By Wolfmann - Own work, CC BY-SA 4.0, Link

Pro­vo­kante These? Der Umgang der Medien mit #MeToo gefährdet den Rechtsstaat

Im Westen wird der Rechts­staat durch die Hin­tertür aus­ge­hebelt und die Medien machen dabei fleißig mit. Das kann man am Bei­spiel der Me-Too-Debatte sehr ein­drücklich sehen.
Nur um keine Miss­ver­ständ­nisse auf­kommen zu lassen: Ich bin für die kom­plette Selbst­be­stimmung eines jeden Men­schen, auch für die sexuelle Selbst­be­stimmung. Dazu gehört natürlich, dass niemand gegen seinen Willen zu sexu­ellen Hand­lungen gedrängt werden darf. Und das Schöne ist: Dafür gibt es Gesetze. Ver­ge­wal­tigung, sexuelle Nötigung und so weiter werden straf­rechtlich ver­folgt und das muss auch so sein. Um diese Selbst­ver­ständ­lichkeit geht es mir hier nicht und ich erwähne das nur aus­drücklich, damit mich niemand falsch ver­stehen kann.
Zum Rechts­staat gehört, dass jeder unschuldig ist, bis seine Schuld bewiesen ist. Das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­terium will dem­nächst eine Kam­pagne starten, um den Deut­schen die Vorzüge des Rechts­staates zu erklären. Dazu werde ich noch äußern, wenn die Kam­pagne Fahrt aufnimmt.
Aber auf der Seite der Kam­pagne kann man zur Unschulds­ver­mutung lesen:

„Das bedeutet, dass die Unschuld bis zum rechts­kräf­tigen Nachweis seiner Schuld ver­mutet wird. (…) Der Rechts­staat ver­fährt also nach dem Grundsatz: Im Zweifel ist es besser, neun Schuldige laufen zu lassen, als einen Unschul­digen zu ver­ur­teilen. Wer dem nicht zustimmt, der stelle sich vor, er sei der Unschuldige, der seine Unschuld nicht beweisen kann. (…) Übrigens: Der Grundsatz der Unschulds­ver­mutung gilt auch für die Medien. Um eine öffent­liche Vor­ver­ur­teilung zu ver­hindern, werden darum in der Regel selbst dringend Tat­ver­dächtige als „mut­maß­liche Täter“ bezeichnet.“

