Oder: von großmäuligen Brexitiers und zwergenhaften Schwarzen Löchern.
Mit dem Heraufdämmern eines zerebralen Horizonts hat die Evolution den Menschen des Paradieses beraubt, ihn damit also befähigt, zumindest seine physische Vergänglichkeit wahrzunehmen – aber auch die Begehrlichkeit nach einer zweifelhaften Hoffnung auf Zukunft in anderen Aggregatszuständen geweckt.
Diverse Sektengründer und ihre zahlreichen Nachfolger profitieren bis heute davon. Besonders die Angst vor zukünftiger Sterblichkeit aller Art lässt die Kassen klingeln, die Waffenarsenale und Verschwörungstheorien erblühen.
Selbst ein in menschlichen Augen zwergenhaftes, kürzlich erstmals „sichtbar gemachtes Schwarzes Loch“, schlappe 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, muss uns jedoch bewusst machen, dass uns die Zukunft auch „verschlucken“ könnte. Wir wissen wohl wirklich nur, dass wir nichts wissen.
In Komparation mit dem ersten wissenschaftlichen, direkten Nachweis eines Schwarzen Loches – nicht aber die Schwarzen Löcher selbst, die von ihnen angezogene Materie leuchtet – sind die eitlen Bocksprünge der postimperialen Commenwealth- Apologeten im kauzigen House of Lords und ihrer Protagonisten im Unterhaus nicht einmal ein Sturm im Wasserglas; bestenfalls wie ein Schluckauf eines schofeligen Kartoffelkäfers in Hinterpommern.
Dennoch war die Nachricht vom höchst phaszinierenden „dunklen Stern“ nur eine kurzzeitige Schlagzeile und verschwand schnell wieder hinter den Bildern von den zänkischen Abgeordneten in Westminster, oder auch dem trotzigen Grinsen von Trump.
Auch als international agierende Wissenschaftskreise angesichts der sichtbaren Silhouette eines Schwarzen Loches zu recht von einem „historischen Tag für die Astrophysik“ sprachen, – was im Vergleich zu Politikern eher selten vorkommt – regte sich kein feuerwerkendes Böllerchen, kein Jubel in den Straßen von New York oder vielleicht Worpswede; selbst Schwabing und Kreuzberg blieben in behäbiger Selbstgefälligkeit rastlos ruhig. Peking sowieso. Die sind ein bisschen beleidigt, weil die Europäer gar nicht so angetan sind von ihrem Seidenstraßen-Projekt.
Dabei wäre diese interstellare Entdeckung tatsächlich ein bestechender Grund gewesen, die Korken knallen zu lassen. Das einst höhere Säugetier aus der Ordnung der Primaten, zur Familie der Menschenaffen gehörig, das sich (Donnerwetter!) zum sogenannten homo sapiens, also zum „vernünftigen“ Menschen entwickelt hatte – worüber sich angesichts mancher Zeitgenossen natürlich trefflich streiten ließe – kann nun in die Tiefen des Kosmos schauen, über Gravitationswellen und ihre exorbitanten Geschwindigkeiten nachdenken und sich einen – zugegeben: immer noch sehr bescheidenen – Reim drauf machen! Doch die genialen Rufer in der astronomischen Wüste verdursten auf metaphorische Weise und ihre Botschaft verblasst nahezu unbetrachtet im grellen Scheinwerferlicht, wie die letzten Entwürfe des kosmisch irgendwie auch entschwundenen Karl Lagerfeld. Der tanzt nun womöglich in einem pulsierenden Quasar und lacht sich eins. Was er immer tat, schon weil er die Menschheit für so erbärmlich geschmacklos wie ungebildet hielt.
