Kein Bericht in deut­schen Medien: Ermitt­lungen im öster­rei­chi­schen BND-Skandal “abge­brochen”

Wie gleich­ge­schaltet die deut­schen Main­stream-Medien sind, zeigt eine Meldung über einen Geheim­dienst­skandal aus Öster­reich. Ich habe eine volle Woche gewartet, ob in Deutschland darüber berichtet wird. Da die „Qua­li­täts­medien“ es nicht getan haben, tue ich es nun.
Dass die Geheim­dienste im Westen kom­plett unkon­trol­liert und im rechts­freien Raum arbeiten, gilt als Ver­schwö­rungs­theorie, obwohl man früher lapidar „vom Staat im Staate“ sprach. Aber es gibt genug Bei­spiele, die zeigen, dass Geheim­dienst­skandale nie auf­ge­deckt werden, dass west­liche Geheim­dienste auch im eigenen Land Ver­brechen begehen, sogar Men­schen ermorden und Ter­ror­an­schläge durch­führen, und dass sie all das unge­straft tun können.
Wenn so etwas mal bekannt wird, berichtet die Presse ent­weder gar nicht oder nur sehr kurz und dann ver­schwinden die Skandale hinter einer Mauer des Schweigens. Die „Qua­li­täts­medien“ scheinen solche Dinge nicht auf­klären zu wollen, sondern tun ihr Bestes, damit die Men­schen davon nichts erfahren. Und wenn es unver­meidbar ist, darüber zu berichten, dann sorgen sie anschließend dafür, dass die Men­schen es schnell wieder vergessen.
Bevor ich auf die aktuelle Meldung aus Öster­reich komme, will eine kleine Auswahl von Bei­spielen für meine These nennen, damit auch ein Leser, für den all das völlig neu ist, ver­steht, was ich meine.
Das erste Bei­spiel ist „Gladio“. Für alle, die davon noch nie gehört haben: Gladio waren direkt nach dem Krieg von der CIA gegründete und gesteuerte, illegale Unter­grund­armeen in den Nato-Ländern. Ursprünglich sollten sie im Falle eine Krieges hinter den sowje­ti­schen Linien als Par­ti­sanen tätig werden, aber sie wurden auch auf andere Weise ein­ge­setzt, als es nicht zu dem befürch­teten Krieg mit den Sowjets kam. Die Geschichte kam heraus, als Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Italien Skandale vor Gericht kamen und ein ehe­ma­liger ita­lie­ni­scher Minis­ter­prä­sident alles ein­räumen musste.
Das Problem war, dass die schlimmsten Ter­ror­an­schläge in Ita­liens Geschichte, wie zum Bei­spiel der Bom­ben­an­schlag auf den Bahnhof von Bologna vom August 1980 mit 85 Toten, von dieser vom Geheim­dienst geführten Orga­ni­sation durch­ge­führt worden waren. Zuvor hatte man die Schuld auf die kom­mu­nis­ti­schen Roten Bri­gaden geschoben, was sich dann als unwahr her­aus­ge­stellt hat.
Das führte zu Skan­dalen in ganz West­europa und sogar das EU-Par­lament hat in einer Reso­lution Auf­klärung gefordert, die natürlich nie statt­ge­funden hat. In Belgien hat der damalige Ver­tei­di­gungs­mi­nister seine Generäle ent­rüstet gefragt, ob all das wahr wäre, ob es so etwas auch in Belgien gäbe und warum er davon nichts wisse. Die Antwort der Gene­ra­lität war bestechend: „Ihr Ver­tei­di­gungs­mi­nister wechselt ja so oft und das war zu geheim, um es Euch zu erzählen.“
In Deutschland war damals, im Jahre 1991, gerade Wahl­kampf und die SPD von Kanz­ler­kan­didat Engholm wollte das Thema in den Wahl­kampf bringen, aber das tat sie dann doch nicht, nachdem die CDU lapidar mit­ge­teilt hatte, dass es ja auch schon unter den SPD-Kanzlern Brandt und Schmidt all das gegeben hätte. Das Thema würde also beide großen Par­teien beschädigen.
Die Medien hatten es einfach, das Thema „geheim“ zu halten: Damals fand die Wende statt, die Sowjet­union brach zusammen, Deutschland feierte die Wie­der­ver­ei­nigung und so weiter. In dem medialen Lärm ging der Skandal um Gladio still und heimlich unter. Wer diese Geschichte nicht kennt, dem emp­fehle ich unter Rubrik „Dokus/Vorträge“ auf meiner Seite die Videos über das Thema „Ter­ro­rismus und Gladio“. Ich habe dort sowohl eine ZDF-Reportage über das Thema (ja, die gab es tat­sächlich), als auch ein Interview und einen sehr inter­es­santen Vortrag zu dem Thema verlinkt.
Ein wei­teres Bei­spiel für meine These ist das „Celler Loch“. Auch hier wieder für alle, die davon noch nie gehört haben, kurz die Ereig­nisse: 1978 hat der Ver­fas­sungs­schutz mit einer Auto­bombe ein Loch in die Wand eines Gefäng­nisses in Celle gesprengt und die Schuld der RAF ange­hängt. Offi­ziell war es ein wei­terer Ter­ror­an­schlag der RAF.
1986 kam aber heraus, dass die RAF damit nichts zu tun hatte, sondern dass es der Ver­fas­sungs­schutz war. Mit­wisser bzw. Mit­täter waren die GSG9, die nie­der­säch­sische Lan­des­re­gierung unter Minis­ter­prä­sident Albrecht (der übrigens der Vater von Ursula von der Leyen ist), die Gefäng­nis­leitung und eben der Ver­fas­sungs­schutz, der den Ter­ror­an­schlag durch V‑Leute durch­führen ließ.
