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8 Jahre Mario Draghi – 8 Jahre des hem­mungs­losen Gelddruckens

Heute ist es so weit. Die Amtszeit von Mario Draghi als Prä­sident der Euro­päi­schen Zen­tralbank (EZB) ist zu Ende. Mario Draghi, der am renom­mierten Mas­sa­chu­setts Institute of Tech­nology (MIT) pro­mo­vierte, folgte am 1. November 2011 auf den Fran­zosen Jean-Claude Trichet, und er selber wird am 1. November 2019 von der Fran­zösin Christine Lagarde abgelöst.
Draghis Amtszeit ist geprägt von den hef­tigen Nach­wehen der Großen Finanz­krise 2007/2008 und der anschlie­ßenden tiefen Rezession 2009, sowie den hef­tigen Erschüt­te­rungen, die die Euro­krise nach sich gezogen hat. Berühmt-berüchtigt ist Mario Draghi für seine Aussage am 26. Juli 2012 in London: „Within our mandate, the ECB is ready to do wha­tever it takes to pre­serve the euro. And believe me, it will be enough.“ („Im Rahmen unseres Madats ist die EZB bereit, alles Not­wendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“) – meist ver­kürzt als „Wha­tever it takes!“ wie­der­ge­geben. Dieses „Wha­tever it takes!“ ist das Echo Draghis und damit Frank­furts auf die ebenso pro­gram­ma­tische wie fatale Aussage Angela Merkels im Deut­schen Bun­destag in Berlin am 19. Mai 2010: „Scheitert der der Euro, dann scheitert Europa.“ Das Zeit­alter der
Alter­na­tiv­lo­sigkeit in Sachen Euro­rettung begann in Berlin und wurde von Frankfurt, also dem EZB-Frankfurt, nicht dem Bun­desbank-Frankfurt, bestärkt.
Das „Wha­tever it takes!“ fasst die Politik der EZB während der Prä­si­dent­schaft von Draghi in drei Worten zusammen. Besonders ein­drucksvoll zeigt sich Draghis wie­der­holter Rück­griff auf außer­ge­wöhn­liche Maß­nahmen in der Ent­wicklung der Bilanz­summe des Eurosystems,
also der EZB und der nunmehr 19 teil­neh­menden Zen­tral­banken. Diese hat sich in den 8 Jahren Draghi ver­doppelt. Das ent­spricht einem durch­schnitt­lichen jähr­lichen Wachstum von 9 Prozent.

Kon­so­li­dierte Bilanz­summe des Euro­systems zum Jah­resende, in Mio. Euro, 4/11/2011–18/10/2019

