Der Artikel trug den Titel „Erwerbstätig im Alter – Zahl der arbeitenden Rentner steigt auf Rekordniveau„, dabei hätte er so lauten müssen: „Altersarmut: Immer mehr Rentner können von ihrer Rente nicht leben„.
Die Rentenreform aus der Schröder-Zeit wirkt sich immer deutlicher aus und immer mehr Rentner spüren es am eigenen Leib. Solche Reformen werden so gemacht, dass ihre Auswirkungen erst nach Jahren spürbar werden. So auch hier: Als unter Schröder beschlossen wurde, das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 hochzusetzen, wurde das so umgesetzt, dass die volle Wucht der Reform erst nach 2025 spürbar wird. Die Verursacher der Reform sind bis dahin längst nicht mehr an der Macht, die Folgen treffen aber die einfachen Leute.
Mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters wurde auch eine Rentenkürzung beschlossen, die ebenfalls schrittweise diejenigen trifft, die neu in Rente gehen. Die Reform betraf also nicht die damaligen Rentner, die Schröder ja bei einer Wahl hätten abstrafen können, sondern erst deren Kinder, die heute, über 15 Jahre später, und in den nächsten Jahren in Rente gehen.
So werden Rentenreformen immer gemacht. Der Grund ist, dass man den Betroffenen Zeit geben will, privat vorzusorgen, um diese Lücke auszugleichen. Das ist natürlich einerseits fair, denn wer schon in Rente ist, kann nicht mehr vorsorgen.
Andererseits ist es aber eine Verschleierung der Auswirkungen der Reform, denn wer hat vor über zehn Jahren an Altersarmut gedacht, die eine sichere Folge der Reform war und die wir inzwischen in Deutschland beobachten können? Und die private Vorsorge ist ein Bombengeschäft für Banken und Versicherungen, die sich eine goldene Nase verdienen. Die leidtragenden sind die einfachen Menschen.
Heute werden die Folgen der letzten Rentenreform für alle sichtbar. Aber Politik und Medien lenken davon und das wollen wir uns nun einmal anschauen.
In dem erwähnten Spiegel-Artikel wird es so dargestellt, als wollten die Rentner länger im Arbeitsleben bleiben. Alle Formulierungen sind so gewählt, dass dies suggeriert wird. Wenn man sich jedoch von den suggestiven Formulierungen frei macht und nur die im Artikel genannten Zahlen anschaut, wird überdeutlich, dass die Menschen nicht freiwillig und mit Freude als Rentner weiterarbeiten, sondern keine Wahl haben.
Wobei: Die Ausnahme bestätigt natürlich die Regel, es gibt Workoholics, die gerne weiterarbeiten, es gibt Menschen deren gesamtes soziales Umfeld bei der Arbeit ist und die deshalb nicht zu Hause sitzen wollen und es gibt noch andere Dinge, wie Selbständige, die mit Herzblut und bis zum letzten Herzschlag in ihrer eigenen, geliebten Firma arbeiten. All das gibt es natürlich, aber es ist nicht die Regel.
Die meisten Rentner freuen sich auf den Ruhestand und würden gerne ihren Hobbies nachgehen, reisen, sich um die Enkel kümmern oder in Vereinen aktiv werden. Meine Tante zum Beispiel war Hauptbuchhalterin und macht als Rentnerin die Buchhaltung einer Hospizgesellschaft, die ihr nahe steht, aber sie tut das freiwillig, weil sie sich für etwas Gutes engagieren möchte und nicht, weil sie das Geld braucht.
Zunächst will ich nun über die nackten Zahlen berichten, die in dem Spiegel-Artikel zwischen Kommentaren verstreut wurden und die das soziale Desaster, das nun in Deutschland beginnt und in den nächsten Jahren stark wachsen wird, weil die Auswirkungen der Rentenreform voll durchschlagen werden, relativieren sollen:
„Acht Prozent der Rentner sind damit erwerbstätig – im Jahr 2000 waren es noch gut drei Prozent.“
Wir stellen fest: Seit der Rentenreform hat sich die Zahl der arbeitenden Rentner fast verdreifacht, wobei das Wort „Rentenreform“ in dem Artikel kein einziges Mal auftaucht, der Spiegel verschweigt schlicht die Hintergründe.
