Schlagt die AfD, wo ihr sie trefft – und sei es durch den Prüffall

Von Helmut Roewer (1994 bis 2000 war er Prä­sident des Thü­ringer Lan­des­amtes für Verfassungsschutz)

Mitte Januar 2019 trat der Prä­sident des Bun­des­amtes für Ver­fas­sungs­schutz (BfV) vor die Presse und machte Aus­füh­rungen zur Tätigkeit seiner Behörde bezüglich der Partei AfD. Unter anderem teilte er sinn­gemäß mit, dass die Partei „als Prüffall geführt“ werde. Die zum Vortrag gebrachten Erwä­gungen halte ich für rechts­widrig, die öffent­liche „Ein­stufung“ für eine Amtsanmaßung.
Zur poli­ti­schen Rolle der AfD
Die AfD hat in den letzten Jahren Mil­lionen von Wähler ange­zogen. Es ist davon aus­zu­gehen, dass dieser Mas­sen­zulauf andauern wird. Hierfür gibt es einen schlichten Grund: Die AfD ist die einzige Partei in der Bun­des­re­publik, die den Erhalt des deut­schen Natio­nal­staats in den Fokus ihrer poli­ti­schen Absichten gerückt hat.
Die anderen poli­ti­schen Par­teien in Deutschland sehen diese Ange­le­genheit durchweg anders. Durch die Nicht-Zen­trierung auf den deut­schen Natio­nal­staat erwecken sie bei sehr vielen Deut­schen die Befürchtung, dass sie der Auf­lösung der Bun­des­re­publik das Wort reden. Es wird hier nicht dis­ku­tiert, ob das wirklich der Fall ist. Es lässt sich aber nicht bestreiten, dass ein solcher Ein­druck ent­standen ist. Indem sie hier poli­tisch gegenhält, hat die AfD ein Thema besetzt, dass ihr den Mas­sen­zulauf beschert. Alle anderen Par­teien bekämpfen die AfD. Das ist im Par­tei­en­staat, wie er sich in Deutschland ent­wi­ckelt hat, legitim, und ange­sichts des Mas­sen­zu­laufs zur AfD auch wenig erstaunlich. Dass alle es gemeinsam tun, hat offenbar nicht den gewünschten, sondern einen zusätzlich wir­kenden gegen­tei­ligen Effekt. In den par­tei­po­li­ti­schen Stel­lung­nahmen zur AfD hat des­wegen – leicht nach­voll­ziehbar – die Schärfe zugenommen.
Hierzu gehört auch der sog. Ruf nach dem Ver­fas­sungs­schutz. Der Ruf nach dem Ver­fas­sungs­schutz soll beim Bürger den Ein­druck erwecken, als sei hier ein fins­teres Gewerbe am Werke, dem jetzt nach Recht und Gesetz der Garaus zu machen sei. Mit anderen Worten: Dem Wahl­bürger soll signa­li­siert werden, die AfD ist für anständige Deutsche unwählbar.
Das in etwa ist mit dürren Worten die poli­tische Schlacht­ordnung. Jetzt kommen die recht­lichen Zutaten.
Zur Rechts­po­sition der AfD
Die AfD ist eine poli­tische Partei. Sie ist – abwei­chend zu dem, was immer wieder zu hören ist – keine zuge­lassene Partei, denn Par­tei­zu­las­sungen gibt es in Deutschland nicht. Ihr Recht auf Existenz ergibt sich unmit­telbar aus Artikel 21 Grund­gesetz. Dort ist auch der Rahmen für eine mög­liche Bekämpfung durch den Staat fest­gelegt. In der Aus­ein­an­der­setzung zwi­schen Staat und Partei gibt es eine einzige zulässige Maß­nahme: das Par­tei­verbot. Dieses aus­zu­sprechen, ist allein dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt vor­be­halten. Diese Son­der­stellung gegenüber sons­tigen Ver­ei­ni­gungen nennt man Parteienprivileg.
Hiermit kol­li­diert die Rolle des Ver­fas­sungs­schutzes. Das kommt daher, weil sich ab den 1960er-Jahren die Rechts­auf­fassung durch­zu­setzen begann, dass die Beob­achtung durch einen staat­lichen Nach­rich­ten­dienst einen schwerer Ein­griff in die Rechte der betrof­fenen Per­so­nen­gruppe und ihrer Mit­glieder dar­stellt. Denkt man diesen Gedanken kon­se­quent zu Ende und ver­gleicht ihn mit dem Par­tei­en­pri­vileg, wären eine nach­rich­ten­dienst­liche Beob­achtung von Par­teien und das regie­rungs­amt­liche öffent­liche Reden hierüber ver­fas­sungs­widrig. Die Bun­des­re­gierung hat dem­ge­genüber über Jahr­zehnte die gegen­teilige Auf­fassung ver­treten. Die seit 1968 erschie­nenen Ver­fas­sungs­schutz­be­richte geben hierüber Jahr für Jahr Auskunft.
