Gestatten? Ich bin das Jugendamt.
Ich werde dir nun ein bisschen etwas erklären, denn es betrifft auch dich. Ich bin so frei, dich in diesem Artikel einfach zu duzen. Falls du mich noch nicht persönlich kennst, könnte das schon sehr bald der Fall sein. Ich gebe mein Bestes, auch dir meine Hilfe zuteil werden zu lassen. Sehr wahrscheinlich brauchst du nämlich Hilfe, du weißt es nur vielleicht noch nicht. Aber darauf kommen wir später zu sprechen.
Zuerst möchte ich betonen, dass ich lange überlegt habe, welche Überschrift ich für meinen Artikel wähle. Ich muss sagen, ich finde sie nun ganz passend. Mit meinem Konzept laufen meine Geschäfte glänzend, ich habe sozusagen mit meinem Businessplan den perfekten Coup gelandet. Eigentlich so ähnlich wie Monsanto, geradezu genial. Da ich auf deine Mitwirkung angewiesen und auch ein wenig stolz auf meine Errungenschaften bin, gebe ich dir einmal einen kleinen Einblick, wer ich bin und was ich so mache, um Gewinn zu erzielen.
Vielleicht möchtest du dich ja sogar bewerben oder kannst das eine oder andere Kind beisteuern?
Viel Spaß beim Lesen und hoffentlich bis ganz bald,
Dein Jugendamt.
Ich bin das Jugendamt und spreche meine eigene Sprache
Bisher war so ziemlich jeder scheinbar begeistert von meinem Wortschatz. Wer mich besucht, lernt diese Sprache ziemlich schnell und spricht sie bald fließend. Es handelt sich um eine ganz spezielle Mischung aus Alt- und Neusprech. Damit du meinen Ausführungen folgen kannst, führe dir doch bitte eben meine kleine Vokabelliste zu Gemüte.
Kleiner Grundwortschatz Jugendamt
- Fall – Eltern, Kind, Menschen
- Kindeswohl – Keine Ahnung
- Kindeswohlgefährdung – Kann vieles bedeuten, zieht aber eine Inobhutnahme nach sich
- Inobhutnahme – Kind wegnehmen
- Kooperation – Gehorsam und Mitwirkung durch Eltern an unseren Geschäften
- Hochstrittigkeit – Ein Zustand zwischen getrennten Elternteilen, der eine Herausnahme der gemeinsamen Kinder unbedingt erforderlich macht
- Hilfeplan – Ein Vertrag, den wir unsere Kunden unterschreiben lassen, um sie langfristig zu binden
- Gefährdungsmeldung – Das Zeichen für uns, in die Privatsphäre von Familien einzudringen
- Erziehungsfähigkeit – Je nach Fall legen wir die Wortbedeutung flexibel fest
- Zur Ruhe kommen lassen – Kontaktabbruch zwischen Eltern und anderen Bezugspersonen und Kind
- Schweigepflichtsentbindung – erzwungene Einwilligung zum Ausspionieren sämtlicher Privatsphäre
Ich bin das Jugendamt und mein eigener Boss
Mein Unternehmen heißt „Jugendamt“, weil ich diesen Firmennamen einfach klasse finde. Er ist medienwirksam und schafft Vertrauen und Respekt, ja, sogar Ehrfurcht. Schließlich suggeriert das Wort Amt ja, dass ich eine Bundesbehörde bin und eine entsprechende Rechtsaufsicht besteht. Wäre ich das tatsächlich, müsste ich mich aber ständig rechtfertigen und kontrollieren lassen. Hätte ich daran Interesse, wäre ich aber kein erfolgreiches Unternehmen geworden, sondern einfach Mutter oder Vater. Außerdem: Glaubst du, ich hätte Lust auf Amtshaftung?
