Murray Roth­bards Phi­lo­sophie der Freiheit

In Ablehnung der Skla­verei und des inter­ven­tio­nis­ti­schen Staates als Sklavenbesitzer
(Von David Gordon)
Murray Rothbard (1926–1995) gründete seine poli­tische Phi­lo­sophie auf einer ein­fachen Erkenntnis: Skla­verei ist falsch. Prak­tisch niemand würde es wagen, diese offen­sicht­liche Wahrheit in Frage zu stellen; aber sie hat eine weit­rei­chende Bedeutung. Es ist Roth­bards allei­niger Ver­dienst, bewiesen zu haben, dass die Ablehnung der Skla­verei unwei­gerlich zu Laissez-faire-Kapi­ta­lismus ohne den geringsten Staats­ein­griff führt.
Wenn wir die Skla­verei ablehnen, sagen wir dann nicht, dass jeder Mensch Eigen­tümer seines eigenen Körpers ist? Das Unmo­ra­lische an der Skla­verei ist ja gerade, dass manche Men­schen, nämlich die Skla­ven­be­sitzer, das Recht haben, die Körper derer zu kon­trol­lieren, die sich unter ihrer Herr­schaft befinden. Die Herren dürfen den Sklaven sagen, was sie zu tun haben und sie zum Gehorsam zwingen, wenn sie sich weigern.
Man mag zunächst denken, dass dieser Stand­punkt ja wohl in der heu­tigen Gesell­schaft irrelevant ist. Der drei­zehnte Ver­fas­sungs­zusatz schaffte 1865 die Skla­verei in den USA ab. Was sollte es heute noch für eine Bedeutung haben, zu wie­der­holen, dass Skla­verei falsch ist?
Aber sind wir da nicht zu vor­eilig? Wenn das Wesen der Skla­verei in erzwun­gener Arbeit für andere besteht, so ist diese heute durchaus noch nicht ver­schwunden. Wenn Ihnen die Regierung einen Teil Ihrer Ein­künfte in Form von Steuern abnimmt, so zwingt sie Sie, für den Staat zu arbeiten. Genauso wie der Sklave nicht behalten darf, was er ver­dient, sondern es seinem Besitzer geben muss, muss auch der Steu­er­zahler einen Teil von dem, was er ver­dient, der Regierung geben. Man könnte zwar ein­wenden, dass man Steuern ver­meiden kann, indem man nicht arbeitet, aber das ist keine rea­lis­tische Alter­native. Ein System der Skla­verei, indem die Sklaven die Arbeit ver­weigern können, dafür aber auch kein Essen erhalten, ist sicher keine Ver­bes­serung gegenüber der nor­malen Sklaverei.
Und die Ein­kom­men­steuer ist bei weitem nicht der einzige Bereich, wo sich der Staat wie ein Skla­ven­be­sitzer verhält. In den Ver­ei­nigten Staaten gibt es keine Wehr­pflicht. Aber früher hat es sie gegeben, und es ist durchaus möglich, dass sie wieder ein­ge­führt wird. Sol­daten müssen selbst­ver­ständlich Befehlen gehorchen, selbst wenn sie ihr Leben dadurch gefährden.
Aber sind wir nicht trotzdem zu vor­eilig? Maß­nahmen wie die Ein­kom­men­steuer und die Wehr­pflicht sind zwar bedeu­tende Ein­griffe in unsere Freiheit, wurden jedoch von demo­kra­tisch gewählten Ver­tretern beschlossen. Wie können wir eine Demo­kratie mit einem System ver­gleichen, in dem ein Herr anderen befiehlt zu arbeiten, egal ob sie wollen oder nicht? In einer Demo­kratie kann der Ein­zelne zwar nicht tun, was er will, aber die Mehrheit bestimmt die Regeln.