Quelle: ezb.euorpa.eu

Als zwei­fel­haftes Abschieds­ge­schenk an Christine Lagarde hat Mario Draghi bei der vor­letzten Sitzung des EZB-Rats unter seiner Leitung am 12. Sep­tember 2019 gegen erheb­lichen Wider­stand die Wie­der­auf­nahme des Anlei­he­kauf­pro­gramms im Umfang von 20 Mil­li­arden Euro beschlossen, was die ohnehin auf­ge­blähte Bilanz­summe weiter wird anschwellen lassen.
Den Frei­brief für das Auf­legen immer neuer Anlei­he­kauf­pro­gramme hat die EZB am 11. Dezember 2018 erhalten. Der Euro­päische Gerichtshof hat in einem rich­tungs­wei­senden Urteil ent­schieden, dass der­artige Anlei­he­kauf­pro­gramme rechtens sind, sofern diese Maß­nahmen der Errei­chung des Infla­ti­ons­zieles von „nahe, aber unter 2 Prozent“ dienen. Untersagt bleibt wei­terhin die direkte Staats­fi­nan­zierung. In ihrer öko­no­mi­schen Wirkung sind die Anlei­he­kauf­pro­gramme von einer direkten Staats­fi­nan­zierung nicht zu unter­scheiden. Bei höheren Zinsen kämen ins­be­sondere die hoch­ver­schul­deten Staaten wie Grie­chenland und Italien unter starken Druck.
Die EU-Staaten können also davon aus­gehen, dass die künst­liche Nach­frage der EZB nach Staats­an­leihen die Rendite der Staats­an­leihen weiter niedrig halten wird. Nur der Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richtshof in Karlsruhe kann die Fort­setzung dieser Geldflutungspolitik
ver­hindern, wenn er von der Aus­legung des Euro­päi­schen Gerichtshofs abweicht und im Anlei­he­kauf­pro­gramm einen Verstoß gegen das Verbot der Staats­fi­nan­zierung durch die Euro­päische Zen­tralbank erkennt. Die Chancen dafür sind aller­dings denkbar gering.
Wird sich in den nächsten Jahren etwas an der auf­ge­bla­senen Zen­tral­bank­bilanz ändern? Die Antwort war schon vor der EZB-Ent­scheidung ein klares und ein­deu­tiges Nein. Schließlich hat es die EZB in den ver­gan­genen Jahren mit ver­gleichs­weisen guten Wachs­tums­zahlen im Unter­schied zur Federal Reserve sträflich ver­ab­säumt, die Zinsen zu erhöhen und die Bilanz­summe ein wenig zurück zu führen. Zu fragil war und ist die wirt­schaft­liche Lage in einigen Staaten der Eurozone, ins­be­sondere in Italien und Grie­chenland. Jetzt, da sich die Kon­junktur merklich ein­trübt, ist es für Zins­er­hö­hungen zu spät, und die weitere Auf­blähung der Bilanz­summe wurde auch schon beschlossen.
Die Inflation unter Draghi war zu niedrig
Im Unter­schied zu anderen Zen­tral­banken wie bei­spiels­weise der US-ame­ri­ka­ni­schen Federal Reserve ver­folgt die Euro­päische Zen­tralbank aus­schließlich ein Infla­ti­onsziel. Die Infla­ti­onsrate, die im Euroraum durch den Har­mo­ni­sierten Ver­brau­cher­preis­index (HVPI)
ange­geben wird, soll „nahe, aber unter zwei Prozent auf mittlere Sicht“ betragen. Dieses Ziel ver­fehlte die Euro­päische Zen­tralbank während der Amtszeit von Draghi mit Aus­nahme seines Antritts­jahres 2012 immer von unten, mit­unter deutlich (2014–2016).

Diverse Infla­ti­ons­in­di­ka­toren, yoy, in %, 2012–2019* (*Pro­gnose bzw. yoy mit 09/19)