Mir reicht es jedenfalls, wenn ich so heiße, ohne mich unnötigen Risiken auszusetzen. Ich überlasse jedem Landkreis und jeder Kommunalverwaltung selbst, was in deren Revier geschieht, wie ich genannt werde und wie die Filiale geführt wird. Meine Leute haben immer kreative Namensideen, wie zum Beispiel:
- Amt für Kinder, Jugend und Familie
- Amt für Jugend und Soziales
- Fachbereich Jugend
- ASD – Allgemeiner Sozialer Dienst
Meine Leute, das sind auf der einen Seite die Damen und Herren aus der Verwaltung und auf der anderen die Herrschaften vom Jugendhilfeausschuss. Hier sitzen ein paar Fachleute (meist Abgesandte von freien Trägern der Jugendhilfe) zusammen mit Mitgliedern, die vom Kreistag bzw. Stadtrat bestimmt wurden. Den jeweiligen Landrat oder Bürgermeister ernenne ich zum Filialleiter und übergebe ihm die Fach- und Dienstaufsicht. Irgendwer muss sich ja auch mit den Beschwerden herumplagen, die an unser Unternehmen herangetragen werden.
Ich habe ungefähr 600 Standorte in Deutschland und es ist immer wieder interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Teams ihren Job interpretieren und umsetzen. Der Auftrag lautet, siehe SGB VIII: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“.
Um die Kreativität und auch die Autorität meiner Mitarbeiter im Arbeitsalltag nicht zu bremsen, habe ich auf die Gründung eines Bundesjugendamts verzichtet. Ich hasse Kontrollen und vertraue einfach darauf: Die werden schon machen.
Ich bin das Jugendamt und meine Haupteinnahmequelle ist die Inobhutnahme
Ich habe wirklich viel zu tun und möchte dir jetzt nicht alle Teilbereichte aufzählen, um die ich mich kümmere. Bildung und der gesamte Kita-Kram gehören natürlich dazu, aber die Kinder- und Jugendhilfe ist ein unglaublich umfangreiches Business.
Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die lukrativsten Tätigkeitsgebiete, und zwar nennen sie sich:
- Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren
- Beistandschaft, Pflegschaft, Vormundschaft
- Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und Einrichtungen
- Inobhutnahme (oder auch: Vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen)
Bitte nimm die Floskel „vorläufige Maßnahmen“ im letzten Stichpunkt nicht allzu wörtlich. Das sagt man nur so, aber dauert oftmals viele Jahre. Ich habe diesen Begriff so gewählt, um zu unterstreichen, dass es verdammt eilt. Eigentlich eilt es immer nur dann, wenn ich ein Kind aus seiner Familie holen möchte. Das mache ich, wann immer es mir beliebt, also meist, wenn ein Heimplatz zu belegen ist.
Ich benutze dann gern den § 1666, der mir erlaubt, mir ohne richterlichen Beschluss ein Kind (manchmal auch gleich mehrere) zu greifen und zu platzieren, wo es gerade gebraucht wird. Einen Beschluss kann mir der Richter dann einfach später ausstellen, das ist weder für ihn eine große Sache, noch für mich.
Der Richter ist übrigens sowieso mein Freund. Wir pflegen eine gute Zusammenarbeit und profitieren voneinander. Die meisten Eltern klagen sofort, weil sie unser Eingreifen nicht einsehen. Wunderbar, denn dann kann das große Geldverdienen beginnen. Die betroffenen Kinder bekommen einen Verfahrenspfleger, der in aller Regel aus unserem gemeinsamen Bekanntenkreis stammt und nicht schlecht verdient.
Ein Gutachter wird bestellt, was dazu dient, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Wenn wir den Eltern Umgang gewähren – manchmal tun wir das ein paar Verhandlungen später – dann setzen wir einen Umgangspfleger ein. Je mehr Personen involviert sind, desto besser. Nach verrichteter Arbeit sitzt man abends manchmal zusammen und bespricht das weitere Vorgehen. Dabei fühlt man sich wie ein Drehbuchautor!
