Eigentlich ist es eine Posse der Heuchelei und Prozessverschleppung. Es geht um Griechenland, den Wechsel des veralteten, griechischen Telefonnetzes von analog auf digital und dass dieser fette Auftrag nicht kostenlos bei Siemens gelandet ist. Siemens soll zwischen 1998 und 2003 insgesamt 14 Führungskräfte der damals teilstaatlichen griechischen Telekommunikationsgesellschaft OTE bestochen haben.
Die zu verhandelnde Tat ist 21 Jahre her: 1998 erhielt die in München ansässige Firma Siemens nach langen und anstrengenden Verhandlungen mit der griechischen Telefongesellschaft OTE den Auftrag für die Umstellung des griechischen Telefonnetzes auf Digitaltechnik in einem Volumen von 693 Millionen Euro. Dabei flossen 68 Millionen Euro Schmiergelder an die damit befassten Politiker und Entscheider in Griechenland.
Ernsthafte Ermittlungen in dieser Sache begannen aber erst vor 14 Jahren. Und auch die bestanden größtenteils – wenn nicht überhaupt — aus dem, was die deutschen Staatsanwälte herausgefunden hatten. Es waren die Münchner Ermittler, die bei dem globalen Giganten Siemens ein ebenso globales Netz von schwarzen Kassen und Reptilienfonds entdeckten.
„Mit dem Geld wurden vielerorts Amtsträger und Auftraggeber bestochen. Die Erkenntnisse der Münchner Ermittler führten zu Prozessen in mehreren Ländern. Auch in Deutschland bekamen einige Siemens-Manager mit der Justiz zu tun. Ein Strafverfahren gegen Pierer wurde gegen ein Bußgeld von 250.000 Euro eingestellt. Fünf Millionen Euro Schadenersatz zahlte er an Siemens.“
So kam Siemens auch mit der griechischen OTE nach ein wenig Bakschisch-Verhandlungen überein. Die liebenswerte Gelassenheit griechisch-mediterraner Lebensfreude führte nicht zu großer Eile bei der juristischen Aufarbeitung des Skandals und bescherte den Beteiligten Zeit genug, sich an dem Erreichten und Erbeuteten zu erfreuen. Denn man ermittelte lange und sorgfältig und leider fand sich trotz eifrigster Bemühung niemand, der die griechische Anklageschrift auf Deutsch übersetzte. Und so kam es, dass der Prozess erst vor drei Jahren beginnen konnte. Auch dann vermied man jede Art von Hast. „Bestechen und bestechen lassen, alle wollen schließlich leben“.
Zu Anfang des Prozesses waren es noch 64 Angeklagte. Zehn davon war es vergönnt, in Frieden und Freiheit von dieser Erde zu scheiden. Drei Jahre lang schleppte sich der Prozess seit- und vorwärts. Von den verbleibenden 54 Angeklagten sind die meisten in der Zwischenzeit auch nicht mehr taufrisch. 20 Angeklagte wurden vor dem griechischen Gerichtshof für schuldig befunden. Vor wenigen Tagen wurde ein Urteil gesprochen.
Und auch dieses späte Urteil ist wenig beeindruckend, weil rechtlich anfechtbar. Die Anwälte der deutschen Angeklagten beriefen sich – nicht ganz zu Unrecht – darauf, dass ihre Mandanten bereits in Deutschland wegen dieser Sache vor Gericht standen. Und im EU-Recht gilt der alte, römische Rechtsgrundsatz „Ne bis in idem“ (Nie zweimal in demselben), dass man niemanden wegen derselben Tat zweimal vor Gericht stellen darf. Griechenland konterte dies mit dem nicht näher ausgeführten Gegenargument, man stelle die Beschuldigten wegen ganz anderer Vorwürfe als den in Deutschland erhobenen vor Gericht. Worin der Unterschied denn bestehe, wurde gleichwohl nicht erklärt. Es handelt sich um dieselben Taten, dieselben Beschuldigen und denselben Vorgang.
Interessant ist auch, dass die Medien (wenn überhaupt) so gut wie ausschließlich von den deutschen Angeklagten berichten, deren aktive Korruption in Athen vor Gericht verhandelt wurde. Zu den Verdächtigen und Beschuldigten gehören aber 19 deutsche leitende Angestellte aus dem Hause Siemens und 14 von der griechischen OTE Telecom.
