Wenngleich sich das Reich der Mitte heute weit weltoffener gibt, als noch vor zwanzig Jahren, so sind dort doch noch einige Grundüberzeugungen durchaus gültig. Das marxistische Weltbild, dass „Religion Opium für’s Volk“ sei, ist heute auch noch vorhanden. Heute darf man — je nachdem — seiner Religion nachgehen. Allerdings unter strenger, staatlicher Aufsicht. In dem zum größten Teil atheistisch-agnostischen Land gibt es mittlerweile mehrere große Religionsgruppen: Buddhisten, Christen, Daoisten und Muslime und den chinesischen Volksglauben, den „Shenismus“. Dieser ist eigentlich keine Religion, es gibt auch keine Priester, sondern der Familienvater zelebriert nach altem Brauch Rituale für Hochzeit, Geburt eines Kindes, Neujahrsfest usw. Es ist eigentlich ein taoistischer Ahnenkult und ein Glaube an eine für Menschen unsichtbare Welt der Geister, die „Shen“ heißen.
Die Muslime in China sind fast ausschließlich auf das Volk der Uiguren im Nordwesten Chinas beschränkt. Dieses Volk in der chinesischen Provinz Xinjiang ist zwar asiatisch, aber ein Turkvolk und keine Chinesen. Sie streben schon seit Langem danach, ein Staatsvolk mit eigenem Staat zu sein. Gern bezeichnen sie ihr Land auch als „Ostturkestan“. Zuletzt gab es 2009 einen Aufstand dort mit Hunderten von Toten und mehreren Terrorangriffen gegen die Zentralregierung. Einige Uiguren sind auch als IS-Kämpfer in Syrien aktiv geworden.
Pekings Reaktion besteht nun darin, vorsichtshalber jegliche Eigenmächtigkeit der Uiguren sofort zu unterbinden und die Anführer nationaler Bestrebungen sowie religiöse Führer aus dem Verkehr zu ziehen und in Umerziehungslager zu stecken. Es sollen angeblich zirka eine Million muslimischer Uiguren in solchen Umerziehungslagern sein. Der Islam wurde offiziell zu einer „ansteckenden, ideologischen Krankheit“ erklärt. In den Umerziehungslagern werden sie davon „geheilt“, indem sie Lieder der kommunistischen Partei singen, Schweinefleisch essen, ihrem Glauben abschwören und Alkohol trinken müssen, berichten ehemalige Häftlinge.
Um die Träger und Verbreiter der „ansteckenden, ideologischen Krankheit“ zu identifizieren und dingfest zu machen, nutzt China, wenig überraschend, moderne Technik. Smartphones werden flächendeckend überwacht und eine App führt die ausgelesenen Daten verschiedener Überwachungstechnologien zusammen. Über diese App können Polizei und Behörden mit einer übergeordneten Plattform, der IJOP (Integrated Joint Operations Platform) kommunizieren, und zwar in beide Richtungen: Polizei und andere Ermittlungsbehörden übermitteln ihre Daten an die Plattform und erhalten von dort im Gegenzug Informationen über Verdächtige, potentielle Terroristen und andere Auffälligkeiten. Eingegeben und gesammelt wird fast alles, was über die betreffende Person zu erfahren ist: Berufliches, Privates, Gesundheitliches und vor allem die Religionszugehörigkeit, die dann noch nach ihrer Intensität eingeteilt wird (normal oder stark).
Wer beispielsweise kein Smartphone besitzt, ist verdächtig, wer sich auffällig lang oder oft im Ausland befindet oder zuviel Energie verbraucht ebenso, wer Spenden für Moscheen sammelt ganz besonders. Auch wer ein Handy hat, aber sich längere Zeit nicht einloggt, kann Alarm auslösen. Wer ein Auto betankt, dessen Halter er gar nicht ist, macht sich auch verdächtig. Das fällt deshalb auf, weil man sich in China beim Tanken mit Ausweis registrieren lassen muss. Leute, die gern Gebäude durch Seiten- oder Hintereingänge betreten, weil sie den allgegenwärtigen Kameras ausweichen wollen führen nach Ansicht der Regierung nichts Gutes im Schilde, genauso sind Autos, die längere Zeit auf keiner Überwachungskamera auftauchen ein Hinweis darauf, dass der Besitzer seltsame Dinge treibt. All das spricht dafür, dass da jemand schon „gehirninfiziert“ sein könnte und Terror plant.
