Der Staat will unseren Spei­seplan bestimmen

Von Joseph T. Salerno — Kürzlich ver­öf­fent­lichte ein For­scherteam unter der Leitung des Nuf­field Department of Popu­lation Health (NDPH) an der Oxford Uni­versity einen Artikel in der Online-Zeit­schrift Public Library of Science ONE. Dem Artikel zufolge hat man die wirt­schaftlich opti­malen Steu­er­ni­veaus für 149 Regionen der Welt berechnet, die die Gesund­heits­kosten „im Zusam­menhang mit Krank­heiten durch den Verzehr von rotem und ver­ar­bei­tetem Fleisch abbilden“. Der Artikel schätzt „die Steuern auf rotes und ver­ar­bei­tetes Fleisch, die not­wendig sind, um die Gesund­heits­kosten für den Konsum solcher Pro­dukte aus­zu­gleichen“. Das NPDH ist übrigens ein stark poli­ti­siertes, aka­de­mi­sches Institut, das 2013 gegründet wurde und sich im Jahr 2016 bereits für eine Zucker­steuer in Groß­bri­tannien ein­setzte, die im ver­gan­genen April der bri­ti­schen Öffent­lichkeit auf­erlegt wurde.
Die Autoren des Artikels argu­men­tieren, ver­ar­bei­tetes und rotes Fleisch sei „krebs­er­regend“ bzw. „wahr­scheinlich krebs­er­regend“, weil es auch von der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation als solches ein­ge­stuft wurde. Darüber hinaus stehe der Verzehr von rotem Fleisch mit anderen Erkran­kungen „in Zusam­menhang“, wie einem Anstieg bei Erkran­kungen der Herz­kranz­gefäße, Schlag­anfall und Typ-2-Dia­betes. In Groß­bri­tannien bei­spiels­weise sei der Fleisch­konsum für mehr als 60.000 Todes­fälle pro Jahr verantwortlich.
Der Artikel berechnet anhand sta­tis­ti­scher Schät­zungen der Nach­fra­ge­elas­ti­zi­täten nach rotem und ver­ar­bei­tetem Fleisch den opti­malen Steu­ersatz, defi­niert als der Satz, um den der Preis für eine Portion rotes und ver­ar­bei­tetes Fleisch erhöht werden müsste und der „die mit einer zusätz­liche Portion von rotem und ver­ar­bei­teten Fleisch ver­bun­denen Gesund­heits­kosten wider­spiegelt“. Ein Artikel in einer bri­ti­schen Zeitung, der die For­schungs­er­geb­nisse zusam­men­fasst, berichtet, dass für Groß­bri­tannien die „opti­malen“ Steu­er­sätze auf 14 Prozent bzw. 79 Prozent für rotes Fleisch und ver­ar­bei­tetes Fleisch geschätzt werden. Bei diesen Sätzen würden die Steuern den Preis einer Packung Würstchen von £2,50 auf £4,47 fast ver­doppeln und den Preis für ein Filet­steak von £5,50 auf £6,27 erhöhen. Die Ein­führung dieser Steuern, so wird vor­her­gesagt, „würde den Tod von fast 6.000 Men­schen pro Jahr ver­hindern und dem NHS (National Health Service) jährlich fast 1 Mil­liarde Pfund ersparen“.