Die Zukunft ist ergo auf ihre Weise eine Angst-einflösende Tempusform. Aber statt sich des eigenen Verstandes zu bedienen, laufen selbst halbwegs besonnene Artgenossen wieder lieber Kristallkugel-Deutern und Astrolo-Predigern die Türen ein, in der Hoffnung, aus letztlich vollkommen törichten Konstellationen von Mars und Jupiter, oder sonst unschuldigem Gestirn im Dritten Haus hinter dem Mond, eine Erlösung aus ihren archaischen Ängsten zu erfahren. Auch Kim Jong-un, der böse, pseudo-sozialistische Zwerg hinter den sieben Atomhügeln von Nordkorea, soll sich durchaus gerne die Karten legen lassen.
So wie Verschwörungstheorien im 21. Jahrhundert zur fünften Erscheinungsform des Aberglaubens geworden sind, werden ihre hybriden Schauergeschichten nun zu semi-religiösen Botschaften verquirlt und mithilfe von besoffenen Schamanen ins Netz eingeschleust.
Die alltäglichen Rohrkrepierer, exemplarisch und in persona Theresa May, der Venezulaner Nicolás Madoru, oder auch Julian Assange, der in all seiner Ambivalenz nicht minder Überdruss hervorruft, sorgen tatsächlich dafür, dass die „irdische“, man kann getrost sagen: die binnenplanetare Stimmungslage schon auf diese ganz „modular“–chaotische Weise mit Angst angereichert wird.
Der berüchtigte Schwarze Humor britischer Provenienz, so dienlich er grade in diesen Tagen sein sollte, lässt allerdings in letzter Zeit sehr zu wünschen übrig. Er wird geradezu vermisst.
Stattdessen macht sich ein rätselhafter Infantilismus breit, beseelt von einem nicht minder rätselhaften Sehnen nach Pathos und Konsens und nach der Devise: „Angst essen Zukunft auf“.
Dem kommen die infernalischen Flammen im Dachgestühl von Notre Dame gerade recht. Und sofort werden Betroffenheitsadressen gesendet. Jede öffentliche Person mit halbwegs gewichtigem Mandat bekundet selbstredend auf allen sich bietenden Medien ihr „Mitgefühl“, ihre Solidarität mit dem „schwer getroffenen Paris“. Mon Dieu! Das „Gefühl, verletzt“ zu sein, breitet mit der Geschwindigkeit von Schockwellen nach Terroranschlägen aus.
Selbstverständlich! Denn wir haben – Gottlob? – mal wieder Gelegenheit zusammenzurücken, „an solch einem Tag einer Katastrophe und der Finsternis“…
Es gibt natürlich keine erklärende Rechtfertigung für diese törichte Gefühlsduselei. Davon bleibt bekanntlich kein Kunstwerk vor den Flammen verschont, kein mittelalterliches Fensterglas wird dadurch gerettet!
Das Unglück bringt einen schweren Verlust wertvollen Kulturguts, keine Frage,
und mit großer Sicherheit wird alles dafür getan, Notre Dame wieder aufzubauen. Das Bedauern darf groß sein, ja, traurig zu sein, ist auch keine Schande. Doch das Getöse der „Anteilnahme“ ist lächerlich und billig und zeigt einmal mehr, dass es für die Schaufenster-Protagonisten des grenzenlosen Absurdistan viel wichtiger ist, die Nase in eine Kamera halten zu können, als tatsächlich gemeinsam an der Lösung dringender Probleme zu arbeiten.
Doch mit bestechender Sicherheit können wir darauf warten, dass schon nach wenigen Tagen wieder die immerhin etwas betagteren – sagen wir ruhig und unbescheiden die „intergalaktischen“ – Säue durch’s planetare Dorf getrieben werden. Denn die wollen sich ja doch lieber im eigenen Zukunftsangst-Schlamm suhlen.
Beruhigend ist, dass solche Torheiten für das Schwarze Loch in der elliptischen Riesengalaxie Messier 87 (M87), an dessen Peripherie sich unsere lokale Milchstraße im weitesten Sinne „herumtreibt“, vollkommen unbedeutend und damit folgenlos sind…