Foto: O24

Steht die AfD vor der Spaltung?

Mehr als hundert hoch­rangige AfD-Par­tei­funk­tionäre wenden sich in einem heute ver­öf­fent­lichten gemein­samen Aufruf gegen die Macht­an­sprüche des Anführers des Flügel Björn Höcke. Diesem machen sie einen alles andere als leicht wie­genden Vorwurf und weisen ihn öffentlich in die Schranken. JFB liegt der gesamte Appell im Wortlaut vor.

For­mierung einer breiten Wider­stands­front innerhalb der AfD gegen Höcke

In der AfD scheint sich eine breite Wider­stands­front gegen den Thü­ringer Lan­des­vor­sit­zenden Björn Höcke zu bilden. Mehr als hundert, dar­unter zum Teil hoch­rangige Mandats- und Funk­ti­ons­träger der Partei wenden sich erstmals öffentlich gegen dessen Macht­an­sprüche in der Gesamt­partei. Die AfD sei und werde „keine Björn-Höcke-Partei“, heißt es in dem Papier. „Die über­wiegend bür­ger­liche Mit­glied­schaft von mehr als 35.000 Per­sonen“ lehne„den exzessiv zur Schau gestellten Per­so­nenkult um Björn Höcke ab“. Ein Vorwurf, der insofern besonders schwer wiegen dürfte, da man solche Per­so­nen­kulte vor allem von tota­li­tären Staaten kennt.
Zu den Unter­zeichnern gehören unter anderem fünf Bun­des­vor­stands­mit­gliedern, unter ihnen die drei Par­tei­vizes Albrecht Glaser, Kay Gott­schalk und Georg Paz­derski sowie Bun­des­schatz­meister Klaus Fohrmann. Eben­falls unter­schrieben haben mehrere Lan­des­vor­sit­zende, nämlich: Dana Guth (Nie­der­sachsen), Uwe Junge (Rheinland-Pfalz) und Robert Lambrou (Hessen). Auch mehrere Bun­des­tags­ab­ge­ordnete schlossen sich dem Appell an, dar­unter Joana Cotar, Verena Hartmann, Marc Jongen, Volker Münz und der gesund­heits­po­li­tische Sprecher Axel Gehrke sowie einer der Par­la­men­ta­ri­schen Geschäfts­führer der AfD-Bun­des­tags­fraktion Jürgen Braun. Nicht unter­zeichnet haben dagegen die beiden Par­tei­vor­sit­zenden Alex­ander Gauland und Jörg Meuthen sowie die Bun­des­tags­frak­ti­ons­vor­sit­zende Alice Weidel.
Der Appell richtet sich vor allem gegen Höckes Auf­tritt beim dies­jäh­rigen soge­nannten Kyff­häu­ser­treffen des Flügels, das am ver­gan­genen Samstag in Thü­ringen stattfand. Der Partei- und Frak­ti­ons­vor­sit­zende Alex­ander Gauland hatte erklärt, die AfD sei nicht gegründet worden, um „einen Raum zu schaffen, in dem jeder alles sagen kann“. Höcke nutzte dann anschließend seine Rede vor rund 800 Flügel-Anhängern und Gästen für eine volle Breit­seite gegen den Bun­des­vor­stand, den er scharf kri­ti­sierte und ankündigte:
„Ich kann Euch garan­tieren, dass dieser Bun­des­vor­stand in dieser Zusam­men­setzung nicht wie­der­ge­wählt wird.“
Höcke verlieh einigen Mit­gliedern ein Flügel-Abzeichen für treue Dienste. Ein mehr­mi­nü­tiger ganz auf Höcke zuge­schnit­tener Image-Film, der ihn als Messias insze­nierte, sollte seine domi­nante Rolle in der Ver­ei­nigung demons­trieren, die der Ver­fas­sungs­schutz als „Ver­dachtsfall“ im Bereich des Rechts­extre­mismus ein­ge­stuft hat. Zudem hatte Höcke einige par­tei­in­terne Schieds­ge­richte atta­ckiert. Anlass hierfür war, dass das baye­rische AfD-Lan­de­schieds­ge­richt den Flügel als eine „Kon­kur­renz­or­ga­ni­sation zur AfD“ bezeichnet hatte.

