Im Dschungel Amazon-iens: China drückt deutsche Online­händler mit gefähr­licher Bil­ligware an die Wand

Wer auf Amazon nach Elek­tro­ge­räten sucht, wundert sich bis­weilen, wie oft immer das­selbe Gerät vom selben Anbieter, zum selben Preis, nur mit ständig wech­selnder Arti­kel­nummer ange­boten wird. In krassen Fällen kann das 20–30 Mal auf­tauchen und ist fast immer aus China.
Ein Fehler im System? Kei­neswegs, das ist Absicht. Damit ver­drängt der Anbieter nicht nur optisch die Kon­kurrenz, sondern auch wirt­schaftlich. Preislich liegen die chi­ne­si­schen Geräte auch oft weit unter denen der deut­schen Her­steller. Das liegt aller­dings nur teil­weise an den nied­ri­geren Lohn­kosten in China. Die Pro­dukte werden auf Amazon oft ohne Mehr­wert­steuer ange­boten. Die Geräte sind überdies zum Teil auf einem deutlich nied­ri­geren Sicher­heits­standard und ver­fügen zum Bei­spiel über kei­nerlei Prüf­siegel, sind tech­nisch einfach min­der­wer­tigere Mas­senware und haben keine WEEE-Nummer.
Diese Nummer ist Vor­schrift in Deutschland, denn man will der Berge von Elek­tro­schrott Herr werden. Die WEEE-Nummer ver­weist auf den Her­steller, der ver­pflichtet ist, seine Alt­geräte wieder zurück­zu­nehmen und zu recyceln, bzw. fach­ge­recht zu ent­sorgen. Das ist Aufwand, kostet Geld und bindet Arbeits­kräfte. Ist also lästig. Doch deutsche Händler kommen nicht umhin. Die Nummer MUSS drauf sein und es gibt ein öffent­liches ear-Ver­zeichnis, wo der Kunde den Her­steller, die Nummer, Marke und Gerät ein­geben und nach­prüfen kann, ob es regis­triert ist und wohin er es schicken kann. Diese drei Fak­toren zusammen, feh­lende Mehr­wert­steuer, feh­lende WEEE-Nummer und andere Regis­trie­rungen und min­der­wer­tigere Qua­lität graben den deut­schen Her­stellern und Händlern das Wasser gewaltig ab.
Die deut­schen Online-Händler haben so gut wie keine Chance, an die chi­ne­si­schen Her­steller her­an­zu­kommen. Was bleibt, ist sich an Amazon selbst zu wenden. Doch Amazon hat kein Interesse, seine gigan­ti­schen Umsätze mit den chi­ne­si­schen Anbietern ein­zu­schränken. Der Ver­sen­de­gigant lässt sich Pro­zente für die Ver­mittlung des Ver­kaufes und seinen Versand bezahlen und hält sich aus allem anderen heraus. Nach Berech­nungen des Kölner Instituts für Han­dels­for­schung erwirt­schaftete Amazon auf diese Weise im Jahr 2016 allein in Deutschland rund zwölf Mil­li­arden Euro.
Wer einmal ver­sucht hat, irgendein Problem mit Amazon selbst (also nicht direkt mit einem Anbieter) zu regeln, der wird fest­stellen, dass man zwar an eine auf der Seite ange­gebene Beschwerde-Mail-Adresse eine Mail schicken kann, aber nur eine Mus­termail zurück­be­kommt, an wen man sich am besten wendet und eine neue Mail­adresse. Das kann über mehrere Stufen so gehen, nicht selten bekommt man dann ein Mail­for­mular mit „mul­tiple choice“, von der keine ankreuzbare Option zutrifft. Man bekommt den Ein­druck, dass Amazon das ganz gezielt macht, damit die Beschwer­de­führer aus Genervtheit aufgeben.
So geht es im Prinzip auch den hie­sigen Online-Händlern, deren Umsatz durch die aggressive Ver­drän­gungs­po­litik der Chi­nesen dra­ma­tisch ein­bricht. Amazon über­schlägt sich nicht gerade vor Eifer, die Pro­bleme mit aus­län­di­schen Anbietern — die alle recht­lichen Anfor­de­rungen kom­plett igno­rieren — zu lösen, berichten Online­händler.
