Mageres strategisches Denkvermögen der EVP — Eine Analyse von Peter Helmes u.a.
Schon bei der Frage zur Haltung der Unionsparteien gegenüber der AfD wurde (und wird weiterhin) klar, dass den Christdemokraten der Sinn einerseits für Toleranz, andererseits für strategisches Denkvermögen abhandengekommen ist. Außer einem kategorischen NEIN fällt ihnen nichts Konstruktives ein. Es wird also weiter Front gegen die AfD genau so wie gegen Orbán bzw. seine Partei Fidesz gemacht, und die politischen Wettbewerber reiben sich vergnügt die Hände über so viel Borniertheit.
Die sozialdemokratisierten Christdemokraten irren sich gewaltig. Ihr gebetsmühlenartig wiederholtes Mantra, ihre programmatischen Wurzeln stammten auch aus dem Konservatismus, nimmt ihnen niemand mehr ab. Ihre praktizierte Politik ist links und zeitgeistergeben. Viktor Orbán wird nicht müde, gerade auf diesen Punkt hinzuweisen – und die getroffenen EVP´ler schreien auf.
Keinen EU-Superstaat, keine Brüsseler Krake, keine entfremdete EU
Das ist in Ungarn und erst recht in Orbáns Fidesz-Partei vollkommen anders. Dort leben die alten Werte noch. An dem „visionären Gestaltungswillen“ „großer Europäer“ wie Merkel und Macron fehlt es Viktor Orban offenbar gewaltig: Er will einfach keinen EU-Superstaat, verweigert sich der von Gesellschaftsklempnerin Merkel seit ihrer Schleusenöffnung im September 2015 angemahnten europäischen Asylsolidarität, will von „Resettlement“ ebenso wenig wissen wie von „Relocation“ und ist zu allem Überfluss auch noch böse zum gütigen Philanthropen Georges Soros alias György Schwarz, seinem ehemaligen Landsmann – ein Mann der harten Art, mit festen Grundsätzen.
Orbán ist Realpolitik wichtiger ist als verblasste „humanitäre Imperative“, Visionen von Multikulti und Umvolkung alias Ersetzungsmigration (Replacement Migration). Vielleicht sollten sich der deutsche Michel und das deutsche Gretchen angesichts der bevorstehenden EP-Wahlen einmal überlegen, wo der Tumor wirklich steckt – nämlich welches die Krankheit ist und welches die Medizin. Diejenigen, die heute im Namen ihrer angeblich demokratischen Gesinnung auf Ungarn eindreschen, müssten sich in Wahrheit vor diesem kleinen Land verbeugen.
Das gilt besonders für die alten und neuen Ungarn- bzw. Orbán-Feinde J.-C. Junckers mitsamt seiner EU-Nomenklatura, weite Teile der SPD, der Grünen und der Linkspartei, ja selbst weite Teile der CDU, fast die gesamte deutsche Linkspresse – sie alle müssten sich vor diesem kleinen Land verbeugen.
Wer geglaubt hatte, das ständige Herumhacken auf Orbán würde die Ungarn weichkloppen, irrt sich also gewaltig. Die Unterstützung im Lande für Orbáns Kurs wächst eher – wie auch bei den (wirklich) konservativen Parteien in Europa.
Orbán dürfte also zu Recht überlegen, ob es nicht angebracht sei, dass Fidesz das demütigende Feilschen mit der Europäischen Volkspartei beendet. Die CDU – erst recht nicht die EVP – ist schon längst nicht mehr die Partei eines Helmut Kohl.
Sie verteidigt nicht mehr die Nationen oder das Christentum und das traditionelle Familienmodell. Die EVP ist zum Diener des kranken Liberalismus geworden.
Die Alternative für Fidesz ist gar nicht so unattraktiv: Sie liegt in einer neuen bzw. erweiterten Allianz mit Italiens Lega-Chef Salvini, mit der Freiheitlichen Partei Österreichs FPÖ und mit der polnischen Regierungspartei. Das würde eine wesentlich stärkere Konkurrenz – ja, eine Bedrohung – zur EVP bedeuten.
Trotzdem scheint die EVP auf stur zu schalten. Statt die strategischen Gehirnzellen anzustrengen, läuft man dem Zeitgeist hinterher, der da vorgibt, ein „Rechter“ wie Orbán gehöre nicht in die EVP. Flugs wird EVP-Frontmann Weber nach Budapest gesandt, um Orbán zum Kotau zu zwingen, widrigenfalls ihm den endgültigen Abschied aus der EVP zu bereiten.
