Pro­teste in Moskau: Was ist tat­sächlich geschehen und was ver­schweigen die deut­schen Medien?

Die Pro­teste in Moskau machen in Deutschland Schlag­zeilen. Worum geht es dabei und was ver­schweigen die deut­schen Medien?
Bei den Pro­testen in Moskau geht es um eine Kom­mu­nalwahl zum Mos­kauer Stadt­par­lament. Einige Kan­di­daten der Oppo­sition wurden nicht zuge­lassen, weil es Unre­gel­mä­ßig­keiten bei den Unter­schriften gab, die jeder Kan­didat für seine Kan­di­datur sammeln muss. Die Details dazu finden Sie hier.
Dar­aufhin riefen diese abge­lehnten Kan­di­daten zu Demons­tra­tionen auf. Die Demos waren recht klein, es kamen nicht mehr als 4.000 Men­schen, was in einer 12-Mil­lionen-Metropole nicht viel ist. Das wäre so, als wenn sich in Berlin etwas über 1.000 Men­schen ver­sammeln: Nichts, worüber die Medien groß­artig berichten würden. Es sei denn, es geschieht in Moskau und ist gegen Putin gerichtet, dann berichten die west­lichen Medien weltweit. Wobei auch das nicht immer, sondern nur, wenn die Demos von der Polizei auf­gelöst werden.
Von den 1.074 Men­schen, die letzte Woche vor­über­gehend fest­ge­nommen wurden, sind gegen etwa zehn Leute Straf­ver­fahren wegen Wider­stand gegen die Staats­gewalt und Aufruf zu Unruhen ein­ge­leitet worden, ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft. 88 weitere bekamen wegen Aufruf zu oder Teil­nahme an einer nicht geneh­migten Demons­tration als Wie­der­ho­lungs­täter Ord­nungshaft, die bis zu 30 Tage dauern kann. Das gilt nicht als Straftat und ist keine Vor­strafe, es ist nach rus­si­schem Recht eine Ord­nungs­wid­rigkeit. Alle anderen wurden nach Fest­stellung der Per­so­nalien mit einem Buß­geld­be­scheid entlassen.
Es gab auch geneh­migte Demos zu dem Thema in Moskau, die ohne Zwi­schen­fälle ver­liefen, darüber fand sich in den west­lichen Medien aber kein Bericht. Und auch am Samstag, als in Moskau die unge­neh­migte Demo auf­gelöst wurde und die deut­schen Medien aus­giebig berichtet haben, haben sie „ver­gessen“ zu berichten, dass es in der zweit­größten rus­si­schen Stadt St. Petersburg eine geneh­migte Demo gab, bei der ca. 1.000 Men­schen ohne Zwi­schen­fälle demons­triert haben.
Auch die Demo in Moskau war übrigens genehmigt, aller­dings an einem anderen Ort im Stadt­zentrum. Die Demons­tranten wollten die 12-spurige Stadt­au­tobahn Gar­tenring, die um das Zentrum ver­läuft, blo­ckieren. Das hielten die Behörden für unan­ge­messen und haben die Demo auf einer anderen Haupt­straße genehmigt, um den Verkehr im chro­nisch ver­stopften Moskau nicht zum Erliegen zu bringen. Aber das haben die Demons­tranten abge­lehnt und trotzdem ver­sucht, zum Gar­tenring zu kommen. Viele waren mit Messern, Gas­pis­tolen und Trä­nengas bewaffnet. Von den Ver­haf­teten kam die Hälfte nicht einmal aus Moskau und war somit von den Wahlen, um die es vor­geblich ging, gar nicht betroffen.
Inter­essant ist auch, dass die Demons­tranten von west­lichem bzw. aus dem Westen finan­zierten NGOs unter­stützt werden. Was wäre wohl in Deutschland los, wenn eine Orga­ni­sation wie Pegida ihre gesamte Finan­zierung aus Moskau oder Peking bekommen würde?
Wenn man all diese Dinge weiß, sind die Berichte in Deutschland schnell als Mei­nungs­mache bzw. anti-rus­sische Pro­pa­ganda ent­larvt, wie die Artikel bei Spiegel-Online vom Samstag zeigen. Die Über­schrift bei Spiegel-Online zeigt schon, was der Leser erwarten darf: „Fest­nahmen bei Demo in Moskau – Das Volk spa­ziert, der Staat eska­liert
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Auch hier ist wieder inter­essant, wie sich die Über­schrift des Artikels nach seiner Ver­öf­fent­li­chung ver­ändert hat. An der Adress­zeile kann man erkennen, wie der ursprüng­liche Titel lautete: „Russland – Oppo­sition spa­ziert in Moskau gegen die Regierung„. Das war der Redaktion offen­sichtlich zu harmlos, man muss Russland ja als böse dar­stellen. Also wurde die Über­schrift dra­ma­ti­scher for­mu­liert. Die Worte „der Staat eska­liert“ klingen schön böse. Dass es anders herum war und dass die Demons­tranten die Poli­zisten beschimpft und beleidigt hatten und teil­weise bewaffnet zur Demo gegangen sind, das braucht der deutsche Leser ja nicht zu erfahren.
