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Kein Mensch glaubt wohl noch, dass die Staaten die unge­heuren Beträge der Zins­lasten ewig wei­ter­schleppen werden

Die Her­kunft der Stabilisierungsidee

Die Wirt­schafts­rechnung ist unab­hängig von allem, was mit der Vor­stellung wert­sta­bilen Geldes zusam­men­hängt. Dass es Geld mit unver­än­der­licher Kauf­kraft nicht gibt und nicht geben kann und dass es nicht möglich ist, ein Geld zu schaffen, bei dem das zwi­schen dem Gelde und den übrigen wirt­schaft­lichen Gütern bestehende Aus­tausch­ver­hältnis von Seite des Geldes her keinen Ver­än­de­rungen unter­liegt, ist der Wirt­schafts­rechnung not­wendig und kann nicht weg­ge­dacht werden.
(von Ludwig von Mises, 1881–1973)
Nicht die Wirt­schafts­rechnung ver­langt «sta­biles» Geld, sondern Bestre­bungen, die mit der Wirt­schafts­rechnung nichts zu tun haben. Was die Wirt­schafts­rechnung benötigt, ist ein Geld, dessen Dienst nicht durch Ein­griffe der Wirt­schafts­po­litik unter­bunden wird. Durch Maß­nahmen, die auf Stei­gerung der den Staats­kassen zur Ver­fügung ste­henden Mittel oder auf die Senkung des Zins­satzes unter den Stand, der sich auf dem unbe­hin­derten Markte bildet, hin­zielen, wird das Geld­wesen in Unordnung gebracht und damit auch die Geld­rechnung gestört. Doch die For­derung, die Regierung möge weder selbst durch Inflation das Geld­wesen stören, noch Ein­rich­tungen fördern, die es den Banken ermög­lichen oder erleichtern, Inflation durch die Ausgabe von zusätz­lichen Umlaufs­mitteln zu treiben, ist kei­neswegs den Bestre­bungen gleich­zu­halten, wert­sta­biles Geld zu schaffen.

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Für die Wirt­schafts­rechnung genügt es, wenn das Geld nicht hef­tigen Schwan­kungen der Kauf­kraft aus­ge­setzt ist. Goldgeld und, bis in die Mitte des neun­zehnten Jahr­hun­derts, auch Sil­bergeld haben allen Anfor­de­rungen der Wirt­schafts­rechnung ent­sprochen. Die Ver­än­de­rungen der Kauf­kraft des Goldes voll­zogen sich so langsam, dass die Wirt­schafts­rechnung des Unter­nehmers sie unbe­rück­sichtigt lassen durfte, ohne dass daraus all­zu­schwere Fehler ent­stehen konnten. Exaktheit ist in der Wirt­schafts­rechnung auch abge­sehen von den Mängeln, die sich aus der Nicht­be­rück­sich­tigung oder unzu­läng­lichen Berück­sich­tigung der Ver­än­de­rungen der Kauf­kraft des Geldes ergeben, nicht zu erzielen. Die kauf­män­nische Kal­ku­lation muss eine Reihe von Daten ver­wenden, die sich auf die unbe­kannte Zukunft beziehen, denn sie hat mit künf­tigen Preisen und Pro­duk­ti­ons­kosten zu rechnen. Die kauf­män­nische Buch­haltung ist in ähn­licher Lage, soweit die Bewertung von For­de­rungen und Vor­räten und die Vor­nahme von Abschrei­bungen und Reser­vie­rungen in Betracht kommt. Unge­achtet aller dieser Mängel vermag die Geld­rechnung die Aufgabe, die ihr der Unter­nehmer zuweist, zu erfüllen. Denn diese Mängel liegen im Wesen der Wirt­schaft und des Han­delns, die immer spe­ku­lativ, d.h. auf eine mensch­licher Erkenntnis ver­schlossene und daher unge­wisse Zukunft ein­ge­stellt sind.
Der Gedanke, das Geld wert­stabil zu machen, ist nicht dem Bestreben ent­sprungen, die Geld­rechnung auf eine rich­tigere Grundlage zu stellen, sondern dem Wunsche, eine Sphäre zu schaffen, die durch die Ver­än­de­rungen in den Pro­duk­tions- und Ver­sor­gungs­ver­hält­nissen nicht berührt wird. Stif­tungen, die eine kirch­liche Ein­richtung, eine Wohl­fahrts­an­stalt oder eine Familie für «ewige Zeiten» mate­riell sicher­stellen wollten, wurden seit altersher in Grund und Boden oder in Natu­ral­leistung von Boden­früchten ver­ankert. Erst später traten auch Geld­renten auf. Die Erwartung, die Stifter und Begüns­tigte erfüllte, dass man die Leistung durch Bestimmung einer Summe von Edel­me­tallgeld aus den Schwan­kungen des Wirt­schafts­lebens her­aus­ge­hoben und ihr unver­än­der­lichen Wert gegeben habe, erwies sich aber als trü­ge­risch. Die Enkel mussten erkennen, dass die Absicht der Vor­fahren sich nicht ver­wirk­licht hatte. Angeregt durch diese Erfah­rungen fing man nun an, darüber Unter­su­chungen anzu­stellen, in welcher Weise man das ange­strebte Ziel besser erreichen könnte. Man betrat damit den Weg, der zur Aus­ar­beitung von Vor­schlägen zur Messung des Geld­wertes und eines auf solchen Mes­sungen auf­ge­bauten wert­be­stän­digen Geldes führte.
