Kinder- und Jugend­hilfe in Deutschland – Ein kri­sen­si­cheres Geschäftsmodell

Gestatten? Ich bin das Jugendamt.

Ich werde dir nun ein bisschen etwas erklären, denn es betrifft auch dich. Ich bin so frei, dich in diesem Artikel einfach zu duzen. Falls du mich noch nicht per­sönlich kennst, könnte das schon sehr bald der Fall sein. Ich gebe mein Bestes, auch dir meine Hilfe zuteil werden zu lassen. Sehr wahr­scheinlich brauchst du nämlich Hilfe, du weißt es nur viel­leicht noch nicht. Aber darauf kommen wir später zu sprechen.

Zuerst möchte ich betonen, dass ich lange überlegt habe, welche Über­schrift ich für meinen Artikel wähle. Ich muss sagen, ich finde sie nun ganz passend. Mit meinem Konzept laufen meine Geschäfte glänzend, ich habe sozu­sagen mit meinem Busi­nessplan den per­fekten Coup gelandet. Eigentlich so ähnlich wie Monsanto, geradezu genial. Da ich auf deine Mit­wirkung ange­wiesen und auch ein wenig stolz auf meine Errun­gen­schaften bin, gebe ich dir einmal einen kleinen Ein­blick, wer ich bin und was ich so mache, um Gewinn zu erzielen.

Viel­leicht möchtest du dich ja sogar bewerben oder kannst das eine oder andere Kind beisteuern?
Viel Spaß beim Lesen und hof­fentlich bis ganz bald,
Dein Jugendamt.

 

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Ich bin das Jugendamt und spreche meine eigene Sprache

Bisher war so ziemlich jeder scheinbar begeistert von meinem Wort­schatz. Wer mich besucht, lernt diese Sprache ziemlich schnell und spricht sie bald fließend. Es handelt sich um eine ganz spe­zielle Mischung aus Alt- und Neu­sprech. Damit du meinen Aus­füh­rungen folgen kannst, führe dir doch bitte eben meine kleine Voka­bel­liste zu Gemüte.

Kleiner Grund­wort­schatz Jugendamt

  • Fall – Eltern, Kind, Menschen
  • Kin­deswohl – Keine Ahnung
  • Kin­des­wohl­ge­fährdung – Kann vieles bedeuten, zieht aber eine Inob­hut­nahme nach sich
  • Inob­hut­nahme – Kind wegnehmen
  • Koope­ration – Gehorsam und Mit­wirkung durch Eltern an unseren Geschäften
  • Hoch­strit­tigkeit – Ein Zustand zwi­schen getrennten Eltern­teilen, der eine Her­aus­nahme der gemein­samen Kinder unbe­dingt erfor­derlich macht
  • Hil­feplan – Ein Vertrag, den wir unsere Kunden unter­schreiben lassen, um sie lang­fristig zu binden
  • Gefähr­dungs­meldung – Das Zeichen für uns, in die Pri­vat­sphäre von Familien einzudringen
  • Erzie­hungs­fä­higkeit – Je nach Fall legen wir die Wort­be­deutung fle­xibel fest
  • Zur Ruhe kommen lassen – Kon­takt­ab­bruch zwi­schen Eltern und anderen Bezugs­per­sonen und Kind
  • Schwei­ge­pflichtsent­bindung – erzwungene Ein­wil­ligung zum Aus­spio­nieren sämt­licher Privatsphäre

Ich bin das Jugendamt und mein eigener Boss

Mein Unter­nehmen heißt „Jugendamt“, weil ich diesen Fir­men­namen einfach klasse finde. Er ist medi­en­wirksam und schafft Ver­trauen und Respekt, ja, sogar Ehr­furcht. Schließlich sug­ge­riert das Wort Amt ja, dass ich eine Bun­des­be­hörde bin und eine ent­spre­chende Rechts­auf­sicht besteht. Wäre ich das tat­sächlich, müsste ich mich aber ständig recht­fer­tigen und kon­trol­lieren lassen. Hätte ich daran Interesse, wäre ich aber kein erfolg­reiches Unter­nehmen geworden, sondern einfach Mutter oder Vater. Außerdem: Glaubst du, ich hätte Lust auf Amtshaftung?