Was waren die Folgen? Es gab einen Unter­su­chungs­aus­schuss, der natürlich keine Ergeb­nisse lie­ferte und niemand ist vor Gericht gestellt worden oder auch nur zurück­ge­treten. Es gab keine Folgen.
Aber es gibt auch aktuelle Bei­spiele aus Deutschland: Der Fall Amri oder der NSU-Skandal weisen viele unge­klärte Fragen auf, die darauf hin­deuten, dass dort die Geheim­dienste, also vor allem der Ver­fas­sungs­schutz, weit mehr weiß, als er sagt. Viel­leicht gibt es auch eine Betei­ligung des Ver­fas­sungs­schutzes, wie sei­nerzeit beim Celler Loch, das kann man bei all der Geheim­nis­krä­merei nicht ausschließen.
Das ist eben­falls keine Ver­schwö­rungs­theorie, im Fall Anis Amri das wurde letztes Jahr ganz offen zuge­geben, nur hat die Presse das nicht auf­ge­griffen und auch nicht nach­ge­bohrt. Inzwi­schen ist sogar bekannt geworden, dass sogar das FBI Amri über­wacht hat. Da hat ein Mann in aller See­lenruhe einen Ter­ror­an­schlag in Berlin durch­ge­führt, während er min­destens vom Ver­fas­sungs­schutz und vom FBI über­wacht wurde.
Oder ein ganz aktu­elles Bei­spiel aus Spanien: Spanien wird derzeit von einem mas­siven Geheim­dienst­skandal erschüttert. Wie sich her­aus­stellte, war der Ter­rorist, der vor einem Jahr, im August 2018, in Bar­celona mit einem Lie­fer­wagen in eine Fuß­gän­gerzone gefahren ist und dabei 14 Men­schen getötet hat, ein V‑Mann des spa­ni­schen Geheim­dienstes. Darüber wurde in Deutschland gar nicht berichtet. Die Kol­legen vom „3. Jahr­tausend“ haben den Fall mit allen Quellen auf­ge­ar­beitet und am 2. August 2019 darüber aus­führlich berichtet. Wer es nicht glaubt, kann es hier alles anschauen und die Quellen prüfen.
Frap­pierend bei dem spa­ni­schen Fall sind vor allem die vielen Par­al­lelen zum Fall Armi in Berlin, bei denen sich jeder selbst fragen muss, ob das alles nur Zufall sein kann.
Oder das Bei­spiel in Frank­reich: Dort hat am 8. August 2019 der ehe­malige Chef des fran­zö­si­schen Geheim­dienstes der Zeitung „Le Parisien“ ein Interview gegeben und mit­ge­teilt, der fran­zö­sische Geheim­dienst habe in den 1980er Jahren mit isla­mis­ti­schen Ter­ro­risten, die in Frank­reich zuvor bei Ter­ror­an­schlägen viele Men­schen ermordet hatten, ein Abkommen geschlossen, anstatt sie zu ver­folgen.
In Deutschland hat außer mir nur RT-Deutsch darüber berichtet, wenn auch mit einer Woche Ver­spätung. Ansonsten fanden die deut­schen „Qua­li­täts­medien“ nicht, dass man die deut­schen Leser damit behel­ligen müsste.
Natürlich gehören auch die Snowden-Ent­hül­lungen in diese Liste und die Skandale über Spionage der ame­ri­ka­ni­schen NSA gegen ihre „Ver­bün­deten“ in Europa. In Deutschland hört die NSA Telefone ab, liest alle E‑Mails und hört sogar gezielt die Kanz­lerin und ihre deut­schen Kol­legen ab. Auch Indus­trie­spionage betreibt die NSA in Deutschland im großen Stil und dabei wird sie auch noch vom deut­schen BND unter­stützt, wie die Ent­hül­lungen über die soge­nannten „Selek­toren“ ans Licht gebracht haben.
Der BND filtert in Deutschland Inter­net­verkehr im Auftrag der NSA und sucht gezielt nach vor­ge­ge­benen Begriffen („Selek­toren“), die die NSA inter­es­sieren, unter anderem auch nach deut­schen Fir­men­ge­heim­nissen, die dann an die USA wei­ter­ge­geben werden. Der BND hat im Auftrag der NSA in Deutschland nach über 800.000 solcher „Selek­toren“ im deut­schen Internet- und E‑Mail-Verkehr gesucht.
Und genau zu diesem Thema, Spionage gegen „befreundete Staaten“, gibt es nun Neu­ig­keiten aus Öster­reich. Im Juni 2018 kam dort heraus, dass der BND über 2.000 Telefone in Öster­reich abgehört hat und die gewon­nenen Daten auch an die NSA wei­ter­geben hat. Die Politik in Öster­reich war scho­ckiert, sogar in Deutschland wurde ein wenig berichtet und die öster­rei­chische Regierung ver­sprach ent­rüstet Aufklärung.
Als her­auskam, dass Merkels Telefon von der NSA abgehört wurde, sagte sie ihren berühmten Satz: „Abhören unter Freunden geht gar nicht„, nur um danach die Auf­klärung zu behindern und nichts an den Prak­tiken der NSA zu ändern. Es wurden keine neuen Gesetze erlassen, niemand ver­haftet, keine Abhör­sta­tionen der USA in Deutschland wurden geschlossen.
Das öster­rei­chische Äqui­valent zu Merkels Zitat kam von Kanzler Kurz, der sagte: „Unter befreun­deten Staaten darf es so etwas nicht geben
Anschließend jedoch behin­derte er die Auf­klärung ähnlich effektiv, wie Merkel es in Deutschland getan hat. Und vor einer Woche teilte die öster­rei­chische Staats­an­walt­schaft mit, die Ermitt­lungen seien „abge­brochen“ worden. Der ehe­malige Kanzler Kurz und seine ÖVP, die vehement nach Auf­klärung gerufen haben, reagierten kon­se­quent, wie man im öster­rei­chi­schen „Standard“ lesen kann:

