Am Wochenende hat sich die (kleine) Große Koalition doch noch auf einen Kompromiss bei der Grundrente geeinigt. Stolz verkünden die Politiker, nun endlich mehr für die Bedürftigen der Gesellschaft zu tun. In Wahrheit ging es wohl mehr darum, den eigenen Job durch einen weiteren Formelkompromiss noch ein paar Monate länger zu behalten. Die Regierung also zu erhalten, zum Nutzen der Politik, nicht des Landes.
Dabei spielt es schon lange keine Rolle mehr, dass das Armutsrisiko bei uns – so man der gängigen Definition von Einkommen unterhalb von 60 Prozent des mittleren Einkommens folgt – auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren gefallen ist. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass Armut vor allem ein Problem bei den 18- bis 24-Jährigen ist: Fast ein Viertel aller Menschen (23,9 Prozent) dieser Altersgruppe ist betroffen. Bei den über 65-Jährigen liegt der Anteil bei weniger als jedem Fünften (19 Prozent).
Wenn also etwas zu tun ist, dann eher bei den Jüngeren, diese spielen allerdings bei den Wahlen keine so große Rolle. Deshalb überbietet sich die Politik mit den Versprechen, „die Renten sicherer zu machen“. Und in der Tat könnte die Politik sehr viel tun, um die Renten sicher zu machen. Und dies nicht erst seit heute, sondern schon seit Jahren. Es müsste nur einfach getan werden. Doch das wäre anstrengend und nicht immer populär. Deshalb macht man lieber kosmetische Eingriffe und verschiebt Geld von der einen in die andere Tasche und glaubt so, damit das System zu stabilisieren. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Diese Politik legt den Grundstein für Niedergang, Armut und soziale Konflikte.
Politik: Versprechen zulasten Dritter
Wenn man unsere Politiker über ihre Gesetzesvorhaben sprechen hört, dann könnte man denken, dass sie sich enorm angestrengt haben, um das Land wirtschaftlich voranzubringen, und richtig harte Arbeit hinter ihnen liegt. Doch was haben sie im Kern gemacht? In einem Excel-Sheet ein paar Variablen verändert und einer anderen Bevölkerungsgruppe als zuvor die Lasten zugeschoben. Wir wissen alle, dass die Kosten der Versorgung der älteren Generation von der Anzahl Rentner, der Rest-Lebenserwartung zu Rentenbeginn und den monatlichen Zahlungen abhängt. Will man diese Kosten senken, muss man das Renteneintrittsalter anheben und/oder die Rentenzahlungen reduzieren. Ist das politisch nicht opportun, muss man eine Finanzierung für diese Kosten finden. Dazu gibt es Steuer- und Sozialabgaben. Will man – zurecht – nicht alles beim Faktor Arbeit belassen, muss man auf steigende Steuern setzen. Punkt.
Die große Leistung der Politik, in ihrem Bemühen die Rente sicherer zu machen, besteht also darin, einer Bevölkerungsgruppe Zahlungen zu versprechen, die eine andere (zum Teil sind es dieselben Personen) finanziert. Optimistisch gerechnet ist der Netto-Wohlstandseffekt für unser Land null. Was die einen gewinnen, verlieren die anderen. Faktisch ist der Effekt aufgrund der mit dieser Umverteilung beschäftigten Bürokratie negativ.
Darüber und nur darüber diskutiert die Politik und unsere Medien haben nichts Besseres zu tun, als uns mit dieser überflüssigen Diskussion Wochen zu beglücken, verbunden mit allerlei an Einzelschicksalen aufgehängten Betroffenheitsgeschichten.
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat schon im Frühjahrsgutachten 2018 vorgerechnet, dass die Pläne der Bundesregierung (neben der Grundrente ist das die Aufstockung der Mütterrente und das Ziel, dass Rentenniveau bei 48 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens vor Steuern einzufrieren) zu einem Anstieg der Beitragssätze für die Rentenversicherung um 2,5 Prozentpunkte (oder entsprechenden Steuererhöhungen) führen werden. Schon ohne diese zusätzlichen Versprechen steigt der Beitragssatz bis 2050 von heute 19 auf 24 Prozent. Nach den „Reformen“ dann also fast auf 27 Prozent.
Wir haben es offensichtlich schon jetzt mit einer erheblichen „Nachhaltigkeitslücke“ zu tun. Laut Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministeriums müssten ab sofort zwischen 36 Milliarden und 115 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich gespart werden, um die finanziellen Folgen der demografischen Entwicklung, also steigender Gesundheits‑, Pflege- und Rentenkosten bei gleichzeitig sinkender Zahl der Beitragszahler, aufzufangen.
Die Politik macht genau das Gegenteil. Sie vergrößert die Lücke immer weiter.
Was, wenn die Dritten nicht mitmachen?
Eine Frage, die sich die Politik bei ihrer Hin- und Herverschieberei nicht stellt, ist die nach der Bereitschaft der Zahlenden, diese Last auch in Zukunft zu tragen. Da sind Zweifel nicht unberechtigt. Schon heute verlassen rund 200.000 Menschen pro Jahr Deutschland. Diese Abwanderung wird von der Politik systematisch unterschätzt, so sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Dabei ist sie wirtschaftlich hoch relevant. Auch wenn keine genauen Daten verfügbar sind, ist die These naheliegend, dass es sich um besser qualifizierte Menschen handelt, die bisher Steuern gezahlt haben oder aber künftige Steuerzahler darstellen. Je jünger diese sind, desto mobiler sind sie und damit bereiter, im Ausland das Glück zu suchen. Je höher die Belastung für diese Gruppe wird, desto mehr steigt der Wunsch, diesen Belastungen zu entgehen.