Rothbard meint, dass dieser Umstand das Wesen der Skla­verei nicht beein­flusst. In einer Demo­kratie verhält sich die Mehrheit wie ein Skla­ven­be­sitzer. In dem Ausmaß, wie der Ein­zelne keine voll­ständige Kon­trolle über seinen Körper ausüben kann, ist er ein Sklave. Die Tat­sache, dass er gemeinsam mit den anderen Sklaven einen Anteil an den Ent­schei­dungen hat, ändert nichts an seiner Unfreiheit. Roth­bards Meinung nach ist Demo­kratie ein System, bei dem jeder einen Anteil an jedem besitzt. Es ist lediglich eine andere Spielart der Skla­verei. Der Ent­scheidung zwi­schen Selbst­ei­gentum oder Skla­verei ent­ziehen wir uns durch Demo­kratie nicht.
In vielen Büchern und unzäh­ligen Artikeln arbeitete Rothbard seine Ver­tei­digung des Prinzips des Selbst­ei­gentums in logi­scher, wenn auch kon­tro­verser Kon­se­quenz aus. Wenn Ihnen das Ergebnis Ihrer eigenen Arbeit gehört, können Sie nicht gegen Ihren Willen gezwungen werden, den Staat zu unter­stützen, selbst wenn sich seine Tätigkeit auf den Schutz von Rechten beschränkt – abge­sehen natürlich von den Rechten, gegen die er ver­stößt, indem er sich Mittel durch Besteuerung ver­schafft. Außerdem dürfen Men­schen in einer freien Gesell­schaft kon­kur­rie­rende Sicher­heits­agen­turen schaffen: Sicher­heits­dienst­leis­tungen müssen kein Monopol sein.
Das Prinzip des Selbst­ei­gentums als offen­sicht­liche Wahrheit dar­zu­stellen, die jeder mit gesundem Men­schen­ver­stand erkennen sollte, reichte Rothbard aller­dings nicht. Bei seiner Argu­men­tation baute Rothbard maß­geblich auf eine Tat­sache: Jeder ist de facto Herr seines eigenen Willens. Wenn ich jemand anderem gehorche, muss ich stets die Ent­scheidung treffen, das zu tun, was er mir sagt; daran ändert auch Gewalt­an­drohung sei­ner­seits nichts. Ich muss mich ent­scheiden, ob ich mich der Drohung beuge.
Man mag nun fragen, wie Rothbard zu seinen Schluss­fol­ge­rungen gelangt, selbst wenn man ihm Recht darin gibt, dass die Wil­lens­freiheit stets gegeben ist. Muss man aus der Tat­sache der Wil­lens­freiheit auto­ma­tisch zu dem ethi­schen Wert­urteil gelangen, dass jede Person als Selbst­ei­gen­tümer aner­kannt werden sollte? Oder begeht Rothbard hier den Fehler, vom „ist“ auf das „sollte“ zu schließen?
Rothbard würde gegen unseren ima­gi­nären Zweifler argu­men­tieren. Er würde zugeben, dass er von einem „ist“ zu einem „sollte“ gelangt, würde aller­dings abstreiten, dass dies ein Fehler sei. Er würde darauf bestehen, dass sich ethische Prin­zipien aus der Natur des Men­schen ableiten lassen.
Wie lässt sich dieser ethische Anspruch, der im Gegensatz zu einem Großteil der aktu­ellen phi­lo­so­phi­schen Meinung steht, begründen? Rothbard fand ein Argument von Leo Strauss, einem poli­ti­schen Phi­lo­sophen, mit dem er öfter Mei­nungs­ver­schie­den­heiten hatte, über­zeugend. Strauss hielt die Unter­scheidung von Tat­sachen und Werten David Humes und zahl­reicher seiner Nach­folger für ein rea­li­täts­fernes Kon­strukt und ver­wendete lieber eine leichter ver­ständ­liche Sprache. Nehmen wir bei­spiels­weise an, jemand drängt Sie zur Seite, während Sie an der Kino­kasse anstehen. Hat er sich nicht unver­schämt ver­halten? Das Urteil, ob er sich unver­schämt ver­halten hat oder nicht, ist nicht sub­jektiv, sondern unter­liegt objek­tiven Bewer­tungs­kri­terien. Aber „unver­schämt“ ist doch wohl ein Wert­urteil? Wie passt das zu dem angeb­lichen Gegensatz von Tat­sachen und Wert­ur­teilen? Nach Ansicht von Strauss und Rothbard sind Wert­ur­teile auch Tat­sa­chen­ur­teile. Wenn das wahr ist, stimmt es dann nicht auch, dass es gleich­zeitig eine Wert- und eine Tat­sa­chen­be­hauptung ist, dass Men­schen zum Leben bestimmte Dinge benö­tigen – auch wenn dies sehr viel kon­tro­verser ist? Rothbard zumindest behauptete dies. (Ich skiz­ziere seine Argu­mente hier nur grob – dies ist kei­nes­falls eine voll­ständige Verteidigung.)