Das Problem gewann größere Bedeutung in dem Maße, in dem die Regie­rungen daran gingen, sich Anleihen durch die Ausgabe lang­fris­tiger und «ewiger» Schuld­titel zu beschaffen. Der als ewige und unwan­delbare Anstalt hoch über den Wech­sel­fällen der Wirt­schaft thro­nende Staat, dieser neue Gott des auf­stei­genden Zeit­alters des Eta­tismus, bot da dem Bürger hilf­reich die Hand, um ihm ein Ein­kommen für alle Zeiten zu sichern. Hier wurde ein Weg gezeigt, der den Ein­zelnen von dem Zwange des kapi­ta­lis­ti­schen Systems, sein Eigentum täglich neu wagen und neu erwerben zu müssen, befreien sollte.
Wer sein Geld in Schuld­ver­schrei­bungen des Staates und der Gemeinden oder der von diesen beschirmten Anstalten, für deren Ver­pflich­tungen Staat und Gemeinden die Haftung über­nahmen, anlegte, der war nicht mehr dem Markte und den Ver­brau­chern untertan. Er musste nicht länger ängstlich bemüht sein, seine Kapi­talien so anzu­legen, dass sie den Wün­schen der Ver­braucher am wirk­samsten dienen. Er war gesi­chert, er war aus dem gefahr­vollen Bereich des Wett­be­werbs der Unter­nehmer und Kapi­ta­listen, wo Ver­luste drohen, unter die unge­störten ewigen Genuss ver­spre­chenden Fit­tiche des all­mäch­tigen und voll­kom­menen, des «ewigen» Staates getreten. Sein Ein­kommen floss nicht mehr aus dem Handeln von Unter­nehmern, die den Ver­braucher ver­sorgen müssen, wenn sie ihre Unter­neh­mer­stellung nicht ver­lieren wollen, sondern aus den Steuern, die der Staat durch seinen Zwangs­ap­parat dem Ein­kommen und Ver­mögen der Bürger ent­zieht. Was der Staat an Ver­zinsung bot, war weniger, als auf dem Markte geboten wurde; doch die Min­der­leistung wurde auf­ge­wogen durch die über jeden Zweifel erhabene Kre­dit­wür­digkeit des Schuldners, der nicht vom Markte und den Ver­brau­chern abhängig ist, sondern ihnen gebietet und von ihnen Zwangs­ab­gaben heischt.
Unge­achtet aller üblen Erfah­rungen, die man in ver­gan­genen Zeiten mit dem Staat als Schuldner gemacht hatte, ver­traute man rück­haltlos dem neuen Staate des 19. Jahr­hun­derts. Von ihm nahm man ohne wei­teres an, dass er den frei­willig Über­nom­menen Ver­pflich­tungen nach­kommen werde. Kapi­ta­listen und Unter­nehmer mussten besser als die anderen Schichten erkennen, dass es in der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft keinen anderen Weg gibt, erwor­benes Ver­mögen zu bewahren als den, sich um die best­mög­liche Ver­sorgung der Ver­braucher im Wett­bewerb mit jedermann, auch mit dem Ver­mö­gens­losen, erfolg­reich zu bewähren. Der alternde Unter­nehmer, der der täg­lichen Mühe, sich den wech­selnden Lagen des Marktes anzu­passen, müde geworden war und seinen schwer erwor­benen Reichtum nicht neu­erlich den Gefahren des Markt­ge­triebes aus­setzen wollte, und der Erbe, der seine Unfä­higkeit, sich im Wett­bewerb der Güter­ver­sorgung zu bewähren, erkannte, suchten die Anlage in Staats­pa­pieren, weil sie frei werden wollten von dem Zwange, den der Ver­braucher ihnen durch den Markt auferlegt.
Für die ewige Ren­ten­schuld braucht man den immer­festen Geldwert. Um dem Risiko des rastlos sich ver­än­dernden Wirt­schafts­lebens zu ent­gehen, um seinen eigenen Wohl­stand aus dem Getriebe, in dem man ihn täglich neu aufs Spiel setzen muss, in Sicherheit zu bringen, flüchtet der Besitzer zum Staat. Doch wenn auch der Staat und sein Zwang ewig sein mögen, die Ver­pflichtung des Staates aus seinen Schulden könnte es nur dann sein, wenn sie auf ewig unver­än­der­liche Leistung abge­stellt werden könnte. In diesem Punkte tritt dem Ver­mö­genden, der um der Sicherheit willen vom wagenden und nach Erwerb stre­benden Unter­nehmer zum Rentner geworden war, das Problem der Wan­del­barkeit aller mensch­lichen Ver­hält­nisse wieder in anderer Gestalt ent­gegen. Es erweist sich, dass der Versuch, eine vom Markte unab­hängige, nie ver­sie­gende Ein­kom­mens­quelle zu schaffen, auch durch die Anrufung der Staats­gewalt nicht gelöst werden kann.
