Symbolfoto (c) Dennis Jarvis from Halifax, Canada [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)]

Görlitz: Wie man mit 18 Prozent Zustimmung Bür­ger­meister wird

Von Peter Hai­senko

Der erste Wahlgang ist noch ehrlich, die Stichwahl eine Nega­tivwahl. Mit dem Par­tei­en­kartell gegen „Rechts“ werden Kan­di­daten in Ämter gehievt, die ansonsten nicht mehr­heits­fähig wären. Der fran­zö­sische Prä­sident und der öster­rei­chische und jetzt eben der CDU-Kan­didat Ursu in Görlitz. So wird die Demo­kratie zu einem nega­tiven Machtgeschacher.

Die all­gemein zu beob­ach­tende Wahl­mü­digkeit zeigt auf, dass die eta­blierten Poli­tiker kaum noch jemanden mit groß­ar­tigen Kon­zepten begeistern können. Nahezu die Hälfte der Wähler bleibt lieber zuhause, als aktiv Kan­di­daten oder Par­teien ihre Stimme zu geben, die sie nicht über­zeugen können. So ist das Ergebnis eines ersten Wahl­gangs noch halbwegs ehrlich, obwohl auch hierbei etliche Wähler ihre Stimme schon nach Nega­tiv­kri­terien abgeben. Man wählt die eine Partei, um Schlim­meres zu ver­hindern, was man der anderen zutraut. Mit dem zweiten Wahlgang, der Stichwahl, wird es vollends unredlich. Da bilden sich Bünd­nisse, die nur noch als absurd bezeichnet werden können. So haben sich in Görlitz Linke, SPD und Grüne vereint mit der CDU im „Kampf gegen Rechts“ und einen Kan­didat ins Amt gehievt, den sie vorher als untauglich bekämpft hatten.

Wir haben keine Demo­kratie, sondern eine Mediendiktatur

Die Wahl­be­tei­ligung in Görlitz betrug im ersten Wahlgang knapp 60 Prozent. Der CDU-Kan­didat Ursu erhielt 30 Prozent, der der AfD Wippel 36. Absolut gesehen haben also nur 18 Prozent der Wähler aktiv für Ursu den Weg zur Wahlurne ange­treten. ( 30% mal 60% = 18%) Auch für AfD-Wippel waren es so nur knapp 23 Prozent, aber dennoch die relative Mehrheit. Diese Betrachtung zeigt auf, in welch jäm­mer­lichem Zustand sich die Politik, die Demo­kratie, in Europa befindet. So bezeichnet sich in Berlin nach der letzten Wahl die SPD als Wahl­sieger mit einem Ergebnis von 21,6 Prozent (Zweit­stimmen). Bei einer Wahl­be­tei­ligung von knapp 67 Prozent heißt das, dass nur 14,5 Prozent der Wahl­be­rech­tigten aktiv für den „Wahl­sieger“ ihre Stimme abge­geben haben. Sehen so „Sieger“ aus? Poli­tiker, die mit guten, ein­gän­gigen Pro­grammen Massen begeistern können? Der Zustand der Politik in Berlin unter Rot-Rot-Grün zeigt, was dabei her­aus­kommt. Die erste Amts­handlung des Senats war der Beschluss zur Ein­führung geschlechts­neu­traler Toi­letten. Dafür hat bestimmt kein Wähler den Weg zur Urne gemacht.

Macron in Frank­reich lag im ersten Wahlgang deutlich hinter Le Pen, mit gerade mal 14 Prozent absolut. Mit Van der Bellen in Öster­reich sah es nicht viel anders aus, gegenüber Hofer. Weil der „Kampf gegen Rechts“ aber wich­tiger ist als eigene schlüssige Zukunfts­per­spek­tiven, hat sich ein Kartell gegen die füh­renden Kan­di­daten gebildet und Frank­reich hat jetzt einen Prä­sident, gegen dessen Politik Hun­dert­tau­sende pro­tes­tierend auf die Straßen gehen. Der öster­rei­chische hatte zwi­schen­zeitlich nur noch drei Prozent Zustimmung in der Bevöl­kerung. Auch Frau Merkel ist nicht Kanz­lerin geworden, weil sie so bril­lante Reden gelispelt hat, sondern weil die Wähler Schröders „Agenda 2010“ als fatal für den sozialen Frieden erkannt haben. In Europa wird negativ gewählt. Länder, in denen das anders ist, Russland, Ungarn, Syrien etc., werden als „unde­mo­kra­tisch“ ver­un­glimpft. Tat­sächlich ist es genau anders herum, denn dort wird eine Politik gemacht, die offen­sichtlich dem Wunsch der großen Mehrheit ent­spricht. So sollte Demo­kratie funktionieren.

