Vera Lengsfeld: Fake News vom neuen Verfassungsschutzpräsidenten

Am Montag, dem 13.05. wurde im heute-journal ein Interview mit dem neuen Ver­fas­sungs­schutz­prä­si­denten Thomas Hal­denwang gesendet, das die schlimmsten Befürch­tungen, die man über den Nach­folger des geschassten Hans-Georg Maaßen haben musste, bestätigte.
Hal­denwang sieht „seit einigen Monaten“, also ver­mutlich seit seiner Amts­über­nahme, eine „neue Dynamik im Rechts­extre­mismus“. Deshalb habe er sich ent­schlossen, die Kräfte gegen Rechts­extre­mismus in seinem Amt aufzustocken.
So etwas wie der NSU dürfe „nie noch einmal pas­sieren“. Deshalb seien „wichtige Schritte ein­ge­leitet“. So weit, so banal. Wie diese „wich­tigen Schritte“ aus­sehen sollen, darüber ver­liert der oberste Ver­fas­sungs­schützer keine Silbe.
Um so wort­reicher geht er auf die Ereig­nisse des letzen Sommers in Chemnitz ein. Dort wären „wie in einem Brennglas die unter­schied­lichen Ent­wick­lungen im Rechts­extre­mismus“ zu beob­achten gewesen. Es wären „ver­schiedene rechts­ra­dikale Par­teien“ gemeinsam mit Rockern, Hoo­ligans und Reichs­bürgern unterwegs gewesen. Es wäre die „enorme Rolle“ des Internets und der Sozialen Medien sichtbar geworden. Man sei „innerhalb weniger Stunden“ zusammen gekommen. Die Chem­nitzer, die erschrocken über den Mord an einem ihrer Mit­bürger mitten in der Stadt zusam­men­kamen, werden von Hal­den­wangs Behauptung, sie wären mit Neo­nazis mar­schiert, ver­un­glimpft. Es wären Hit­ler­grüße gezeigt worden. Aller­dings war der Hitler-Grüßer, der in den Medien gezeigt wurde, ein Fan der links­ra­di­kalen RAF, wie sich bald her­aus­stellte. Außerdem posierte er für andere Kameras auch als “bester Freund“ des Ermordeten.
Der Rechts­extre­mismus, so Hal­denwang, hätte Anschluss an die bür­ger­liche Mitte gefunden. Natürlich kann er das sagen, ohne eine kri­tische Frage von seiner Inter­viewerin Marietta Slomka befürchten zu müssen. Das ganze Interview schien nur den Zweck zu haben, die fatalen Äuße­rungen aus dem Kanz­leramt zu den Vor­gängen in Chemnitz nach­träglich zu legitimieren.
Deshalb hier noch einmal der Faktencheck:
Der Behauptung Hal­den­wangs, es hätte Gewalt gegen Migranten gegeben, wider­spricht der Bericht der ermit­telnden Gene­ral­staats­an­walt­schaft Sachsen, dass ihr keine Erkennt­nisse über Hetz­jagden vor­lägen. Es stimmt, dass am Sonntag, den 26. August, in einer Spon­tan­de­mons­tration von etwa 800 Men­schen nach der Tötung eines jungen Chem­nitzers durch zwei Asyl­be­werber auch etwa 50 gewalt­be­reite Per­sonen aus der rechts­ra­di­kalen und Hoo­ligan-Szene unterwegs waren. Von dieser Gruppe wurden mehrere Pas­santen ange­pöbelt und bedroht. Aber eine Hetzjagd in den Straßen von Chemnitz gab es weder nach Erkennt­nissen der Behörden noch exis­tieren bis heute Fotos oder Bewegt­bilder, die den Vorwurf stützen, resü­mierte Alex­ander Wendt in Publico.
Dass die „Gewalt gegen ein jüdi­sches Restaurant“, wie Hal­denwang behauptet, von einer Demons­tration ausging, ist nicht bewiesen. Eine Gruppe Ver­mummter, von der man bis heute nicht weiß, wer ihr ange­hörte, hat am 27.08.2018 zu abend­licher Stunde, Steine gegen Fenster dieses Restau­rants geworfen. Um cor­rectiv zu zitieren: Der Restau­rant­be­sitzer “Dziuballa erklärte, dass er seit ein paar Jahren die Räume des Restau­rants am Montag ver­miete oder für Vor­träge nutze. So auch am 27. August. Da fand ein Vortrag über die Folgen der Ari­sierung jüdi­scher Unter­nehmen unter der NS-Herr­schaft statt. Um 21:44 habe er draußen Krach gehört und sei raus­ge­gangen. Da seien schon Steine geflogen, einer habe ihn an der Schulter getroffen, die jetzt noch schmerze.“
Was die angeb­lichen hundert ver­mummten Rechts­ra­di­kalen angeht, die tagelang als Tat­sache durch die Medien geis­terten, weil sie angeblich Jagd auf Aus­länder machten, so han­delte es sich lediglich um eine Infor­mation an die Polizei, die nicht veri­fi­ziert werden konnte. Cor­rectiv: „Aus dem Lage­be­richt wird klar, dass es sich um eine poli­zei­liche Anfrage han­delte. Die Ein­satz­leitung fordert laut dem Bericht Kräfte an, um die ca. 100 ver­mummten Per­sonen zu suchen. Ergebnis der Suche einer Auf­klä­rungs­einheit ist, dass die Ver­mummten nicht mehr ange­troffen werden.“
Als wären Hal­den­wangs Dar­stel­lungen à la Jean-Claude Juncker nicht schon genug, um zu finden, dass er der falsche Mann im Amt ist, kommt es noch schlimmer. Regel­recht skan­dalös ist seine kalt­schnäuzige Bezeichnung des Mordes an Daniel H. als „Trig­ger­ereignis“. Die Aus­gangs­ge­schichte dieses Falles sei falsch dar­ge­stellt worden, des­wegen seien die Emo­tionen hoch­ge­kocht. Also unter­stellt er den Chem­nitzern, dass nicht der Mord sie bewegt habe, sondern eine angeb­liche Falsch­dar­stellung. So wird das Tötungs­ver­brechen einfach wegdefiniert.
Zu unguter Letzt führt Hal­denwang noch an, dass eine Ter­ror­gruppe dingfest gemacht worden sei, die Waffen für einen Anschlag besorgen wollte. Das ist das erste Mal, dass wieder von dieser angeb­lichen Ter­ror­gruppe die Rede ist, von der man seit ihrer Fest­nahme nichts mehr gehört hat.
Ich füge hier eine Mail des behan­delnden Arztes des angeb­lichen Anführers der Gruppe, Herrn Dr. Meyer an, der mich aus­drücklich auto­ri­siert hat, sie in seinem Namen zu veröffentlichen.
„ […] Ein paar Fakten zur ‘Revo­lution Chemnitz’, soweit sie mir bekannt sind. Der angeb­liche Anführer ist ein Freund und Patient von mir.