Mir reicht es jeden­falls, wenn ich so heiße, ohne mich unnö­tigen Risiken aus­zu­setzen. Ich über­lasse jedem Land­kreis und jeder Kom­mu­nal­ver­waltung selbst, was in deren Revier geschieht, wie ich genannt werde und wie die Filiale geführt wird. Meine Leute haben immer kreative Namens­ideen, wie zum Beispiel:

  • Amt für Kinder, Jugend und Familie
  • Amt für Jugend und Soziales
  • Fach­be­reich Jugend
  • ASD – All­ge­meiner Sozialer Dienst

Meine Leute, das sind auf der einen Seite die Damen und Herren aus der Ver­waltung und auf der anderen die Herr­schaften vom Jugend­hil­fe­aus­schuss. Hier sitzen ein paar Fach­leute (meist Abge­sandte von freien Trägern der Jugend­hilfe) zusammen mit Mit­gliedern, die vom Kreistag bzw. Stadtrat bestimmt wurden. Den jewei­ligen Landrat oder Bür­ger­meister ernenne ich zum Fili­al­leiter und übergebe ihm die Fach- und Dienst­auf­sicht. Irgendwer muss sich ja auch mit den Beschwerden her­um­plagen, die an unser Unter­nehmen her­an­ge­tragen werden.

Ich habe ungefähr 600 Standorte in Deutschland und es ist immer wieder inter­essant zu sehen, wie unter­schiedlich die Teams ihren Job inter­pre­tieren und umsetzen. Der Auftrag lautet, siehe SGB VIII: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf För­derung seiner Ent­wicklung und auf Erziehung zu einer eigen­ver­ant­wort­lichen und gemein­schafts­fä­higen Persönlichkeit“.

Um die Krea­ti­vität und auch die Auto­rität meiner Mit­ar­beiter im Arbeits­alltag nicht zu bremsen, habe ich auf die Gründung eines Bun­des­ju­gendamts ver­zichtet. Ich hasse Kon­trollen und ver­traue einfach darauf: Die werden schon machen.

 

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Ich bin das Jugendamt und meine Haupt­ein­nah­me­quelle ist die Inobhutnahme

Ich habe wirklich viel zu tun und möchte dir jetzt nicht alle Teil­be­reichte auf­zählen, um die ich mich kümmere. Bildung und der gesamte Kita-Kram gehören natürlich dazu, aber die Kinder- und Jugend­hilfe ist ein unglaublich umfang­reiches Business.

Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die lukra­tivsten Tätig­keits­ge­biete, und zwar nennen sie sich:

  • Mit­wirkung in gericht­lichen Verfahren
  • Bei­stand­schaft, Pfleg­schaft, Vormundschaft
  • Schutz von Kindern und Jugend­lichen in Fami­li­en­pflege und Einrichtungen
  • Inob­hut­nahme (oder auch: Vor­läufige Maß­nahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen)

 

Bitte nimm die Floskel „vor­läufige Maß­nahmen“ im letzten Stich­punkt nicht allzu wörtlich. Das sagt man nur so, aber dauert oftmals viele Jahre. Ich habe diesen Begriff so gewählt, um zu unter­streichen, dass es ver­dammt eilt. Eigentlich eilt es immer nur dann, wenn ich ein Kind aus seiner Familie holen möchte. Das mache ich, wann immer es mir beliebt, also meist, wenn ein Heim­platz zu belegen ist.

Ich benutze dann gern den § 1666, der mir erlaubt, mir ohne rich­ter­lichen Beschluss ein Kind (manchmal auch gleich mehrere) zu greifen und zu plat­zieren, wo es gerade gebraucht wird. Einen Beschluss kann mir der Richter dann einfach später aus­stellen, das ist weder für ihn eine große Sache, noch für mich.

Der Richter ist übrigens sowieso mein Freund. Wir pflegen eine gute Zusam­men­arbeit und pro­fi­tieren von­ein­ander. Die meisten Eltern klagen sofort, weil sie unser Ein­greifen nicht ein­sehen. Wun­derbar, denn dann kann das große Geld­ver­dienen beginnen. Die betrof­fenen Kinder bekommen einen Ver­fah­rens­pfleger, der in aller Regel aus unserem gemein­samen Bekann­ten­kreis stammt und nicht schlecht verdient.

Ein Gut­achter wird bestellt, was dazu dient, das Ver­fahren in die Länge zu ziehen. Wenn wir den Eltern Umgang gewähren – manchmal tun wir das ein paar Ver­hand­lungen später – dann setzen wir einen Umgangs­pfleger ein. Je mehr Per­sonen invol­viert sind, desto besser. Nach ver­rich­teter Arbeit sitzt man abends manchmal zusammen und bespricht das weitere Vor­gehen. Dabei fühlt man sich wie ein Drehbuchautor!

