MabelAmber / Pixabay

„In der Politik findet man heute eher Blender als echte Problemlöser“

Interview mit Titus Gebel, Gründer, Prä­sident und CEO von Free Private Cities, Inc. Er ist ein deut­scher Unter­nehmer, hat in inter­na­tio­nalem Recht pro­mo­viert und ist der Autor von Freie Pri­vat­städte: Mehr Wett­bewerb im wich­tigsten Markt der Welt.
Herr Gebel, seit unserem letzten Gespräch hat sich bei ‚Free Private Cities‘ einiges getan. Was können Sie uns berichten?

Wir haben große Fort­schritte in unserem ZEDE-Projekt in Hon­duras gemacht. ZEDE bedeutet über­setzt „Zone für wirt­schaft­liche Ent­wicklung und Beschäf­tigung“. Tat­sächlich wurde sogar die hon­du­ra­nische Ver­fassung geändert, um das Pro­gramm zu ermög­lichen. Und selbst wenn das gleich­namige ZEDE-Gesetz auf­ge­hoben würde, wäre die Existenz der ZEDE für etwa 50 Jahre garantiert.
Es handelt sich bei diesem Modell zwar nicht um eine 100%ige Freie Pri­vat­stadt, eher um eine öffentlich-private Part­ner­schaft in einer beson­deren Ver­wal­tungszone. Doch die Rechts­au­to­nomie, die gewährt wird, ist außer­ge­wöhnlich weit­gehend. Eine solche Zone kann eine eigene Ver­waltung, ein eigenes Rechts­system, das sich von Hon­duras unter­scheidet, eigene Gerichte und eine eigene Polizei haben. Sie wird eine Frei­han­delszone sein und kann fast jeden Aspekt des Zusam­men­lebens allein regeln. Gleichwohl gibt es einige Ein­schrän­kungen, Teile der hon­du­ra­ni­schen Ver­fassung sowie von Hon­duras geschlossene inter­na­tionale Ver­träge gelten auch dort. Und das ZEDE-Gesetz sieht bestimmte (niedrige) Steuern und eine staat­liche Kom­mission vor, die die von der Zone fest­ge­legten Regeln einmal geneh­migen muss. Das Gute daran ist aber, dass wie im Modell der Freien Pri­vat­stadt jeder Ein­wohner einen Auf­ent­halts­vertrag mit der Zone erhält, der seine Rechte und einen Schutz vor Regel­än­de­rungen garantiert.
Das Hon­duras Próspera-Projekt von NeWay Capital, bei dem meine Firma Free Private Cities Inc. inves­tiert ist, ist die erste zuge­lassene ZEDE im Land. Sie hat die Struk­tu­rie­rungs­phase erfolg­reich abge­schlossen. Dieses Projekt basiert auf der besagten ZEDE-Gesetz­gebung und hat ein­zig­artige und inno­vative Lösungen des Zusam­men­lebens ent­wi­ckelt. In den letzten zwei Jahren habe ich die Struk­tu­rierung des Pro­jekts in lei­tender Position unter­stützt. Nachdem das Projekt seine ope­rative Phase erreicht hat und die recht­lichen Rah­men­be­din­gungen fest­gelegt und von der Hon­du­ra­ni­schen Regierung genehmigt wurden, ist mein Teil der Arbeit erledigt. Alles weitere liegt jetzt in den Händen des Teams vor Ort.
Wer Interesse hat, zu den Ersten gehören, die den Status einer voll­stän­digen phy­si­schen oder elek­tro­ni­schen Residenz erhalten, kann das fol­gende Inter­es­senten-For­mular aus­füllen (wird Ende Oktober wieder geschlossen): https://forms.gle/oomRi46aAXwFZrNcA
Ich gehe davon aus, dass noch in diesem Jahr das offi­zielle Bewer­bungs­ver­fahren für Siedler eröffnet wird.

Ver­leihung der Geneh­mi­gungs­ur­kunde für das Rechts­system der ZEDE Pro­spera (der Autor hält das Dokument in Händen).