Lassen Sie uns die zwei­fel­hafte Quan­ti­fi­zierung der gesund­heits­schäd­lichen Aus­wir­kungen von rotem und ver­ar­bei­tetem Fleisch an dieser Stelle akzep­tieren und auch die noch zwei­fel­haf­teren, sta­tis­ti­schen, auf his­to­ri­schen Daten basie­renden Schät­zungen über die unvor­her­sehbare und sich ständig ändernde zukünftige Elas­ti­zität der Fleisch­nach­frage, die angeblich die Emp­find­lichkeit der Ver­brau­cher­käufe gegenüber einer Änderung des Fleisch­preises messen. Dennoch stehen die Autoren vor einem großen Problem bei der Argu­men­tation für eine Steuer, denn die Fleisch­steuer wird von den meisten Men­schen zu Recht als blanker Versuch der Regierung ange­sehen, die Ernährung ihrer Bürger ein­zu­schränken und zu mani­pu­lieren. Dies wird vom lei­tenden For­scher der Studie, Dr. Marco Springmann, sogar erkannt, der ein­räumt: „Niemand will, dass Regie­rungen den Men­schen sagen, was sie essen können und was nicht“. In einem unge­heuren Bei­spiel Orwell’schen Dop­pel­sprech stellt Springmann aller­dings die Tyrannei und Ein­schrän­kungen durch die Regierung als Erleich­terung und Erwei­terung der Wahl­mög­lich­keiten der Ver­braucher dar:
Ich hoffe, dass die Regie­rungen die Ein­führung einer Gesund­heits­abgabe auf rotes und ver­ar­bei­tetes Fleisch als Teil einer Reihe von Maß­nahmen in Betracht ziehen werden, um den Ver­brau­chern gesunde und nach­haltige Ent­schei­dungen zu erleichtern. Eine Gesund­heits­abgabe auf rotes und ver­ar­bei­tetes Fleisch würde die Wahl­mög­lich­keiten nicht ein­schränken, sondern ein starkes Signal an die Ver­braucher senden und unsere Gesund­heits­systeme entlasten.
Der Vor­sit­zende des National Obesity Forum, Tam Fry, greift in die gleiche rhe­to­rische Trick­kiste und defi­niert „echte Wahl“ neu, indem die Ver­braucher ihr Ver­halten demütig von intel­lek­tu­ellen und poli­ti­schen Eliten prägen lassen, deren Ziele und Prä­fe­renzen durch Zwangs­ab­gaben durch­ge­setzt werden:
Als die Zucker­abgabe zum ersten Mal ange­kündigt wurde, knirschten die Bürger mit den Zähnen und argu­men­tierten, es handele sich um eine Ver­letzung ihrer Men­schen­rechte. Aber als der Lärm nachließ, begannen die Men­schen zu erkennen, dass sie eine echte Wahl hatten und dass der Wechsel zu etwas Gesün­derem eine gute Sache war. Ich sehe keinen Grund, warum, wenn ver­nünftig ein­ge­führt, die gleiche Sache nicht mit Fleisch funk­tio­nieren kann.
In seinem Werk Libe­ra­lismus, das vor über 90 Jahren auf Deutsch erschien, sah Ludwig von Mises (1881–1973) voraus, dass es – sobald der Grundsatz akzep­tiert wird, dass es eine ange­messene Funktion der Regierung sei, den Ein­zelnen vor den schäd­lichen Aus­wir­kungen seiner eigenen Ent­schei­dungen zu schützen – keinen Kon­sum­be­reich mehr geben würde, der der Ein­mi­schung der Regierung nicht zugänglich wäre. Wie Mises argu­men­tierte, deuten die Annahmen, die dem Argument für die Ein­schränkung von Suchtstoffen zugrunde liegen, darauf hin, dass die staat­liche Kon­trolle des indi­vi­du­ellen Konsums keine natür­liche Grenze kennt. Für Mises ist das unge­zü­gelte Verbot einfach die andere Seite der Medaille, wenn es darum geht, sich Poli­tikern als Richter und Hüter des indi­vi­du­ellen Wohl­ergehens zu unterwerfen:
In den Ver­ei­nigten Staaten von Amerika sind Handel und Erzeugung von alko­ho­li­schen Getränken ver­boten. Die übrigen Staaten gehen nicht so weit, doch bestehen nahezu überall Beschrän­kungen für den Verkauf von Opium, Kokain und ähn­lichen Rausch­giften. Man erachtet es all­gemein als eine Aufgabe der Gesetz­gebung und Ver­waltung, den Ein­zelnen vor sich selbst zu schützen. Selbst die­je­nigen, die sonst im all­ge­meinen gegen eine Erwei­terung des Tätig­keits­ge­bietes der Obrigkeit Bedenken vor­bringen, halten es für durchaus richtig, dass die Freiheit des Indi­vi­duums in dieser Hin­sicht beschränkt werde, und meinen, dass nur ver­blen­deter Dok­tri­na­rismus sich gegen solche Verbote aus­sprechen könnte. Die Zustimmung, die diese Ein­griffe der Obrigkeit in das Leben des Ein­zelnen finden, ist so all­gemein, dass die grund­sätz­lichen Gegner des Libe­ra­lismus gerne in der Weise argu­men­tieren, dass sie von der angeblich unbe­strit­tenen Aner­kennung der Not­wen­digkeit solcher Verbote aus­gehen und folgern, dass völlige Freiheit von Übel und dass irgendwie eine Beschränkung des Indi­vi­duums durch die bevor­mun­dende Obrigkeit von­nöten sei. Die Frage könne dann nicht die sein, ob die Obrigkeit das Indi­viduum beschränken, sondern nur die, wieweit sie in dieser Beschränkung gehen soll.