Der Anwalt der nichts ahnenden und völlig verzweifelten Eltern ist in unserer Runde eine feste Größe, wenn er unser Vorhaben unterstützt, so lange wie möglich und so viel wie möglich an jedem der Fälle zu verdienen. Das dauert, je nach psychischer und finanzieller Verfassung der Eltern, manchmal viele Jahre (wozu gibt es schließlich Beschwerdeinstanzen und Gegengutachten?).
Es ist für meinen gesamten Freundeskreis eine Win-Win-Situation, denn jedem der beteiligten Kollegen ist finanzieller Wohlstand und der sichere Arbeitsplatz für die gesamte Dauer der Inobhutnahme gewiss. Ist der kämpfende und inzwischen entsorgte Elternteil am Ende seiner Kräfte, wird ein gut funktionierender Anwalt ihn motivieren, ein nächstes Verfahren anzufangen. Das lohnt sich auch bei sozial Schwachen, denn es gibt ja bei Bedarf Prozesskostenhilfe. Nun denkst du sicher, ich wäre nicht ganz bei Trost, wenn ich meinem Widersacher durch diese Finanzspritze stärke und meine eigene Position schwäche. Das gehört jedoch zum Plan, denn du darfst nicht vergessen: Dieses vermeintliche Präsent stammt nicht aus meiner Tasche, sondern aus dem Steuertopf.
So halten wir zusammen das System am Laufen. Kein Fremder kann es sehen, denn alle Verhandlungen in Kindschafts- und Familiensachen sind nicht öffentlich. Muckt ein Betroffener auf und wird uns gefährlich, haben wir das beste und wirksamste aller Mittel in der Hand, um für Ruhe und Folgsamkeit zu sorgen, nämlich das eigene Kind.
Ich bin das Jugendamt und generiere mein Einkommen aus Geschäften mit den freien Trägern und anderen hilfsbereiten Menschen
Du erinnerst dich? Die sogenannten freien Träger sitzen im Jugendhilfeausschuss. Sie sind Mitglieder der AWO, Diakonie, Caritas und anderen bekannten und weniger bekannten Verbänden. Viele der Träger sind kirchlich, andere privat. Erfreulich ist für alle, dass sie im Jugendhilfeausschuss Einfluss auf die Entscheidungen nehmen können, die dann nur noch von der Verwaltung umgesetzt werden müssen. Harmonie pur und das beste Arbeitsklima, das du dir vorstellen kannst, denn alle sitzen an einem Tisch und im selben Boot.
Die Wohltäter schanzen sich also selbst ihre Aufträge zu und sind dabei hochmotiviert, denn natürlich brauchen sie alle Geld. Ich könnte jetzt nicht beschwören, dass meine Beamten nicht manchmal versehentlich eine kleine Nebentätigkeit bei einem der freien Wohlfahrtsträger inne haben. Dagegen spricht ja auch nichts, oder?
Am meisten verdienen die Heime an stationärer Unterbringung der Klienten, also der Kinder und Jugendlichen. Ähnlich wie Hotels sind leere Betten ein Minusgeschäft. Bekommen die Einrichtungen die begehrte Ware „Kind“, rechnen sie einen Tagessatz bei mir ab. Die genaue Höhe variiert, aber um die 6000 Euro pro Monat sind ein guter Mittelwert.
Ich habe weder Zeit noch Muße, um ständig zu kontrollieren, ob alle Leistungen, die ich bezahle, tatsächlich erbracht werden. Ich gehe aber davon aus, von ein paar Ausrutschern einmal abgesehen. Am Ende ist es irgendwie ja auch egal, erstens sind es ja schließlich Wohlfahrtsverbände und zweitens ist es nicht mein Geld.
Wenn alle Heimplätze belegt sind, macht das gar nichts. Bei mir bewerben sich viele Pflegeeltern, an die ich die Arbeit delegieren kann. Viele freuen sich sehr, mir helfen zu dürfen und ihr eigenes Einkommen durch die Aufnahme von Kindern steuerfrei aufzubessern. Manche von ihnen würden diesen „Job“ wahrscheinlich sogar kostenlos verrichten, da sie kinderlos sind und sich sehnlichst Nachwuchs wünschen. Trotzdem zahle ich sehr gern eine Aufwandsentschädigung in Höhe von rund 1000 Euro pro Kind und Monat.