Das klingt sehr, sehr spannend … wie muss man sich ein solches Bewer­bungs­ver­fahren vorstellen?
Im Grunde unter­scheidet sich ein solches Ver­fahren nicht wesentlich von dem klas­si­scher Ein­wan­de­rungs­länder. Es wird ein poli­zei­liches Füh­rungs­zeugnis gefordert, eine Erklärung wie man seinen Lebens­un­terhalt bestreiten will und wo man zu wohnen gedenkt. Je nachdem, aus welchem Land der Antrag­steller kommt, werden mehr oder weniger gründ­liche Hin­ter­grund­re­cherchen durch­ge­führt. Bei Bewerbern aus OECD-Ländern wird das weniger strikt laufen als bei solchen aus pro­ble­ma­ti­schen Staaten. Die ZEDE wird sich vor­be­halten, etwa Schwer­kri­mi­nelle, Kom­mu­nisten und Isla­misten nicht aufzunehmen.
Für die Erlangung der geplanten elek­tro­ni­schen Auf­ent­halts­er­laubnis (e‑residence) ist die Hürde geringer als für die­je­nigen, die tat­sächlich einen dau­er­haften Auf­enthalt in der Zone anstreben. Letztere werden zu einem per­sön­lichen Interview geladen, bevor die end­gültige Ent­scheidung fällt. Wer weder kri­minell noch Extremist ist, unsere Regeln akzep­tiert und seinen Lebens­un­terhalt bestreiten kann, der hat gute Chancen auf­ge­nommen zu werden, egal wo er herkommt.
Manchem kommt bei der Vor­stellung von ‚Pro­spera‘ bestimmt der Roman ‚Atlas Shrugged‘ von Ayn Rand in den Sinn, in dem sich Indus­trielle zurück­ziehen, während die Welt ‚draußen‘ nach und nach in sich zusam­men­bricht. Diese Asso­ziation ist falsch, oder?
Jein. In erster Linie werden unsere Bewohner ver­mutlich aus Hon­duras kommen und ganz normale Leute sein, die Arbeits­plätze, Sicherheit und eine funk­tio­nie­rende Ver­waltung suchen. In einem Land, in dem man nicht einmal einen Brief mit der Post schicken kann, weil man nicht weiß, ob er ankommt, in dem man seine berech­tigten For­de­rungen nicht vor Gericht durch­setzen kann, und das eine sehr hohe Kri­mi­na­li­tätsrate hat, ist ein Angebot, wie wir es machen, natürlich hochattraktiv.
Auf der anderen Seite bieten wir auch einen Rahmen für Ein­wan­derer aus den USA oder Europa, die unsicher sind, wie die poli­tische Ent­wicklung in ihren Ländern wei­tergeht. Eines unserer Haupt­an­liegen ist es, einen für jeden ver­traglich garan­tierten Rechts­rahmen zu eta­blieren, der nicht aller Nasen lang wieder geändert wird, je nachdem welche poli­tische Partei gerade an der Macht oder welche Zeit­geistmode gerade angesagt ist.

