Von Hubert von Brunn
Sprache ist ein untrüglicher Indikator für Bildung und Intelligenz. Dies erst recht bei einer so elaborierten, vielschichtigen und präzisen Sprache wie der unseren. Umso ärgerlicher macht es, erleben zu müssen, wie unsere schöne deutsche Sprache Stück für Stück und von allen Seiten klein gemacht, verunstaltet und degradiert wird zu einem billigen Rülpser notwendiger Kommunikation. Gleichzeitig ist die Sprache aber auch ein sehr wirksames, mitunter gefährliches Instrument der Manipulation. Das kann direkt und offensichtlich vonstatten gehen, meist aber geschieht es eher subtil, schleichend und von der weniger aufmerksamen breiten Öffentlichkeit unbemerkt. Beispiel: die im Deutschen sehr gebräuchliche Vorsilbe „ge“.
In vielen Fällen gibt die Vorsilbe „ge“ zu erkennen, dass vorher eine Aktion, ein Prozess stattgefunden hat, der jetzt aber beendet ist: ge-funden, ge-holt, ge-sagt, ge-fahren… Dieser Grundgedanke der deutschen Sprache – der selbstverständlich wie jede Regel auch jede Menge Ausnahmen und Abweichungen kennt –, wird jedoch auch in der Bildung von Substantiven verwendet. Diese sind selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs und niemand macht sich Gedanken darüber. Ein „Ge“ ist mir in letzter Zeit aber aufgefallen, und zwar deshalb, weil es nicht nur einen Akt des Vergangenen ausdrückt, sondern weil es manipulativ eine völlig andere Konnotation herstellt gegenüber dem Begriff, der üblicherweise für die gleiche Sache gebräuchlich war.
Die Vorsilbe „Ge“ verleiht Migranten einen völlig anderen Status
Menschen, die ihr Land – aus welchem Grund auch immer – verlassen haben und Schutz, Unterkunft, Asyl in einem anderen Land suchen, wurden in unserer Sprache üblicherweise als „Flüchtlinge“ bezeichnet. Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hungersnot, Verfolgung… Dieser Begriff wird seit geraumer Zeit in unseren staatstragenden Leitmedien nicht mehr benutzt. Dort ist jetzt nur noch von „Geflüchteten“ die Rede. Das verleiht den Leuten, die aus Syrien, Irak, Nigeria, Afghanistan, Sambia oder woher auch immer zu uns kommen, einen völlig anderen Status. Sie sind nicht mehr auf der Flucht – dann wären sie ja immer noch „Flüchtlinge“ – sondern ihre Flucht ist abgeschlossen, sie sind jetzt „Geflüchtete“. Das heißt, die Flucht ist abgeschlossen, jetzt sind sie am Ende ihres Weges angekommen. Das Ziel ist erreicht.
Bemerkenswert ist, dass diese sprachliche Verschiebung in kürzester Zeit von allen relevanten Medien übernommen wurde. Vermutlich gab es da eine Direktive aus dem Kanzleramt an die zuständigen Chefredaktionen – und schon haben alle willfährig mitgemacht. Der normale Leser oder Zuschauer hat das vermutlich gar nicht gemerkt, aber Fakt ist, dass er jetzt in der Berichterstattung über das Migrationsthema ein Klientel serviert bekommt, das nun mit einem ganz anderen Status ausgestattet ist als dem, den er aus seiner früheren Wahrnehmung kennt. Das ist sprachliche Manipulation vom Feinsten. Da braucht sich dann „Otto-Normalo“ auch nicht mehr darüber zu wundern, dass längst überfällige Abschiebungen von abgelehnten Asylanten meistens nicht stattfinden, dass selbst Schwerverbrecher Bleiberecht bekommen und die Sozialausgaben des Staates ins Unermessliche steigen, weil diese Leute ja angekommen sind, und wir, die Steuerzahler, selbstverständlich die Verpflichtung haben, für deren Wohlergehen aufzukommen.
Der gekonnte Umgang mit Sprache – zumal mit der deutschen – ist ein subtiles Geschäft. Da ich tagtäglich damit zu tun habe, ist es mir ein Anliegen, diesen massiven Verständniswandel, der durch die kleine Vorsilbe „Ge“ verursacht wird, offensichtlich zu machen. Wären wir in einem linguistischen Seminar, könnte ich unzählige Beispiele für subtile Sprachmanipulationen anführen. Das lassen wir natürlich sein und stellen nur noch einmal die Frage: Warum wird das so gehandhabt? – Weil eine schleichende und von den Mainstreammedien stillschweigend beförderte Manipulation der Masse nicht bewusst wird. Auf diese Weise lässt sich ein unreflektiertes Einverständnis herstellen für eine Sache, die man eigentlich ablehnt, bzw. der man mindestens kritisch gegenübersteht.