Für die Pflegeeltern ist das wesentlich einfacher als ein Adoptionsverfahren. Außerdem freuen sich viele meiner Helfer, dass sie ein ganz frisch geborenes Baby bekommen, wenn ich so umsichtig bin, einer werdenden Mutter noch vor der Geburt des ersten Kindes eine mutmaßlich zu erwartende Kindeswohlgefährdung zu unterstellen.
Ich bin das Jugendamt und meine Branche boomt
Im Jahre 2017 gab es 61.400 Inobhutnahmen in Deutschland. Ich weiß, hohe Zahlen sind manchmal etwas abstrakt und du kannst dir nicht so richtig vorstellen, wieviele Kinder das sind. Also, auf einen Tag gerechnet sind das mehr als 168 Kinder und Jugendliche. Stelle dir einfach fünf große Schulbusse voll vor, damit du ein Bild vor Augen hast.
Das Statistische Bundesamt untertreibt da sogar etwas, muss ich dazu sagen, denn der Einfachheit halber wird nur ein Fall erfasst, wenn es sich um Geschwisterkinder handelt. Ich kümmere mich um zahlreiche Familien mit mehreren Kindern, deshalb stelle dir doch besser gleich sechs oder mehr Busse vor. Fleißig, oder?
Ich bin auf die Zahlen für 2018 gespannt, die momentan noch nicht vorliegen. Ich kann schonmal versprechen, es war ebenfalls ein gutes Geschäftsjahr, denn auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wollen betreut werden. Okay, ich gebe zu, dass sie manchmal nicht besonders lange in meiner Obhut bleiben und irgendwie abhanden kommen. Wohin, das kann ich nicht sagen. Vielleicht mal ins Internt schauen? Aber papperlapapp, das ist ja nun erstmal nicht so wichtig.
Ich bitte dich hiermit darum, diskret zu sein und keine unangenehmen Fragen zu stellen. Ich erzähle dir das hier alles im Vertrauen und bin nicht sehr gut auf Kritik zu sprechen.
Ich bin das Jugendamt und absolut gesetzestreu
Ich könnte dir jetzt alle Paragraphen aufzählen, nach denen ich arbeite. Das sind jedoch so viele, dass es dich wahrscheinlich langweilen würde. Genau wie mich! Wichtig ist doch im Grunde nur folgender Fakt:
Ich brauche (erst einmal) nicht unbedingt einen Beschluss, wenn ich Kinder abhole. Nach § 8 a Absatz 2 SGB VIII habe ich jedes Recht dazu, wenn eine dringende Gefahr für das Kindeswohl vorliegt. Es kostet mich einen Anruf bei der Polizei und die drei magischen Worte „Gefahr in Verzug“ und schon habe ich Unterstützer für die Durchführung an meiner Seite.
Um zu entscheiden, welche Eltern eine Gefahr für ihre Kinder sind, habe ich „Frühwarnsysteme“ entwickelt. Am liebsten verbinde ich das Angenehme mit dem Nützlichen und erteile den Eltern eine Lektion, die sowieso keiner mag. Um der Öffentlichkeit begreiflich zu machen, dass es sich hierbei eben nicht ausschließlich um die sogenannten sozial schwachen Familien aus irgendwelchen Brennpunkten handelt, überrasche ich außerdem auch Akademiker.
Ich warte ab, ob Beschwerde durch die (ehemals) Erziehungsberechtigten eingereicht wird und lasse einstweilen gemütlich durch den Familienrichter das Sorgerecht ganz oder teilweise entziehen.
