Das Euro-Projekt ist gescheitert – was nun?

Malte Fischer, der kom­pe­tente Chef­volkswirt der Wirt­schafts­Woche erläutert, weshalb das „Euro-Projekt gescheitert ist“. Zustimmung fällt leicht. Offen bleibt jedoch die ent­schei­dende Frage: Was folgt aus dieser Erkenntnis?

  • „ (…) der Euro hat viele der in ihn gesetzten Hoff­nungen ent­täuscht. Spä­testens die Finanz­krise 2008 hat gezeigt, dass der kon­struk­ti­vis­tische Versuch, eine funk­tio­nie­rende Währung auf dem Reiß­brett der Politik zu ent­werfen, zum Scheitern ver­ur­teilt ist.“
    Stelter: Vor allem, wenn man so ver­schiedene Länder zusam­men­zwingt, wie es der Euro tut.
  • „Eine Währung muss sich bewähren und Dinge bewahren. Der Euro hat beides nicht getan. Er hat sich nicht bewährt, weil er ohne die mil­li­ar­den­schweren Ret­tungs­ak­tionen der Euro­päi­schen Zen­tralbank (EZB) und der Regie­rungen längst unter­ge­gangen wäre. Ein Tausch­mittel auf der Inten­siv­station der Politik, dessen Über­leben von fis­ka­lisch-mone­tärer Dau­er­be­atmung abhängt, ist keine Währung, sondern eine Krankheit.“
    Stelter: Und in der nächsten Krise muss die Dosis weiter erhöht werden. Das wird das Leiden ver­längern und den Schaden vergrößern.
  • „Auch bewahrt hat der Euro nichts. Die Kauf­kraft seiner Besitzer hat sich seit seiner Ein­führung im Schnitt um rund 1,7 Prozent pro Jahr ver­ringert. Wer heute noch Euros aus dem Jahr 2002 in der Tasche hat, kann sich dafür rund ein Drittel weniger kaufen als damals. Gemessen an dem Anspruch an eine Währung, zu bewahren und sich zu bewähren, muss der Euro daher als gescheitert betrachtet werden.“
    Stelter: Hier stimme ich nicht zu. Die Infla­ti­onsrate war nicht sehr hoch und liegt am unteren Ende dessen, was man bei Fiat-Geldsystemen
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    erwarten muss. Klar, dies war nicht die Leistung der EZB, sondern ent­sprach der welt­weiten Tendenz Richtung Deflation. Dennoch.
  • „Auch den Anspruch seiner Kon­struk­teure, Europas Einigung vor­an­zu­treiben, hat er nicht erfüllt. In der Euro­krise wurde der Zank um die Rettung der Gemein­schafts­währung zum poli­ti­schen Spaltpilz für Europa.“
    Stelter: Das stimmt zweifellos.
  • „ (…) grund­sätzlich spricht nichts dagegen, dass Volk­wirt­schaften mit unter­schied­lichen Wohl­stands­ni­veaus ein und die­selbe Währung nutzen. (…) Sie pro­fi­tieren sogar davon, wenn sie die­selbe Währung nutzen. Denn Geld ist ein Netz­werkgut. Dabei handelt es sich um Güter, die für den Ein­zelnen umso wert­voller sind, je mehr Per­sonen dieses Gut nutzen. Wenn alle Men­schen das­selbe Geld nutzen und akzep­tieren, ist der Nutzen für den Ein­zelnen am größten. Er kann dann überall auf der Welt mit der­selben Währung zahlen, Umtausch­kosten und Wech­sel­kurs­ri­siken ent­fallen. Über­ließe man die Auswahl der Wäh­rungen dem Wett­bewerb auf dem freien Markt, wie es der Nobel­preis­träger Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) for­derte, setzte sich ver­mutlich eine Welt­währung durch, die überall akzep­tiert wird. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um ein Warengeld wie Gold oder andere Edel­me­talle handeln würde.“
    Stelter: Bei Letz­terem bin ich nicht sicher, richtig ist aber, dass eine breite Ver­wendung Nutzen stiftet.
  • Das Kern­problem ist der ein­heit­liche Zins, mit dem die EZB den Euro steuert. Man stelle sich eine freie Markt­wirt­schaft ohne Zins­ma­ni­pu­lation durch die staat­liche Zen­tralbank vor. Der Marktzins ent­spräche dann den Zeit­prä­fe­renzen der Men­schen. In diesen spiegelt sich ihre Vor­liebe für den heu­tigen Konsum wider. Je höher die Prä­ferenz für den schnellen Konsum ist, desto höher muss der Zins als Ent­schä­digung aus­fallen, damit die Men­schen auf den Sofort­konsum ver­zichten und sparen. In einem freien Markt würde sich der Zins so ein­pendeln, dass er der durch­schnitt­lichen Zeit­prä­ferenz der Men­schen ent­spricht und so Sparen und Inves­tieren zum Aus­gleich bringen.“