Im Getriebe der Markt­wirt­schaft in der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schafts­ordnung ist für Ein­kommen, die nicht durch Dienst am Ver­braucher täglich neu ver­dient werden müssen, kein Raum. Der Staat vermag aus dem Ein­kommen der Wirte Teile für die Bestreitung seiner Aus­gaben her­aus­zu­ziehen, er vermag für solche Ver­wendung auch Kapi­tals­teile zu ent­eignen oder zu leihen. Doch es ist unmöglich, dass er auf die Dauer für die Ver­zinsung der Schulden auf­kommt. Hat er die Anle­hens­be­träge für lau­fende Aus­gaben ver­wendet, dann sind sie auf­ge­zehrt und haben keine Spur hin­ter­lassen. Hat er die Anle­hens­be­träge für Unter­neh­mungen ver­wendet, dann ist seine Fähigkeit, Zins­lasten zu tragen, von dem Erfolg der Unter­neh­mungs­tä­tigkeit abhängig. Bleibt der Erfolg aus, dann steht es nicht anders als im Falle der kon­sum­tiven Ver­wendung der Dar­le­hens­summe: die Ver­zinsung muss durch Besteuerung her­ein­ge­bracht werden; die Staats­gläu­biger werden zu Emp­fängern von Leis­tungen, denen keine Gegen­leistung in der Gegenwart gegen­über­steht. Der lang­fristige öffent­liche Kredit fällt damit ganz aus dem System der Gesell­schafts­ordnung, die auf dem Son­der­ei­gentum an den Pro­duk­ti­ons­mitteln beruht, heraus. Dass das Geld die Funktion, die ihm im Ent­wurfe solcher Ein­rich­tungen zuge­dacht ist, nicht zu erfüllen vermag, dass es zum unver­än­derlich festen Wert­träger über den Wechsel der Zeiten und Umstände hinaus nicht taugt, berührt weder seine Brauch­barkeit als all­gemein ver­wen­detes Tausch­mittel noch seine Bedeutung für die Geldrechnung.
Das System der öffent­lichen Anleihen, wie es sich im Ver­laufe des 19. Jahr­hun­derts her­aus­ge­bildet hat, war ein Versuch, im Rahmen des kapi­ta­lis­ti­schen Systems vom Markte und seiner Preis­ge­staltung unab­hängige Ein­kommen zu schaffen. Auch wo die Anleihen nicht formell ewig unkündbare Ren­ten­schulden dar­stellten, han­delte es sich um Schulden, die nach Absicht beider Teile nie zurück­ge­zahlt werden sollten. Die Rück­zahlung der kurz­fris­tigen Anleihen bestand in der Regel in ihrer Umwandlung in lang­fristige, und wenn lang­fristige Anleihen rück­ge­zahlt werden sollten, wurden meist neue Anleihen zur Beschaffung der erfor­der­lichen Beträge aus­ge­geben. In der Gesamt­summe sind die öffent­lichen Schulden stetig gewachsen, und wenn ein Rückgang eintrat, so war er in der Regel nicht durch Rück­zahlung, sondern durch Repu­diation der Schuld bewirkt worden. Kein Mensch glaubt wohl noch, dass die Staaten die unge­heuren Beträge der Zins­lasten ewig wei­ter­schleppen werden, und jedermann nimmt an, dass früher oder später in irgend einer Form eine Auf­hebung der über­nom­menen Pflichten ein­treten wird.
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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeu­tendste Ökonom und Sozi­al­phi­losoph des 20. Jahr­hun­derts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbe­dingter Achtung des Pri­vat­ei­gentums auf­gebaut sind, und gegen jede Form staat­licher Ein­mi­schung in das Wirt­schafts- und Gesell­schafts­leben geliefert. Seine Werke sind Mei­len­steine der Poli­ti­schen Öko­nomie. Das 1922 erschienene „Die Gemein­wirt­schaft“ gilt als erster wis­sen­schaft­licher und umfas­sender Beweis für die „Unmög­lichkeit des Sozia­lismus“. Sein Werk „Human Action“ (1949) hat bei ame­ri­ka­ni­schen Liber­ta­rians den Rang einer aka­de­mi­schen „Bibel“. Mises war Hoch­schul­lehrer an der Wiener Uni­ver­sität und Direktor der Öster­rei­chi­schen Han­dels­kammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Über­siedlung nach New York, wo er nach wei­teren Jahr­zehnten der Lehr- und Gelehr­ten­tä­tigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

Quelle: misesde.org