Meines Wissens ist diese Frage niemals höchst­rich­terlich ent­schieden worden. Nur einmal erreichte die NPD wegen der Nennung im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt des Bundes das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt und schei­terte. Man sollte zwar für die deutsche Recht­spre­chung keine Pro­gnosen abgeben, aber ich nehme an, dass die AfD vor Gericht scheitert, wenn sie sich allein auf die poten­tielle Rechts­ver­letzung des Par­tei­en­pri­vilegs (= Verbot der Beob­achtung) stützen würde. Der Grund hierfür ist simpel. Die Rich­ter­schaft in Karlsruhe ist ein Spiegel der eta­blierten Par­teien. Alle diese Par­teien sind – zum Teil aus Exis­tenz­angst – einig, dass die AfD mit allen Mitteln zu bekämpfen sei. Damit ist der Fall jedoch nicht vom Tisch, wie jetzt zu erörtern ist.
Das Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz (BfV) und der Prüffall
Zunächst eine wichtige Geset­zes­for­malie: Mit der Ver­kündung eines Prüf­falls hat der BfV-Prä­sident ein Instru­men­tarium in die Debatte ein­ge­führt, das ihm rechtlich nicht zusteht. Ich habe das Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­gesetz noch einmal von vorne bis hinten gelesen. Der Prüffall kommt nicht vor. Er kommt bei ein­zelnen Ver­fas­sungs­schutz­ge­setzen aus den Ländern vor, aber nicht beim Bund.
Bei der grund­le­genden Neu­fassung des Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­ge­setzes, an der ich in den Jahren 1987 bis 1989 als der zuständige Referent des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­riums beteiligt war, wurde die Frage des Prüf­falls erörtert und aus­drücklich ver­worfen: Der Inlands­nach­rich­ten­dienst mit dem Auf­ga­ben­ka­talog des Ver­fas­sungs­schutzes betrachtet die poli­tische Lage der Bun­des­re­publik ins­gesamt, um auf dem Lau­fenden zu sein, was vorgeht.
Fällt hierbei auf, dass es den Ver­dacht für eine der gesetzlich miss­bil­ligten Bestre­bungen oder Tätig­keiten gibt, fängt er an, gezielt Infor­ma­tionen zu beschaffen. Das ist ein relativ ein­faches Ver­fahren, wie wohl jedermann leicht nach­voll­ziehen kann, sodass es im Ein­zelfall Streit geben wird, ob wirklich die beob­ach­tungs­aus­lö­senden tat­säch­lichen Anhalts­punkte vor­liegen oder nicht.
Noch einmal: Einen irgendwie gesetzlich mög­lichen oder gar nötigen Prüffall gibt es nicht. Seine öffent­liche Ver­kündung ist ein Rechts­verstoß, nämlich die Anmaßung einer nicht vor­han­denen ein­schlä­gigen Kom­petenz. Ein Handeln ohne gesetz­liche Ein­griffs­er­mäch­tigung ist rechtswidrig.
Und weiter: Was das BfV mit den von ihm gesam­melten Infor­ma­tionen tun darf, ins­be­sondere an wen es die Infor­ma­tionen wei­ter­reichen kann, ist dezi­diert im Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­gesetz nor­miert. Dieses regelt auch – und zwar abschließend in § 18 Absatz 1 – welche seiner Infor­ma­tionen an die Öffent­lichkeit gegeben werden dürfen:
(1) Das Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz infor­miert die Öffent­lichkeit über Bestre­bungen und Tätig­keiten nach § 3 Absatz 1, soweit hin­rei­chend gewichtige tat­säch­liche Anhalts­punkte hierfür vor­liegen, sowie über prä­ven­tiven Wirtschaftsschutz.
Und das war’s. Die Infor­mation der Öffent­lichkeit beschränkt sich also aus­drücklich auf solche Fälle, in denen das BfV nach­weisen kann, dass ein­schlägig ver­fas­sungs­feind­liche Bestre­bungen oder Tätig­keiten vor­liegen – und diese gewichtig sind. Das ist also schweres Geschütz in schweren Fällen.
Im Umkehr­schluss: Fröh­liche Aus­füh­rungen in neu­deut­schem Polit­blabla, dass man jetzt mal genau hin­sehen möchte, sind dem BfV versagt. Hierfür gibt es gute Gründe. Das öffent­liche Palaver über Dienst­in­terna kommt einer Vor­ver­ur­teilung gleich: Seht her Leute, wir sind durch­ge­startet. In Wirk­lichkeit ist es Eti­ket­ten­schwindel: das BfV teilt mit, dass es nichts genaues weiß, aber keiner merkt es. Also: poli­ti­scher Auftrag erfüllt. Rechtlich rich­tiges Ver­halten sieht anders aus, denn das BfV darf nur an die Öffent­lichkeit, wenn es Genaues weiß, das Wissen ein­schlägig und gewichtig ist.
Doch wenden wir uns neben dem sicher wich­tigen For­malen auch dem Inhalt­lichen zu. Ich werde hierzu zwei Bemer­kungen zum Bestand Deutsch­lands und zum Islam machen.