Das klingt gut und ich denke, dem kann jeder zustimmen. Zumindest, wenn er ein Ver­fechter des Rechts­staates ist. Und da diese Zitate von der Seite Jus­tiz­mi­nis­te­riums kommen, sollten wir doch davon aus­gehen, dass es auch stimmt und so in Deutschland gilt, gelebt und umge­setzt wird. Und nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten „west­lichen Wertegemeinschaft“.
Nur ist das auch so?
Nehmen wir die Me-Too-Debatte. Erinnern Sie sich noch, wie sie begonnen hat? Harvey Wein­stein, der Hol­lywood-Tycoon, kam in die Schlag­zeilen, weil er sich angeblich sexuelle Über­griffe geleistet haben soll. Was folgte, war eine mediale Hin­richtung. Er verlor seinen Job, seine Ehren­dok­tor­würden und so weiter. Er wurde zur Persona Non Grata. Dabei ist eine Anklage nach der anderen gegen ihn in sich zusam­men­ge­brochen. Bisher hat er sich – aus Sicht des Rechts­staates – nichts zu Schulden kommen lassen. Er ist nicht ver­ur­teilt worden und, wie wir beim Jus­tiz­mi­nis­terium gelernt haben, hat demnach immer noch als unschuldig zu gelten. Auch wie war das in den Medien, wie haben die berichtet? Überall Vor­ver­ur­tei­lungen gegen Weinstein.
Mir geht es nicht um Wein­stein, aber sein Fall ist einfach ein gutes Bei­spiel. Es reichte, dass Frauen behauptet haben, er hätte sich unsittlich benommen. Aber die wenigsten „Opfer“ waren bereit, über­haupt Anzeige zu erstatten. Im Fern­sehen rühr­selig der US-Öffent­lichkeit ihre Geschichte erzählen, das ging. Dafür gab es eine gute Gagen und es gab PR, die einem kleinen Hol­lywood-Sternchen Schlag­zeilen und damit Plus-Punkte bei der Kar­riere brachte. Aber bisher ist noch kein Fall bekannt, in dem Wein­stein über­haupt gegen Gesetz ver­stoßen hat.
Das gleiche gilt auch für Kevin Spacey, der fast zeit­gleich mit Wein­stein den gleichen Vor­würfen aus­ge­setzt war und auch er wurde medial und gesell­schaftlich ver­nichtet. Das rus­sische Fern­sehen hat sich Fälle später einmal ange­schaut und im Detail auf­ge­zeigt, welche Vor­würfe es gegen die beiden gegeben hat und wie diese einer nach dem anderen nicht einmal aus­ge­reicht haben, um auch nur als Anklage vor Gericht zuge­lassen zu werden. Von einem Schuld­spruch gar nicht zu reden.
In der Me-Too-Debatte gab es auch Fälle, bei denen sich die Opfer dann mit sechs­stel­ligen Summen haben zum Schweigen bringen lassen, anstatt vor Gericht eine Bestrafung ihrer „Pei­niger“ und ein – nach US-Recht – wesentlich höheres Schmer­zensgeld zu erreichen. Wie es ein Kom­men­tator im rus­si­schen Fern­sehen einmal sinn­gemäß sagte: „Wenn Sie nur Taxi­fahrer oder Kellner sind, wird niemand nach 30 Jahren auf­tauchen und Ihnen unsitt­liche Annä­he­rungen vor­werfen. Aber wenn sie in den 30 Jahren zu Geld gekommen sind, dann leben Sie gefährlich“.
Zu dieser viel­leicht über­spitzten Aussage mag jeder stehen, wie er will, aber sie hat min­destens einen wahren Kern. Die Me-Too-Debatte hat bisher zu keiner Ver­ur­teilung wegen Geset­zes­ver­stößen geführt, aber dafür schon die Repu­tation manch eines Men­schen ruiniert.
Aktuell macht gerade Palcido Domingo Schlag­zeilen. Ihm werfen ca. 20 Frauen vor, dass er sich ihnen vor Jahr­zehnten unsittlich genähert und ver­sucht haben soll, die eine oder andere zu küssen. Die meisten dieser Frauen sind dabei anonym geblieben, niemand hat Anzeige erstattet, die Vor­würfe können nicht einmal über­prüft werden und Domingo hat daher nicht einmal die Mög­lichkeit, seine Unschuld zu beweisen.
Aber was rede ich da?
Seine Unschuld zu beweisen?Wie war das im Rechts­staat? Jeder ist unschuldig, bis seine Schuld ein­wandfrei bewiesen ist, niemand muss seine Unschuld beweisen. Das ist angeblich die Rechts­ordnung, in der wir leben. Und sie gilt – wir erinnern uns – angeblich auch für die Medien.
Aber haben Sie einen Artikel gefunden, in dem sich eine Zeitung über die Vor­ver­ur­tei­lungen von Wein­stein, Spacey oder Domingo auf­geregt hätte?
Nun könnte man ein­wenden „Was geht mich das an? Ich bin kein berühmter Mil­lionär, mich betrifft das nicht!“
Aber das ist zu kurz gedacht. Indem die Medien uns mit diesen Bei­spielen die Sen­si­bi­lität für einen der Grund­pfeiler der Rechts­staat­lichkeit – die Unschulds­ver­mutung – nehmen, gewöhnen wir uns Stück für Stück daran, dass es ganz normal ist, wenn Men­schen medial vor­ver­ur­teilt und gesell­schaftlich ver­nichtet werden. Wir beginnen viel­leicht sogar, diese Dinge als Teil der Regen­bo­gen­presse zu ver­stehen und sie amüsant zu finden, in einer Reihe mit den Schwan­ger­schaften irgend­einer Prin­zessin oder Schau­spie­lerin, über die die Medien in der Regen­bo­gen­presse berichten.
Dabei sind das hoch­ge­fähr­liche Ten­denzen für den Rechtsstaat!
Im Rechts­staat gilt: Wer gegen ein Gesetz ver­stoßen hat, wird ver­ur­teilt. Wem das nicht nach­ge­wiesen werden kann, der ist unschuldig. Domingo wurde noch nicht einmal vor­ge­worfen, gegen ein Gesetz ver­stoßen zu haben, von einer Ver­ur­teilung gar nicht zu reden. Aber er ist bereits von der ersten Oper vor die Tür gesetzt worden: In New York darf er nach 50 Jahren an der Oper nun nicht mehr auf­treten.
Heute reichen schon anonyme Vor­würfe, um solche Folgen zu haben.
Und die Gefahr ist, dass wir damit auch poli­tisch lenkbar werden. Wenn es sich durch­setzt, dass die Medien mit solchen unbe­wie­senen Vor­würfen bereits Kar­rieren rui­nieren können, dann wird das früher oder später auch in der Politik geschehen. Dann reicht es plötzlich aus, wenn jemandem nach­gesagt wird, er hätte sich einer Frau gegenüber unsittlich benommen. Dem poli­ti­schen Miss­brauch wäre Tür und Tor geöffnet und jeder unliebsame Poli­tiker könnte über Nacht ver­nichtet werden.
Was wird dann aus der Demo­kratie, wenn solche Zustände Einzug halten?
Aber diese Zustände sind schon da: Erinnern Sie sich noch an den FDP-Poli­tiker Brü­derle? Nicht, dass ich ein großer Fan von ihm gewesen wäre, aber genau dieses Spiel wurde mit ihm gespielt: Er hatte nach einem langen Tag mit Ver­an­stal­tungen spät am Abend an einer Hotelbar einer anwe­senden Jour­na­listen gegenüber eine Bemerkung über ihr Dekol­letee gemacht. Er hat sie nicht bedrängt, nicht berührt. Er hat nichts getan, was in irgend­einer Form gesetzlich ver­boten wäre. Er hat nur nach einem langen Tag und ein paar Gläsern Wein einen dummen Spruch gemacht. Damit war seine Kar­riere beendet, nachdem die Medien sich an dem „Fall“ abge­ar­beitet haben.
Wie gesagt, es ist um Brü­derle nicht schade, so gut war er meiner Meinung nach nicht. Aber es zeigt, dass die Medien dieses Prinzip in Deutschland schon durch­ge­spielt haben. Man kann es als Testlauf für den „Ernstfall“ betrachten, für den Fall, dass die Medien jemanden los­werden wollen, der sie tat­sächlich stört. Sie haben es aus­pro­biert und es hat in Deutschland funktioniert.
In den USA beob­achten wir das schon lange. Die Wahl­kämpfe dort drehen sich schon lange nicht mehr um Politik, sondern um die Frage, wer wen wann wie berührt hat oder nicht. Die USA sind uns da voraus, aber die ersten Anzeichen sind auch schon in Deutschland zu sehen. Wollen wir wirklich, dass „poli­tische Debatten“ sich um solche Themen drehen?
Aber es gibt noch Hoffnung, wie wir heute im Spiegel lesen können:

