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Die meisten Regie­rungen und poli­ti­schen Par­teien wollen den Kapi­ta­lismus zerstören

Das cha­rak­te­ris­tische Merkmal des modernen Kapi­ta­lismus ist die Mas­sen­pro­duktion von Gütern, die für den Ver­brauch durch die Massen bestimmt sind. Das Resultat ist eine Tendenz zu einer stän­digen Ver­bes­serung des durch­schnitt­lichen Lebens­stan­dards, das heißt eine fort­schrei­tende Berei­cherung der Vielen. Der Kapi­ta­lismus ent­pro­le­ta­ri­siert den „gewöhn­lichen Men­schen“ und erhebt ihn zu dem Rang eines „Bür­ger­lichen“.
Auf dem Markt einer kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft ist der gewöhn­liche Mensch der sou­veräne Ver­braucher, dessen Ent­schluss zu kaufen oder vom Kaufen abzu­sehen letzlich darüber ent­scheidet, was und in welcher Quan­tität und Qua­lität pro­du­ziert werden soll. Jene Läden und Anlagen, die aus­schließlich oder vor­wiegend damit beschäftigt sind, die Nach­frage der rei­cheren Klassen nach ver­fei­nerten Luxus­gütern zu befrie­digen, spielen lediglich eine unter­ge­ordnete Rolle in der öko­no­mi­schen Struktur der Markt­wirt­schaft. Sie erreichen nie den Umfang der Groß­be­triebe. Groß­be­triebe dienen immer – direkt oder indirekt – den Massen.