Russland wird eine „gelenkte Demo­kratie“ vor­ge­worfen. Ist das bei uns anders? Die Bevöl­kerung in den meisten Ländern, die sich „west­liche Werte“ auf die Fahnen geschrieben haben, ist nahezu hälftig gespalten. So ist es für die Mono­pol­medien ein Leichtes, fünf Prozent der Wähler in die eine oder andere Richtung zu beein­flussen und Wahl­er­geb­nisse nach ihrem Gusto her­zu­stellen. Niemand wird in Deutschland Kanzler gegen den Willen der Medien – oder Par­tei­vor­sit­zender, siehe Friedrich Merz. Wir haben keine Demo­kratie, sondern eine Medi­en­dik­tatur. Diese bestimmt auch darüber, wie die Mehrheit zu außen­po­li­ti­schen Themen zu denken hat. „Framing“ ist das neue Wort dafür und es zeigt seine häss­liche Fratze durch monoton wie­der­holte Adjektive, wie zum Bei­spiel das „aggressive“ Russland, oder die „Annektion“ der Krim. Oder das gesell­schafts­fähig gemachte „Bashing“ gegen Trump oder die baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­denten. Nein, es darf keine Per­sön­lich­keiten geben, die wegen ihrer guten, volks­nahen Politik absolute Mehr­heiten akti­vieren können. Da ver­liert das Medi­en­kartell seine Macht. Da muss „die Demo­kratie ver­teidigt“ werden. Natürlich gegen Rechts.

„Wahl­sieger“ mit Minderheitenergebnis

Ich will nicht sagen, dass Ursu kein guter Bür­ger­meister für Görlitz werden kann. Dennoch steht fest, dass nur 18 Prozent der Wähler den ori­gi­nären Wunsch hatten, ihn im Bür­ger­meis­teramt zu sehen. Die Stichwahl fiel dem­entspre­chend knapp zu seinen Gunsten aus und er hätte diese Wahl nicht gewonnen, wenn sich nicht zusam­men­ge­funden hätte, was nicht zusammen passt. Aber auch das Ergebnis der Stichwahl ist keines, das den abso­luten Wäh­ler­willen wider­spiegelt. 55 Prozent relativ sind gerade mal 30 Prozent absolut, bei einer Wahl­be­tei­ligung von 56 Prozent. 45 Prozent wollten ihn nicht, oder absolut 25 Prozent. Von den 44 Prozent Nicht­wählern weiß man nicht, wie zufrieden sie mit dem Wahl­er­gebnis sind. Aber das ist auch gleich­gültig, denn die Medien werden dem dummen Volk schon ver­mitteln, dass das ein gutes Ergebnis ist, im Sinn des „Kampfs gegen Rechts“.

Bei der Bun­des­tagswahl 2005, die Frau Merkel ins Kanz­leramt gebracht hat, sah es nicht besser aus und man sieht heute, wohin das geführt hat. In meinem Buch „England, die Deut­schen, die Juden und das 20. Jahr­hundert“ habe ich diese Rechnung auf­ge­macht (S 249):

Ange­fangen damit, dass sich die „Volks­par­teien“ soweit anein­ander ange­nähert haben, dass sie kaum noch zu unter­scheiden sind. Betrachten wir doch einmal, welcher Anteil der Deut­schen tat­sächlich seine Stimme für Angela Merkel gegeben hat: 27,8 % für die CDU. 7,4 % für die CSU. Das sind 35,2 %. Davon dürfen wir getrost 3 % abziehen für Wähler der CSU, die eigentlich nicht Frau Merkel, sondern Herrn Stoiber gewählt haben. Bleiben 32,2 %. Die Wahl­be­tei­ligung lag bei etwa 75 % bun­desweit. Das ergibt: nur 24.9 % der Wahl­be­rech­tigten haben Frau Merkel zur Kanz­lerin erkoren. Genauer betrachtet sind es noch viel weniger. Innerhalb der CDU war Frau Merkel ja nicht unum­stritten. Man darf also davon aus­gehen, dass auch die­je­nigen, die Frau Merkel gar nicht wollten, ihr dennoch ihre Stimme gegeben haben, weil sie noch weniger einen Kanzler Schröder wollten. Es ist zwar spe­ku­lativ, aber ich denke, man kann davon aus­gehen, dass auch Frau Merkel im Kanz­leramt dem echten Willen von weniger als 20 % der Wahl­be­rech­tigten entspricht.”