Radio Free Asia brachte einen (englischsprachigen) Bericht über diese Umerziehungslager und wie dort Uiguren, die von „religiösem Extremismus infiziert“ worden sind, gegen diese Krankheit „behandelt“ werden. Auch die Erklärung der „Infektion“ durch chinesische Parteikader ist interessant. Hier ein Ausschnitt:
„Angehörige der Öffentlichkeit, die zur Umerziehung ausgewählt wurden, sind von einer ideologischen Krankheit angesteckt worden. Sie wurden mit religiösem Extremismus und gewalttätigen terroristischen Ideologien infiziert und müssen sich deshalb stationär in einem Krankenhaus behandeln lassen.
In den letzten Jahren kam es in Xinjiang nacheinander zu gewalttätigen Zwischenfällen, die von den „drei bösen Kräften („Terrorismus“, „religiösem Extremismus“ und „Separatismus“) ausgelöst wurden, was die Sicherheit aller Menschen und ethnischen Gemeinschaften gefährdet hat. Das verursachte schwere Schäden und Verluste. Diese Terroristen haben eines gemeinsam: Sie wurden von religiösem Extremismus und einer gewalttätigen Terrorismuskrankheit angesteckt.
Die religiöse extremistische Ideologie ist eine Art giftiger Medizin, die das Bewusstsein der Menschen verwirrt. Sobald sie von ihr vergiftet werden, verwandeln sich einige in Extremisten, die nicht einmal mehr ihr eigenes Leben wertschätzen. Wenn wir religiösen Extremismus an seinen Wurzeln nicht ausrotten, werden die gewalttätigen terroristischen Vorfälle wie ein unheilbarer bösartiger Tumor wachsen und sich ausbreiten
Obwohl einige Personen, die mit extremistischer Ideologie indoktriniert wurden, keine Verbrechen begangen haben, sind sie bereits von der Krankheit infiziert. Es besteht immer die Gefahr, dass sich die Krankheit jederzeit manifestiert, was die Öffentlichkeit ernsthaft schädigen könnte. Deshalb müssen sie rechtzeitig in ein Umerziehungskrankenhaus eingeliefert werden, um das Virus von ihrem Gehirn zu behandeln und zu reinigen und den normalen Geist wiederherzustellen.
Es muss klar sein, dass die Behandlung in ein Umerziehungskrankenhaus keine Möglichkeit darstellt, Personen zwangsweise zu verhaften und zur Bestrafung einzusperren. Es handelt sich dabei um einen Teil einer umfassenden Rettungsmission, um sie zu retten.“
Auf den ersten Blick scheint es doch sehr verwunderlich, dass die brutale Vorgehensweise Chinas gegen die uigurischen Muslime und die Klassifizierung des Islam als eine schreckliche Infektion des Gehirns nicht zu einem internationalen Aufschrei wegen Islamophobie geführt hat, insbesondere in muslimischen Ländern. Doch nicht dergleichen geschieht. Man hört nicht einmal Kritik.
Der Business Insider bietet diesbezüglich eine recht überzeugende Erklärung an: Man fürchtet gerade in den Islamischen Ländern, mit Protesten den Zugang zu chinesischem Kapital zu gefährden – insbesondere die üppigen Infrastrukturkredite, die Peking diesen Ländern im Rahmen der Großinitiative der „Neuen Seidenstraße“ (One Belt One Road) gewährt hat. Die meisten der Empfängerländer könnten diese Summen gar nicht zurück zahlen, sie sind auf die chinesische Unterstützung angewiesen, weil ihre Kreditwürdigkeit von den Ratingagenturen als hochriskant eingestuft wird.
Ägypten, ebenfalls ein Mitglied des Seidenstraßenprojektes, unterstützt China sogar gegen die Uiguren: Im Sommer 2017 verhaftete Ägypten ohne Angabe von Gründen Dutzende Uigurische Studenten und verwehrten ihnen den Beistand von Anwälten. Mindestens ein Dutzend Uiguren wurden zu dieser Zeit nach China deportiert.
„There is a general consensus that speaking out about the situation in Xinjiang might jeopardize the development of economic ties, and it is therefore not in their interests to do so.“
(Es gibt eine allgemeine Übereinkunft darüber, dass eine Beschwerde über die Situation in Xinjiang die Entwicklung der wirtschaftlichen Verbindungen auf’s Spiel setzen könnte, und daher liegt es nicht in ihrem Interesse, das zu tun.)
Hübsch, nicht wahr? So fürchterlich gehirnzerstörend kann also die Islam-Infektion wohl doch nicht sein.
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