Wird der Flügel zum Problem für die AfD?

Der AfD-Vor­stand fürchtet offen­sichtlich eine Unter­wan­derung durch Rechts­extre­misten. In dem Beru­fungs­antrag zum Par­tei­aus­schluss­ver­fahren gegen die schleswig-hol­stei­nische Lan­des­vor­sit­zende Doris von Sayn-Witt­gen­stein heißt es:
„Die besondere Gefahr, der die Partei Alter­native für Deutschland aus­ge­setzt ist, nämlich von Rechts­extre­misten unter­wandert zu werden und in Folge dessen poli­tisch zu ‚implo­dieren‘, war all­gemein und damit auch der Antrags­geg­nerin bekannt, als sie ihren Auf­nah­me­antrag im Jahr 2016 stellte.“
Abge­sehen von seiner Kyff­häuser-Rede wird Höcke von vielen in der Partei ange­kreidet, dass der Flügel in etlichen Lan­des­ver­bänden für schwerste Kon­flikte sorge. Der Rich­tungs­streit in der AfD zeigte sich ins­be­sondere auch beim Son­der­par­teitag der nord­rhein-west­fä­li­schen AfD am Wochenende in Warburg. Von den zwölf Vor­stands­mit­gliedern in NRW sollen drei dem Flügel nahe stehen, der als Haus­macht des Thü­ringer AfD-Vor­sit­zenden Björn Höcke gilt. Der Versuch, diese drei Flügel-Leute aus dem Vor­stand abzu­wählen, schei­terte jedoch. Zwar sprachen sich eine klare Mehrheit von über 61 Prozent für deren Abwahl aus, dies reichte jedoch nicht für die erfor­der­liche Zwei-Drittel-Mehrheit. Dar­aufhin traten die neun anderen Vor­stands­mit­gliedern zurück und der Par­teitag wurde abge­brochen, da der ver­blei­bende Vor­stand nicht mehr arbeits­fähig ist. Helmut Seifen, der bis­herige Lan­des­vor­sit­zende der AfD Nord­rhein-West­falen, hatte vor einer Unter­wan­derung der AfD-NRW durch den Flügel gewarnt.
Viele Par­tei­mit­glieder sind der Auf­fassung, dass diese Zustände auch durch eine Flügel-Ein­fluss­nahme von außen her­bei­ge­führt wurde. Ent­spre­chend heißt es in dem Aufruf: „Wir fordern Björn Höcke auf, sich zukünftig auf den Auf­ga­ben­be­reich zu kon­zen­trieren, für den er legi­ti­miert ist.“ Lesen Sie hier den gesamten Aufruf.

Der Appell im Wortlaut (Her­vor­he­bungen durch JFB)

»Wir stehen für eine bür­ger­liche, frei­heit­liche und patrio­tische AfD, die sich als letzte Chance zum Erhalt unseres Vater­landes ver­steht und auf demo­kra­ti­schem und rechts­staat­lichem Wege dafür Mehr­heiten im deut­schen Volk gewinnen will.
Wir stehen fest an der Seite unserer Wahl­kämpfer in Bran­denburg, Sachsen und Thü­ringen. Gemeinsam mit ihnen kämpfen wir für her­vor­ra­gende AfD-Ergeb­nisse bei den bevor­ste­henden Land­tags­wahlen. Unsere Wahl­kämpfer müssen eine geschlossene und einige Partei hinter sich wissen. Mit seiner Rede beim Kyff­häuser-Treffen am Sonn­abend hat Björn Höcke die inner­par­tei­liche Soli­da­rität ver­letzt und ist damit unseren Wahl­kämpfern und Mit­gliedern in den Rücken gefallen.

Nachdem Alex­ander Gauland unseren zen­tralen Wäh­ler­auftrag, Deutschland wieder auf Kurs zu bringen, in den Mit­tel­punkt seiner Rede stellte, nutzte Björn Höcke seinen Beitrag für spal­tende Kritik am Bun­des­vor­stand und den Schieds­ge­richten der AfD und for­derte sogar ihm nicht genehme Mit­glieder auf, die Partei zu verlassen.