Obwohl Roth­bards Position wohl nur von einer Min­derheit der zeit­ge­nös­si­schen, ana­ly­ti­schen Phi­lo­sophen ver­treten wird, gibt es einige füh­rende Ver­treter, die sie unter­stützen. Die ein­fluss­reiche bri­tische Phi­lo­sophin Philippa Foot ver­tritt in ihrem Werk Natural Goodness (Oxford Uni­versity Press, 2001) eine Sicht­weise des Guten, die der Roth­bards sehr ähnelt. Und selbst wenn man Roth­bards Ansichten nicht teilt und der Meinung ist, dass es eine klare Trennung zwi­schen Tat­sachen und Wert­ur­teilen gibt, bleibt Selbst­ei­gentum ein gül­tiges Prinzip für alle, die die Skla­verei ablehnen.
Pri­vat­ei­gentum
Wer das Prinzip des Selbst­ei­gentums aner­kennt, für den ist das Prinzip des Pri­vat­ei­gentums eine logische Kon­se­quenz. Jedem Men­schen gehört die eigene Arbeit. Hat er dann nicht das Recht auf alles, was er selbst schafft? Ihm dies zu ver­weigern, wäre wieder ein Rück­schritt in die Skla­verei. Es würde bedeuten, dass andere Men­schen das Recht hätten, Ihre Arbeit zu kontrollieren.

Aber wieder sieht sich Rothbard der Kritik aus­ge­setzt: Sie mögen zwar Ihre eigene Arbeit besitzen, aber das reicht kei­nes­falls aus als Recht­fer­tigung für ein Recht auf Pri­vat­ei­gentum. Schließlich erschaffen die Men­schen nicht das Land, das sie sich aneignen möchten. Aber Rothbard hat wenig Pro­bleme mit diesem Einwand. Land gehört erst einmal nie­mandem. Kein Land­stück betritt diese Welt, ver­sehen mit dem Namen eines Men­schen. Rothbard lehnt die Hypo­these der Geor­gisten ab, dass allen kol­lektiv alles Land gehört. Er schreibt in seinem großen Werk Man, Economy and State:
Einige Kri­tiker, ins­be­sondere die Anhänger von Henry George, behaupten, dass einem Men­schen zwar die eigenen Arbeit gehöre, nicht jedoch natur­ge­gebene Res­sourcen, denn es wäre ein Ver­gehen am Erbe aller Men­schen, wenn ein Ein­zelner sich solch eine ‘Gabe der Natur’ nehmen würde. Dieser Stand­punkt stellt aller­dings einen Wider­spruch an sich dar. Kein Mensch kann sich irgend­etwas aneignen, ohne dabei auch natur­ge­gebene Res­sourcen zu ver­wenden, und sei es nur das Land, auf dem er steht. … Deshalb kann kein Mensch das Eigentum an der eigenen Arbeit erlangen, ohne sich zuvor natur­ge­gebene Res­sourcen anzueignen.
