Bedenkt man nun, dass selbst zurückhaltende
Einschätzungen Kubas Wirtschaft der 1950er als eine der reichsten Lateinamerikas sehen (eventuell sogar
reicher als die USA, falls man anderen Wirtschaftshistorikern vertraut), sollte das ausreichen, um zu zeigen, dass die Revolution nicht ohne Folgen geblieben ist. Allerdings darf man die Gründe für die Stagnation auch nicht Castro allein zuschieben, denn sonst könnte man sagen, dass die oben genannten Tatsachen zwar zutreffen, aber das Resultat von US-Handlungen und nicht kubanischer Politik sind.
Glücklicherweise entwirren neueste
Forschungen von Hugo Jales, Thomas Kang, Guilherme Stein und Felipe Garcia Ribeiro, veröffentlicht in der Zeitschrift
The World Economy, die verschiedenen Ursachen. Sie zeigen, dass das Handelsembargo allein als Grund für Kubas wirtschaftliche Entwicklung seit 1959 nicht ausreicht. Erstens zeigen sie keine nennenswerten Auswirkungen des vollständigen Embargos ab 1962 auf das Pro-Kopf-Einkommen, obwohl es Auswirkungen des partiellen Embargos davor gegeben haben könnte.
Zweitens zeigen sie, dass die negativen Auswirkungen abgefedert wurden, als die Sowjetunion in den 1970er-Jahren anfing, das Regime zu subventionieren (in dem sie ihm Zucker über den Weltmarktpreisen abkaufte). Zum Schluss versucht die Studie, die Auswirkungen zu entwirren, in dem sie das Ende der sowjetischen Subventionen beim Zusammenbruch der Sowjetunion berücksichtigt und feststellt, dass das Embargo zwar Auswirkungen hatte, diese aber kleiner waren als die der Revolution selbst.
Außerdem sollte man bedenken, dass die Schlussfolgerungen von Jales und seinen Kollegen vermutlich untertreiben, da sie die kubanischen Wirtschaftsdaten für bare Münze nehmen, während zahlreiche Ökonomen und Wirtschaftshistoriker Zweifel bezüglich der Methoden äußern, mit denen einige der
Daten gewonnen werden. Wenn die Daten fehlerhaft sind, würde das ihren Schlussfolgerungen nur noch mehr Gewicht verleihen.
Die Gesundheitszahlen sind übertrieben
1959 war Kuba nicht nur eines der reichsten Länder Lateinamerikas, sondern auch eines der
gesündesten. Es herrschte eine hohe Lebenserwartung bei Geburt, und die Säuglingssterblichkeit war relativ niedrig. Demnach hatte Kuba schon eine sehr gute Ausgangsbasis. Allerdings haben viele Forscher auf bedeutende
Unstimmigkeiten bei den Zahlen zur Säuglingssterblichkeit hingewiesen. Sie haben gezeigt, dass Ärzte frühe Tode nach der Geburt (vor dem 7. Tag) oft als späte Fötustode (vor der Geburt) umklassifizierten. Da späte Fötustode bei der Säuglingssterblichkeit nicht berücksichtigt werden, frühe Tode nach der Geburt aber schon, wird so die Säuglingssterblichkeit künstlich gesenkt. Demographieexperten haben diese
Umklassifizierung in den 1970ern in der Sowjetunion ebenfalls beobachtet, als es scheinbar einen Anstieg der Säuglingssterblichkeit gab.
Diese Art der Umklassifizierung hat auch Auswirkungen auf die gemessene Lebenserwartung, da späte Fötustode bei der Berechnung der Lebenserwartung nicht berücksichtigt werden. Ich zeige bei Forschungsergebnissen, die gerade zusammen mit Gilbert Berdine und Benjamin Powell in
Health Policy & Planning veröffentlicht wurden, dass diese Methode in Kuba die
Lebenserwartung für Männer zwischen 0,22 und 0,55 Jahren verringert hat.
Außerdem üben Ärzte Druck auf Frauen aus, abzutreiben (und treiben manchmal sogar gegen deren Willen ab), wenn sie glauben, es handele sich um Risikoschwangerschaften. Da kubanische Ärzte für schlechte Gesundheitsergebnisse bestraft werden, gibt es für sie starke Anreize für dieses Verhalten. Das erklärt, warum Kuba eine der höchsten Abtreibungsraten der Welt hat. Es verändert auch die Lebenserwartungswerte. Wenn nur 5% der Abtreibungen in Kuba an Müttern vollzogen werden, die damit nicht einverstanden sind (eine niedrige Schätzung, wenn man ethnografische Studien berücksichtigt), um Geburten zu verhindern, die den Tod des Säuglings nach sich ziehen, würde dies zu einer Senkung der männlichen Lebenserwartung zwischen 1,46 und 1,79 Jahren führen.