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Eben in diesem Auf­steigen der Menge besteht die radikale soziale Umwälzung, die die indus­trielle Revo­lution her­vor­ge­rufen hat. Jene Unter­ge­ord­neten, die in allen vor­her­ge­henden Zeit­altern der Geschichte die Herden der Sklaven und Leib­ei­genen, der Almo­sen­emp­fänger und der Bettler bil­deten, sind zu dem kau­fenden Publikum empor­ge­stiegen, um dessen Gunst die Geschäfts­leute werben. Sie sind die Kunden, die „immer im Recht“ sind, die Schutz­herren, die die Macht haben, arme Fabri­kanten und Kauf­leute reich und reiche arm zu machen.
In der Struktur einer Markt­wirt­schaft, die nicht durch die Prak­tiken von Regie­rungen und Poli­tikern sabo­tiert wird, gibt es keine vor­nehmen Herren und Junker, die die Bevöl­kerung in Unter­werfung halten, indem sie Tribute und Abgaben ein­sammeln, und die fröhlich schmausen, während die Leib­ei­genen sich mit Bro­samen begnügen müssen. In dem „Pro­fit­system“ können nur die­je­nigen gedeihen, denen es gelungen ist, die Bedürf­nisse der Men­schen auf die best­mög­liche und bil­ligste Weise zu befrie­digen. Reichtum kann nur durch Zufrie­den­stellung der Ver­braucher erworben werden. Die Kapi­ta­listen ver­lieren ihr Kapital, sobald sie ver­säumen, es in den­je­nigen Pro­duk­ti­ons­zweigen zu inves­tieren, in welchen sie die all­ge­meine Nach­frage am besten befrie­digen können. In einem täglich sich wie­der­ho­lenden Volks­ent­scheid, in welchem jeder Pfennig mit dem Wahl­recht ver­bunden ist, bestimmen die Ver­braucher, wer die Fabrik­an­lagen, Läden und Land­güter besitzen und ver­walten soll. Die Kon­trolle der mate­ri­ellen Pro­duk­ti­ons­mittel ist eine soziale Funktion, die der Bestä­tigung oder dem Widerruf des sou­ve­ränen Ver­brau­chers unter­worfen ist.
Dies ist es, was die moderne Auf­fassung von Freiheit bedeutet. Jeder erwachsene Mensch ist frei, sein Leben nach seinen eigenen Plänen zu formen. Er wird nicht gezwungen, nach den Wün­schen einer pla­nenden Auto­rität zu leben, die ihren Ein­heitsplan durch die Polizei, das heißt durch Zwang und Zwangs­herr­schaft durch­setzt. Was die Freiheit des Indi­vi­duums beschränkt, ist nicht die Gewalt­tä­tigkeit oder die Gefahr der Gewalt­tä­tigkeit von Seiten anderer Men­schen, sondern die phy­sio­lo­gische Struktur seines Körpers und die unaus­weichbare, natur­ge­gebene Knappheit der Pro­duk­ti­ons­fak­toren. Es ist offen­sichtlich, dass die Ver­fü­gungs­freiheit des Men­schen, sein Schicksal zu formen, niemals die Grenzen, die durch die soge­nannten Natur­ge­setze gezogen sind, über­schreiten kann.
Die Fest­stellung dieser Tat­sachen stellt keine Recht­fer­tigung der indi­vi­du­ellen Freiheit vom Stand­punkt irgend­welcher abso­luten Maß­stäbe oder meta­phy­si­schen Begriffe dar. Es wird hier kein Urteil gefällt über die geläu­figen Dogmen der Ver­tei­diger des Tota­li­ta­rismus, ganz gleich ob diese „rechts“ oder „links“ stehen. Zu ihrer Behauptung, dass die Massen zu dumm und unwissend sind, um zu ver­stehen, was ihren wahren Bedürf­nissen und Inter­essen am besten dient, und dass sie unbe­dingt eines Vor­munds bedürfen, das heißt der Regierung, um nicht benach­teiligt zu werden, wird hier nicht Stellung genommen. Die Behauptung, dass es Über­men­schen für das Amt einer solchen Vor­mund­schaft gibt, wird hier auch nicht weiter untersucht.
Dank dem Kapi­ta­lismus stehen dem gewöhn­lichen Men­schen Annehm­lich­keiten zur Ver­fügung, die in frü­heren Zeiten unbe­kannt und deshalb sogar den reichsten Leuten nicht zugänglich waren. Aber natürlich machen diese Autos, Fern­seh­ap­parate und Kühl­schränke den Men­schen nicht glücklich. In dem Augen­blick, in dem er sie erwirbt, mag er glück­licher sein als zuvor. Sobald aber einige seiner Wünsche erfüllt sind, hat er plötzlich neue Wünsche. So ist die mensch­liche Natur.
Es gibt wenige Ame­ri­kaner, die sich der Tat­sache bewußt sind, dass ihr Land den höchsten Lebens­standard genießt, und dass der Lebensstil des Durch­schnitts­ame­ri­kaners der größten Mehrzahl der in den nicht-kapi­ta­lis­ti­schen Ländern lebenden Men­schen als phan­tas­tisch und uner­reichbar erscheint. Die meisten Men­schen schätzen nicht, was sie besitzen und mög­li­cher­weise erwerben können; sie sehnen sich nach den für sie uner­reich­baren Dingen. Es wäre nutzlos, diesen uner­sätt­lichen Appetit nach mehr und immer mehr Gütern zu bedauern. Diese Gier ist genau der Impuls, der den Men­schen auf den Weg der wirt­schaft­lichen Ver­bes­serung führt. Es ist keine Tugend, mit dem zufrieden zu sein, was man hat oder leicht erwerben kann und apa­thisch von irgend­welchen Ver­suchen, seine eigenen mate­ri­ellen Ver­hält­nisse zu ver­bessern, abzu­sehen. Eine solche Ein­stellung ent­spricht eher dem Ver­halten von Tieren als dem Betragen von ver­nünf­tigen Men­schen. Es ist eine der cha­rak­te­ris­ti­schen Eigen­schaften des Men­schen, unentwegt bemüht zu sein, seine Wohl­fahrt durch ziel­be­wußte Tätigkeit zu fördern.
Die Bemü­hungen müssen jedoch dem End­zweck ange­passt sein. Sie müssen geeignet sein, die gewünschten Wir­kungen zu erzielen. Der Haupt­fehler unserer Zeit­ge­nossen ist nicht, daß sie sich lei­den­schaftlich nach einem grö­ßeren Angebot der ver­schie­denen Güter sehnen, sondern daß die von ihnen gewählten Mittel für die Errei­chung dieses Zieles unge­eignet sind. Sie sind irre­ge­führt durch unechte Ideo­logien. Sie begüns­tigen eine Politik, die ihren eigenen, lebens­wich­tigen und richtig ver­stan­denen Inter­essen ent­ge­gen­wirkt. Zu schwer­fällig, die unaus­bleib­lichen lang­fris­tigen Folgen ihres Ver­haltens ein­zu­sehen, finden sie Freude an den vor­über­ge­henden kurz­fris­tigen Wir­kungen. Sie befür­worten Maß­nahmen, die am Ende zu einer all­ge­meinen Ver­armung, zu einer Auf­lösung der sozialen Zusam­men­arbeit nach den Prin­zipien der Arbeits­teilung und zur Rückkehr in die Bar­barei führen müssen.
Es gibt nur ein ein­ziges Mittel, die mate­ri­ellen Bedin­gungen der Menschheit zu ver­bessern: Das Wachstum des ange­sam­melten Kapitals muß das Wachstum der Bevöl­kerung über­steigen. Je höher der Betrag des inves­tierten Kapitals auf den ein­zelnen Arbeiter gerechnet ist, desto mehr und bessere Güter können pro­du­ziert und kon­su­miert werden. Dies ist, was der Kapi­ta­lismus, das so oft beschimpfte Pro­fit­system, bewirkt hat und täglich von neuem bewirkt. Dennoch sind die meisten augen­blick­lichen Regie­rungen und poli­ti­schen Par­teien eifrig bemüht, dieses System zu zerstören.
[Ent­nommen aus: „Die Wurzeln des Anti­ka­pi­ta­lismus“ (1958)]

Quelle: misesde.org