Quellen: Eurostat, Sta­tistik Austria

Dennoch hat eine breite Öffent­lichkeit das Gefühl, dass viele Preise deutlich stärker steigen. Und das nicht ohne Grund. Betrachtet man nämlich nur die Güter und Dienst­leis­tungen des täg­lichen Bedarfs, dann wird seit einiger Zeit das Leben deutlich teurer. Für Öster­reich berechnet die Sta­tistik Austria seit einigen Jahren einen Mini­wa­renkorb, der Güter und Dienst­leis­tungen eines wöchent­lichen Groß­ein­kaufs, aber auch Aus­gaben für Benzin und einen Kino­besuch enthält. Dieser Warenkorb hat 2017 um 3,5 Prozent, 2018 sogar um 4,3 Prozent zugelegt. Der noch engere Mikro­wa­renkorb für Güter des täg­lichen Bedarfs ver­zeichnete in diesen beiden Jahren eine Zunahme um 4,0 Prozent bezie­hungs­weise 2,6 Prozent. Für 2019 deuten die Zahlen der ersten 9 Monate darauf hin, dass der Preis­auf­trieb in diesem Segment aller­dings deutlich nach­geben wird.
Negative Real­zinsen als Alltag unter Draghi
Ein in der Öko­nomie weit ver­brei­teten Irrtum ist die so genannte Geld­il­lusion. Unter Geld­il­lusion wird die Ver­wechslung nomi­neller Geld­be­träge mit deren realer Kauf­kraft ver­standen. Man erfreut sich an immer mehr Geld, über­sieht aber, dass dieses immer mehr an Geld immer weniger Güter kauft. Daher lebt man als Bolivar-Mil­lionär im von einer Hyper­in­flation heim­ge­suchten Vene­zuela schlechter als in Öster­reich mit einem bloß
vier­stel­ligen Euro-Nettoeinkommen.
Für den Ver­mö­gens­aufbau ist somit die nomi­nelle Ver­zinsung unbe­deutend, ent­scheidend ist die reale Ver­zinsung, d. h. wie viel mehr an Kauf­kraft eine Anlage bringt. Und in dieser Hin­sicht gibt der Euro unter Draghi ein trau­riges Bild ab. Mit zwei Aus­nahmen – 12/2014- 03/2015 sowie 02/2016–06/2016 – waren die Real­zinsen immer negativ, zumeist sogar deutlich. Das ist wenig über­ra­schend, geht doch Mario Draghi in die Geschichte als ein Prä­sident einer Notenbank ein, der in seiner gesamten Amtszeit kein ein­ziges Mal die Zinsen erhöht hat. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit redu­zierte er den Leitzins, den so genann­ten­Haupt­re­fi­nan­zie­rungssatz, um 0,25% auf für heutige Ver­hältnis schwin­del­erre­gende 1,25%.
Nach wei­teren Zins­schritten war es am 16. März 2016 dann so weit, der Leitzins wurde auf 0% gesetzt. Die Zinsen für die Über­schus­s­ein­lagen der Geschäfts­banken bei der EZB, der so genannte Ein­la­gesatz der Ein­la­ge­fa­zi­lität, hatten diese Grenze bereits am 13. November 2013 erreicht, am 11. Juni 2014 fielen diese sogar ins Minus und liegen mitt­ler­weile bei ‑0,5%.

Real­ver­zinsung Euroraum (Leitzins – HVPI), in %, 11/2011–09/2019

Quelle: Federal Reserve St. Louis

Wer also zum Amts­an­tritt von Mario Draghi 100 Euro aufs Sparbuch gelegt hat und diese 100 Euro mit dem jeweils gül­tigen Leitzins ver­zinst bekommen hat, hat heute nur mehr eine Kauf­kraft von 92,6 Euro in seinen Händen. Selbst die nomi­nelle Stei­gerung auf 101,84 Euro (ohne Berück­sich­tigung der Kapi­tal­ertrags­steuer) war kaum der Rede wert.
Gold konnte in Euro nur leicht zulegen
In der Amtszeit von Draghi hat sich der Gold­preis im Großen und Ganzen nur wenig ver­ändert, der Zugewinn von 6,8% sieht auf den ersten Blick ziemlich bescheiden aus. Doch im Ver­gleich zu den 1,8%, die ein Sparbuch abge­worfen hat, sind die – steu­er­freien – 6,8% phä­no­menal. Gold hat Draghi pro­blemlos geschlagen.

Gold­preis, in Euro, 11/2011–10/2019

Quelle: World Gold Council

Das Wachstum der Eurozone ist unterdurchschnittlich
Fol­gender Chart ist eine schal­lende Ohr­feige nicht nur Draghi, sondern für das ver­meint­liche Erfolgs­projekt Euro an sich. Im Zeitraum 2012–2018 ver­zeich­neten nämlich die EU28 durchwegs ein höheres Wachstum als der Euroraum mit seinen 19 Mit­gliedern. Das heißt, die 9 anderen Mit­glieds­staaten haben zusammen deutlich besser abge­schnitten als der Euroraum.

