Täter des Sozia­lismus, sondern immer seine Opfer. Die Führer der Revo­lution waren intel­lek­tuelle Par­tei­po­li­tiker und Militärs. Es lag an den Schrift­stellern und Künstlern, die Bru­ta­lität der sozia­lis­ti­schen Regime durch Artikel, Bücher und durch Filme, Lieder und Gemälde zu ver­bergen und dem Sozia­lismus einen wis­sen­schaftlich-intel­lek­tu­ellen, ästhe­ti­schen und mora­li­schen Anstrich zu geben.
In der sozia­lis­ti­schen Pro­pa­ganda scheint das neue System fair und pro­duktiv zu sein. Die kul­tu­rellen Mar­xisten glauben, dass sie eines Tages die allei­nigen Macht­haber sein werden und in der Lage sein werden, den Massen das Leben und das Denken zu diktieren.
Doch die neo­mar­xis­ti­schen Intel­lek­tu­ellen stehen vor einer großen Über­ra­schung. Wenn der Sozia­lismus tat­sächlich kommen sollte, wird die „Dik­tatur der Intel­lek­tu­ellen“ alles andere als gut­artig sein. Nicht viel anders als nach der Macht­er­greifung der Sowjets werden die Intel­lek­tu­ellen eines der Haupt­opfer sein – so wie es in der fran­zö­si­schen Revo­lution geschehen ist, die der erste Versuch einer Revo­lution der Intel­lek­tu­ellen war. Es dauerte nicht lange und die Dämonen der Macht eroberten das Projekt. Die Guil­lotine hörte jah­relang nicht auf, ihren Job zu machen, und viele der Opfer waren pro­mi­nente Intel­lek­tuelle (unter ihnen Robespierre).
Anders als Marx behauptete, ist die Geschichte nicht vor­her­be­stimmt. Der Marsch durch die Insti­tu­tionen ist weit gegangen, aber es gibt noch keine voll­ständige Über­nahme der Macht. Es ist noch Zeit, den Kurs zu ändern. Um der Bewegung ent­ge­gen­zu­wirken, muss man die inhä­rente Schwäche des kul­tu­rellen Mar­xismus beachten. In dem Maße, in dem die Neo­mar­xisten den klas­si­schen Mar­xismus ver­än­derten und seine Grund­prin­zipien (Ver­tiefung der Pro­le­ta­ri­sierung, his­to­ri­scher Deter­mi­nismus, totaler Zusam­men­bruch des Kapi­ta­lismus) zu über­winden suchten, wurde die Bewegung noch uto­pi­scher als der Sozia­lismus zuvor war. Als Teil der Neuen Linken pro­pa­gieren die „demo­kra­ti­schen Sozia­listen“ der Gegenwart ein Durch­ein­ander wider­sprüch­licher Posi­tionen. Wegen des Cha­rakters dieser Bewegung als För­derer per­ma­nenter Grup­pen­kon­flikte ist der Neo­mar­xismus zur Herr­schaft untauglich. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Bewegung keine Aus­wir­kungen hat. Im Gegenteil: Wegen ihrer inhä­renten Wider­sprüche ist die Ideo­logie der Neo­mar­xisten die Haupt­ur­sache für die tief­grei­fende Ver­wirrung, die fast jeden Teil der modernen west­lichen Gesell­schaften erfasst hat und die inzwi­schen psy­cho­tische Dimension erreicht hat.

Quelle: misesde.org