Düstere Prognose der Kapitänin: „Klima-Flüchtlinge“ werden über uns kommen
Jetzt hat unsere „tapfere“ Kapitänin Carola Rackete in einem Interview mit der Bild-Zeitung das Wort „Flüchtlinge“ wieder ins Spiel gebracht, allerdings nicht für sich allein stehend, sondern in Verbindung mit „Klima“. Zur Verdeutlichung der Motivation, weshalb sich Menschen irgendwo auf der Welt auf den Weg machen, um zu uns zu kommen, müssen wir uns künftig also darauf einstellen, neben Kriegs- und Wirtschafts-Flüchtlingen auch vermehrt „Klima-Flüchtlinge“ aufnehmen zu müssen. „Da kommt noch einiges auf uns zu“, sagt Frau Rackete und fordert: „Wir müssen auch Klima-Flüchtlinge aufnehmen.“ Diese Forderung gründet sie auf eine moralische Verpflichtung, der zufolge die Europäer „eine historische Verantwortung“ haben, „Flüchtlinge aufzunehmen, die wegen der Machtverhältnisse oder auch der Klimasituation nicht mehr in ihren Ländern leben können.“ Eine völkerrechtliche Verpflichtung dafür gibt es nicht. Weder in der Genfer Konvention noch in dem 2018 verabschiedeten UN-Migrationspakt ist von „Klima“ als anerkannten Fluchtgrund die Rede.
Aber das ficht unsere „Super-Kapitänin“ nicht an. Indem sie nun die beiden die Schlagzeilen seit geraumer Zeit beherrschenden Themen „Migration“ und „Klima“ unmittelbar miteinander verknüpft und ihre Person als Urheberin dieser intellektuelle Meisterleistung präsentiert, ist ihr ein echter Coup in Sachen Eigenmarketing gelungen. Ihre Fangemeinde wird rasant wachsen, die Held*innen-Verehrung wird in dieses Kreisen religiöse Züge annehmen und die schwedische Klima-Greta hat nun womöglich eine ernsthafte Mitbewerberin für den Friedens-Nobelpreis. Wie dem auch sei. Für den ordinären Steuerzahler bleibt die bedrohliche Perspektive, dass die Rackete-Forderung eines Tages zur politischen Realität wird und die Zahl der „Geflüchteten“, die er dann alimentieren darf, ungeahnte Größenordnung erreicht. Denn eines ist sicher: Wie in der Vergangenheit wird es auch in Zukunft in Teilen der Welt klimatische Bedingungen geben, die ungünstiger sind als bei uns.
Als aus Flüchtlingen „Vertriebene“ wurden
Beim Begriff „Flüchtlinge“ werden Kindheitserinnerungen in mir wach. Aufgewachsen in einem kleinen Ort im Fränkischen habe ich in den 1950-er/60-er Jahren in den Gesprächen unter den Erwachsenen oft das Wort „Flüchtlinge“ aufgeschnappt und es klang in meinen Ohren nicht freundlich. Manchmal erschien es mir gar wie ein Schimpfwort. Allmählich habe ich dann begriffen, dass es sich um Menschen handelte, die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertrieben wurden. In meinem Heimatort waren es hauptsächlich Sudetendeutsche, die mit Nichts außer einem abgeschabten Köfferchen mit ein paar persönlichen Habseligkeiten in der Hand hier angekommen sind. Man hatte ihnen diesen Standort zugewiesen und die Einheimischen waren gehalten, sie nach Kräften zu unterstützen. De facto bedeutete das, von dem Wenigen, das man hatte, auch noch abzugeben an Leute, die man nicht kannte. Das löste wenig Begeisterung aus.
Mit Fleiß, handwerklichem Geschick und dem unbedingten Willen, dazugehören zu wollen, haben es diese Flüchtlinge jedoch innerhalb weniger Jahre geschafft, sich in die Gemeinschaft einzubringen. Spätestens mit der Gründung eines Heimatvereins, wo sie ihre Sitten und Gebräuche pflegten und Veranstaltungen organisierten, zu denen selbstverständlich alle eingeladen waren, ging es mit dem gegenseitigen Verständnis voran. Das Wort „Flüchtlinge“ verlor seinen negativen Beigeschmack und mit zunehmendem Abstand zur Kriegszeit hat man sich dann wohl auch in der Dorfgemeinschaft Gedanken darüber gemacht, weshalb diese Leute überhaupt hier waren und nicht mehr in ihrer angestammten Heimat und nannte sie „Vertriebene“. Das entsprach der historischen Wahrheit und brachte ein gewisses Verständnis für das unverschuldete Schicksal dieser Menschen zum Ausdruck.
Der Begriff „Vertriebene“ – und da sind wir wieder bei der Präzision der deutschen Sprache – drückt im Gegensatz zu „Flüchtlinge“ einen unveränderlichen Zustand aus. Auch nachdem diese Menschen längst anerkannte Mitglieder der Dorfgemeinschaft geworden waren, blieben sie „Vertriebene“. Nicht als Merkmal eines Sonderstatus’, sondern als Erinnerung an die Ursache daran, weshalb sie ihr Hab und Gut, ihre alte Heimat verloren haben. „Integration“ war damals kein gebräuchliches Wort, sehr wohl aber der Begriff „Miteinander“. Das habe ich schon als Kind verstanden.
Quelle: anderwelt.online