Amazon zieht sich gerne auf die Position zurück, nur Ver­mittler und nicht ver­ant­wortlich für das Treiben der Händler und Kunden zu sein. Doch der Ver­sand­riese bietet den aus­län­di­schen Händlern ein Ein­fallstor für Steuerhinterziehung:
Durch Recherchen von Süd­deut­scher Zeitung und WDR wurde im März bekannt, dass min­destens drei­tausend chi­ne­sische Ver­käufer den Markt­platz für Geschäfte in Deutschland nutzten, ohne eine Steu­er­nummer ange­geben zu haben. Die Regis­trierung bei den Finanz­ämtern ist Pflicht, wenn die Ware innerhalb der EU an die Kunden ver­sendet wird. Bei jedem Verkauf fällt Umsatz­steuer an, und die haben sich viele der Händler offenbar sparen können. So konnten sie ihre Pro­dukte — bei­spiels­weise Hand­ta­schen, billige Toaster oder Lade­kabel — güns­tiger anbieten als Kon­kur­renten, die ihre Steuern ehrlich abführten.“ 
Das Finanzamt Berlin-Neu­kölln ist für alle Akti­vi­täten chi­ne­si­scher Unter­nehmen auf dem deut­schen Markt zuständig. Das heißt, die Amazon-Ver­käufer aus China müssen sich in Neu­kölln regis­trieren. Das Finanzamt setzte die Steu­er­fahndung in Gang, die ein Aus­kunfts­er­suchen an Amazon stellte und wo Amazon nicht das Tausend-E-Mail-Adressen-führen-ins-Nir­gendwo-Spielchen ver­an­stalten konnte.
Auf einmal ging es zackzack und Amazon schloss 500 chi­ne­sische Händler vom Amazon Mar­ket­place aus. Die noch vor­handene Ware wurde in „Qua­rantäne“ genommen, bis die Sache ein­wandfrei geklärt ist. Die chi­ne­si­schen Händler haben derweil keinen Zugriff mehr auf all das, was noch bei Amazon in den Lagern und Ver­sand­zentren liegt.
Wun­der­ba­rer­weise erhöhte sich in der Fol­gezeit die Zahl der Regis­trie­rungen von Online­händlern aus China auf mehr als das Dop­pelte. Doch die Ermittler aus Neu­kölln sind sich sicher: Es sind wahr­scheinlich noch Tau­sende Händler, die unent­deckt geblieben sind. Die mitt­ler­weile 1.900 Ange­mel­deten sind nach Ansicht der Neu­köllner nur 10 Prozent derer, die sich anmelden müssten.
Um weitere Steu­er­sünder auf­zu­spüren, werten die Fahnder die Amazon-Website sys­te­ma­tisch aus und löchern den Konzern mit Aus­kunfts­er­suchen. Erst diese Anfragen zwingen Amazon, das Problem ernst zu nehmen. Denn wenn die Steu­er­be­hörden das Unter­nehmen über mut­maß­liche Hin­ter­zieher infor­mieren und diese die Plattform weiter nutzen dürfen, könnte der Konzern wegen Bei­hilfe zur Steu­er­hin­ter­ziehung belangt werden.“ 
Amazon ver­pflichtete sich, bei ent­spre­chender Benach­rich­tigung des Finanz­amtes, die betref­fenden Ver­käu­fer­konten sofort zu sperren. Die Begeis­terung des Neu­köllner Finanz­amtes darüber hält sich in Grenzen: “Amazon bietet den China-Händlern ein Rundum-sorglos-Paket. Amazon lagert die Waren, ver­schickt sie, wickelt alles ab. Nur bei der Umsatz­steuer unter­stützt Amazon die Händler nicht. Wir glauben nicht, dass dies Zufall ist.” 
Amazon hat auch einen guten Grund dazu, denn es gibt noch einen viel grö­ßeren Raub­fisch im trüben Gewässer der unge­re­gelten Waren­flüsse und des gren­zen­losen Online­handels aus China: Alibaba. Dagegen ist Amazon ein Tante-Emma-Laden.
Ein ein­ziger Tag zum Ver­gleich: An einem Amazon-Rekordtag sind weltweit 20 Mil­lionen Bestel­lungen ein­ge­gangen, das bedeutet 230 Bestel­lungen pro Sekunde weltweit. An einem Rekordtag von Alibaba sind an einem Tag weltweit 657 Mil­lionen Bestel­lungen ein­ge­gangen, was 7.600 Bestel­lungen pro Sekunde weltweit bedeutet. Eine ein­malige Spit­zenzeit bei Alibaba brachte 174.000 Bestel­lungen pro Sekunde.
Und Ali­babas Ver­wal­tungssitz liegt in Hangzhou (Volks­re­publik China). Da werden es die Neu­köllner etwas schwerer haben, ihre Steu­er­regeln durch­zu­setzen. Damit dürften dann die deut­schen Her­steller mit ihren auf­wän­digen und teuren Tausend Steuer‑, Sicher­heits- und Recy­cel­vor­schriften voll­kommen ins Hin­ter­treffen geraten. So ist das mit dem Globalismus.