„Die ÖVP wollte den Abbruch der Ermitt­lungen nun nicht einmal kommentieren.“

Und das ist ver­ständlich, denn im „Standard“ kann man auch lesen:

„Dafür wurde bekannt, dass zwi­schen den USA und Öster­reich ein Vertrag besteht, der die Zusam­men­arbeit und den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen der NSA und dem Hee­res­nach­rich­tenamt HNaA, dem Aus­lands­nach­rich­ten­dienst des öster­rei­chi­schen Bun­des­heeres, fest­gelegt. Die Presse bezeichnete den Vertrag als „eines der großen Geheim­nisse der Republik“. Bis heute ist der genaue Inhalt des Papiers nicht bekannt. In einem von dem Online-Magazin The Intercept vor wenigen Wochen erstmals ver­öf­fent­lichten NSA-Dokument finden sich aber Hin­weise über die Zusam­men­arbeit. (…) Auch in anderen Snowden-Unter­lagen finden sich zahl­reiche Belege über die US-ame­ri­ka­nisch-öster­rei­chische Zusammenarbeit.“

In Deutschland fand sich auch über eine Woche nach den Mel­dungen aus Öster­reich kein Artikel dazu in den „Qua­li­täts­medien“, das einzige, was ich gefunden habe, war eine auto­ma­tisch erstellte Meldung bei der „Zeit“. Dort arbeitet irgendein Com­pu­ter­pro­gramm und ver­öf­fent­licht selb­ständig Agentur-Mel­dungen, wie man dort lesen kann:

„Diese Meldung ist Teil des auto­ma­ti­sierten Nach­richten-Feeds der Agence France-Presse (AFP).“

Die deut­schen Medien wissen also von den Vor­gängen in Öster­reich, aber sie wollen die deut­schen Leser damit wohl nicht beunruhigen.
Auch hier also wieder das gleiche Schema, wie bei allen anderen genannten und den vielen hier nicht genannten Geheim­dienst­skan­dalen: Die Politik macht markige Sprüche und fordert Auf­klärung, die Medien jedoch ver­gessen das Thema schnell wieder und es ver­schwindet aus der Öffent­lichkeit, wobei das die Poli­tiker, die angeblich so an Auf­klärung inter­es­siert sind, nicht weiter stört. Und nach einem Jahr werden die Ermitt­lungen ein­ge­stellt. Und poli­tische Unter­su­chungs­aus­schüsse haben noch nie Ergeb­nisse gebracht und erst recht nicht zu einer Bestrafung der Betei­ligten geführt. Die Unter­su­chungs­aus­schüsse tagen jah­relang und kommen am Ende zu keinem Ergebnis und die Medien stellen keine Fragen.
So funk­tio­niert in den euro­päi­schen Demo­kratien die „demo­kra­tische Kon­trolle der Geheim­dienste“ und so „kri­tisch“ sind die freien „Qua­li­täts­medien“.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“