Eine Vorstellung, die in den Köpfen unserer Politiker keinen Raum findet. Sie gehen davon aus, dass es in Deutschland so schön ist, dass man trotz schon heute bestehender Rekordbelastung der Bürger (Platz 2 in der OECD nach Belgien) die Lasten noch weiter erhöhen kann. Da spielt es auch keine Rolle, dass der Staat bei seinen eigentlichen Aufgaben offensichtlich versagt. Stichworte: innere Sicherheit, Bildung, Bundeswehr und Infrastruktur. Die Wahrheit ist jedoch, dass es mit jedem Tag für Leistungsträger unattraktiver wird, in diesem Land zu bleiben, während gleichzeitig andere Staaten der Welt, die ebenfalls vor einer erheblichen demografischen Herausforderung stehen, mit niedrigeren Abgaben und einem funktionsfähigen Gemeinwesen locken.
Wer Renten sichern will, macht sich an die echte Arbeit!
Wer wirklich die Renten sicher machen will, kann dies nicht durch immer mehr Umverteilung erreichen. Im Gegenteil, dies geht nur, indem man sicherstellt, dass der zu verteilende Kuchen in Zukunft nicht kleiner wird, sondern zumindest so groß bleibt wie er ist. Schön wäre es, wenn er wachsen würde, was allerdings eine überaus optimistische Annahme wäre.
Schon, um den Kuchen nicht schwinden zu lassen, bedarf es erheblicher Anstrengungen:
Der bevorstehende deutliche Rückgang der Erwerbsbevölkerung wird zwangsläufig mit einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität einhergehen. Der Kuchen wird weniger werden. Daran könnte selbst die beste Zuwanderung nichts ändern, da eine Zuwanderung von rund 500.000 qualifizierten Menschen pro Jahr notwendig wäre, die im Schnitt so viel verdienen wie die bereits hier Lebendenden. Unsere heutige Art der Zuwanderung erfüllt dieses Kriterium nicht und wird die Lasten erhöhen, statt einen Beitrag zur Minderung der Lasten zu leisten.
Stattdessen sind andere Hebel zu nutzen, um den Rückgang der Erwerbsbevölkerung zu verlangsamen, und die Konzepte liegen seit Langem vor. So rechnete die Bundesagentur für Arbeit schon vor Jahren vor, dass eine Reduktion der Zahl von Schul‑, Ausbildungs- und Studienabbrechern allein bis 2025 eine Million mehr Fachkräfte bedeuten würde. Ebenso wichtig wäre eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von über 55-Jährigen und eine weitere Steigerung des Anteils an Frauen, die einer Beschäftigung nachgehen. Auch durch weitere Qualifizierung ließen sich rund 700.000 Menschen mehr im zunehmend anspruchsvollen Arbeitsmarkt halten.
All dies ist machbar, aber mühsam und vermutlich auch nicht geeignet zum Stimmenfang. Auch deshalb wohl hat die Regierung genau das Gegenteil gemacht und mit der Rente mit 63 dem Arbeitsmarkt rund eine Million Arbeitskräfte unnötig früh entzogen, was allein im Mittelstand im letzten Jahr zu einem rechnerischen Umsatzverlust von 65 Milliarden führte.
Kompensieren lässt sich ein Rückgang der Erwerbsbevölkerung durch eine Erhöhung der Produktivität pro Kopf. Doch selbst Japan, das seit einiger Zeit die höchsten Zuwächse des BIP pro Erwerbstätigen ausweist, gelingt es nicht, den Kuchen – also das Gesamt-BIP – damit wachsen zu lassen. Immerhin eine Stagnation wird erreicht. Voraussetzungen für eine Steigerung des BIP pro Erwerbstätigen ist jedoch eine herausragende Bildung (Japan: 322 Schüler von 1000 mit „sehr guten Mathematikleistungen“, Deutschland: 53), Investitionen von Unternehmen und Staat sowie Innovationen. Genau an diesen Stellen versagt unsere Politik jedoch auf ganzer Linie.
Es ist also durchaus möglich, den Kuchen möglichst groß zu halten. Und je größer der Kuchen, desto geringer die Belastung der Beitrags- und Steuerzahler und desto besser die Versorgung der Rentner.
Der Weg, den unsere Politiker im vermeintlich so reichen Land gehen, ist jedoch ein anderer. Sie unterlassen jede Art der Zukunftsinvestition, stellen damit also sicher, dass der Kuchen in Zukunft klein ist. Sie erhöhen die finanziellen Lasten durch höhere Versprechen für Rentner und eine Zuwanderungspolitik in den Sozialstaat und machen es damit immer attraktiver für Leistungsträger, das Land zu verlassen, was dann wiederum den Kuchen weiter dahinschwinden lässt.
Abzusehen ist das Verschärfen der Steuern für Wegzug und eine weltweite Besteuerung all jener, die einen deutschen Pass besitzen. Doch auch dies sind letztlich nur Maßnahmen, die den Exodus aus dem Land beschleunigen.
Wie man ein Land ruiniert, können wir gerade live miterleben. Schade nur, dass um das vermeintlich reiche Deutschland handelt.
Dr. Daniel Stelter – www. think-beyondtheobvious.com
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