Der Anwalt der nichts ahnenden und völlig ver­zwei­felten Eltern ist in unserer Runde eine feste Größe, wenn er unser Vor­haben unter­stützt, so lange wie möglich und so viel wie möglich an jedem der Fälle zu ver­dienen. Das dauert, je nach psy­chi­scher und finan­zi­eller Ver­fassung der Eltern, manchmal viele Jahre (wozu gibt es schließlich Beschwer­de­instanzen und Gegengutachten?).

Es ist für meinen gesamten Freun­des­kreis eine Win-Win-Situation, denn jedem der betei­ligten Kol­legen ist finan­zi­eller Wohl­stand und der sichere Arbeits­platz für die gesamte Dauer der Inob­hut­nahme gewiss. Ist der kämp­fende und inzwi­schen ent­sorgte Elternteil am Ende seiner Kräfte, wird ein gut funk­tio­nie­render Anwalt ihn moti­vieren, ein nächstes Ver­fahren anzu­fangen. Das lohnt sich auch bei sozial Schwachen, denn es gibt ja bei Bedarf Pro­zess­kos­ten­hilfe. Nun denkst du sicher, ich wäre nicht ganz bei Trost, wenn ich meinem Wider­sacher durch diese Finanz­spritze stärke und meine eigene Position schwäche. Das gehört jedoch zum Plan, denn du darfst nicht ver­gessen: Dieses ver­meint­liche Präsent stammt nicht aus meiner Tasche, sondern aus dem Steuertopf.

So halten wir zusammen das System am Laufen. Kein Fremder kann es sehen, denn alle Ver­hand­lungen in Kind­schafts- und Fami­li­en­sachen sind nicht öffentlich. Muckt ein Betrof­fener auf und wird uns gefährlich, haben wir das beste und wirk­samste aller Mittel in der Hand, um für Ruhe und Folg­samkeit zu sorgen, nämlich das eigene Kind.

Ich bin das Jugendamt und gene­riere mein Ein­kommen aus Geschäften mit den freien Trägern und anderen hilfs­be­reiten Menschen

Du erin­nerst dich? Die soge­nannten freien Träger sitzen im Jugend­hil­fe­aus­schuss. Sie sind Mit­glieder der AWO, Dia­konie, Caritas und anderen bekannten und weniger bekannten Ver­bänden. Viele der Träger sind kirchlich, andere privat. Erfreulich ist für alle, dass sie im Jugend­hil­fe­aus­schuss Ein­fluss auf die Ent­schei­dungen nehmen können, die dann nur noch von der Ver­waltung umge­setzt werden müssen. Har­monie pur und das beste Arbeits­klima, das du dir vor­stellen kannst, denn alle sitzen an einem Tisch und im selben Boot.

Die Wohl­täter schanzen sich also selbst ihre Auf­träge zu und sind dabei hoch­mo­ti­viert, denn natürlich brauchen sie alle Geld. Ich könnte jetzt nicht beschwören, dass meine Beamten nicht manchmal ver­se­hentlich eine kleine Neben­tä­tigkeit bei einem der freien Wohl­fahrts­träger inne haben. Dagegen spricht ja auch nichts, oder?

Am meisten ver­dienen die Heime an sta­tio­närer Unter­bringung der Kli­enten, also der Kinder und Jugend­lichen. Ähnlich wie Hotels sind leere Betten ein Minus­ge­schäft. Bekommen die Ein­rich­tungen die begehrte Ware „Kind“, rechnen sie einen Tagessatz bei mir ab. Die genaue Höhe variiert, aber um die 6000 Euro pro Monat sind ein guter Mittelwert.

Ich habe weder Zeit noch Muße, um ständig zu kon­trol­lieren, ob alle Leis­tungen, die ich bezahle, tat­sächlich erbracht werden. Ich gehe aber davon aus, von ein paar Aus­rut­schern einmal abge­sehen. Am Ende ist es irgendwie ja auch egal, erstens sind es ja schließlich Wohl­fahrts­ver­bände und zweitens ist es nicht mein Geld.