Wie erwähnt wollten die Demons­tranten zum Gar­tenring, der beim Spiegel als Fla­nier­meile beschrieben wird. Dann heißt es:
„An diesem Samstag aller­dings geht es hier nicht bloß um Frei­zeit­ge­staltung. Moskaus Oppo­sition hat zu neuen Pro­testen auf­ge­rufen, aus­ge­rechnet in Form eines Spa­zier­gangs über den Bou­le­vardring. Sie hat, nach zahl­reichen Fest­nahmen bei vor­an­ge­gan­genen Pro­testen, beschlossen, Fla­nieren und Politik zu ver­mi­schen. Es geht darum, der Polizei das Ein­greifen schwer zu machen.“
Wie wäre es in Deutschland, wenn Pegida-Demons­tranten sich bewaffnen und ihre unan­ge­meldete Demo als „Spa­ziergang“ bezeichnen würden, um sich dann in Berlin unter die Tou­risten am Kudamm zu mischen? Würde der Spiegel auch so wohl­wollend berichten, wenn Demons­tranten Unbe­tei­ligte als Deckung miss­brauchen würden?
Erstaunlich ist, dass der Spiegel dieses Mal sogar in einem kurzen Satz erwähnt hat, dass die Demo an einem anderen Ort genehmigt worden ist. Aber er ver­sucht es so, dar­zu­stellen, dass die Wei­gerung der Demons­tranten, dort zu demons­trieren, irgendwie trotzdem ver­ständlich klingt:
„Die Oppo­sition hat sich bewusst für eine unge­neh­migte Demo ent­schieden und gegen den bewil­ligten Ort am Sacharow-Pro­spekt, es ist eine Eska­lation aus Empörung über die Trick­se­reien des Bür­ger­meis­teramts und das dra­ko­nische Vor­gehen der Justiz. Diese hat die unge­neh­migte Demo vom ver­gan­genen Wochenende will­kürlich als „Mas­sen­un­ruhen“ bewertet, jetzt drohen Teil­nehmern min­destens drei Jahre Haft.“
Was pas­siert eigentlich in Deutschland, wenn Demons­tranten sich nicht an den von den Behörden geneh­migten Weg halten und einfach woanders hin­mar­schieren, als ihnen erlaubt wurde oder gleich ganz woanders demons­trieren? Richtig: Die Demons­tration wird von der Polizei aufgelöst.
Nichts anderes ist am Samstag in Moskau geschehen. Und als der Spiegel die Demo vom letzten Wochenende erwähnt, schreibt er, dass den Teil­nehmern min­destens drei Jahre Haft drohen. Dass das nur für etwa zehn Gewalt­täter gilt, ver­gisst der Spiegel zu erwähnen und macht den Ein­druck, es betreffe alle Teilnehmer.
Und dann schreibt der Spiegel:
„Artemij Troizkij, Russ­lands bekann­tester Rock­musik-Kri­tiker und eben­falls ein Pro­test­spa­zier­gänger, hält die Taktik der Oppo­sition für richtig. „Geneh­migter Protest ist doch ein Wider­spruch in sich“, sagt er.“
In Deutschland muss jede Demons­tration ange­meldet werden und die Behörden können sie ver­bieten oder mit Auf­lagen belegen. In Russland muss eine Demo ange­meldet und von den Behörden genehmigt werden. Letztlich ist es das gleiche: man muss die Behörden vorher infor­mieren und die Behörden ent­scheiden dann darüber.
Was wäre also in Deutschland, wenn Pegida seine Demos einfach nicht mehr anmeldet, weil „geneh­migter Protest doch ein Wider­spruch in sich ist„? Wie würde der Spiegel wohl darüber berichten?
Und auch die west­lichen Unter­stützer der Demons­tra­tionen erwähnt der Spiegel:
„Weniger geschont werden dagegen die Teil­nehmer der Kund­gebung. Laut der Bür­ger­rechts­gruppe Ovd-Info wurden bis zum Abend 828 Men­schen festgenommen.“
Die OVD wird kom­plett aus dem Westen finan­ziert. Sie bekommt ihr Geld nach eigenen Angaben von der EU-Kom­mission, der fran­zö­si­schen Bot­schaft in Moskau und der Heinrich-Böll-Stiftung. Und mit Bedauern stellt die OVD auf ihrer Seite auch fest, dass das National Endowment for Demo­cracy und die Open Society Foun­dation von George Soros in Russland nicht mehr tätig sein dürfen, denn diese hätten die OVD früher auch unterstützt.
