Auch wenn sich Frauen bemühen, im Berufsleben so männlich wie möglich aufzutreten: Inzwischen sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch zu einem Thema betrieblicher Führung geworden. Dass weibliche Fähigkeiten wie Sensibilität, Einfühlungsvermögen und Empathie durchaus förderlich im täglichen Miteinander wirken, hat sich längst herumgesprochen. Doch produziert die von den Feministinnen geforderte Einheitsbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz zahlreiche Missverständnisse und Konflikte.
Männer nehmen, so hat sich gezeigt, weniger körpersprachliche Signale wahr als ihre weiblichen Kollegen. Erst wenn die Kollegin einen Weinkrampf bekommt, merken männliche Mitarbeiter, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie zeigen sich dann meist völlig überrascht, während die Kollegin bekennt, sie hätte schon seit längerem versucht, Signale auszusenden, diese seien jedoch nicht wahrgenommen worden. Wenn Männer davon ausgehen würden, dass Frauen anders kommunizieren, könnten solche Missverständnisse vermieden werden. Natürlich gilt dies auch im umgekehrten Fall.
Wir sollten uns damit abfinden, dass wir als Mann oder eben als Frau zur Welt kommen und damit auch spezifische Eigenschaften haben, die wir ausleben sollten, statt sie zu verdrängen. Und zwar ohne Vorbehalte und ohne inneren Widerstand. Nur, wenn wir uns im Einklang mit den Gesetzen der Natur befinden, wenn wir sie erkennen und akzeptieren, kann das segensreiche Schöpfungsprinzip der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit förderlich für uns und unsere Gesellschaft wirken.
Wenn ich meine eigenen Fähigkeiten betrachte, wird mir schnell klar, dass meine Stärken weder das Lesen eines Stadtplans noch eine brillante Orientierungsfähigkeit sind. Mich stört das nicht, denn es ist bekannt, dass Frauen tendenziell eine geringere Befähigung zum räumlichen Denken besitzen, Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt einige solcher praktischen Beispiele aus meinem Alltag. So empfinde ich es nicht gerade als das Höchste der Gefühle, Getränkekisten zu schleppen oder ein defektes Radio zu reparieren. Auf die meisten meiner Freundinnen trifft das ebenfalls zu.
Und so versuche ich erst gar nicht mehr, mich in allen Bereichen an Männern zu messen – was das Leben, hat man dieses Gesetz erst einmal akzeptiert, entschieden erleichtert. Es wird Zeit, dass wir so etwas nicht als Schwäche empfinden, sondern als naturgegebene Tatsache. Bestenfalls nehmen wir es mit Humor.
Populäre Bücher, in denen Frauen augenzwinkernd attestiert wird, sie könnten nicht einparken, und Männern, sie seien wortkarg und von primitiven Instinkten gesteuert, mögen auf den ersten Blick klischeehaft wirken, dennoch sind ihre Grundannahmen keineswegs falsch. Die satirische Übertreibung ist lediglich eine unterhaltsame Variante der Erkenntnis, dass es Unterschiede gibt, die kein noch so hartnäckig verfolgtes pädagogisches Konzept ausradieren kann.
Das betrifft Frauen wie Männer. »Wann ist der Mann ein Mann?«, fragte Herbert Grönemeyer in einem seiner erfolgreichsten Songs. Wissen Männer überhaupt noch, wer und was sie sind? Können sie sich ihrer Identität noch sicher sein im Verwirrspiel der Geschlechterrollen?
Grönemeyer schrieb den Song in den achtziger Jahren, und auf einmal diskutierten alle aufgeregt, ob Männer überhaupt noch echte Männer sein können, ob sie es überhaupt noch dürfen. Viele erkannten sich in der Beschreibung Grönemeyers wieder, in Sätzen wie: »Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark … Männer sind einsame Streiter; müssen durch jede Wand, müssen immer weiter.«
Dieser Text war auch ironisch gemeint, denn »starke Männer« waren gerade out, Konjunktur hatten die selbst ernannten starken Frauen. Vergnüglich war für mich die Beobachtung, dass die meisten Männer, die ich kannte, diesen Song damals für bare Münze nahmen und das Augenzwinkern nicht erkennen wollten oder konnten.