Mises war erstaunlich vor­aus­schauend, als er darauf bestand, dass die Pro­hi­bition nicht mit Drogen auf­hören würde und unwei­gerlich alle Aspekte des Konsums des Ein­zelnen, ein­schließlich seiner Ernährung, erfassen würde:
Darüber nun, dass alle diese Rausch­gifte schädlich sind, ist kein Wort zu ver­lieren. Die Streit­frage, ob selbst geringe Mengen von Alkohol schädlich sind oder ob erst der Miss­brauch alko­ho­li­scher Getränke Schä­di­gungen her­bei­führt, ist hier nicht zu besprechen. Es steht fest, dass Alko­ho­lismus, Koka­i­nismus und Mor­phi­nismus fürch­ter­liche Feinde des Lebens, der Gesundheit und der Arbeits- und Genuss­fä­higkeit des Men­schen sind … . Aber damit ist noch lange nicht bewiesen, dass die Obrigkeit zur Unter­drü­ckung dieser Laster durch Han­dels­verbote ein­schreiten muß. … Wer von der Ver­derb­lichkeit des Genusses oder über­mä­ßigen Genusses dieser Gifte über­zeugt ist, den hindert auch der Umstand, dass die Erzeugung und der Handel durch den Staat nicht behindert werden, nicht daran, ent­haltsam oder mäßig zu leben. Die Frage ist nur die, ob die über­zeugten Gegner des Genusses der schäd­lichen Gifte denen, die nicht ihrer Ansicht sind oder nicht genug Wil­lens­kraft haben, um ent­haltsam oder mäßig zu leben, den Genuss durch obrig­keit­liche Maß­nahmen unmöglich machen sollen oder nicht. Diese Frage darf nicht aus­schließlich im Hin­blick auf die von allen ver­nünf­tigen Leuten erkannten Übel Alko­ho­lismus, Mor­phi­nismus, Koka­i­nismus u.dgl. behandelt werden. Denn wenn grund­sätzlich der Mehrheit der Staats­an­ge­hö­rigen das Recht zuge­standen wird, einer Min­derheit die Art und Weise, wie sie leben soll, vor­zu­schreiben, dann ist es nicht möglich, bei dem Genusse von Alkohol, Mor­phium, Opium, Kokain und ähn­lichen Giften Halt zu machen. Warum soll das, was für diese Gifte gilt, nicht auch von Nikotin, Koffein und ähn­lichen Giften gelten?