Wenn alle Heim­plätze belegt sind, macht das gar nichts. Bei mir bewerben sich viele Pfle­ge­eltern, an die ich die Arbeit dele­gieren kann. Viele freuen sich sehr, mir helfen zu dürfen und ihr eigenes Ein­kommen durch die Auf­nahme von Kindern steu­erfrei auf­zu­bessern. Manche von ihnen würden diesen „Job“ wahr­scheinlich sogar kos­tenlos ver­richten, da sie kin­derlos sind und sich sehn­lichst Nach­wuchs wün­schen. Trotzdem zahle ich sehr gern eine Auf­wands­ent­schä­digung in Höhe von rund 1000 Euro pro Kind und Monat.

Für die Pfle­ge­eltern ist das wesentlich ein­facher als ein Adop­ti­ons­ver­fahren. Außerdem freuen sich viele meiner Helfer, dass sie ein ganz frisch gebo­renes Baby bekommen, wenn ich so umsichtig bin, einer wer­denden Mutter noch vor der Geburt des ersten Kindes eine mut­maßlich zu erwar­tende Kin­des­wohl­ge­fährdung zu unterstellen.

 

Ich bin das Jugendamt und meine Branche boomt

Im Jahre 2017 gab es 61.400 Inob­hut­nahmen in Deutschland. Ich weiß, hohe Zahlen sind manchmal etwas abs­trakt und du kannst dir nicht so richtig vor­stellen, wie­viele Kinder das sind. Also, auf einen Tag gerechnet sind das mehr als 168 Kinder und Jugend­liche. Stelle dir einfach fünf große Schul­busse voll vor, damit du ein Bild vor Augen hast.

Das Sta­tis­tische Bun­desamt unter­treibt da sogar etwas, muss ich dazu sagen, denn der Ein­fachheit halber wird nur ein Fall erfasst, wenn es sich um Geschwis­ter­kinder handelt. Ich kümmere mich um zahl­reiche Familien mit meh­reren Kindern, deshalb stelle dir doch besser gleich sechs oder mehr Busse vor. Fleißig, oder?

Ich bin auf die Zahlen für 2018 gespannt, die momentan noch nicht vor­liegen. Ich kann schonmal ver­sprechen, es war eben­falls ein gutes Geschäftsjahr, denn auch die unbe­glei­teten min­der­jäh­rigen Flücht­linge wollen betreut werden. Okay, ich gebe zu, dass sie manchmal nicht besonders lange in meiner Obhut bleiben und irgendwie abhanden kommen. Wohin, das kann ich nicht sagen. Viel­leicht mal ins Internt schauen? Aber pap­per­lapapp, das ist ja nun erstmal nicht so wichtig.

Ich bitte dich hiermit darum, diskret zu sein und keine unan­ge­nehmen Fragen zu stellen. Ich erzähle dir das hier alles im Ver­trauen und bin nicht sehr gut auf Kritik zu sprechen.

 

Ich bin das Jugendamt und absolut gesetzestreu

Ich könnte dir jetzt alle Para­graphen auf­zählen, nach denen ich arbeite. Das sind jedoch so viele, dass es dich wahr­scheinlich lang­weilen würde. Genau wie mich! Wichtig ist doch im Grunde nur fol­gender Fakt:

Ich brauche (erst einmal) nicht unbe­dingt einen Beschluss, wenn ich Kinder abhole. Nach § 8 a Absatz 2 SGB VIII habe ich jedes Recht dazu, wenn eine drin­gende Gefahr für das Kin­deswohl vor­liegt. Es kostet mich einen Anruf bei der Polizei und die drei magi­schen Worte „Gefahr in Verzug“ und schon habe ich Unter­stützer für die Durch­führung an meiner Seite.

Um zu ent­scheiden, welche Eltern eine Gefahr für ihre Kinder sind, habe ich „Früh­warn­systeme“ ent­wi­ckelt. Am liebsten ver­binde ich das Ange­nehme mit dem Nütz­lichen und erteile den Eltern eine Lektion, die sowieso keiner mag. Um der Öffent­lichkeit begreiflich zu machen, dass es sich hierbei eben nicht aus­schließlich um die soge­nannten sozial schwachen Familien aus irgend­welchen Brenn­punkten handelt, über­rasche ich außerdem auch Akademiker.

Ich warte ab, ob Beschwerde durch die (ehemals) Erzie­hungs­be­rech­tigten ein­ge­reicht wird und lasse einst­weilen gemütlich durch den Fami­li­en­richter das Sor­ge­recht ganz oder teil­weise entziehen.