Rechnung ohne den Wirt
Michael Kornowski*), renommierter Chef des Blogs „Ohne Umschweife“, schreibt dazu am 8.3.19:
Das nenne ich Rückgrat Er ist konsequent und geht seinen Weg – den richtigen Weg für die ungarische Bevölkerung. Viktor Orbàn verweigert EVP-Chef Weber die Entschuldigung und wird sich nicht der Migrationspolitik der EVP unterwerfen, die die Zuwanderung im Einklang mit allen anderen Parteien außer den „Rechten“ weiter forciert. Viktor Orbàn nimmt es in Kauf, dass er und seine Fidesz-Partei jetzt ganz offiziell genauso geächtet werden wie der Front National, AfD, Lega Nord und andere. Orbàn bleibt bei seiner Meinung und somit wird der rechte Flügel in der EU gestärkt. Und das ist gut so! (siehe: https://kurier.at/…/strache-gemeinsame-fraktion‑v…/400426970)
*) Quelle: https://www.facebook.com/ohne.umschweife1/
Die Diskussion bleibt also vorerst virulent – und wird den EP-Wahlkampf belasten. Denn die Differenzen innerhalb der EVP zeigen, was für ein Chaos uns nach den Europaparlamentswahlen im Mai erwarten könnte.
Die Europäische Volkspartei hat damit ein selbstverschuldetes Problem: Wirft sie Orbáns Partei raus, schwächt sie ihre eigene Fraktion – und schlimmer noch: stärkt die so sehr bekämpften „Rechten“. Und auch EVP-Chef Weber hätte ein zusätzliches Problem:
Der CSU-Vize und EVP-Spitzenkandidat strebt nach der EU-Wahl im Mai den Chefposten der Kommission an. Dafür braucht er eine Mehrheit der 705 Abgeordneten, die die EVP weder alleine noch – anders als vor fünf Jahren – zusammen mit den Sozialdemokraten schaffen dürfte. Sollten die zwölf Abgeordneten von Fidesz nicht mehr zur EVP gehören, bräuchte er noch mehr Unterstützer aus einer anderen Parteiengruppe.
Weber hatte Orban am Dienstag drei Bedingungen gestellt, um einen Ausschluss der Fidesz-Partei aus der EVP abzuwenden. Orban solle „die Anti-Brüssel-Kampagne seiner Regierung sofort und endgültig stoppen“, sich bei den anderen EVP-Mitgliedsparteien entschuldigen und einen Verbleib der Central European University (CEU) in Budapest sichern. Die CEU wurde vom ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros gegründet, den Orbans Regierung heftig anfeindet. Die Universität verlegt nun den Großteil ihres Lehrbetriebs nach Wien.
Weber kündigte gestern (10.3.19) in der „Welt am Sonntag“ an, er wolle persönlich nach Budapest reisen, um dort mit Orban zu sprechen. Es geht um die Frage, ob Orbans Partei Fidesz weiter Teil der EVP bleiben könne. Weber betonte, es gehe keineswegs um einen Ost-West-Konflikt oder um Migrationspolitik, sondern um Werte, die die EVP und die EU ausmachten.
Wer verteidigt hier „Werte“?
Man fasst es nicht! Weber spricht doch tatsächlich – wohlgemerkt zur Unterstützung der Rausschmissaktion gegen Orbán – von „Werten“. Wer hat denn unsere tradierten Werte über Bord geworfen und das christliche Erbe Europas verraten? Orbán gewiss nicht! Nein, er ist ein glühender Verfechter und Verteidiger dieser Werte, die in Ungarn noch gepflegt, im sozialistischen Einheitseuropa aus EVP und Sozis jedoch mit Füßen getreten werden (siehe auch: https://conservo.wordpress.com/2019/03/03/orbans-gegner-blamiert-ungarns-wirtschaft-waechst-schon-das-siebte-jahr/).
Es hat allerdings fast den Anschein, als sei Weber inzwischen etwas nachdenklicher geworden. Denn er schob wenig später einen bemerkenswerten Satz zum möglichen Orbán-Rauswurf hinterher: „Wird dann Europa an dem Tag danach besser sein?“ Der Unionspolitiker betonte: „Jede Partei in Europa hat doch ihre Sorgenkinder.“ Und attestierte weiter: „Wir haben zu viel Hochnäsigkeit von unserer Seite gegenüber Mittel- und Osteuropa.“ Man müsse lernen, einander zuzuhören und aufeinander zuzugehen. „Wir leben heute im Europa von Kaczyński, der gewählt ist. Wir leben im Europa von Orbán, der gewählt ist.“ (siehe: https://www.t‑online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_85384164/tv-kritik-anne-will-dann-ist-orban-nicht-mehr-zu-halten-.html)
Parlamentspräsident Antonio Tajani hat sich inzwischen für neutral erklärt und gleichzeitig seine Ablehnung gegenüber dem Rauswurf deutlich gemacht.