Danach strenge ich ein Hilfeplanverfahren an, während sich Dritte um das Kind kümmern und die Zeit ins Land geht. Du weißt ja, Zeit ist Geld. Was die Gesetze sagen, spielt erst einmal keine große Rolle. Viel wichtiger ist doch, was das Umfeld der entsorgten Familien sagt. Über Kurz oder lang ist das meist das Mantra: „Wenn das Jugendamt ein Kind wegnimmt, dann MUSS ja irgendetwas sein“.
Ich bin das Jugendamt und expandiere immer weiter
Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie clever es ist, mit der Ware Kind zu handeln. Es handelt sich um einen nachwachsenden Rohstoff. Ich nehme mich auch der unbegleiteten Flüchtlinge fürsorglich an.
Zudem habe ich die zuverlässigsten Lieferanten und Hinweisgeber. Erzieher, Lehrer, Ärzte, wachsame Bürger, von überall bekomme ich inzwischen anonyme Hinweise. Außerdem werde ich sofort automatisch involviert, wenn Eltern im Begriff sind, sich scheiden zu lassen.
Auch, wenn du irgendwo gehört oder gelesen hast, dass ich unter Personal- und Geldmangel leide, mache dir keine Sorgen. Es mag sein, dass direkt bei mir im Amt die Personalsituation etwas dürftig ausfällt und dazu auch noch der Krankenstand recht hoch ist.
Der Rest jedoch gehört zum Marketing, dazu sage ich später noch mehr. Nur so viel an dieser Stelle: Meine freien Träger freuen sich natürlich immer über mitleidige Spender, das erhöht den Profit noch einmal. Insgesamt läuft es absolut prima und trotz unserer Überforderung steigen die Zahlen der Inobhutnahmen unaufhörlich. Ich habe immer schwarze Zahlen geschrieben, schreibe jetzt schwarze Zahlen und habe auch zukünftig nicht vor, daran etwas zu ändern.
Ich bin das Jugendamt und ein Global Player meiner Branche
Es gibt keine Definition dafür, ab wann sich ein Unternehmen als Global Player bezeichnen kann. Da ich aber ohnehin mit Kaugummi-Begriffen jongliere (siehe Vokabelliste), benutze ich diesen ruhmreichen Titel.
Du kannst es dir so vorstellen: In Deutschand habe ich eigentlich überall in irgendeiner Form die Daumen drauf, wenn ein Wort mit „Kinder“, „Kindes-“ oder „Jugend“ oder „Erziehungs-“ beginnt. Kinderhilfe, Kinderheim, Kindergarten, Kindesunterhalt, Jugendwohngruppe, Jugendhilfe, Jugendstraßensozialarbeit, Erziehungsberatung … Na gut, Kinderschnitzel, Erziehungshalsband und Jugendstil vielleicht nicht.
Ich betreibe eine Symbiose mit vielen der einflussreichsten Industriezweige, also beispielsweise der Pharma-Industrie, natürlich dem Familiengericht und den freien Trägern der freien Jugendhilfe. Diese haben manchmal tolle Ideen, die wir auch international verwirklichen. Wir exportieren unsere Schutzbefohlenen ins Ausland und handeln international. Wir nennen es „erlebnispädagogische Maßnahmen“, wenn wir diese Geschäftsbeziehungen nach Rumänien, ganz Europa und sogar nach Sibirien unterhalten. Klappt prima!
Ich bin das Jugendamt und meine Marketingstrategie ist genial
Nur ein Trottel würde bei meiner Art von Geschäft sagen, dass es sich um ein Geschäft mit Gewinnabsicht handelt. Ich bin kein Trottel und nenne es deshalb „Kinder- und JugendHILFE“. Hier und da behaupten böse Zungen, es sei „Kinderklau“, was ich betreibe und es seien mafiöse Strukturen zu erkennen.
Ich finde es übrigens nicht schlecht, dass ausgerechnet „Kinderklau“ als Begriff benutzt wird. Es klingt nicht besonders intelligent und überhaupt nicht logisch. Wozu sollte jemand Kinder klauen? Kinder kosten doch so viel Geld! Das nur am Rande. Ich bestreite jedenfalls vehement, dass ich Kinder klaue. Ich klaue sie nicht, ich schütze sie ja nur. Ich helfe. An Hilfe kann doch nichts verkehrt sein, nicht wahr?