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Ich stand bis zu seiner Ver­haftung in Kontakt mit ihm. Er hatte kei­nerlei Ambi­tionen zu solch einer Aktion. Ganz im Gegenteil. Er kam am Wochenende vor seiner Ver­haftung von einer län­geren Montage aus den alten Bun­des­ländern und fuhr Sonn­tag­abend oder Montag früh erneut zu einer Montage. Auf­grund des Arbeits­pensums wäre er am 03. Oktober gar nicht in Chemnitz gewesen.
Auf dem Weg zur Montage wurde das Auto vom Staats­schutz ange­halten und er wurde […] ver­haftet. Bis heute weiß er nicht, was ihm eigentlich vor­ge­worfen wird.
Auch sein Anwalt hat kei­nerlei Infor­ma­tionen, von ‘Beweisen’ mal ganz abgesehen. 
Was das Luft­gewehr angeht, so wurde es meinen Infor­ma­tionen zufolge nur bei einer Haus­durch­su­chung des Schwie­ger­vaters gefunden; es gehörte seinem Schwie­ger­vater und war ver­mutlich nur ein altes Erin­ne­rungs­stück aus DDR-Zeiten (damals konnte man sich bekanntlich auch als Jugend­licher ein Luft­gewehr in fast allen Sport­läden kaufen).
Aus meiner Sicht ging es bei der Ver­haftung der jungen Männer aus­schließlich darum, den Blick der Bevöl­kerung wieder stramm nach rechts zu richten. Dass man das Leben eines ehr­lichen und flei­ßigen Men­schen damit zer­stört, wurde bil­ligend in Kauf genommen.“
Die Jugend­lichen sitzen seit über einem halben Jahr in U‑Haft, ohne dass es eine kon­krete Begründung geben soll. Bei Ter­ror­ver­dacht sei das möglich, sagt mir ein Anwalt. Nur, müsste der Ter­ror­ver­dacht nicht begründet sein? Man hätte von Hal­denwang gern mehr erfahren über Ermitt­lungs­er­geb­nisse, die es nach einem halben Jahr geben müsste.
Ohne diese Infor­ma­tionen hat man das Gefühl, dass im Kampf gegen rechts eben Späne fallen, wo gehobelt wird.
Mich erinnert das Interview von Hal­denwang fatal an über­wunden geglaubte Zeiten.

Zum Nach­lesen:
ZDF heute Journal vom 13.05.2019 
Interview mit dem Prä­si­denten des Bun­des­amtes für Verfassungsschutz
Thomas Hal­denwang (ab Minute 4)
https://correctiv.org/faktencheck/2018/09/18/chemnitz-unbelegte-zweifel-an-frontal21-bericht-und-ueberfall-auf-juedisches-restaurant

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Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de