Meinen Sie, dass die künftige Ent­wicklung in Europa Ihnen Inter­es­senten zutreiben wird?
Ein­deutig ja. Trotzdem ist für viele Mit­tel­amerika als Alter­native zu weit weg bzw. die Zeit­ver­schiebung zu groß. Daher sind wir auf der Suche nach wei­teren mög­lichen Stand­orten. Derzeit befinden wir uns in ersten Gesprächen mit Regie­rungen. Bitte haben Sie Ver­ständnis dafür, dass ich auf­grund des heiklen poli­ti­schen Cha­rakters solcher Pro­jekte den Namen des ent­spre­chenden Landes erst dann offen­legen kann, wenn alle recht­lichen Ver­ein­ba­rungen getroffen wurden. Dies zu erreichen ist natürlich keine leichte Aufgabe und erfordert nor­ma­ler­weise zumindest eine Änderung eines Gesetzes, wenn nicht der Ver­fassung selbst. Mit anderen Worten: Es braucht seine Zeit. Wir stehen mit Freien Pri­vat­städten erst ganz am Anfang. Wir ver­suchen gleichwohl, uns Europa zumindest geo­gra­fisch anzu­nähern. Denn ich halte es für durchaus vor­stellbar, dass wir noch zu Leb­zeiten Freie Pri­vat­städte etwa im Gebiet des heu­tigen Deutsch­lands und Ita­liens sehen, so wie es im Mit­tel­alter mit den freien Reichs­städten bereits einmal der Fall war.
Demnach gehen Sie davon aus, dass sich poli­tisch einiges ver­ändern wird. Wie sehen Sie die künftige Ent­wicklung in Europa, ins­be­sondere in der EU?
In den nächsten 10 bis 20 Jahren wird es sicher erheb­liche Umwäl­zungen geben. Die west­lichen Demo­kratien in ihrer her­kömm­lichen Form sind ver­mutlich nicht in der Lage, diese einfach zu absor­bieren. Das liegt einfach an deren Fehl­an­reizen für die Poli­tiker, nämlich Wäh­ler­stimmen mit Schul­den­machen, Geld­drucken oder Steuern anderer zu kaufen, kei­nerlei per­sön­licher Haftung zu unter­liegen und eher Ein­drücke als messbare Ergeb­nisse liefern zu müssen. Daher findet man heute durch­gehend eher Blender als echte Pro­blem­löser in der eta­blierten Politik. Aber die Pro­bleme sind massiv, und sie sind prak­tisch alle haus­ge­macht: Über­schuldung öffent­licher Haus­halte, fehl­ge­schla­genes Euro-Wäh­rungs­expe­riment, Ver­nichtung der Spar­er­träge und Schaffung von Zom­bie­un­ter­nehmen durch Null- und Nega­tiv­zinsen, Zer­störung der inneren Sicherheit und der Sozi­al­systeme durch ver­fehlte Migra­ti­ons­po­litik, Verrat der Werte von Auf­klärung und Freiheit durch Ein­knicken gegenüber dem Islam, noch ver­schärft durch dessen demo­gra­fische Aus­breitung, bewusste Ver­teuerung der Lebens­hal­tungs­kosten und Ver­schlech­terung der eigenen Wett­be­werbs­fä­higkeit auf­grund höchst frag­wür­diger Kli­ma­schutz­maß­nahmen, beständige Absenkung der Niveaus an Schulen und Aus­bil­dungs­ein­rich­tungen auf­grund der Unfä­higkeit, sich ein­zu­ge­stehen, dass Men­schen ungleich und damit auch ungleich begabt sind usw.
Das sehen viele zwar weniger dra­ma­tisch. Warum das so ist, schrieb Vera Lengsfeld dieser Tage: „Wir sind in einer Trans­for­ma­ti­ons­phase hin zur bewussten poli­ti­schen, kul­tu­rellen und öko­no­mi­schen Desta­bi­li­sierung der einst wohl­ha­bendsten und frei­heit­lichsten Teile dieser Erde. Jeder könnte das erkennen. Aber der zu erwar­tende Schmerz der Erkenntnis ver­hindert bei vielen wohl den Erkennt­nis­prozess.“ Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis auch die Mehrheit sich ein­ge­steht, dass es lich­terloh an allen Fronten brennt. Die einzige Gegen­maß­nahme, die der Regierung dann bleiben wird, ist die Repression. Und wir sehen ja schon die ersten Anzeichen von Ver­boten freier Mei­nungs­äu­ßerung, Ein­schränkung des Kapi­tal­ver­kehrs und so weiter. Solche Maß­nahmen ver­mögen das Ende der alten Ordnung aber nicht zu ver­hindern, sondern lediglich zu verzögern.
Was kommt danach?
Das ist schwierig zu pro­gnos­ti­zieren und ver­mutlich von Land zu Land ver­schieden. Es kann sowohl einen geord­neten als auch einen unge­ord­neten Übergang geben.
Eine mög­liche positive Ent­wicklung wäre, dass die Men­schen erkennen, dass es die Politik war, die diese Pro­bleme aus macht­po­li­ti­schen Erwä­gungen ver­ur­sacht hat. Und dass sie dann eher Sys­temen zuneigen, die mehr Wert auf Selbst­be­stimmung des Ein­zelnen und per­sön­liche und wirt­schaft­liche Freiheit legen. Min­destens genauso wahr­scheinlich ist aber leider, dass die Ver­ant­wort­lichen oder deren Nach­folger mit Erfolg auf die üblichen Sün­den­böcke ablenken, um das Ver­sagen ihrer Politik zu über­tünchen, als da wären: Super­reiche, zio­nis­tische Welt­ver­schwörung, inter­na­tionale Groß­kon­zerne, „ent­fes­selte“ Märkte, der Raub­tier­ka­pi­ta­lismus usw. Das übliche mar­xis­tische Pro­gramm, das völlig ver­kennt, dass es stets die Politik ist, die Letzt­ent­schei­dungen trifft, weil sie über die Gewehr­läufe gebietet. Auch der reichste Strip­pen­zieher der Welt kann nicht Trump, Putin oder Xi Jinping ver­haften lassen. Umge­kehrt geht das aber sehr wohl.