In derselben Forschungsarbeit zeige ich, dass Kubas relative Armut paradoxe Auswirkungen auf die Gesundheit hat. So können sich Kubaner zum Beispiel keine Autos leisten (deren Import außerdem Beschränkungen unterliegt). Darum fahren sie natürlich weniger mit dem Auto. Es erklärt auch, wieso die Autodichte in Kuba die geringste in ganz Lateinamerika ist. Weniger zu fahren bedeutet auch eine geringere Wahrscheinlichkeit, bei Autounfällen zu sterben. In Brasilien, mit einer achtmal so hohen Autodichte wie in Kuba, kosten
Autounfälle 0,8 Jahre durchschnittliche Lebenserwartung. Außerdem rationiert das kubanische Regime zahlreiche Dinge, wie Salz und Zigaretten. So ist die kubanische Gesundheit zum Teil Ergebnis der Armut und einer Politik, die direkt gar nichts mit Gesundheit zu tun hat.
Außerdem zeige ich zusammen mit Jamie Bologna Pavlik, dass die Säuglingssterblichkeit in den ersten 15 Jahren nach der Revolution angestiegen ist im Vergleich dazu, wie sie ohne die Revolution gewesen wäre. Nur wenigen fällt auf, dass die Verbesserungen bei der Säuglingssterblichkeit erst nach 1970 eingesetzt haben, und es davor eine lange Unterbrechung des Abwärtstrends bis ca. 1960 gab. Das heißt, dass es von 1960 bis 1970 eine Unterbrechung des Trends gab, den es in vergleichbaren Ländern nicht gab. Zwischen 1959 und 1974 starben wegen Castros Revolution 33.000 Kinder zusätzlich.
Zwang ist der Schlüssel
Trotzdem überflügelt Kuba vergleichbare Länder, selbst unter Berücksichtigung der Verfälschung durch das Regime, und die anfänglichen negativen Auswirkungen der Revolution traten nach und nach in den Hintergrund. Es ist wichtig, an dieser Stelle festzuhalten: Die meisten kommunistischen Länder schnitten beim Thema Gesundheit gut ab.
So stiegen in der Sowjetunion zum Beispiel
Lebenserwartung und Körpergröße (ein Schlüsselindikator für gute Ernährung) bis in die 1970er. Russen ging es also besser als vor dem Ende des Zarismus. Die
Alphabetisierungsrate stieg ebenfalls. Es gibt vergleichbare Anhaltspunkte für
osteuropäische Länder unter Sowjetherrschaft.
Warum ist das so? Weil die Herrscher Anreize haben, die entsprechenden Ergebnisse zu verbessern, da sie so ihre Macht sichern können. Erstens lässt sich Erziehung zur Indoktrination benutzen, und wurde auch dafür benutzt. Sicherlich können heute mehr Kubaner lesen und schreiben als 1959, aber sie lesen Dinge, die den Machterhalt des Regimes sichern. Gleiches lässt sich über die Gesundheit sagen. Kubanische Ärzte sind auch Armeeangehörige, und es wird von ihnen erwartet, dass sie alles über ihre Patienten berichten. Also stehen sie bei der Informationsbeschaffung für das Regime an vorderster Front und tragen so wesentlich zu seinem Machterhalt bei. Die schwerfälligen Werkzeuge, die Diktatoren für ihren Machterhalt einsetzen, verbessern zufällig auch die Gesundheit.
Außerdem betätigen sich Diktatoren auch als Sozialplaner, und wie alle Sozialplaner sind sie sehr gut darin, einfache Probleme zu lösen. Zum Beispiel sind sie sehr gut darin, einen einzigen Indikator zu verbessern (mit dem sie sich dann international brüsten), in dem sie unter Zwang Ressourcen zu seiner Verbesserung einsetzen. Das hat natürlich seinen Preis.
Der Preis, den das Castro-Regime für seine Fokussierung auf die Verbesserung der Säuglingssterblichkeit bezahlt, besteht in der Verschlechterung anderer Gesundheitsindikatoren. So hat Kuba zum Beispiel eine sehr hohe Müttersterblichkeit, und wenn man die Lebenserwartung in Bezug auf schwere Behinderungen korrigiert (schwere Behinderungen Erwachsener), erhält man deutlich
andere Ergebnisse als die nicht korrigierten (für die das Überleben der Kinder sehr wichtig ist).
Zusätzlich zahlt die Wirtschaft einen hohen Preis, weil das Regime fast 11% des BIP für Gesundheitsvorsorge ausgibt. Fast 1% der arbeitenden Bevölkerung sind Ärzte. Diese Ressourcen stehen anderen Bereichen der Wirtschaft natürlich nicht mehr zur Verfügung. Kein anderes Land in Lateinamerika leitet so viele Ressourcen in den Gesundheitssektor – nicht einmal die Länder, die Kuba beim Thema Gesundheit übertreffen.
Fazit
Wenn man all das berücksichtigt, fällt es schwer, zu einer positiven Einschätzung des Lebens der Kubaner der letzen 60 Jahre zu gelangen. Hätte es in Kuba keine Revolution gegeben, wäre das Land heute gesünder und reicher. Die Einschränkungen des Lebens der Menschen sind in Kuba nicht anders als unter jedem kommunistischen Regime, weshalb das kubanische Regime unsere Verachtung verdient.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Senne. Der Originalbeitrag mit dem Titel Castro’s Revolution on Its 60th Anniversary ist am 31.12.2018 auf der website der Foundation of Economic Education erschienen.