Du erinnerst dich an den Fall Kevin? Sicher tust du das, denn die Medien haben es groß verbreitet. So, wie sie im Laufe der vergangenen Jahre viele andere tragische Schicksale von toten Kindern, zum Skelett abgemagert, gefunden in Gefriertruhen und Blumenkübeln, berichtet haben. Immer waren wir involviert, aber wir leiden unter Personalmangel. Wir haben ungefähr 800.000 Mitarbeiter deutschlandweit, aber wie du weißt, es reicht einfach nicht. Wir brauchen mehr Kontrolle, mehr Jugendamt! Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig eingreifen, lautet der Slogan.
Auch du bist gefragt. Bitte sei wachsam, schau in Nachbar´s Hausflur, melde jeden Verdacht. Melde Eltern, wenn du sie nicht leiden kannst, wir sind für anonyme Tipps dankbar und es wird nicht auf dich zurückfallen. Denke nicht, du seist dann ein Denunziant. Nein, ein Held bist du dann!
Ich bin sicher, auch du möchtest dir keinen Kevin auf dein Karmakonto schreiben. Vielleicht hast du aber auch Lust, dein Gewissen zu beruhigen, indem du an einen der freien Träger spendest. Ich wiederhole, die Plätze und das Geld sind knapp, aber ich wachse immer weiter über mich hinaus und nehme in Obhut, so viel ich kann. Was das alles mit Marketing zu tun hat, wirst du schon herausfinden – wenn du es willst.
Ich bin das Jugendamt und meine Finanzierung steht
Weißt du, worauf ich besonders stolz bin? Kaum jemand durchschaut meine Strategie. Es ist geradezu exzellent, dass die Mehrheit der Menschen mich immerzu mitleidig beäugt oder mir und meinen Mitarbeitern Spenden zukommen lässt. Ich muss dann immer ein wenig lachen, denn: Ihr bezahlt das doch sowieso alles selbst!
Wir tun nichts, als uns aus dem Steuertopf zu bedienen und die Gelder zwischen allen Mitwirkenden aufzuteilen. Natürlich würde das Geld reichen, um mich vor Ort, in ihren Familien, um die Kleinen zu kümmern. Genau das sagt ja auch das Bundesverfassungsgericht. Herausnahme des Kindes sei immer nur das letzte Mittel, wenn alle anderen Maßnahmen gescheitert sind. Blabla! Wollen die denn nicht verstehen, dass wir mit unserer stationären Hilfe viel mehr Gewinn einfahren?
Ich bin das Jugendamt und wenn du Kinder hast, besuche ich dich vielleicht bald
Ich denke, du hast dir nun einen ersten Eindruck verschaffen können, wer ich bin und womit ich mein Geld verdiene. Ich hoffe, du bist mit allem einverstanden und fängst nicht an zu recherchieren.
Von diesen unangenehmen Zeitgenossen und Hinterfragern, die dann am Ende noch geschäftsschädigende Äußerungen machen, ihre verleumderischen Videos auf YouTube und anderen Kanälen veröffentlichen, bin ich einfach nur genervt. Im Moment nervt es nur ein wenig und auch die restliche Welt außerhalb Deutschlands hat mich schon der Menschenrechtsverletzung beschuldigt, aber im Moment fühle ich mich noch ziemlich sicher.
Du möchtest doch sicher auch einmal einen Überraschungsbesuch von mir haben? Also, lieber Leser: Psssssst, bitte lasse mich in Ruhe meinen Job machen und sage später guten Gewissens, du hättest doch nichts gewusst. Es würde mich freuen, bald auch mit dir und deinen Kindern Geschäfte zu machen.
Also, nochmals liebe Grüße und auf ein baldiges Kennenlernen!
Dein Jugendamt