Die als „popu­lis­tisch“ dif­fa­mierten Oppo­si­ti­ons­par­teien in Europa werden sich in einem solchen Sze­nario, wollen Sie eine Mehrheit der Wähler hinter sich bringen, in sozi­al­de­mo­kra­tische Umver­tei­lungs­par­teien wandeln müssen, wenn sie es nicht ohnehin schon sind. Selbst wenn es gelingt, die Men­schen mit einer Art libe­ralem Putsch zu über­ra­schen, wie sei­nerzeit Ludwig Ehr­hardt mit der Freigabe der Preise über Nacht, so werden – wie in der alten Bun­des­re­publik – nach spä­testens 10 bis 20 Jahren doch wieder die Umver­teiler obsiegen. Es ist einfach ange­nehmer, wenn der Staat einem alle Lebens­ri­siken abnimmt. Das End­ergebnis wird aber immer das­selbe sein: gesell­schaft­liche Auf­lösung und finan­zi­eller Ruin, weil mit der Zeit immer mehr umver­teilt werden muss, um noch Wahlen zu gewinnen.
Das klingt nicht sehr ermu­tigend. Was kann man tun als frei­heitlich den­kender Mensch? 
Die einzige Chance, die wir Frei­heit­lichen haben, ist, in der Zeit der Unge­wissheit, also wenn die alte Ordnung erkennbar zu Ende geht, aber noch keine neue eta­bliert ist, ein System weit­gehend unab­hän­giger Städte und Gemeinden zu eta­blieren, idea­ler­weise Freie Pri­vat­städte, die auf­grund ihrer Kon­struktion prak­tisch poli­tikfrei sind. Nur in solchen Umbruch­zeiten besteht die Mög­lichkeit, Modelle zu eta­blieren, die zuvor noch undenkbar gewesen sind. Dafür könnte sich ein Zeit­fenster von wenigen Jahren auftun. Das gilt es zu nutzen. Selbst dort, wo keine Mehr­heiten für eine Freie Pri­vat­stadt vor­handen sind, könnte sich doch eine Mehrheit für eine genos­sen­schaftlich orga­ni­sierte Stadt mit Vertrag für jeden Bürger ergeben. Ins­be­sondere wenn die Teil­nahme an solchen Städten strikt frei­willig ist, wird es schwer werden, eine kri­tische Masse dagegen zu mobi­li­sieren, zumal die meisten in einem solchen Sze­nario ohnehin andere Pro­bleme haben werden. Außerdem hat die lokale Selbst­stän­digkeit durchaus eine positive Tra­dition in Mit­tel­europa. Man kann insoweit auf das Schweizer Modell mit der hohen Gemein­de­au­to­nomie verweisen.
Arbeiten Sie auf solche Ereig­nisse hin?
Im Grunde ist unsere Akti­vität in Hon­duras ein Testlauf, wie Freie Pri­vat­städte auch anderswo funk­tio­nieren könnten. Je mehr solcher Prä­ze­denz­fälle wir gene­rieren, desto leichter wird es zu gege­bener Zeit sein, solche auch in Europa umzusetzen.
Ich werde das nächste Jahr vor allem darauf ver­wenden, die recht­lichen Grund­lagen für unab­hängige oder vom Staat geduldete Pri­vat­städte auf­grund meiner theo­re­ti­schen Vor­ar­beiten und den prak­ti­schen Erfah­rungen in Hon­duras nie­der­zu­legen, so dass diese Arbeiten jedem online zugänglich sind, der Grün­dungs­in­teresse hat.
Par­allel werden wir ver­suchen, mit Regie­rungen in Europa Mög­lich­keiten zu eru­ieren, weit­gehend autonome Pri­vat­städte zu eta­blieren. Diese können dann als Flucht­punkt dienen, falls es keinen geord­neten Übergang gibt oder die Repression anderswo uner­träglich wird. Es liegt auf der Hand, dass aus poli­ti­schen und recht­lichen Gründen so etwas eher nicht innerhalb der EU möglich ist. Erste Ansätze bestehen im Kau­kasus, wir unter­suchen aber auch recht­liche Son­der­regime in west­lichen Ländern im Hin­blick auf ihre Eignung für Pri­vat­städte oder autonome Son­der­zonen. Wer insofern infor­miert bleiben möchte, soll einfach unsere News­letter abonnieren.
Herr Gebel, wir bedanken uns und wün­schen Ihnen für Ihr wich­tiges Projekt alles Gute.
Das Interview wurde im Oktober 2019 per email geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.
————————-
Titus Gebel ist Unter­nehmer und pro­mo­vierter Jurist. Er gründete unter anderem die Deutsche Roh­stoff AG. Er möchte mit Freien Pri­vat­städten ein völlig neues Produkt auf dem „Markt des Zusam­men­lebens“ schaffen, das bei Erfolg Aus­strah­lungs­wirkung haben wird. Zusammen mit Partnern arbeitet er derzeit daran, die erste Freie Pri­vat­stadt der Welt zu ver­wirk­lichen. Im April 2018 ist sein Buch „Freie Pri­vat­städte – mehr Wett­bewerb im wich­tigsten Markt der Welt“ erschienen.


Quelle: misesde.org