    Stelter: Da fragt man sich, ob das wirklich so stimmt. Denn in unserer Welt wird Geld beliebig geschaffen, weshalb ich der Bade­wannen-Theorie von Angebot und Nach­frage immer weniger abge­winnen kann.
  • „Kon­trol­liert hin­gegen eine staat­liche Zen­tralbank wie die EZB den Zins und drückt diesen unter die Zeit­prä­fe­renzrate der Men­schen, etwa um die Kon­junktur anzu­kurbeln, sind öko­no­mische Ver­wer­fungen pro­gram­miert.“
    – Stelter: Diese Kritik kann auch an der US-Fed und der Bank of Japan geübt werden.
  • „In der ersten Hälfte der 2000er-Jahre erlebten die Süd­länder der Wäh­rungs­union einen solchen zins­ge­trie­benen Boom-Bust-Zyklus. Im Vorfeld der Euro-Ein­führung waren die Kapi­tal­markt­ren­diten in diesen Ländern kräftig gesunken. Nach dem Platzen der New Economy-Blase drückte die EZB auch die Leit­zinsen kräftig nach unten – und ver­stärkte so den Boom, bis dieser mit dem Aus­bruch der Finanz­krise 2008 platzte.“
    Stelter: Das stimmt, weil die ein­heit­lichen Zinsen im kon­kreten Fall zu tief für diese Länder und zu hoch für Deutschland waren.
  • „Dass der Ein­heitszins für die Eurozone nicht funk­tio­nieren kann, liegt daran, dass sich die Zeit­prä­fe­renzen der Men­schen zwi­schen den Mit­glieds­ländern unter­scheiden. Wie sehr das der Fall ist, zeigt eine Unter­su­chung des Bonner Öko­nomen Armin Falk, die in der renom­mierten Fach­zeit­schrift ‘Quar­terly Journal Of Eco­nomics’ erschien ist. Falk und seine Ko-Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Men­schen in den süd­lichen Ländern Europas eine höhere Vor­liebe für den Gegen­warts­konsum besitzen als die Men­schen im Norden. Das heißt: Im Süden sind höhere Zinsen nötig als im Norden, um die Men­schen zum Sparen zu bewegen und Boom-Bust-Zyklen zu verhindern.“
    Stelter: Ich bin simpler gestrickt. Weil die Infla­ti­ons­raten in den süd­lichen Ländern höher waren, war der Realzins noch nega­tiver und das hat den Boom befeuert.
  • „Ver­schärft wird das Problem dadurch, dass die Frank­furter Eurohüter mit ihren Anlei­he­käufen in den ver­gan­genen Jahren auch die inter­na­tio­nalen Zins­un­ter­schiede am Kapi­tal­markt ein­ge­ebnet haben. Spä­testens seit dem Aus­bruch der Euro­krise legt die EZB ihren Leit­zins­ent­schei­dungen zudem neben öko­no­mi­schen auch poli­tische Über­le­gungen zugrunde. Offenbar sieht sie ihren Auftrag darin, die Eurozone in ihrer der­zei­tigen Zusam­men­setzung zu erhalten, wie die wha­tever-it-takes-Rede von EZB-Chef Mario Draghi aus dem Jahr 2012 gezeigt hat. Daher muss die EZB nolens volens Rück­sicht auf die wirt­schaftlich prekäre Lage der schwach­brüs­tigen Süd­länder und ihrer kipp­ligen Banken nehmen. Dass die Süd­länder im Rat der EZB die Mehrheit besitzen, zemen­tiert die Poli­ti­sierung des Zinses.“
    – Stelter: Das ist richtig und wird von der deut­schen Politik in Wirk­lichkeit befür­wortet, denn die Alter­native wären ein chao­ti­scher Zerfall des Euro und die Offen­barung des mas­siven poli­ti­schen Versagens!
  • „Hete­rogene Zeit­prä­fe­renzen und ein poli­ti­sierter Ein­heitszins mar­kieren eine öko­no­mische Fehl­kon­struktion, deren inhä­rente Fra­gi­lität und Ret­tungs­be­dürf­tigkeit den poli­ti­schen Zusam­menhalt der Gesell­schaften in Europa gefährden. Kann die Eurozone trotzdem über­leben? Viel­leicht. Doch der Preis dafür sind immerzu wie­der­keh­rende Krisen, öko­no­mische Defor­ma­tionen und eine schlei­chende Wohl­stands­erosion. Die ent­schei­dende Frage ist daher: Wie lange machen die Men­schen in Europa das mit?“
    Stelter: Genau das ist die Frage. Lösen kann die Euro­krise nur die Politik. Diese weigert sich und damit ist klar, dass wir auf eine poli­tische Revo­lution warten müssen, während die EZB scha­den­ma­xi­mierend Zeit kauft.

→ Wiwo.de: „Warum das Euro-Projekt gescheitert ist“, 6. März 2019
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Dr. Daniel Stelter – www.think-beyondtheobvious.com