Reales Wirt­schafts­wachstum im Ver­gleich zum Euroraum, in % des BIP, 2011–2018

Quelle: Federal Reserve St. Louis

Die Staats­ver­schuldung driftet auseinander
Wenn die Nied­rig­zins­po­litik darauf abge­zielt hat, die hoch­ver­schul­deten und reform­laxen Süd­staaten zu unter­stützen, dann ist diese Stra­tegie nicht im Geringsten auf­ge­gangen. Das zeigt der nächste Chart, der zum einen die deutlich sin­kende Ver­schuldung Deutsch­lands abbildet und die relative Ver­än­derung einiger Euro-Mit­glieds­staaten im Ver­gleich zu Deutschland. Lediglich Öster­reich kann mit Deutschland halbwegs Schritt halten, während sich Grie­chenland und Italien wei­terhin in eigenen Sphären bewegen. In Vor-Euro-Zeiten hätte das die (halbwegs) seriös wirt­schaf­tenden Staaten des Hart­wäh­rungs­blocks wenig bekümmern müssen. In Euro-Zeiten gilt aller­dings: mit­ge­hangen, mitgefangen.
Bemer­kenswert ist auch die Ent­wicklung von Frank­reich und Spanien. Spanien hatte vor der Euro-Krise, die auch Spanien stark getroffen hatte, eine deutlich nied­rigere Staats­ver­schuldung als Deutschland. Nach acht Jahren Draghi kratzt Spanien an der 100%-Marke, ebenso wie Frank­reich, das 2011 nur leicht höher ver­schuldet war als Deutschland. Bei Ein­führung des Euro war die Staats­ver­schuldung Frank­reichs mit 60,5% nahezu gleich
hoch wie die von Deutschland.

Öffent­licher Schul­den­stand in % des BIP, Deutschland (rechte Skala), und Dif­ferenz zu
Deutschland, in Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (linke Skala), 2011–2017

Quelle: Eurostat

Der Euro ver­liert deutlich gegenüber dem US-Dollar an Wert
Bei den Fei­er­lich­keiten zu 20 Jahren Euro haben diverse Fest­redner ver­sucht, den Euro in glo­balen Maß­stäben als Erfolgs­ge­schichte zu prä­sen­tieren. Ein untrüg­liches Zeichen dafür, dass der Euro – zumindest unter Draghi – an Boden ver­loren hat, ist die Ent­wicklung des Wech­sel­kurses gegenüber der wei­terhin unan­ge­foch­tenem Nummer 1, dem US-Dollar. Der Euro hat in den 8 Jahren gegenüber dem US-Dollar nicht weniger als 18% an Wert verloren.

Wech­selkurs USD-EUR, 11/2011–10/2019

Quelle: Federal

Fazit
Mario Draghi ist an den meisten von den diversen EU-Insti­tu­tionen vor­ge­ge­benen Zielen deutlich gescheitert. Sein Ver­dienst – aus Sicht der EU-Zen­tra­listen – ist, dass er das dro­hende Aus­ein­an­der­brechen des Euro mit der exzes­siven Flutung der Finanz­märkte ver­hindert hat. Selbst­ver­ständlich trägt er nicht alleine für die feh­ler­haften Ent­wick­lungen die Ver­ant­wortung. Für den Anstieg der Staats­ver­schuldung bzw. deren Nicht­rück­führung auf ein erträg­liches Niveau zeichnen ins­be­sondere die natio­nalen Poli­tiker ver­ant­wortlich. Dennoch, zum Ende seiner Amtszeit wirkte Mario Draghi noch abge­ho­bener und unnah­barer. Die Gräben innerhalb des für die Geld­po­litik zustän­digen EZB-Rates waren am Ende so tief,
dass die Kon­flikte sogar offen nach außen getragen wurden. Und es zeigte sich, dass sich auch nach 20 Jahren Euro und 8 Jahren Draghi nichts an der Kluft zwi­schen den ehe­ma­ligen Hart­wäh­rungs- und Weich­wäh­rungs­länder geändert hat. Christine Lagarde über­nimmt einen, geld­po­li­ti­schen, wirt­schaft­lichen und zwi­schen­mensch­lichen Scherbenhaufen.


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