Tajani ist gegen einen Ausschluss der ungarischen Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban aus der Europäischen Volkspartei (EVP). „Viktor Orban führt Wahlkampf“, sagte der Italiener, dessen Partei Forza Italia ebenfalls zur EVP gehört, den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Wochenende. Über Orbans Kampagne gebe es „eine Debatte zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der christdemokratischen Parteienfamilie“. Als Präsident des EU-Parlaments verhalte er sich dazu „neutral.“
Tajani wies darauf hin, dass sich nur zwölf EVP-Mitgliedsparteien aus neun EU-Staaten dafür ausgesprochen hätten, die Mitgliedschaft von Fidesz zu beenden oder auszusetzen. „Forza Italia gehört nicht dazu.“ Die graue Eminenz der Forza Italia, Berlusconi, versicherte inzwischen ebenso, dass seine Partei gegen den Ausschluss der Fidesz aus der EVP stimmen werde.
Mittlerweile haben 13 Mitgliedsparteien ans EVP-Präsidium geschrieben, die die Aussetzung der Fidesz-Mitgliedschaft oder den Ausschluss aus der Parteienfamilie fordern, sagte eine EVP-Sprecherin am Freitag (8.3.) der Deutschen Presse-Agentur.
Vergangene Woche waren es noch 12 gewesen. Nach Angaben der Sprecherin stammen die Briefe von zwei Parteien aus Belgien, je einer aus Luxemburg und den Niederlanden sowie je zwei aus Schweden und Portugal. Zudem haben sich Parteien aus Finnland, Griechenland, Litauen und Norwegen ans EVP-Präsidium gewandt. Zuletzt kam nun ein Schreiben der Demokraten für ein starkes Bulgarien hinzu. (Anmerkung: Die Europäische Volkspartei (EVP) stimmt am 20. März über den Verbleib der ungarischen Regierungspartei Fidesz im konservativen Parteienverbund ab.)
Orbán kompromisswillig: Fristgerechte Antwort Ungarns an die EU-Kommission
Ungarn hat am Freitag (8.3.19) auf über hundert Seiten seine Antwort auf die Vorhaltungen der EU-Kommission eingereicht. Diese hatte behauptet, diverse ungarische Gesetze verstießen gegen die EU-Verträge.
Fristgerecht hat die ungarische Regierung am Freitag auf Briefe aus Brüssel geantwortet, mit denen die EU-Kommission vor einem Monat drei Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte. Laut einem hohen ungarischen Beamten in Brüssel umfasst die Stellungnahme mehr als hundert Seiten. Sie enthalte Vorschläge für Änderungen an den beanstandeten Gesetzen, aber auch Klärungen und Begründungen, die aus ungarischer Sicht die Bedenken Brüssels zerstreuen sollten.
Gewichtige Bedenken
Die EU-Kommission ist die Wahrerin der EU-Verträge und leitet routinemässig viele Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedsländer ein. Finden die Kommission und das jeweilige Land keine Einigung, muss schließlich der Europäische Gerichtshof entscheiden. Die Verfahren gegen Ungarn sind insofern ungewöhnlich, als sie gleich drei Kernelemente eines Rechtsstaates betreffen: die Unabhängigkeit von Institutionen wie der Nationalbank, der Datenschutz-Behörde und der Justiz.
Die Antwort Ungarns ist nicht öffentlich, doch ist aus ungarischen Quellen in Brüssel zu vernehmen, die Regierung Orban in Budapest biete Konzessionen an. Demnach hat sich Ungarn bereit erklärt, jenen Artikel zu streichen, der die Fusionierung der Zentralbank mit der Finanzaufsichtsbehörde erlaubt. Ebenso ist die Regierung gewillt, auf einen Sitz im beschlussfassenden Gremium der Nationalbank zu verzichten. Diese Konstellation entspreche zwar ungarischer Tradition, und der Regierungsvertreter habe ohnehin kein Stimmrecht, doch vermöge Ungarn in dieser Sache der Kommission zu folgen.
Darüber hinaus hat Orban aber auch einen nicht bekannten Entwurf zur Nachbesserung der Gesetze unterbreitet. Ungarn wird nichts unternehmen, ehe die Kommission nicht die umfangreiche Antwort auf ihre Vorhaltungen geprüft und gewogen hat.
Bleibt zu fragen, wo eigentlich die Betonköpfe sitzen: in Brüssel oder in Budapest. Und eines darf man jetzt schon voraussagen: Am Tag nach der EP-Wahl haben Europas linksvereinigte Parteien heftige Kopfschmerzen, derweil die Konservativen Grund genug zum Feiern haben dürften.