Nach Roth­bards Ansicht erlangt man Eigentum, indem man seine Arbeit mit unbe­ses­senem Land ver­mischt, oder indem man es als Geschenk oder im Tausch von jemand anderem erhält. Dieser Ansatz stammt natürlich von John Locke, obwohl Rothbard ihn ohne Lockes zahl­reiche Vor­be­din­gungen akzeptiert.
Rothbard beweist großen dia­lek­ti­schen Ein­falls­reichtum, indem er Ein­wände gegen diese Theorie vor­weg­nimmt. Einer der wich­tigsten lautet, dass Locke‘sches Arbeits­ver­mi­schen die ersten Eigen­tümer unfair bevor­zugen würde. Stellen wir uns eine Gruppe Schiff­brü­chiger vor, die zu einer ein­samen Insel schwimmen. Gehört dem Ersten, der sie erreicht, nun die ganze Insel? Darf er den anderen nun den Zutritt ver­weigern, sollten sie sich weigern, für einen Sub­sis­tenzlohn für ihn zu arbeiten?
Rothbard wischt diesen Einwand mit Leich­tigkeit bei­seite, wenn er in seiner Ethik der Freiheit schreibt:
Crusoe mag sich bei seiner Ankunft auf einer großen Insel selbst­be­wusst zum ‘Eigen­tümer’ erklären. Tat­sächlich gehört ihm jedoch nur der Teil, den er besiedelt und ver­wendet. … Es ist nur erfor­derlich, das Land einmal zu ver­wenden, und es so zum Eigentum dessen zu machen, der seine Arbeit mit ihm ver­mischt und ihm seinen per­sön­lichen Stempel auf­ge­drückt hat. (Dieses Buch stellt, zusammen mit Power and Market den Haupt­beitrag Roth­bards zur poli­ti­schen Phi­lo­sophie dar.)
Jetzt können wir uns einen wei­teren Einwand vor­stellen. Nehmen wir an, Rothbard hat die Kritik der Geor­gisten und anderer erfolg­reich abge­wehrt, die behaupten, Erst­be­sitzer könnten in seinem System alle anderen als Geiseln nehmen. Ist das System nicht trotz all seiner Logik ohne jede prak­tische Bedeutung? Prak­tisch alle heu­tigen Eigen­tums­titel stammen kei­nes­falls in direkter Linie von Locke‘schen Erst­be­sitzern ab. Im Gegenteil, lassen sich viele Land­titel nicht auf gewaltsame Ent­eig­nungen zurück­ver­folgen? Würde der Versuch, Roth­bards System in die Praxis umzu­setzen, nicht sofort zu einem Krieg ver­schie­dener, mit­ein­ander im Kon­flikt ste­hender Ansprüche auf Eigen­tums­titel führen?
Wie üblich hat Rothbard den Einwand schon vor­weg­ge­nommen. Er sagt, die Beweislast liegt bei dem­je­nigen, der einen Eigen­tums­titel in Frage stellt. Wenn er den eigenen Anspruch nicht besser begründen kann, bleibt das Land beim jet­zigen Eigen­tümer. Kann das Land nicht zu einem recht­mä­ßigen Erst­be­sitzer zurück­ver­folgt werden, so sind Spe­ku­la­tionen über ihn müßig.
Aber wenn nun der Beschwer­de­führer seinen Anspruch beweisen kann? Dann ist Rothbard voll­kommen bereit, sein System kon­se­quent umzu­setzen. In einer Rothbard‘schen Welt würden sich viele Land­be­sitzer in Latein­amerika sehr viel schlechter gestellt sehen. So schreibt Rothbard in der Ethik der Freiheit:
Dort [in den Ent­wick­lungs­ländern] lassen sich ein wahrhaft freier Markt, eine wahrhaft libertäre Gesell­schaft, die sich dem Recht und Eigen­tums­rechten ver­pflichtet fühlt, nur umsetzen, indem unge­rechte, feudale Ansprüche auf Eigentum beendet werden. Aber uti­li­ta­ris­tische Öko­nomen, die über kei­nerlei Ethik oder Eigen­tums­theorie ver­fügen, bleibt nichts anderes als die Ver­tei­digung des Status Quo, den sie gerade vorfinden.
