MH-17 Wrackteile - Photo by Jeroen Akkermans - flickr.com - CC BY-NC-SA 2.0

MH-17 — Die Des­in­for­mation der west­lichen Medien geht in einer neue Runde

Am Don­nerstag haben Medien gemeldet, es gäbe neue Erkennt­nisse im Fall des über der Ukraine abge­schos­senen Fluges MH17. Und natürlich deutet alles auf Russland hin. Welche neuen Erkennt­nisse gibt es und was sind sie wert?
Über MH17 habe ich in meinem Buch über die Ukraine-Krise aus­führlich geschrieben und das Kapitel auch als Lese­probe hier ver­öf­fent­licht. Da das Kapitel jedoch fast 70 Seiten umfasst, habe ich auch eine Kurz­zu­sam­men­fassung geschrieben, die Sie hier finden.
Die Frage ist also, was es nun tat­sächlich Neues gibt. Antwort: In der Sache gar nichts, aber der Reihe nach.
Die Nie­der­lande haben ein Problem. Der ermit­telnde Staats­anwalt Wes­terbeke hat sich ent­schieden, Anklage wegen MH17 gegen vier Per­sonen zu erheben, die er aber gar nicht in Gewahrsam hat. Ent­gegen allen Mel­dungen der west­lichen Medien gibt es keine belast­baren Belege für die Schuld von irgendwem. Der Unter­su­chungs­be­richt der Ermittler gibt zur Schuld­frage nichts her. Und so stützt sich die Anklage von Wes­terbeke im Wesent­lichen auf angeblich abge­hörte Tele­fonate, die er vom ukrai­ni­schen Geheim­dienst SBU bekommen hat. Deren Echtheit ist aber fraglich.
Die Ukraine ist Partei in dem Fall und sehr daran inter­es­siert, Russland die Schuld zu geben. Nicht nur aus Prinzip, weil Kiew Russland als Feind ansieht, sondern auch aus prak­ti­schen Gründen. Das Unglück geschah im ukrai­ni­schen Luftraum, für dessen Sicherheit die Ukraine ver­ant­wortlich ist. Sie hätte den Luftraum über dem Kriegs­gebiet sperren müssen, wenn er nicht mehr sicher gewesen wäre. Und das war er nicht, weil nur Tage vor dem Unglück eine ukrai­nische Mili­tär­ma­schine in 6.000 Meter Höhe abge­schossen worden ist. Und Luft­ab­wehr­ra­keten, die 6.000 Meter hoch schießen können, kommen auch noch höher.
Es geht dabei nicht nur um die mora­lische Schuld, sondern auch um viel Geld. Sollte die Ukraine des­wegen Ver­ant­wortung tragen, dann hätten die Hin­ter­blie­benen der Opfer Anspruch auf Scha­den­ersatz. Es geht um viele Mil­lionen und die Ukraine ist ein bank­rotter Staat, für den das viel Geld wäre.
Nun haben die Ermittler (nicht der Staats­anwalt, das sind zwei ver­schiedene Dinge) erneut abge­fangene Tele­fonate ver­öf­fent­licht. Die Quelle wird nicht ange­geben, aber es dürfte sich wieder um den SBU handeln, der schon oft mit fal­schen Beweisen ver­sucht hat, Punkte zu machen. Die „beste“ Meldung des SBU war im Sep­tember 2014 ein angeb­licher rus­si­scher Angriff mit Atom­waffen im Bür­ger­kriegs­ebiet, den ein ukrai­ni­scher Minister dann auch noch an die große Glocke gehängt hat.
Dieses mal geht es um Tele­fonate. Der SBU hat auch schon viele später als Fäl­schung ent­larvte Tele­fonate ver­öf­fent­licht. Auch die Echtheit der aktu­ellen Tele­fonate wurde von nie­mandem bestätigt. Und ent­gegen den Über­schriften der Medien sagen die Mit­schnitte noch nicht einmal etwas über MH17 aus. Sie sollen statt­dessen belegen, dass Moskau die Rebellen steuert und kon­trol­liert. Frei nach dem Motto: Moskau kon­trol­liert sie, also ist Moskau an allem Schuld.