Danach strenge ich ein Hil­fe­plan­ver­fahren an, während sich Dritte um das Kind kümmern und die Zeit ins Land geht. Du weißt ja, Zeit ist Geld. Was die Gesetze sagen, spielt erst einmal keine große Rolle. Viel wich­tiger ist doch, was das Umfeld der ent­sorgten Familien sagt. Über Kurz oder lang ist das meist das Mantra: „Wenn das Jugendamt ein Kind weg­nimmt, dann MUSS ja irgend­etwas sein“.

Ich bin das Jugendamt und expan­diere immer weiter

Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie clever es ist, mit der Ware Kind zu handeln. Es handelt sich um einen nach­wach­senden Roh­stoff. Ich nehme mich auch der unbe­glei­teten Flücht­linge für­sorglich an.

Zudem habe ich die zuver­läs­sigsten Lie­fe­ranten und Hin­weis­geber. Erzieher, Lehrer, Ärzte, wachsame Bürger, von überall bekomme ich inzwi­schen anonyme Hin­weise. Außerdem werde ich sofort auto­ma­tisch invol­viert, wenn Eltern im Begriff sind, sich scheiden zu lassen.

Auch, wenn du irgendwo gehört oder gelesen hast, dass ich unter Per­sonal- und Geld­mangel leide, mache dir keine Sorgen. Es mag sein, dass direkt bei mir im Amt die Per­so­nal­si­tuation etwas dürftig aus­fällt und dazu auch noch der Kran­ken­stand recht hoch ist.

Der Rest jedoch gehört zum Mar­keting, dazu sage ich später noch mehr. Nur so viel an dieser Stelle: Meine freien Träger freuen sich natürlich immer über mit­leidige Spender, das erhöht den Profit noch einmal. Ins­gesamt läuft es absolut prima und trotz unserer Über­for­derung steigen die Zahlen der Inob­hut­nahmen unauf­hörlich. Ich habe immer schwarze Zahlen geschrieben, schreibe jetzt schwarze Zahlen und habe auch zukünftig nicht vor, daran etwas zu ändern.

 

Ich bin das Jugendamt und ein Global Player meiner Branche

Es gibt keine Defi­nition dafür, ab wann sich ein Unter­nehmen als Global Player bezeichnen kann. Da ich aber ohnehin mit Kau­gummi-Begriffen jon­gliere (siehe Voka­bel­liste), benutze ich diesen ruhm­reichen Titel.

Du kannst es dir so vor­stellen: In Deutschand habe ich eigentlich überall in irgend­einer Form die Daumen drauf, wenn ein Wort mit „Kinder“, „Kindes-“ oder „Jugend“ oder „Erzie­hungs-“ beginnt. Kin­der­hilfe, Kin­derheim, Kin­der­garten, Kin­des­un­terhalt, Jugend­wohn­gruppe, Jugend­hilfe, Jugend­stra­ßen­so­zi­al­arbeit, Erzie­hungs­be­ratung … Na gut, Kin­der­schnitzel, Erzie­hungs­halsband und Jugendstil viel­leicht nicht.

Ich betreibe eine Sym­biose mit vielen der ein­fluss­reichsten Indus­trie­zweige, also bei­spiels­weise der Pharma-Industrie, natürlich dem Fami­li­en­ge­richt und den freien Trägern der freien Jugend­hilfe. Diese haben manchmal tolle Ideen, die wir auch inter­na­tional ver­wirk­lichen. Wir expor­tieren unsere Schutz­be­foh­lenen ins Ausland und handeln inter­na­tional. Wir nennen es „erleb­nis­päd­ago­gische Maß­nahmen“, wenn wir diese Geschäfts­be­zie­hungen nach Rumänien, ganz Europa und sogar nach Sibirien unter­halten. Klappt prima!

 

Das Leid der aus ihren Familien geris­senen Kindern und der Eltern ist oft uner­meßlich und zer­stört Leben. Bild pixabay, public domain

 

Ich bin das Jugendamt und meine Mar­ke­ting­stra­tegie ist genial

Nur ein Trottel würde bei meiner Art von Geschäft sagen, dass es sich um ein Geschäft mit Gewinn­ab­sicht handelt. Ich bin kein Trottel und nenne es deshalb „Kinder- und Jugend­HILFE“. Hier und da behaupten böse Zungen, es sei „Kin­derklau“, was ich betreibe und es seien mafiöse Struk­turen zu erkennen.