Poli­tische Phi­lo­sophie gegen Ethik
Roth­bards Buch hat einen in mancher Hin­sicht irre­füh­renden Titel. Er trennt scharf zwi­schen poli­ti­scher Phi­lo­sophie und Ethik als Ganzem, und sein Buch beschäftigt sich nur mit Ers­terem. Wenn er bei­spiels­weise vom Nicht­ag­gres­si­ons­prinzip ableitet, dass die Men­schen das Recht haben sollten, frei­willige Tausch­ge­schäfte zu tätigen, so ist seine Schluss­fol­gerung genau wie die Vor­aus­setzung Teil der poli­ti­schen Phi­lo­sophie. Er ver­sucht nicht, dar­zu­legen, dass jeder frei­willige Aus­tausch auch mora­lisch wün­schenswert ist.
Wenn Rothbard wirklich recht hat mit seiner poli­ti­schen Moral, dann ist es oft unmo­ra­lisch, unmo­ra­lische Akti­vi­täten zu ver­bieten. Das klingt unlo­gisch, aber statt die Moral zu unter­graben, wird sie so gerade ver­teidigt. Der Blick auf jeden belie­bigen Zeit­punkt der Geschichte zeigt uns, dass der Haupt­gegner der Moral der­jenige ist, den Nietzsche „das käl­teste aller kalten Monster, der Staat“ bezeichnete. Jede Doktrin, die wie die von Rothard die Rolle der Politik bei der Durch­setzung von Moral stark ein­schränkt, kann aus mora­li­scher Sicht nur begrüßt werden.
Ist Ethik nötig?
Rothbard widmet einen wesent­lichen Teil seines Buches der Kritik anderer klas­si­scher Libe­raler wie Ludwig von Mises, F.A. Hayek und Isaiah Berlin, und in einem besonders erwäh­nens­werten Abschnitt Robert Nozick.
Rothbard gibt sich viel Mühe, eine freie Gesell­schaft auf den Grund­lagen von Freiheit und Eigentum zu recht­fer­tigen, wie wir gesehen haben. Aber ist so viel Aufwand dafür über­haupt nötig? Glaubt man Roth­bards großem Mentor, Mises, dann ist das nicht der Fall. Der freie Markt lässt sich gut ver­tei­digen, ohne dabei auf kon­tro­verse ethische Annahmen zurück­zu­greifen. Es lässt sich ohne jedes Wert­urteil beweisen, dass inter­ven­tio­nis­tische Maß­nahmen, wie Min­dest­löhne, ihre selbst­ge­setzten Ziele nicht erreichen. So gelangen wir zu einer wert­ur­teils­freien Ver­tei­digung des Wider­standes gegen solche Maß­nahmen, womit die Ver­tei­digung des freien Marktes gelungen wäre. Ist das nicht genug?
Rothbard sieht das nicht so. Er weist darauf hin, das inter­ven­tio­nis­tische Maß­nahmen sehr wohl einigen Men­schen helfen, aller­dings auf Kosten anderer. Gewerk­schaften bei­spiels­weise schaffen es durchaus, für höhere Löhne für ihre Mit­glieder zu sorgen, aller­dings ver­lieren Nicht­mit­glieder durch sie oft ihren Job. Weshalb sollte man annehmen, dass dieses Ergebnis aus Sicht der Gewerk­schaft nicht wün­schenswert ist? Im Gegensatz zu der Meinung von Mises ver­fehlen Ein­griffe also nicht immer ihr Ziel. Eine wert­freie Ver­tei­digung des freien Marktes ist also nicht möglich.