Nur: Selbst wenn wir annehmen, dass Moskau die Rebellen kon­trol­liert, sagt das noch nichts über die Schuld­frage bei MH17 aus. Es ist nämlich kei­neswegs erwiesen, wer die Rakete abge­feuert hat, die das Flugzeug vom Himmel geholt hat. Sowohl die Rebellen hatten solche Raketen, als auch die Ukrainer. Die Rebellen haben Buk-Raketen aus ukrai­ni­schen Beständen erobert und die Ukraine hat sie sowieso. Mehr noch: Die Ermittler haben im Mai 2018 bekannt gegeben, sie hätten die Seri­en­nummer der betref­fenden Rakete iden­ti­fi­ziert. Nur wüssten sie nicht, was sie bedeutet.
Russland hat dar­aufhin im Sep­tember 2018 die Geheim­haltung auf­ge­hoben und die Bedeutung der Zahlen erklärt. Demnach handelt es sich um eine Rakete, die 1986 pro­du­ziert worden ist, dann in die Ukraine (damals noch Teil der Sowjet­union) trans­por­tiert und dort in Dienst gestellt wurde. Nach dem Zerfall der Sowjet­union ist die Rakete demnach in die Bestände der ukrai­ni­schen Armee übergegangen.
Nun muss man dieser rus­si­schen Dar­stellung nicht glauben. Aber es wäre an Kiew, dem zu wider­sprechen und das zu belegen. Aber da die Medien zu dem Thema keine Fragen stellen – die west­lichen Medien haben darüber ja nicht einmal berichtet – muss Kiew sich auch nicht äußern und muss kei­nerlei medialen Druck befürchten. Kiew schweigt zu der Frage und niemand stellt Fragen.
Für den Spiegel durfte der Leiter des Mos­kauer Büros, Christian Esch, nun über die neu­esten Ent­wick­lungen schreiben und er hat alle Register der Pro­pa­ganda gezogen. Wie gesagt hat Staats­anwalt Wes­terbeke Anklage gegen vier Männer erhoben, drei Russen und einen Ukrainer. Im Spiegel steht jedoch fol­gendes über den anste­henden Prozess:
„Aber es nicht einfach, einen Prozess zu führen, wenn der Haupt­ver­dächtige ein ganzer Staat ist – Russland.“
Das dürfte auch für Wes­terbeke neu sein und ich bin sicher, dass er dem Spiegel einen Dan­kes­brief schreiben wird, weil er nun endlich weiß, wen er eigentlich ange­klagt hat. (Manchmal kann ich mir Sar­kasmus nicht ver­kneifen, wenn ich so plumpe Pro­pa­ganda lese, sorry)
Danach erst steht im Spiegel:
„Die Ermittler vom „Joint Inves­ti­gation Team“ (JIT) haben zwar längst rekon­struiert, dass der Abschuss der malay­si­schen Boeing mit einer Flug­ab­wehr­rakete der rus­si­schen Armee geschah. Sie haben auch schon vier Ver­dächtige benannt, dar­unter drei rus­sische Staats­bürger. Aber Moskau ver­weigert jede Mit­hilfe. Das JIT sucht deshalb wei­terhin Zeugen und geht deshalb stets aufs Neue mit Material an die Öffentlichkeit.“
Und wieder gelogen. Die Ermittler des JIT haben das nicht rekon­struiert. Das steht in keinem ihrer Unter­su­chungs­be­richte. Diese Version kommt von der bri­ti­schen Plattform Bel­lingcat, die vom Atlantic Council finan­ziert wird und immer dann „Belege“ liefert, wenn die Nato sie braucht. Bel­lingcat ist Experte für syrische Gift­gas­an­griffe, die sich hin­terher als Fake her­aus­stellen, für Skripal und eben für MH17.