Nur erfährt der Spiegel-Leser das nicht, statt­dessen wird das schöne Wort „Bür­ger­rechts­gruppe“ benutzt.
Über die Gründe für den Protest berichtet der Spiegel:
„Die Behörden geben formale Gründe für den Aus­schluss der Oppo­si­ti­ons­po­li­tiker von der Wahl des Stadt­par­la­ments am 8. Sep­tember an: Die Kan­di­daten hätten nicht genug Unter­schriften von Wählern vor­legen können.“
Das ist schlicht nicht wahr. Genug Unter­schriften hatten alle Kan­di­daten gesammelt. Jedoch wurde viele Unter­schriften aus den ein­ge­reichten Listen gestrichen, weil sie sich als falsch her­aus­stellten oder sogar zu bereits ver­stor­benen Men­schen gehörten. Das kann man ja hin­ter­fragen oder an kon­kreten Fällen nach­weisen, wenn die Behörden gültige Unter­schriften abge­lehnt haben. Das tun aber weder die Kan­di­daten, die statt­dessen zu Demos auf­rufen, noch tun es die Medien. Statt­dessen heißt es im Spiegel:
„Die vom rus­si­schen Wahl­recht gefor­derte enorm hohe Zahl wird streng geprüft, die Unter­schriften werden meist nach will­kür­lichen Kri­terien beanstandet.“
Das mit den will­kür­lichen Kri­terien ist eben­falls gelogen. Die Kri­terien sind im Gesetz genau fest­ge­schrieben und es stünde den Kan­di­daten frei, gegen die bean­stan­deten Fälle vor­zu­gehen. Von der Wahl wird übrigens ein Kan­didat nur dann aus­ge­schlossen, wenn bei ihm mehr als zehn Prozent der ein­ge­reichten Unter­schriften bean­standet wurden. Und auch „enorm hoch“ ist die Zahl der nötigen Unter­schriften nicht, es sind wenige Tausend, abhängig von der Bevöl­kerung im Wahlkreis.
Weiter steht im Spiegel:
„“Du musst fak­tisch 50.000 Leute ansprechen, um 6000 kor­rekte Unter­schriften zusam­men­zu­kriegen“, erklärt Kan­di­datin Rus­sakowa. „Und wenn du diese Arbeit hinter dich gebracht hast, kennt dich jeder im Bezirk. Die Chancen beim Wahlgang selbst stehen dann gut“. Das erkläre „die irra­tionale, panische Reaktion“ der Behörden.“
Will­kommen in der Demo­kratie! Ja, nicht jeder gibt Dir seine Unter­schrift und Du musst viele Leute ansprechen, um die nötige Anzahl zusammen zu bekommen. Das gilt aber in jedem Land, in dem Kan­di­daten Unter­schriften sammeln müssen, um als Direkt­kan­di­daten antreten zu dürfen. Und in Moskau gilt es für alle Kan­di­daten, die zuge­lassen werden. Die Sammlung der Unter­schriften ist also keine Erfolgs­ga­rantie, wie der Spiegel sug­ge­riert, denn das machen alle und damit sind auch alle bekannt.
Aber dass sich Kan­di­daten mit ihren Wählern treffen müssen und ihre Unter­stützung brauchen, um bei einer Wahl antreten zu können, finde ich sogar gut. Lassen Sie uns mal über­legen, welche Poli­tiker uns in Deutschland wohl erspart geblieben wären, wenn es in Deutschland ein ähn­liches System gäbe und nicht die Par­teien über die Auf­stellung der Kan­di­daten ent­scheiden, sondern die Bürger mit ihrer Unterschrift.
Übrigens gab es am Samstag auch eine Demons­tration in Frank­reich, die etwa genauso viele Teil­nehmer hatte, wie die in Moskau. In Frank­reich wurde gegen Poli­zei­gewalt demons­triert, weil vor kurzem ein Mann bei einem umstrit­tenen Poli­zei­einsatz in Frank­reich gestorben ist. Während in Moskau außer einem Poli­zisten niemand ver­letzt wurde, keine Knüppel, schweres Gerät oder gar Trä­nengas ein­ge­setzt wurden, setzte die Polizei in Frank­reich am gleichen Tag Was­ser­werfer und Trä­nengas gegen die Demons­tranten ein.
Zum Schluss noch ein Wort zu RT-Deutsch: Ich finde es sehr gut, wie RT-Deutsch über Demons­tra­tionen berichtet. Bei den Gelb­westen hat RT fast jedes Wochenende live berichtet, wobei nur gefilmt und nicht kom­men­tiert wurde. Jeder Zuschauer kann sich dabei selbst eine Meinung bilden, ohne von Kom­men­ta­toren in die gewünschte Richtung gelenkt zu werden. Das gleiche macht RT auch bei den Demons­tra­tionen in Moskau. Das finde ich lobenswert, so sollten Medien informieren.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“