„Die fran­zö­sische #MeToo-Akti­vistin Sandra Muller soll einem frü­heren Fern­seh­ma­nager 20.000 Euro zahlen, weil sie ihm öffentlich sexuelle Beläs­tigung vor­ge­worfen hatte. Ein Gericht in Paris ver­ur­teilte die Jour­na­listin wegen übler Nachrede. Zudem muss Muller demnach den Twitter-Eintrag löschen, in dem sie den Mann namentlich beschuldigt hatte.“

Es ist beru­higend, dass die Gesetze anscheinend zumindest in Frank­reich noch funk­tio­nieren. Ich bin für eine Bestrafung von Men­schen, die gegen Gesetze ver­stoßen. Wer einen anderen Men­schen sexuell bedrängt, gehört bestraft. Aber es gehören auch die­je­nigen bestraft, die sich auf Mode­wellen, wie der Me-Too-Debatte, ins Ram­pen­licht bringen wollen, indem sie andere Men­schen zu Unrecht beschuldigen!
Wir sollten die Regeln von Demo­kratie und Rechts­staat achten und gegen solche öffent­lichen Ver­leum­dungs­kam­pagnen vor­gehen. Die Unschulds­ver­mutung gehört wieder in die Schlag­zeilen und nicht die Beschul­di­gungen von Men­schen, die dabei sogar anonym bleiben, aber das Leben eines anderen mit ihren anonymen Anschul­di­gungen zer­stören wollen.
Es ist viel­sagend, wenn die „Qua­li­täts­medien“ sich bereit­willig für solche Kam­pagnen her­geben, anstatt sich klar auf die Seite des Rechts­staates zu stellen.
Übrigens gehört zum Rechts­staat auch die Petition gegen §146 und §147 GVG, worum es dabei geht, können Sie hier nach­lesen. Ich bitte daher noch einmal um Unter­stützung der Petition.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“