„Kanzlerin soll Salvinis Kaltstellung gefordert haben – Italiens Medien entsetzt über ein Merkel-Telefonat – doch das fand nie statt“, titelt heute der FOCUS. Dieser Fall scheint mir interessant und aufschlussreich im Hinblick darauf, wie deutsche M‑Medien seit geraumer Zeit agieren. Wohlgemerkt: Mir geht es hier nicht darum, worüber hier berichtet wird, ob also Merkel tatsächlich in italienische innere Belange hinein intrigiert hat oder nicht. Mir geht es darum, wie der FOCUS darüber berichtet, wie er hier von vorneherein Partei ergreift und Behauptungen von Merkels Regierungssprecher nicht als Behauptungen, sondern als Fakten darstellt.
Wie der FOCUS eine Gegenbehauptung von Merkels Regierungssprecher als Faktum ausgibt
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist der Sachverhalt wie folgt: Am 30. August erschien in der renommierten linksliberalen Tageszeitung La Repubblica ein Artikel des bekannten Journalisten Goffredo de Marchis, der behauptete, dass es internationalen Druck auf Italien gegeben habe, die Neuwahlen und damit einen möglichen Sieg von Salvinis Lega zu verhindern. Insbesondere behauptete der Autor, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in der römischen Zentrale des sozialdemokratischen PD angerufen und einem hochrangigen Exponenten folgende Botschaft übermittelt habe: „Die Regierung muss um jeden Preis gebildet werden, um die Souveränisten (Salvinis Lega) zu stoppen.“ Nun schreibt der FOCUS:
»Auf die Frage an das Bundespresseamt, ob es dieses Telefonat wirklich gab, die Kanzlerin diesen Satz gesagt und mit wem sie vom PD gesprochen habe, teilte ein Regierungssprecher auf Anfrage von FOCUS Online mit: „Wir haben diese Berichte zur Kenntnis genommen und können diese ausdrücklich nicht bestätigen. Im Übrigen hat ein solches Telefonat nicht stattgefunden.“«
Und daraus macht der FOCUS dann in der Überschrift: „Italiens Medien entsetzt über ein Merkel-Telefonat – doch das fand nie statt“.
Woher will der Focus das definitiv wissen, dass ein solches Telefonat niemals stattfand?
Die La Repubblica behauptet also, Merkel habe sich in Italien eingemischt. Merkel selbst bestreitet das. Vielleicht stimmt das ja, vielleicht sagt sie die Wahrheit, darum geht es jetzt nicht. Aber wissen kann der FOCUS das zu dem Zeitpunkt eigentlich noch nicht. Er schreibt aber nicht: „Italiens Medien entsetzt über ein angebliches Merkel-Telefonat, welches diese bestreitet“, sondern er schreibt: „Italiens Medien entsetzt über ein Merkel-Telefonat – doch das fand nie statt“.
Das heißt, der FOCUS legt sich direkt fest. Er übernimmt die Aussage von Merkels Regierungssprecher und stellt sie dar nicht als das, was sie ist: eine Gegenbehauptung. Er stellt sie vielmehr dar als ein Faktum: „doch das fand nie statt“. Woher will der Focus das definitiv wissen, dass ein solches Telefonat niemals stattfand? Nur weil der Regierungssperecher das behauptet hat, behauptet der FOCUS wiederum das sei so. Was von Erklärungen des Regierungssprechers und auch der Kanzlerin zu halten ist, wissen wir spätestens seit den Vorkommnissen in Chemnitz.
Aufgabe der Medien ist nicht, als verlängerter Arm der Regierung zu fungieren, sondern kritisch, distanziert und wahrheitsgetreu zu berichten
Das heißt, der FOCUS ergreift von vorneherein Partei. Er legt sich direkt fest. Womöglich ist er sogar schon mit dem Vorsatz, die Behauptungen der La Repubblica zu diskreditieren, an die Sache herangegangen. Das wissen wir wiederum nicht. Das ist spekulativ, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Auf jeden Fall aber wissen wir eines, weil wir das sehen können: Der FOCUS übernimmt die Aussage unserer Regierung und stellt sie als Tatsache dar, ergreift also vollkommen Partei.
Das ist aber nicht die Aufgabe der Medien, sofort Partei zu ergreifen. Ein schönes Beispiel, wie mir scheint, was bei uns grundlegend schief läuft: Es ist längst zu einer Verbrüderung gekommen von Regierung und M‑Medien, vor allem wenn es gegen die bösen Nationalisten geht, wobei auch hier nicht unterschieden wird zwischen Nationalliberalen und reaktionären Nationalisten bis hin zu Chauvinisten. Hier wird alles völlig undifferenziert über einen Kamm geschert, aber das wäre Stoff für ein eigenes Thema. Bleiben wir beim FOCUS und den M‑Medien.
Die Aufgabe der Medien ist nicht die, als verlängertes Organ der Regierung zu fungieren, sondern kritisch und distanziert, vor allem wahrheitsgetreu zu berichten. Und der FOCUS kann meines Erachtens zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen, welche Behauptung wahr ist. Wenn Merkel tatsächlich angerufen hätte, würde sie das wohl kaum öffentlich zugeben. Ihre Gegenbehauptung völlig unkritisch als Tatsache zu verkaufen, halte ich für keinen seriösen Journalismus.
Jürgen Fritz — Erstveröffentlichung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com
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