Ich finde es übrigens nicht schlecht, dass aus­ge­rechnet „Kin­derklau“ als Begriff benutzt wird. Es klingt nicht besonders intel­ligent und über­haupt nicht logisch. Wozu sollte jemand Kinder klauen? Kinder kosten doch so viel Geld! Das nur am Rande. Ich bestreite jeden­falls vehement, dass ich Kinder klaue. Ich klaue sie nicht, ich schütze sie ja nur. Ich helfe. An Hilfe kann doch nichts ver­kehrt sein, nicht wahr?

Du erin­nerst dich an den Fall Kevin? Sicher tust du das, denn die Medien haben es groß ver­breitet. So, wie sie im Laufe der ver­gan­genen Jahre viele andere tra­gische Schicksale von toten Kindern, zum Skelett abge­magert, gefunden in Gefrier­truhen und Blu­men­kübeln, berichtet haben. Immer waren wir invol­viert, aber wir leiden unter Per­so­nal­mangel. Wir haben ungefähr 800.000 Mit­ar­beiter deutsch­landweit, aber wie du weißt, es reicht einfach nicht. Wir brauchen mehr Kon­trolle, mehr Jugendamt! Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig ein­greifen, lautet der Slogan.

Auch du bist gefragt. Bitte sei wachsam, schau in Nachbar´s Hausflur, melde jeden Ver­dacht. Melde Eltern, wenn du sie nicht leiden kannst, wir sind für anonyme Tipps dankbar und es wird nicht auf dich zurück­fallen. Denke nicht, du seist dann ein Denun­ziant. Nein, ein Held bist du dann!

Ich bin sicher, auch du möchtest dir keinen Kevin auf dein Kar­ma­konto schreiben. Viel­leicht hast du aber auch Lust, dein Gewissen zu beru­higen, indem du an einen der freien Träger spendest. Ich wie­derhole, die Plätze und das Geld sind knapp, aber ich wachse immer weiter über mich hinaus und nehme in Obhut, so viel ich kann. Was das alles mit Mar­keting zu tun hat, wirst du schon her­aus­finden – wenn du es willst.

 

Ich bin das Jugendamt und meine Finan­zierung steht

Weißt du, worauf ich besonders stolz bin? Kaum jemand durch­schaut meine Stra­tegie. Es ist geradezu exzellent, dass die Mehrheit der Men­schen mich immerzu mit­leidig beäugt oder mir und meinen Mit­ar­beitern Spenden zukommen lässt. Ich muss dann immer ein wenig lachen, denn: Ihr bezahlt das doch sowieso alles selbst!

Wir tun nichts, als uns aus dem Steu­ertopf zu bedienen und die Gelder zwi­schen allen Mit­wir­kenden auf­zu­teilen. Natürlich würde das Geld reichen, um mich vor Ort, in ihren Familien, um die Kleinen zu kümmern. Genau das sagt ja auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Her­aus­nahme des Kindes sei immer nur das letzte Mittel, wenn alle anderen Maß­nahmen gescheitert sind. Blabla! Wollen die denn nicht ver­stehen, dass wir mit unserer sta­tio­nären Hilfe viel mehr Gewinn einfahren?

 

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Ich bin das Jugendamt und wenn du Kinder hast, besuche ich dich viel­leicht bald

Ich denke, du hast dir nun einen ersten Ein­druck ver­schaffen können, wer ich bin und womit ich mein Geld ver­diene. Ich hoffe, du bist mit allem ein­ver­standen und fängst nicht an zu recherchieren.

Von diesen unan­ge­nehmen Zeit­ge­nossen und Hin­ter­fragern, die dann am Ende noch geschäfts­schä­di­gende Äuße­rungen machen, ihre ver­leum­de­ri­schen Videos auf YouTube und anderen Kanälen ver­öf­fent­lichen, bin ich einfach nur genervt. Im Moment nervt es nur ein wenig und auch die rest­liche Welt außerhalb Deutsch­lands hat mich schon der Men­schen­rechts­ver­letzung beschuldigt, aber im Moment fühle ich mich noch ziemlich sicher.

Du möchtest doch sicher auch einmal einen Über­ra­schungs­besuch von mir haben? Also, lieber Leser: Pss­sssst, bitte lasse mich in Ruhe meinen Job machen und sage später guten Gewissens, du hättest doch nichts gewusst. Es würde mich freuen, bald auch mit dir und deinen Kindern Geschäfte zu machen.

Also, nochmals liebe Grüße und auf ein bal­diges Kennenlernen!

Dein Jugendamt