Und dass Moskau „jede Mit­hilfe ver­weigert„, ist eben­falls gelogen. Moskau wurde von den Ermitt­lungen aus­ge­schlossen und pro­tes­tiert dagegen immer wieder, weil es gerne mit­ar­beiten würde. Moskau hat alle Anfragen der Ermittler beant­wortet, während Holland wichtige Doku­mente als geheim ein­ge­stuft hat und weder den eigenen Abge­ord­neten, noch Jour­na­listen Ein­blick gewährt, obwohl die sogar auf Ein­sicht geklagt haben.
Auch Malaysia, dessen Flugzeug betroffen ist, das aber nicht treu zum Westen steht, sollte zunächst aus den Ermitt­lungen her­aus­ge­halten werden. Das gelang aber nicht, Malaysia ist Mit­glied im JIT. Und Malaysia kri­ti­siert die Ermitt­lungen heftig. Dort sagt der Pre­mier­mi­nister offen, dass es kei­nerlei Beweise gegen Russland gibt und dass die Ermitt­lungen nie objektiv waren, sondern von vor­ne­herein das Ziel hatten, Russland zu beschul­digen. Und weil Malay­siaTeil des JIT ist, kennt es die Internas.
Aber da der Spiegel-Leser von all dem nichts weiß, kann der Spiegel fröhlich wei­terhin seine Linie fahren. Und so schreibt Herr Esch für den Spiegel aus Moskau den langen Artikel, in dem er auf die neuen Tele­fon­mit­schnitte eingeht, die alle Russland in ein schlechtes Licht stellen. Und wie immer lohnt es sich, einen Spiegel-Artikel bis zum Ende zu lesen. Um den Vorwurf der „Lügen­presse“ zu ver­meiden, kommt am Ende meist ein ent­schei­dender Teil Wahrheit, in der Hoffnung, dass viele es gar nicht bis zum Ende lesen. Und selbst wenn, der Leser ist vorher in dem langen Artikel auf die gewünschte Linie ein­ge­schworen worden und dürfte fol­gendes überlesen:
„Die Echtheit der Auf­nahmen ist nicht bestätigt worden“
Und obwohl die west­lichen Medien in den Über­schriften einen Zusam­menhang zwi­schen diesen Mit­schnitten und MH17 her­stellen, steht davon nichts in dem Artikel. Es wird zwar wort­reich der Ein­druck erweckt, sie hätten etwas mit MH17 zu tun, aber wer den Artikel nüchtern liest, der stellt fest, dass es dabei um alles Mög­liche geht, aber nicht um MH17. Aber diese Tat­sache, die ein auf­merk­samer Leser selbst fest­stellen kann, wird im letzten Absatz als rus­sische Behauptung dargestellt:
„Dafür schreibt ein Kriegs­kor­re­spondent auf der Web­seite des kreml­nahen Mas­sen­blattes „Kom­so­mol­skaja Prawda“: Er könne über die Echtheit der Auf­nahmen nichts sagen, aber „keine Sekunde des Ver­öf­fent­lichten wirft Licht auf den Abschuss von MH17″.“
Das ist objektiv die Wahrheit.
Bleibt noch zu erwähnen, dass in dem Artikel wieder das „Mul­ti­media-Spezial“ ver­linkt ist, dass beruhend auf den Aus­sagen von Bel­lingcat beschreibt, wie die Rakete angeblich aus Russland gekommen ist. Aber der Spiegel schreibt dort ein­leitend, dass das Mul­ti­media-Spezial auf Recherchen des Spiegel und einer hol­län­di­schen Zeitung beruht.
Für die „Qua­li­täts­jour­na­listen“ des Spiegel bedeutet Recherche offen­sichtlich, die „Erkennt­nisse“ eines von einem US-Think Tank bezahlten Briten abzu­schreiben und als eigene „Recherche“ zu bezeichnen. 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“