Dass zum Tatbestand der Korruption auch Empfänger des Bestechungsgeldes gehören, die der Natur dieser Angelegenheit entsprechend griechischer Staatsangehörigkeit sein müssen, scheint niemanden in Deutschland zu interessieren. Immerhin wurden zwei ehemalige Siemens-Manager griechischer Nation zur Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis verurteilt: Michael Christoforakos und Christos Karavelas. Herr Christoforakos hatte sich schon vor zehn Jahren nach Deutschland abgesetzt und die deutschen Behörden lehnten seine Auslieferung ab, weil er deutscher Staatsbürger ist und die ihm vorgeworfenen Straftaten nach deutschem Recht verjährt sind. Wo Herr Christos Karavelas sich aufhält, ist unbekannt. Er soll „untergetaucht“ sein.
Der einzige griechische Politiker, der 2011 in dem Korruptionsprozess zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, war der ehemalige Verkehrsminister Griechenlands, Herr Tasos Mantelis. Man konnte ihm nachweisen, dass er in den Jahren zwischen 1998 und 2000 etwa 230.000 Euro Schmiergeld von Siemens erhalten hatte (damals 450.000 Mark).
Schon im Jahr 2015 berichtete die griechische Online-Zeitung „Thema“, dass 80 Verdächtige von den griechischen Richtern freigesprochen wurden, und die verbleibenden 64 Personen, die sich wegen aktiver und/ oder passiver Bestechung verantworten mussten, sind hier aufgelistet. Tatsächlich sind hier in griechischer Schreibweise 13 deutsche Namen aufgezählt. Die restlichen 51 Personen sind griechischer – oder zumindest nicht deutscher – Herkunft. Insgesamt sind von diesen Beschuldigten, wie gesagt, schon 10 verstorben, einer davon durch Selbstmord. Erstaunlicherweise hören wir von den griechischen Beteiligten aber so gut wie nichts in den deutschen Medien.
Am vergangenen Montag war die Urteilsverkündung. Die deutschen Angeklagten waren nicht erschienen. Sie wurden von ihren Anwälten vertreten, was nach griechischem Recht möglich ist. Der damalige Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt (59) erhielt eine Gefängnisstrafe von 13 Jahren, fünf weitere Siemens Manager wurden zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ob die Verurteilten die Haft auch wirklich sofort antreten müssen, ist nicht bekannt. Sollte das so sein, müssten internationale Haftbefehle ausgestellt werden. Griechischen Medienberichten nach sollen die Urteile aber zur Bewährung ausgesetzt worden sein.
Deutschland dürfte die verurteilten Deutschen nicht an Griechenland ausliefern, müsste sie gegebenenfalls aber nach geltendem Recht in Deutschland in Haft nehmen. Das erscheint wenig wahrscheinlich weil berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils bestehen, da die Angeklagten ja schon vor deutschen Gerichten freigesprochen wurden. Sollte allerdings einer dieser Verurteilten beispielsweise in Frankreich aufgegriffen werden, würde er nach französischem Recht an Griechenland ausgeliefert werden.
Mr. Siemens, der frühere Vorstandschef und Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer (78), wurde in Griechenland ebenfalls zur Höchststrafe von 15 Jahren verurteilt. Er zeigte sich von dem Urteil überrascht, schreibt der Spiegel. In seiner Stellungnahme lässt er wissen, dass er sich dagegen wehren werde. Zweimal sei er im Laufe des Verfahrens in Athen vor Gericht gewesen und dabei „mit keinem einzigen strafrechtlich relevanten Vorwurf konfrontiert worden, gegen den ich mich verteidigen musste oder hätte verteidigen können. Wir werden außerdem beantragen, dass das Urteil in Deutschland nicht vollzogen wird, weil es gegen elementare rechtsstaatliche Prinzipien verstößt.“
Die “sehr intensiven” Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft hätten keinen strafrechtlichen Vorwurf gegen ihn ergeben, so von Pierer. Die Staatsanwaltschaft in Griechenland habe zwischenzeitlich einen Freispruch beantragt. Die jetzige Verurteilung sei dann “völlig überraschend” erfolgt, heißt es in der Stellungnahme von Pierers.
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