Rothbard brachte seine Mei­nungs­ver­schie­denheit mit Mises zum ersten Mal 1960 in einem unver­öf­fent­lichten Kom­mentar zu Mises‘ Artikel „Epis­te­mo­lo­gi­scher Rela­ti­vismus in der Wis­sen­schaft des mensch­lichen Han­delns“ zum Aus­druck. Er for­mu­lierte seine wich­tigste Kritik kraftvoll:
Wie kann Mises wissen, welche Motive die Eta­tisten haben? Nehmen wir bei­spiels­weise an, der Preis­kon­trolleur strebt nach Macht, und ihm ist es egal, wenn Knappheit ent­steht … (oder er ist ein Nihilist und hasst alle, und will für Knappheit sorgen); ange­nommen jemand, der das Ver­mögen der Reichen beschlag­nahmt, hat eine sehr hohe Zeit­prä­ferenz, und ihm ist es egal, ob die Wirt­schaft in zwanzig Jahren zusam­men­bricht. Was dann?
Aber Rothbard distan­zierte sich nicht voll­ständig von Mises‘ Position, dass es eine Ver­tei­digung des freien Marktes geben kann, die sich nicht auf kon­tro­verse ethische Annahmen stützt. Im Gegenteil, er erwei­terte sie sogar. In Power and Market bemerkt er, dass manche Markt­ein­griffe abzu­lehnen sind, weil die zu errei­chenden Ziele logisch unmöglich sind. Wenn ein vor­ge­schla­genes, ethi­sches Ziel uner­reichbar ist, muss es rational abge­lehnt werden – dafür braucht es keine bestimmte ethische Sicht­weise, die Ver­nunft reicht dafür völlig. So schrieb er in Man, Economy and State:
Wenn gezeigt werden kann, dass ein ethi­sches Ziel wider­sprüchlich und prin­zi­piell uner­füllbar ist, ist es klar absurd und sollte nicht wei­ter­ver­folgt werden.
Ein solches unmög­liches Ziel ist die Ein­kom­mens­gleichheit. Rothbard schreibt in Power and Market:
Hier bestellen!

Ein­kom­mens­gleichheit kann es niemals geben. Man muss das Ein­kommen natürlich in realen Werten und nicht in Geldwert betrachten; ansonsten gäbe es keine echte Gleichheit. … Da jeder Mensch not­wen­di­ger­weise andere Gege­ben­heiten vor­findet, muss sich sein reales Ein­kommen auch von Gut zu Gut und von Mensch zu Mensch unter­scheiden. Es gibt keine Mög­lichkeit, ver­schiedene Güter zu kom­bi­nieren, um ein ‘Ein­kom­mens­niveau’ zu messen. Deshalb ist es ver­gebens, ein bestimmtes ‘Niveau’ erreichen zu wollen.
Der Gleichheit der Mög­lich­keiten ergeht es nicht viel besser.
Auch dies ist so bedeu­tungslos wie das gerade genannte Konzept. Wie ließen sich die Mög­lich­keiten des New Yorkers und des Inders, um Man­hattan zu segeln oder im Ganges zu schwimmen, angleichen? Die unver­meid­lichen ört­lichen Unter­schiede der Men­schen lassen jede ‘Gleichheit der Mög­lich­keiten’ unmöglich erscheinen.
Roth­bards ethi­sches System, das weit kom­plexer ist, als ich es hier ver­mocht habe dar­zu­stellen, ver­dient die Auf­merk­samkeit jeden an poli­ti­scher Phi­lo­sophie Inter­es­sierten sowie jedes Men­schen, der die Freiheit liebt.
Das Buch von Murray Rothbard “Die Ethik der Freiheit” können Sie bei uns ver­sand­kos­tenfrei bestellen! HIER KLICKEN!

Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Florian Senne. Der Ori­gi­nal­beitrag mit dem Titel Murray Rothbard’s Phi­lo­sophy of Freedom ist am 1.11.2007 auf der website der Foun­dation of Eco­nomic Edu­cation erschienen. Quelle: https://www.misesde.org/?p=21565

David Gordon ist Senior Fellow des Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama. Er ist Autor von Resur­recting Marx und An Intro­duction to Eco­nomic Reasoning, sowie Her­aus­geber zahl­reicher Bücher, unter anderem The Essential Rothbard.