Hanf erlebt ein Comeback – nicht nur als Heil­mittel, sondern auch als öko­lo­gi­sches Baumaterial

Mit dem Hanf ist es ein bisschen wie mit dem Weih­rauch. Wer sich mit Weih­rauch nicht aus­kennt, rümpft oft die Nase in Erin­nerung an Nebel­schwaden, die während der Messe durch katho­lische Kirchen wabern und die Gläu­bigen in einen Däm­mer­zu­stand ver­setzen – bei manchen löst der intensive Duft des bil­ligen Kir­chen­weih­rauchs sogar Übelkeit aus. Auch bei Can­nabis rümpfen viele die Nase: Kiffen, Ein­stiegs­droge, Sucht, Rausch. Und das, obwohl die medi­zi­nische Wirkung von Can­na­bidiol seit Jahr­tau­senden bekannt und längst wis­sen­schaftlich belegt ist. Und ebenso wie den Weih­rauch nutzt die Menschheit Hanf seit Jahr­tau­senden. Als Nahrung, Heil­mittel, Kleidung, Baumaterial.
(von Vera Wagner)

Werner Schön­thaler erntet seine Hanf­blüten um daraus Sirup, Kos­metik und Tee zu machen, auch zeigt er die neueste Ent­wicklung des Hanf­ziegels von Schön­thaler Baustoffe

Zum Bauen wurde nicht der Hanf mit einem hohen Gehalt an berau­schendem Tetra­hy­dro­can­na­binol (THC) ver­wendet, sondern Can­nabis sativa Linné, also Nutzhanf mit einem THC-Gehalt, der unter 0,2 Prozent liegt. „Davon müsste man zwei Schub­karren rauchen, um irgend­einen Rausch zu spüren!“, sagt Werner Schön­thaler, der in den Bergen Süd­tirols die ver­gessene Nutz­pflanze wie­der­ent­deckt hat. Es war eine Lebens­krise, die den 42-Jäh­rigen zum Hanf führte. 2002 war er nach einem Ski­unfall quer­schnitt­ge­lähmt. Er kämpfte sich zurück ins Leben. Konnte nach neun Monaten wieder laufen – ent­gegen den Pro­gnosen der Ärzte. Doch die stän­digen Schmerzen waren zer­mürbend. Schön­thaler prak­ti­zierte Zen-Medi­tation, zog sich in ein Kloster zurück, eine Zeit der Besinnung. Eines Tages begegnete er einem Mann, der süchtig ist nach Hanf – nicht dem berau­schenden, sondern dem nütz­lichen. Christoph Kirchler von der Firma Eco­passion ist so eine Art Hanf-Bot­schafter. Er hält Vor­träge und leistet Pio­nier­arbeit im Hanf­anbau in den Alpen. Er möchte, dass die Men­schen zurück­kehren zu ihren Wurzeln. Denn Hanf ist die älteste Kul­tur­pflanze der Menschheit. Seit der Antike stellten die Men­schen Stoffe und Seile aus Hanf­fasern her. Die erste Jeans von Levi Strauss war aus Hanf gefertigt. Die Gutenberg-Bibel wurde Mitte des 15. Jahr­hun­derts auf Papier aus Hanf gedruckt. Ein paar Jahr­zehnte später ent­deckte Christoph Columbus Amerika mit Segeln und Tauen aus Hanf. Und die alten Römer bauten mit Hanf und Naturkalk. Bis in die 1930er-Jahre war Italien der zweit­größte Can­nabis-Pro­duzent der Welt und der größte Hanfgarn-Her­steller. Mitte des 20. Jahr­hun­derts kam die Pro­hi­bition: Hanf wurde offi­ziell als Droge ein­ge­stuft, der Anbau fast weltweit ver­boten, die Felder ver­schwanden. Und Hanf als Heil­mittel wurde von syn­the­ti­schen Medi­ka­menten verdrängt.
Die Begeis­terung für Hanf war geweckt bei Werner Schön­thaler. Hanf als Bau­stoff – das fand der Sohn eines Bau­un­ter­nehmers besonders inter­essant. Er begann zu experimentieren.
Werner Schön­thaler erntet seine Hanf­blüten um daraus Sirup, Kos­metik und Tee zu machen, auch zeigt er die neueste Ent­wicklung des Hanf­ziegels von Schön­thaler Baustoffe

Im Betrieb seines Vaters mischte er Hanf und Naturkalk mit Wasser und presste daraus Ziegel, die er nicht brannte, sondern umwelt­schonend an der Luft trocknen ließ. Test­ge­lände war sein Bau­ernhof. Hier baute Schön­thaler das erste Hanfhaus Südtirols.


Inzwi­schen hat er Bau­stellen in Italien, Schweiz und in Deutschland. Auch in Öster­reich stehen schon aus Hanf­steinen gebaute Häuser. Eine bekannte öster­rei­chische Fer­tig­haus­firma ver­wendet Hanf für die Fas­saden- und Innen-Dämmung. „Der Hightech-Bau­stoff sorgt für behag­liches Wohn­gefühl und her­vor­ra­genden Schall­schutz“, kann man auf der Web­seite der Firma über Hanf als öko­lo­gi­sches Material lesen. Ein nie­der­län­di­sches Unter­nehmen hat vor kurzem ein Fer­tighaus aus Hanf gebaut.
Für Werner Schön­thaler ist Hanf der Bau­stoff der Zukunft. Hanf und Kalk sind atmungs­aktiv, regu­lieren die Feuch­tigkeit, iso­lieren gut gegen Hitze und Kälte – behag­liche Wärme im Winter und Kühle im Sommer. Die her­vor­ra­genden ther­mi­schen Eigen­schaften machen eine zusätz­liche Dämmung über­flüssig. Das Bau­ma­terial ist CO2-negativ, es absor­biert wesentlich mehr Koh­len­dioxid, als bei seiner Her­stellung aus­ge­stoßen wird. Hanf­beton ist zehnmal stärker als Beton, schimmel-beständig, ver­rot­tungsfest, schäd­lings-resistent und feu­er­be­ständig. Er ist sogar besser als Stroh- oder Lehm­ziegel. Hanf wächst 50 Mal schneller als Holz, auf einem Hektar wächst in nur fünf Monaten die Bio­masse für ein kleines Ein­fa­mi­li­enhaus. Hanf benötigt kei­nerlei Pes­tizide oder Dün­ge­mittel, reinigt und belebt den Boden. Die Hanf­ziegel halten hun­derte Jahre und lassen sich kom­plett recyceln. Es ist defi­nitiv eine Alter­native zu den zurzeit üblichen Bau­ma­te­rialien. In der Wiener Zeitung schrieb der Architekt Dietmar Steiner: „Wir bauen den größten Son­dermüll der Baugeschichte“.
Inzwi­schen ist Hanf sogar For­schungs­objekt. Susanne Elsen, Pro­fes­sorin für Sozio­logie an der Freien Uni­ver­sität Bozen, beschäftigt sich unter anderem mit nach­hal­tiger Ent­wicklung. Sie bedauert, dass Hanf immer noch auf seiner Wirkung als Rausch­mittel redu­ziert wird. „Es gibt keine Pflanze, die Ver­gleich­bares leisten kann. Die Pflanze ist eine richtige Zauberkünstlerin.“ 
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