Wir weisen diese Behaup­tungen und Aus­sagen von Björn Höcke aus­drücklich zurück. Wir stehen geschlossen hinter unserem Bun­des­vor­stand und seinen Ent­schei­dungen: unser Bun­des­vor­stand um Jörg Meuthen und Alex­ander Gauland ist von einer breiten Mehrheit der Mit­glieder gewählt worden und hat seine Auf­gaben bis jetzt sehr gut erfüllt. Wir stehen geschlossen hinter den gewählten Schieds­ge­richten der AfD und betonen ihre Unab­hän­gigkeit. Die Gewal­ten­teilung ist auch inner­par­teilich ein Grund­be­standteil der Demo­kratie. Unsere Schieds­ge­richte urteilen unab­hängig und verantwortungsvoll.
Wir sagen sehr klar: die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei! Die über­wiegend bür­ger­liche Mit­glied­schaft von mehr als 35.000 Per­sonen lehnt den exzessiv zur Schau gestellten Per­so­nenkult um Björn Höcke mit Ordens­ver­lei­hungen an Mit­glieder des „Flügels“ ab, wie sie den Per­so­nenkult schon bei Bernd Lucke und Frauke Petry abge­lehnt hat. Als Vor­sit­zender des Lan­des­ver­bandes Thü­ringen ist Björn Höcke nicht demo­kra­tisch legi­ti­miert, für die AfD als Gesamt­partei zu sprechen. Sofern er dies als „Anführer“ des „Flügels“ tut, leistet er dem um sich grei­fenden Ver­dacht Vor­schub, dass es ihm in erster Linie um den „Flügel“ und nicht um die AfD geht. Wir fordern Björn Höcke auf, sich zukünftig auf den Auf­ga­ben­be­reich zu kon­zen­trieren, für den er legi­ti­miert ist.

In einer Zeit per­ma­nenter Angriffe auf uns zählt der Zusam­menhalt. Wer diese Soli­da­rität in Frage stellt, inhaltlich aus­schert oder ohne Legi­ti­mation einen eigenen Son­derweg gehen möchte, stellt sich ins Abseits! Kritik muss stets kon­struktiv und darf niemals destruktiv sein. Denn jeder von uns weiß: Deutschland braucht eine starke patrio­tische Kraft, um die drän­genden Pro­bleme unseres Landes zu lösen. Die AfD ist diese Kraft, wenn sie geschlossen auf­tritt und bür­ger­liche Mehr­heiten erreicht. Als echte Volks­partei werden wir unser Land vom Kopf wieder auf die Füße stellen und die fatalen poli­ti­schen Fehl­ent­schei­dungen der letzten Jahr­zehnte kor­ri­gieren. Dieses Ver­sprechen haben wir unseren Wählern gegeben und dafür stehen wir. Diesen Kurs ver­tei­digen wir.”

P.S.: Meuthen und Gauland schließen sich der Kritik an

Der Bun­des­vor­sit­zende der AfD Jörg Meuthen hat sich inzwi­schen der Kritik an Björn Höcke angeschlossen:
„Dieser Aufruf wundert mich nicht, denn der Unmut und die massive Kritik über das Auf­treten und manche Äuße­rungen des thü­rin­gi­schen Lan­des­vor­sit­zenden sind in der Partei sehr ver­nehmlich. Der Appell bestätigt letztlich meinen sicheren und schon oft geäu­ßerten Ein­druck, dass Björn Höcke mit seiner auch aus meiner Sicht unzu­tref­fenden Kritik an der Arbeit des Bun­des­vor­standes und der Schieds­ge­richte über kei­nerlei Mehr­heiten in der Partei verfügt und der von ihm zuweilen betriebene Per­so­nenkult nicht zu unserer Partei passt. Ich würde mir wün­schen und bin zuver­sichtlich, dass er sich statt dessen ganz dem wich­tigen auf­zie­henden Land­tags­wahl­kampf widmet.“
Und der andere Bun­des­vor­sit­zende Alex­ander Gauland ergänzte:
„Ich halte die Rede von Björn Höcke genauso wie den Fah­nen­einzug auf dem Kyff­häuser-Treffen für unan­ge­bracht. Den Appell habe ich nicht unter­schrieben, weil ich ihn in Wahl­kampf­zeiten für ähnlich unan­ge­bracht halte.“ 


Quelle: JFB