Frage: Arbeiten diese Rentner, weil sie es wollen oder weil das Geld nicht reicht? Der Spiegel dazu an anderer Stelle:
„“Jeweils rund 90 Prozent der erwerbstätigen Rentner haben Spaß bei der Arbeit, brauchen den Kontakt zu anderen Menschen oder wünschen sich weiterhin eine Aufgabe“, nennt das IAB die wichtigsten Umfrageergebnisse. Gut die Hälfte der Männer und knapp zwei Drittel der Frauen gaben aber außerdem an, dass sie das Geld brauchen.“
Ob wirklich 90 Prozent der Rentner „Spaß an der Arbeit“ haben, werden wir noch sehen. Wichtig ist der letzte Nebensatz, in dem der Spiegel den Grund mit dem einleitenden Wort „außerdem“ herunterspielen möchte. Die Hälfte der berufstätigen Rentner arbeitet, weil sie das Geld brauchen, also weil die Rente nicht reicht. Aber der Spiegel streicht heraus, dass sie es aus Spaß an der Arbeit tun.
Und diese Zahlen zeigen auf, dass der Grund tatsächlich in der Rentenreform liegt. Vor der Rentenreform haben drei Prozent der Rentner gearbeitet, nun sind es acht Prozent. Über die Hälfte dieser acht Prozent, also mehr als vier Prozent, arbeiten, weil die Rente nicht reicht. Wenn man von den acht Prozent arbeitender Rentner die vier (plus X) Prozent abziehen würde, die aus Geldnot arbeiten, dann bleiben weniger als vier Prozent übrig, die es aus den verschiedensten Gründen freiwillig tun.
Im Jahre 2000 waren es drei Prozent, es hat sich also nichts geändert: Heute arbeiten genauso viele Rentner freiwillig weiter, wie im Jahre 2000. Die Zunahme der Zahl der arbeitenden Rentner ist auf die Auswirkungen der SPD-Rentenreform zurückzuführen.
Wenn man bedenkt, dass das die gleiche SPD ist, die sich angeblich für die kleinen Leute einsetzt, dann muss man feststellen, dass sie es absolut verdient hat, gerade aus der Parteienlandschaft zu verschwinden. Sie hat ihre eigenen Wähler betrogen und ihnen den verdienten Lohn für ihre Lebensleistung geraubt, das verdient die Höchststrafe und die bekommt sie ja auch bei jeder Wahl von Neuem. Das nur nebenbei.
Nun zu der Frage, wie der Spiegel und die Regierung diese Misere schönreden. Ganz einfach: Die Regierung, von der diese Zahlen kommen, kommentiert die Zahlen und der Spiegel zitiert diese Kommentare ausführlich und hinterfragt sie nicht:
„“Die im Alter steigende Erwerbsbeteiligung kann als Ausdruck veränderter Lebensentwürfe einer aktiveren Teilnahme an Wirtschaft und Gesellschaft gewertet werden“, hieß es zur Erklärung.“
Super! „Veränderte Lebensentwürfe“ und „aktivere Teilnahme„, das klingt so modern und toll. Dabei bedeutet es nur, dass das Geld nicht reicht. Und dann können wir lesen:
„Die Hälfte der Betroffenen ist geringfügig beschäftigt, jeweils etwa ein Viertel arbeitet sozialversicherungspflichtig oder selbstständig, wie das Ministerium unter Berufung auf das Statistische Bundesamt mitteilte. Unter den Menschen mit 450-Euro-Jobs bilden Rentner laut Bundesagentur für Arbeit inzwischen die größte Gruppe. Diese Jobs sind bei Rentnern beliebt, weil sie nicht auf Renten angerechnet werden.“
Wieder die Bestätigung meiner These: Die gleiche Hälfte der berufstätigen Rentner, deren Rente nicht zum Leben reicht, ist geringfügig beschäftigt, überwiegend in 450 Euro-Jobs. Ob das wohl daran liegt, dass sie keine anderen Jobs bekommen, als für 450 Euro Zeitungen auszutragen, als Kassierer auf der Tankstelle zu arbeiten oder zu putzen oder was man noch alles für 450 Euro machen kann?
Nein, sagt der Spiegel, die Jobs sind angeblich sogar „beliebt„, weil sie nicht auf die Rente angerechnet werden. Ja, das ist ein großer Vorteil, wenn die Rente nicht zum Leben reicht!
Und dann können wir auch lesen, was ich schon gesagt habe: Die Misere wird wachsen! Was wir heute erleben, ist erst der Anfang. Wer in den nächsten Jahren in Rente geht, der wird noch einmal – Rentenreform sei Dank – weniger Rente bekommen, als die, die einige Jahre vorher in Rente gegangen sind. Aber auch das kann im Spiegel sehr positiv klingen:
„Das Arbeitsministerium erwartet, dass künftig noch mehr Rentner arbeiten, weil Lebensentwürfe sich veränderten und die Babyboomer-Generation nun in das Alter komme.“
Das erinnert mich an die arrogante Äußerung eines Managers, die ich mal in einem Gespräch gehört habe, als man „unter sich“ war und ich selbst noch ein Manager auf Karriere-Kick war. Da sagte einer über Menschen, die von Massenentlassungen betroffen waren: „Super, die haben jetzt die Chance, ihr Leben zu verändern!“ Ich musste danach den Raum verlassen, weil ich fast die Beherrschung verloren hätte.