Mises sah, dass das gleiche Prinzip, das von der Regierung ver­langt, das kör­per­liche Wohl­ergehen des Ein­zelnen vor den bösen Folgen der frei­wil­ligen Ein­nahme gif­tiger Sub­stanzen zu schützen, auch ver­langt, dass die Regierung Ein­zel­per­sonen ver­bietet, schlechte Lehren auf­zu­nehmen, die ihr geis­tiges Wohl­ergehen beein­träch­tigen können. Das bedeutet, zu kon­trol­lieren, was der Ein­zelne sieht, hört, liest, spricht, lernt und lehrt. Mises erkannte, dass der Pro­hi­bi­tio­nismus – zu einer logi­schen Schluss­fol­gerung gebracht -, der Regierung somit die Macht gibt, genau die Gedanken zu formen, die die Men­schen denken, und schließlich den mensch­lichen Geist auszumerzen:
Noch schäd­licher als alle diese Genüsse aber, werden viele sagen, ist die Lektüre von schlechten Schriften. Soll man einer auf die nied­rigsten Instinkte des Men­schen spe­ku­lie­renden Presse gestatten, die Seele zu ver­derben? Soll man die Schau­stellung unzüch­tiger Bilder, die Auf­führung schmut­ziger Thea­ter­stücke, kurz alle die Ver­lo­ckungen zur Unsitt­lichkeit nicht hindern? Und ist nicht die Ver­breitung fal­scher Lehren über das gesell­schaft­liche Zusam­men­leben der Men­schen und Völker ebenso schädlich? Soll man gestatten, dass Men­schen zum Bür­ger­krieg und zum Krieg gegen das Ausland hetzen? Und soll man es zulassen, dass die Achtung vor Gott und der Kirche durch Schmäh­schriften und Schmäh­reden unter­graben wird? Wir sehen, sobald wir den Grundsatz der Nicht­ein­mi­schung des Staats­ap­pa­rates in alle Fragen der Lebens­haltung des Ein­zelnen auf­geben, gelangen wir dazu, das Leben bis ins Kleinste zu regeln und zu beschränken. Die per­sön­liche Freiheit des Ein­zelnen wird auf­ge­hoben, er wird zum Sklaven des Gemein­wesens, zum Knecht der Mehrheit. Man braucht sich gar nicht aus­zu­malen, wie solche Befug­nisse von bös­wil­ligen Macht­habern miss­braucht werden könnten. Schon die vom besten Willen erfüllte Hand­habung der­ar­tiger Befug­nisse müsste die Welt in einen Friedhof des Geistes ver­wandeln. … Man wende ja nicht ein, dass doch die Bekämpfung des Mor­phi­nismus und die Bekämpfung „schlechter“ Schriften ganz ver­schiedene Dinge seien. Diese Ver­schie­denheit besteht nur darin, dass das eine Verbot auch die Zustimmung von Leuten findet, die dem anderen nicht zustimmen wollen.
In diesem Abschnitt zeigt Mises erstaun­liche Ein­blicke in die heim­tü­ckische und uner­bitt­liche Ent­wicklung des Pro­gramms des Pro­hi­bi­tio­nismus und die Bereiche, auf die es sich erstrecken würde. Derzeit gibt es in meh­reren soge­nannten „libe­ralen Demo­kratien“ Gesetze gegen Sprache, Lite­ratur und pri­vat­wirt­schaft­liche Prak­tiken, die „Feind­se­ligkeit“ gegenüber ver­schiedene Gruppen aus­drücken, revi­sio­nis­tische Geschichts­auf­fas­sungen ver­treten oder the­ra­peu­tische Methoden fördern und beschreiben, die nicht mit denen der Schul­me­dizin über­ein­stimmen. Jeden Tag nimmt die Anzahl und Reich­weite der Gesetze zu, die darauf abzielen, „hass­erfüllte“ und „gefähr­liche“ Reden und Aus­drücke zu unter­drücken. Aber die Situation ist nicht hoff­nungslos. In jüngster Zeit scheint die pro­hi­bi­tio­nis­tische Bewegung über­trieben zu haben und die Befür­worter von Mei­nungs­freiheit und per­sön­licher Freiheit zu einer ernst­haften Gegen­re­aktion zu moti­vieren. Aber es wird eine lange und mühsame Aufgabe sein, die Flut der Verbote zurück­zu­drängen. Mises erkannte dies bereits 1927, als er schrieb:
Es wird langer Jahre der Selbst­er­ziehung bedürfen, bis aus dem Untertan der Bürger geworden sein wird. Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mit­men­schen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss es sich abge­wöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.

Der Ori­gi­nal­beitrag mit dem Titel Mises Pre­dicted the „Meat Tax“ ist am 21.11.2018 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen. Die deutsche Version wurde über­nommen vom Ludwig Mises Institute.

Dr. Joseph T. Salerno ist Pro­fessor für Volks­wirt­schafts­lehre an der Pace Uni­verstity, New York. Er ist zudem Aca­demic Vice Pre­sident des Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama.