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Eco­Vadis – je schlechter das Klima umso besser die Geschäfte

Stellen Sie sich vor, Ihr Lebens­traum wäre es, einen Eis­laden auf­zu­machen. Der per­fekte Standort ist gefunden, der Busi­nessplan aus­ge­ar­beitet und die Bank hellauf begeistert. Sie haben kreative Rezepte am Start, moti­viertes Per­sonal, alle fach­lichen und gesund­heit­lichen Vor­aus­set­zungen erfüllen Sie. Natürlich kennen und beachten Sie jede noch so stumpf­sinnige Eis­ab­ga­be­durch­füh­rungs­ver­ordnung der EU, das neue Gutes-Eis-an-der Waffel-Gesetz der Bun­des­re­gierung und der Bio­bauer aus ihrer Nach­bar­schaft bringt die benö­tigte Milch jeden Morgen mit dem Elek­tro­roller vorbei.
Sie legen also los, der Laden brummt, Sie bezahlen Ihre Ange­stellten, den Finanz­mi­nister, die GEMA für das Gedudel im Laden, die Berufs­ge­nos­sen­schaft, die IHK, die Wer­be­ge­mein­schaft und noch ein wei­teres halbes Dutzend Ver­si­che­rungen und Behörden. Und wenn Sie nicht gestorben sind oder vom Markt ver­drängt wurden – oder Ihre Gäste an Sal­mo­nellen ver­enden –, könnte das eine ganze Weile so wei­ter­gehen. Doch dann kommt jemand und macht Ihnen ein Angebot. Ein Angebot, dass Sie nicht anlehnen können.
Falls Sie erwarten, dass ich nun mafiöse Prak­tiken im Geschäft mit Vanille, Schoko und Schlag­sahne offen­baren werde, muss ich Sie ent­täu­schen. Die Idee, die hinter dem „Angebot“ steckt, ist um einiges geris­sener, lukra­tiver, risi­ko­ärmer und noch dazu völlig legal! Die „Eis­dielen“ reißen sich geradezu um die Ehre, dieses Angebot anzu­nehmen: Gegen eine kleine Gebühr gibt es eine Liste mit Ja/Nein-Fragen und nach der Aus­wertung ein Siegel in Gold, Silber oder Bronze, das man sich für ein Jahr ins Fenster kleben darf. Man gehört dann offi­ziell zu den besten 15%, 5% oder sogar 3% der Eis­ma­cher­branche. Bewertet werden Umwelt- und Kli­ma­fragen, CO2-Emis­si­ons­ver­meidung, die Ein­haltung von Arbeits- und Men­schen­rechten sowie Ethik und Nach­hal­tigkeit. Nur ob das ver­kaufte Eis gut ist und warum es den Gästen schmeckt, wird nicht bewertet.
Die Geschichte vom Eis­laden ist natürlich kon­struiert. Das Label hin­gegen ist echt. So echt, dass es jährlich erneuert werden muss – was selbst­redend wieder eine kleine Gebühr kostet. Label­systeme gibt es natürlich zuhauf und viele davon sind unum­stritten nützlich. Denken Sie nur an CE, TÜV, Bioland oder AOC-Siegel für bestimmte Lebens­mittel. Dabei geht um Pro­dukt­si­cherheit, die Art der Land­wirt­schaft oder die Her­kunft eines Pro­dukts. Das Siegel, von dem gleich die Rede sein wird, ist anders.
Eco­Vadis und die CSR-Gelddruckmaschine
Die Idee, die zur Gründung von Eco­Vadis als kleines Startup im Jahr 2007 führte, war gar nicht so übel. Wie stellt man in einer welt­weiten Lie­fe­ran­ten­kette sicher, dass überall Min­dest­stan­dards in Umwelt­fragen und sozialer Ver­ant­wortung (Cor­porate Social Respon­si­bility, kurz CSR) gelten? In der Selbst­dar­stellung von Eco­Vadis klingt das dann so:
Wir glauben, dass Nach­hal­tigkeit in der heu­tigen anspruchs­vollen Geschäftswelt eine wesent­liche Quelle der Wert­schöpfung ist. Unser Ziel ist es, die Inte­gration von Nach­hal­tig­keits­kri­terien in Kunden-/Lie­fe­ran­ten­be­zie­hungen zu vereinfachen.“
Dass Moni­toring und Auditing von Nach­hal­tigkeit gerade in Zeiten von CO2-Hys­terie, Kli­ma­angst und Ablass­handel spru­delnde Geld­quellen sind, darf ange­nommen werden. Dabei fun­giert Eco­Vadis gewis­ser­maßen als Kasse hinter der Kasse, denn in fast allen geprüften Bereichen werden Maß­nahmen und Stan­dards abge­fragt, die zu erfüllen Firmen ohnehin gesetzlich ver­pflichtet sind. Etwa den Nachweis einer bestehenden Kran­ken­ver­si­cherung für Mit­ar­beiter zu erbringen, sollte keiner Firma in Deutschland schwer fallen, die nicht umgehend Besuch von Staats­an­walt­schaft und Steu­er­fahndung bekommen will. Auch für andere von Eco­Vadis geprüften Skills gibt es längst eta­blierte, ver­bind­liche Normen, etwa die ISO 26000 für den ganz­heit­lichen Ansatz zur Cor­porate Social Respon­si­bility oder VDI 4070 für nach­hal­tiges Wirt­schaften in kleinen und mit­tel­stän­di­schen Unter­nehmen. Die ent­spre­chenden Zer­ti­fi­zie­rungen sind arbeits- und kos­ten­in­tensive Pro­zesse, für die man bei der Eco­Vadis-Ein­stufung erneut bezahlt.
Der Ablauf
Über die direkten Kosten lässt Eco­Vadis seine Kunden nicht im Unklaren. Min­destens 460 Euro pro Jahr sind fällig, damit man über­haupt einen Fra­ge­bogen zur Ein­stufung erhält. Je nach Anzahl der Mit­ar­beiter können pro Jahr für die Pakete „Premium“ oder „Cor­porate“ mehrere tausend Euro pro Jahr fällig werden. Abge­fragt werden zum Bei­spiel Mit­glied­schaften in inter­na­tio­nalen Initia­tiven wie GRI (Global Reporting Initiative), Global Compact* (als Unter­zeichner), Maß­nahmen zur CO2-Reduktion, Recy­cling-Quoten oder Arbeits­si­cherheit. Letztlich also Dinge, die hier­zu­lande durch Umwelt­ge­setz­gebung, Arbeits­recht und Berufs­ge­nos­sen­schaften ohnehin geregelt sind. Fragen wie „Bietet Ihr Unter­nehmen ein Sor­timent von umwelt­freund­lichen oder ethi­schen Pro­dukten an?“ sollen natürlich nicht als Auf­for­derung zum Green­wa­shing ver­standen werden! Was „ethisch” oder „umwelt­freundlich” bedeutet, hängt jedoch von sehr dehn­baren Defi­ni­tionen ab.
Nach der Aus­wertung der Ant­worten und der zum Beweis vor­ge­legten maximal 55 Doku­mente (Ver­trau­lichkeit wird zuge­si­chert) erhält der Eco­Vadis-Kunde eine Bewertung und gege­be­nen­falls Tipps, wie sein Ranking weiter zu ver­bessern sei. Auf­fällig oft wird in diesen Emp­feh­lungen die Zusam­men­arbeit bzw. die Mit­glied­schaft in bestimmten NGOs wie „UN Global Compact“* und „Carbon Dis­closure Project (CDP)“ emp­fohlen, also rät man zu (ver­pflichtend) spen­den­fi­nan­ziertem und weit­gehend unver­bind­lichem „Blue­wa­shing“ im Rahmen der UN und zu „Green­wa­shing“ bei einer Rating-Datenbank, die reni­tente Firmen und Städte bei man­gel­haftem Wohl­ver­halten schon mal auf einer langen „Declined to par­ti­cipate“-Liste ein­trägt.
Eco­Vadis stellt viele Fragen, die kaum über Selbst­ver­ständ­lich­keiten und All­ge­mein­plätze hinaus gehen und deren Beant­wortung mit „Nein“ für ein in Deutschland ansäs­siges Unter­nehmen ent­weder absolut undenkbar wäre, oder deren Nicht­be­achtung im Alltag das Unter­nehmen schneller in die Pleite triebe als man „Insolvenz” buch­sta­bieren kann. Hier einige dieser absurde Fragen, bei denen ich mir eine sar­kas­tische Anmerkung (in Klammern) nicht ver­kneifen kann:
  • Welche Maß­nahmen sind vor­handen bezüglich Abfall­ma­nagement? (Bisher kippen wir unseren Müll einfach in die Land­schaft. Aber nun werden wir natürlich spe­zia­li­sierte Unter­nehmen mit der Ent­sorgung beauf­tragen. Ach halt, machen wir ja schon, weil wir es müssen!)
  • Welche Maß­nahmen sind vor­handen bezüglich der Redu­zierung des Ener­gie­ver­brauchs und Treib­hausgas-Emis­sionen? (In Deutschland ist der Strom so billig, dass wir stets alle Ver­braucher auf Volllast laufen haben. Wen kümmert schon der Energieverbrauch!)
  • Hat Ihr Unter­nehmen eine Politik bezüglich Arbeits­prak­tiken und Men­schen­rechten? (Gewerk­schaften sind bei uns ver­boten, die Typen von Berufs­ge­nos­sen­schaft, Ord­nungsamt und Feu­erwehr haben Haus­verbot und die Arbeits­sklaven in unserem Keller erklären ein­stimmig und schriftlich, dass es die reinste Freude ist, bei uns tätig zu sein.)
  • Welche Maß­nahmen sind vor­handen, um Dis­kri­mi­nierung und Beläs­tigung zu ver­hindern? (Wie jetzt? Hat man da eine Wahl? Ich dachte immer, der Gesetz­geber hätte da juris­tisch klare Regeln aufgestellt.)
  • Welche Maß­nahmen sind vor­handen, um Kor­ruption und Bestechung zu ver­hindern? (Wir lassen uns einfach nicht erwi­schen und die Kosten für Ablass­briefe, wie sie uns Eco­Vadis aus­stellt, können wir sogar steu­erlich geltend machen.)

Cui bono?
Die Frage des Nutzens stellt sich natürlich bei jedem Prüf­ver­fahren und es steht außer Zweifel, dass zumindest Eco­Vadis gut davon leben kann. 2007 hatte man als kleines Start-Up begonnen und ist nun Welt­markt­führer bei Nach­hal­tig­keits­ra­tings. Mehr als 55.000 Firmen nutzen diese Plattform. Das geniale Geschäfts­modell, NGO-Ratings für ganze Lie­fer­ketten quasi zum ver­pflich­tenden Standard zu erheben, ohne die kaum noch ein Vertrag zustande kommt, darf man durchaus als eine Art sanften „Nudge” zur Kon­for­mität betrachten. Und als Angebot, dass man besser nicht ablehnen sollte. Was auf den ersten Blick als qua­li­täts­hebend und gute Sache erscheint, kommt am unteren Ende der Lie­fer­kette, wo kleine und kleinste Firmen oder Markt­ein­steiger tätig sind, einem Markt­aus­schluss gleich. Denn wer das Rating-Ticket bei Eco­Vadis nicht gelöst hat, bleibt von vielen Geschäften aus­ge­schlossen – man würde ja sonst die Nach­hal­tig­keits­kette stören. Firmen, denen es auf­grund ihrer Größe leichter fällt, unpro­duktive Res­sourcen für Zer­ti­fi­zie­rungen, Sta­tis­tiken und Gedöhns vor­zu­halten, haben hier klare Vorteile.
Ein Blick in die Liste der Refe­renzen von Eco­Vadis zeigt denn auch große Namen wie Nestlé, Johnson & Johnson, Hei­neken, Coca-Cola, Nokia, L’Oréal, Bayer, Alcatel-Lucent, ING Bank, Air France-KLM, Centrica/British Gas, BASF oder Merck. Kleine Unter­nehmen, die ohnehin unter der über­bor­denden deut­schen und EU-Büro­kratie ächzen, finden es hin­gehen vor allem oft nur schi­kanös und belastend, dass man ihnen solche zusätz­lichen Zer­ti­fi­zie­rungen jen­seits der Gesetz­gebung aufs Auge drückt.
Doch Unmut wird nur hinter vor­ge­hal­tener Hand geäußert. Nach außen wird viel Wert auf Jubel und Frei­wil­ligkeit gelegt und die „immensen Vor­teile” des Systems betont. Auch via Google ist kein noch so vor­sich­tiges Wort der Kritik zu finden (nach Seite 30 in den Such­ergeb­nissen habe ich auf­ge­geben), alle feiern nur ihre erfolg­reiche Zer­ti­fi­zierung und ver­wenden dafür die immer gleichen Text­bau­steine. Auch jene Firma, die mir für diesen Artikel Fragen und Emp­feh­lungen von Eco­Vadis vor­legte, will sich öffentlich lieber nicht über Sinn und Zweck dieses Ratings äußern. Man macht das alles zäh­ne­knir­schend mit, um im Geschäft bleiben zu können und weil man als Zulie­ferer von großen Firmen wie den oben genannten gar keine andere Wahl hat. Wer in den Club will, zahlt die Ein­tritts­gelder und hält die Klappe.
Eco­Vadis – ein Filter für den Marktzugang
So betrachtet wirkt diese Zer­ti­fi­zierung wie ein Filter für den Markt­zugang, den man einfach pas­sieren muss. Es handelt sich gewis­ser­maßen um eine Kasse hinter der Kasse, die für die Prüfung des Kas­senbons vom letzten Einkauf einen Obolus ver­langt. Es genügt heute längst nicht mehr, sämt­liche gesetz­lichen Auf­lagen zu erfüllen, die von Land, Bund, der EU, den Gewerk­schaften und allerlei Ver­bänden auf­ge­stellt wurden – und diese Hürden sind weiß Gott schon hoch genug. Man sieht sich zunehmend gezwungen, sich zusätzlich zu all dem noch Prü­fungen wie durch Eco­Vadis zu unter­werfen. Frei­willig natürlich. Mich würde brennend inter­es­sieren, wie hoch man die Res­sourcen in den Unter­nehmen ins­gesamt ver­an­schlagen kann, die auf diese Weise für den Nachweis der Erfüllung von Stan­dards auf­ge­wendet werden müssen, die man ohnehin erfüllen muss. Warum also einmal berichten und dafür zahlen, wenn man zweimal berichten und doppelt zahlen kann?
Inter­essant wäre auch zu erfahren, was die zah­lenden Kunden der zer­ti­fi­zierten Firmen von Eco­Vadis Edel­me­tall­be­wertung am Ende haben. Für die Deutsche Bahn zum Bei­spiel reichte es im März 2019 nur noch für Silber (Nach Gold 2016. Schlechte Bewertung der „Ethi­schen Stan­dards“ waren wohl die Ursache). Silber bedeutet immerhin noch, dass die Bahn zu den „Top 5% in der Branche Schie­nen­transport“ weltweit gehört. Ver­mutlich ein schwacher Trost für die zahl­reichen Bahn­kunden, die unter man­gel­haftem Service, Aus­fällen und all­täg­lichen Ver­spä­tungen zu leiden haben. Aber es ist hier wie beim Ein­gangs­bei­spiel mit unserem Eis­laden: das Eco­Vadis-Rating sagt alles möglich aus, nur nicht, ob das Eis lecker ist und ob die Gäste mit dem Service zufrieden sind.
* Nicht ver­wechseln mit dem Global Compact on Refugees oder dem Global Compact for Migration. Dieser Global Compact behauptet von sich, Unter­nehmen weltweit auf Min­dest­stan­dards zu ver­pflichten, was sich die betei­ligten „Unter­zeichner” einiges an „Spenden” kosten lassen. Weil diese Stan­dards vor allem aus warmen Worten und gedul­digen Doku­menten bestehen und große Teile der Absichts­er­klä­rungen ohnehin längst in nationale Rechts­spre­chung ein­ge­flossen sind, steht die Wirk­samkeit dieses „Global Com­pacts” in der Kritik, nichts als „Blue­wa­shing” zu betreiben, also durch UN-Nähe Bedeutung und Ansehen zu simulieren.


Der Autor Roger Letsch ver­öf­fent­licht seine sehr lesens­werten Bei­träge auf www.unbesorgt.de