Ein gleichermaßen amüsantes wie aufschlussreiches Beispiel kann uns vor Augen führen, wie stark unsere Prägungen trotz aller Debatten sind, trotz aller Rollentauschexperimente. Stellen Sie sich vor, ein gleichberechtigt miteinander lebendes Ehepaar liegt nachts im Bett. Beide haben den ganzen Tag gearbeitet, beide sind hundemüde. Plötzlich hören sie das Geräusch von splitterndem Glas: Einbrecher! Der Ehemann seufzt: »Schatz, ich hatte einen anstrengenden Tag, schau doch mal nach, was los ist, und treib die Kerle in die Flucht.« Selbst die emanzipierteste Ehefrau würde wohl nicht mehr lange bei diesem Mann bleiben.
Anthropologen und Biologen sind heute in der Lage, uns zu erklären, warum wir gerade in Situationen, wo es »darauf ankommt«, auf geschlechtsspezifische Muster zurückgreifen – und warum wir Frauen uns bei Gefahr eben einen starken Mann wünschen. In verschiedenen Studien wurden eine Fülle von Situationen analysiert, in denen sich männliche und weibliche Reaktionen deutlich voneinander unterscheiden. Man vermutet, dass im Laufe der Evolution vielfältige »Selektionseindrücke« das geschlechtsbedingte unterschiedliche Verhalten verstärkten. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass charakteristische Eigenschaften der Geschlechter über längere Zeiträume hinweg entstanden sind – und zwar durch ein individuelles Auswahlverfahren. Gewisse Merkmale bei Männern und Frauen haben sich dadurch herausgebildet, weil sie von dem jeweils anderen Geschlecht bevorzugt wurden.
Das Zusammenspiel von jahrtausendelang erprobten Tätigkeiten, die grundsätzlich jeweils eher von Männern oder von Frauen bevorzugt wurden, haben deutlich erkennbare Vorlieben entstehen lassen. Das erklärt, warum für Jungen vorwiegend Spielsachen begehrenswert sind, die ihre Fähigkeiten zur Verteidigung schulen, Mädchen wiederum üben sich unbewusst in der Betreuung und dem Aufziehen von Nachwuchs, wenn sie ihre Puppen in den Arm nehmen. Und es erklärt, warum Frauen Stunden in Schuhgeschäften verbringen können – der Horror schlichtweg für jeden noch so geduldigen Partner. Der nämlich stürzt am liebsten in einen Laden, mustert kurz und genau das Angebot und verlässt das Geschäft wenige Minuten später wieder mit seiner »Beute«.
Warum existiert dieser fundamentale Unterschied? Weil Frauen über Jahrtausende hinweg Früchte gesammelt haben, weil sie vergleichen und sorgfältig auswählen. Das kostet Zeit. Ihre Neigung, auf das Detail zu achten, tut ein Übriges. Männer dagegen gehen selbst beim Einkauf »auf die Jagd«: Augenblicklich erobern sie das, was sie brauchen, anschließend verlassen sie den Schauplatz des Geschehens genauso schnell, wie sie ihn betreten haben.
Haben Sie sich auch mal gefragt, warum wir Frauen so gern Handtaschen mit uns herumschleppen? Und zwar keine winzigen Etuis, sondern am liebsten geräumige Beutel? Schlendern Sie einmal durch eine Fußgängerzone und studieren Sie diesbezüglich Frauen und Männer: Ganz gleich wie alt oder jung, wie leger oder sorgfältig angezogen, allerorten begegnen uns Frauen mit Taschen, während die Männer mit freien Händen herumlaufen. Auch dies ist ein Erbe der geschlechtsbedingten Evolution: Da Eva gern sammelt, muss sie immer die Möglichkeit haben, ihre Ernte zu verstauen, um sie sicher nach Hause zu tragen. Männer dagegen horten nicht, sie beschweren sich ungern mit Einkaufsnetzen oder Taschen, weil sie unbewusst verteidigungsbereit sein wollen, und das, obwohl die Geldbörse in der Hosentasche für Diebe weit bequemer erreichbar ist, als wenn sie in einer Handtasche verstaut wäre.
Angesichts solcher Beobachtungen muss es ein vergebliches Unterfangen bleiben, im Namen moderner Lebensformen die Geschlechterrollen ändern zu wollen. Erst seit wenigen Jahrzehnten spielen wir im Selbstversuch den Rollentausch durch und empfehlen Frauen männliche Verhaltensweisen – ein winziger Augenblick in der Geschichte der Menschheit.
Auszug aus dem Bestseller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006