Bekenntnis zum Deutschsein als Verfassungsfeindlichkeit
Ich habe mit Ver­blüffung aus den Aus­füh­rungen des BfV-Prä­si­denten her­aus­gehört, dass er eine Ver­bin­dungs­linie zwi­schen der Ver­fas­sungs­feind­lichkeit und dem Bekenntnis zum Deutschsein zieht. Sollte ich mich verhört haben, ist das jetzt Fol­gende über­flüssig und zu streichen. Falls nein, gebe ich zu bedenken: Das Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­gesetz erklärt den deut­schen Staat und seine Organe aus­drücklich zu seinen Schutz­ob­jekten (zum Bei­spiel in § 4 Absatz 1). Jemanden zum Beob­ach­tungsfall zu erklären, der mahnend darauf hin­weist, dass bestimmte Per­sonen innerhalb der Staats­organe sich zum Ziel gesetzt haben, den deut­schen Staat auf­zu­lösen, bedeutet, den Ver­tei­diger mit dem Angreifer zu ver­wechseln und umgekehrt.
Ich weiß, dass manche Leute Pickel kriegen, wenn Höcke & Co („der Flügel“) sich am Kyff­häuser ver­sammeln. Sie lassen dort Deutschland hoch­leben. Das mag heut­zutage unge­wohnt sein, aber ein Angriff auf den deut­schen Staat ist das nicht. Der Kyff­häuser ist seit der Romantik ein Symbol des deut­schen ein­heit­lichen Staates, manche sagen auch: des Reiches, aber das ist eben­so­wenig ver­fas­sungs­schutz­re­levant wie der Umstand, dass der Bun­destag im Reichstag tagt. Soge­nannte Gegen­de­mons­tranten sehen das anders. Sie ver­suchen, solche Ver­an­stal­tungen mit Sprech­ge­sängen à la Deutschland ver­recke (und Schlim­merem) zu ver­hindern. Es sind diese Leute, die ganz unge­zwungen Platz auf den Rängen der deut­schen Staats- und Ver­fas­sungs­feinde finden. Das nur nebenbei.
Islam­feind­lichkeit
Eine kri­tische bis feind­selige Haltung zum Islam – ich spreche nicht vom Anzünden von Got­tes­häusern – ist nichts, was den Ver­fas­sungs­schutz zu inter­es­sieren hat. Der deutsche Staat ist, jeden­falls soweit er sich auf preu­ßische Tra­di­tionen stützt, reli­gi­ons­neutral. Mit anderen Worten: Jeder kann nach seiner Fasson selig werden, wie Friedrich der Große ebenso spitz­züngig wie weise bemerkte. Eine Gesamt­schau des Grund­ge­setzes bestätigt diese Weisheit.
Es wird viel­leicht den einen oder anderen über­ra­schen: Der­jenige, der mit­teilt, dass er den Islam partout nicht leiden mag, kann sich auf ein sehr spe­zi­elles Grund­recht berufen, nämlich Artikel 4 Grund­gesetz, die Reli­gi­ons­freiheit. Dieses Grund­recht beinhaltet nicht nur die Mög­lichkeit, an einen bestimmten Gott zu glauben, sondern auch das glatte Gegenteil für unum­stößlich zu halten. Hier den weisen Richter zu spielen, ist nicht Sache des Staates – mögen die Ansichten auch noch so schrill sein. Ich finde, das sollte sich auch im ehemals katho­li­schen Köln, dem Sitz des BfV, her­um­ge­sprochen haben. Ob diese Kenntnis auch im zunehmend mus­li­mi­schen Köln vor­handen ist, wage ich zu bezweifeln.
Schluss­be­trachtung
„Nun sind sie halt mal da“, wird unsere Kanz­lerin ange­sichts der von ihr illegal ins Land geholten Ori­en­talen tau­sendfach zitiert. Ich rate allen plötz­lichen Ver­fas­sungs­schutz- Freunden, diesen Satz auch auf die AfD und ihre Mit­glieder anzu­wenden. Diese haben im Gegensatz zu jenen den Vorzug, dass sie völlig legal hier sind.
 


Conservo.wordpress.com — ©Helmut Roewer, Januar 2019
*) Dr. Helmut Roewer wurde nach dem Abitur Pan­zer­of­fizier, zuletzt Ober­leutnant. Sodann Studium der Rechts­wis­sen­schaften, Volks­wirt­schaft und Geschichte. Nach dem zweiten juris­ti­schen Staats­examen Rechts­anwalt und Pro­motion zum Dr.iur. über ein rechts­ge­schicht­liches Thema. Später Beamter im Sicher­heits­be­reich des Bun­des­in­nen­mi­nis­terium in Bonn und Berlin, zuletzt Minis­te­ri­alrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Prä­sident einer Ver­fas­sungs­schutz­be­hörde. Nach der Ver­setzung in den einst­wei­ligen Ruhe­stand frei­be­ruf­licher Schrift­steller und Autor bei con­servo. Er lebt und arbeitet in Weimar und Italien.