Aber so zynisch sind inzwischen auch die Politiker, denn dieses Zitat im Spiegel kommt ja immerhin aus dem Arbeitsministerium, wo man sich eigentlich um die schwächsten Menschen kümmern sollte, anstatt ihnen zymisch zu sagen, dass sich ihre „Lebensentwürfe“ verändert hätten.
Und dass es zu dem Thema auch eine andere Sichtweise gibt, wird in dem Spiegel-Artikel erst im letzten Satz erwähnt:
„Sozialverbände verweisen dagegen immer wieder auf die Rentenhöhe, die sie in vielen Fällen für zu gering halten.“
Ach was, lieber Spiegel, das hättest Du in dem Artikel thematisieren müssen, anstatt als Regierungssprecher die zynischen Zitate aus den Ministerien kritiklos zu veröffentlichen!
Ich bin übrigens keineswegs ein „Sozialromantiker“, der einfach nur höhere Renten fordert. Ich weiß auch, dass das Geld dafür irgendwo herkommen muss. Aber das wäre über Nacht zu lösen, wie wir in der Schweiz sehen können, wo es den Rentnern gut geht, obwohl sie viel weniger in die Rentenkasse einzahlen müssen, als in Deutschland. Dort muss nämlich jeder (egal, ob Beamter, Selbständiger etc.) in die Kasse einzahlen. Und zwar unbegrenzt, ohne Beitragsbemessungsgrenze und auch aus dem gesamten Einkommen inklusive Zinserträge, Mieteinnahmen etc. Wer eine Million verdient, zahlt bei einem Beitragssatz von fünf Prozent eben 50.000 ein, Punkt.
Ergebnis: Der Beitrag zur Rentenversicherung ist in der Schweiz viel niedriger als in Deutschland. Weil es aber auch in der Schweiz eine Obergrenze bei den Rentenbezügen gibt und der Millionär eben auch nur dieses Maximum erhält, reicht das Geld für alle und alle bekommen Renten, von denen man ein würdiges Leben führen kann.
So macht es die Schweiz und die steht bestimmt nicht in dem Ruf, ein sozialistisches Land zu sein. Man könnte das Problem in Deutschland also morgen lösen, wenn es den politischen Willen dazu gäbe. Aber die Lobbygruppen der Beamten, Selbständigen, Freiberufler und so weiter verhindern das, denn sie wollen sich an der deutschen „Solidargemeinschaft“ nicht beteiligen, damit Deutschland insgesamt gerechter wird.
Ich habe zu dem Thema schon einiges geschrieben und will hier als Denkanstöße meine Gedanken zu der sozialen Frage verlinken.
Ich habe hier aufgezeigt, dass sich nicht nur das Problem der Renten leicht lösen lässt, wenn der politische Wille da wäre, sondern auch viele andere Probleme, wie der Pflegenotstand und andere. Die sozialen Probleme sind in dem angeblich reichen Land Deutschland inzwischen so groß, dass schon die UNO sie kritisiert. Generell dürfte jeder Rentner, der Flaschen sammeln muss, über den Begriff des „reichen Deutschlands“ nur noch lachen können. Was nützt all der Reichtum, wenn die Armut im Lande wächst?
Wie dramatisch die Lage inzwischen in Deutschland ist, zeigt eine Analyse, die mich selbst überrascht hat. Wir lernen ja ständig, wie arm die Rentner in Russland sind und das stimmt ja auch. Aber wer die Renten in Deutschland und Russland vergleicht – vor allem nach Abzug aller Festkosten – stellt mit Erschrecken fest, dass der deutsche Durchschnittsrentner gerade einmal 20 Euro mehr im Monat hat, als sein russischer Leidensgenosse. Aber in Russland steigen die Renten wenigstens langsam an, im Gegensatz zu Deutschland.
Und da die Betroffenen in Deutschland ja merken, wie es ihnen immer schlechter geht, verwundert es nicht, dass erst vor wenigen Tagen eine große Umfrage festgestellt hat, dass weniger als die Hälfte der Deutschen noch Vertrauen in die deutsche Demokratie hat.
Aber wer diese Probleme kritisiert, gilt als „linker Träumer“. Dabei haben sich in meinen Augen die politischen Einteilungen in „links“ und „rechts“ längst überholt, wie ich hier in einem Kommentar herausgearbeitet habe, über den man mal nachdenken sollte.
Während Medien und Politik die Kritiker an den Zuständen in „links“ und „rechts“ einteilen und sie so gegeneinander in Stellung bringen, geht alles weiter, wie bisher und die Kritiker sind mit sich selbst beschäftigt, anstatt die Regierung in Bedrängnis zu bringen.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“