Wenn es um den Macht­erhalt geht, ist jede Koalition recht

Unsere Demo­kratie ist derart ver­kommen, dass sich Par­teien nicht ent­blöden sich Wahl­sieger zu nennen, wenn sie nicht einmal 25 Prozent erhalten haben, was absolut gesehen gerade mal 15 Prozent sind, bei einer Wahl­be­tei­ligung von 60 Prozent. Das sollte nicht ver­wundern, denn selbst in Wahl­kämpfen werden eigentlich drän­gende Pro­bleme schlicht aus­ge­klammert. Mehr­heits­fähige Themen werden nicht ange­führt, weil sie zu Ergeb­nissen führen würden, die absolute Mehr­heiten her­stellen könnten und die uns die Sieger des Zweiten Welt­kriegs nicht erlauben würden. Zum Bei­spiel den Abzug der US-Truppen aus Deutschland oder der US-Atom­bomben oder ein ver­nünftig freund­schaft­liches Ver­hältnis zu Russland. Auch bei der ver­gan­genen Euro­pawahl hatten die Alt­par­teien keine eigenen gar zukunfts­wei­senden Themen. Es gab nur den “Kampf gegen Rechts”, was immer das sein soll, denn auch dafür gibt es außer einer Emo­tio­na­li­sierung nir­gendwo eine schlüssige Definition.

Wie muss man sich fühlen, wenn man nur “Wahl­sieger” geworden ist durch die irra­tionale Unter­stützung der­je­nigen, die einen vorher vehement bekämpft haben? Kann der CDU-Kan­didat Ursu mit der Unter­stützung von SPD, Linken und Grünen für seine Regie­rungs­po­litik rechnen? Kann er über­haupt die Politik machen, die er für richtig hält? Muss er sich nicht ständig ver­biegen in Kom­pro­missen, die von Par­teien dik­tiert werden, die vormals gegen ihn Wahl­kampf gemacht haben? Darf er Politik mit den Stimmen der Partei durch­setzen, die die Erstwahl “gewonnen” hat? Wird er dann nicht von genau diesem Par­tei­en­kartell zum Paria erklärt werden, das ihn gewählt hat, nur um einen Bür­ger­meister der AfD zu ver­hindern, kei­nes­falls aus Überzeugung?

An der Stelle dürfen wir Bemen nicht ver­gessen. Hier geht es nicht um die AfD, sondern um die CDU, die als stärkste Partei aus den letzten Bür­ger­schafts­wahlen her­vor­ge­gangen ist. Ein klares Votum der Wähler, nach 70 Jahren nicht mehr von der SPD regiert zu werden. Doch anstatt das zu respek­tieren und eine Koalition unter Mit­wirkung der CDU zu ermög­lichen, wird aus purer Macht­geilheit ein rot-rot-grünes Bündnis zusam­men­ge­schustert. Schöne Grüße an die Bremer: Schaut nach Berlin, dann wisst ihr, was auf euch zukommt.

Der “Kampf gegen Rechts” ist wich­tiger, als ver­nünftige eigene Politik zu machen

Das Wahl­er­gebnis in Görlitz kann nur Still­stand bedeuten, denn Politik mit den Stimmen der AfD darf es nicht geben, auch wenn sie noch so ver­nünftig wäre. Das erleben wir schon oft genug im Bun­destag, wo jahr­zehn­tealte Gepflo­gen­heiten einfach über den Haufen geworfen wurden, um die AfD zu stig­ma­ti­sieren. Ich denke hier an die Eröff­nungsrede des Alters­prä­si­denten oder den unglaub­lichen Zustand, dass der dritt­größten Fraktion der Posten eines Bun­des­tags­vi­ze­prä­si­denten kon­se­quent ver­weigert wird und gleich­zeitig Claudia Roth von den Grünen einfach durch­ge­wunken wird, obwohl diese unter Trans­pa­renten wie “Deutschland, du mieses Stück Scheiße” zu sehen war. Der “Kampf gegen Rechts” ist wich­tiger, als ver­nünftige eigene Politik zu machen.

So müssen wir in unserer Demo­kratie der “west­lichen Werte” erleiden, dass die Haupt­stadt von einem Bür­ger­meister “regiert” wird, den absolut nur 14,5 Prozent der Wähler für den Rich­tigen gehalten haben. In Görlitz sind es wenigstens 18 Prozent, die aber auch eher jäm­merlich sind. Die Kanz­lerin hat mit der GroKo keine Mehrheit mehr. Die SPD darf immer noch mit­re­gieren, obwohl sie vom Wähler mit der Euro­pawahl an die Grenze der Ein­stel­ligkeit ver­bannt worden ist. Muss man sich da nicht fragen, welchen Sinn unsere Demo­kratie über­haupt noch hat, wenn es nicht mehr gelingt, echte Mehr­heiten mit schlüs­sigen Wahl­pro­grammen zu erzielen? Wenn Poli­tiker über uns bestimmen, die weniger als 20 Prozent (absolut) der Wähler wirklich in ihren Ämtern sehen wollen? Die im “Kampf gegen Rechts” ver­gessen haben, den Bürgern Bes­seres anzu­bieten? Ich jeden­falls wünsche mir eine Regierung, die so gut arbeitet, dass die absolute Mehrheit der Bürger bei der nächsten Wahl sagt, macht weiter bitte, das habt ihr gut gemacht! Eben so, wie Putin seine stetig anstei­genden Wahl­er­geb­nisse erzielen konnte. Aber das ist ja undemokratisch.


Quelle: anderweltonline