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Lehre aus DDR und Mau­erfall: Sozia­lismus ist ein Zombie

Der drei­ßigste Jah­restag des Mau­er­falls war der Anlass für eine Vielzahl von Reden auf unter­schied­lichsten Ver­an­stal­tungen und für zahl­reiche Text­bei­träge in diversen Medien.
(von Rainer Fassnacht)
Exem­pla­risch für den Großteil der Wort­mel­dungen war die Festrede, die Bun­des­prä­sident Frank-Walter Stein­meier am 9. November 2019 am Bran­den­burger Tor in Berlin gehalten hat.
Aus­gehend von der Ein­sicht, dass die Mauer nicht ohne Gründe gefallen ist, nennt er wichtige Akteure und Ent­wick­lungen, welche dazu bei­getragen haben:

  • die fried­lichen Revo­lu­tionäre der DDR
  • die Men­schen in Osteuropa
  • Michail Gor­bat­schows neue Politik in Moskau
  • Ronald Reagans Unterstützung
  • das Ver­trauen der euro­päi­schen Nachbarn

Zwei­felsohne hatte jeder diese Punkte seine Bedeutung für das Ende der DDR. Aber bemer­kenswert an dieser Auf­zählung ist der große blinde Fleck: die feh­lende Benennung des Faktors, dessen Bedeutung ent­scheidend war: Die Plan­wirt­schaft der DDR war zusammengebrochen!
Es darf als Glücksfall der Geschichte bezeichnet werden, dass mit dem soge­nannten Schürer-Bericht (hier als PDF her­un­ter­laden) ein als „Geheime Ver­schluss­sache“ gekenn­zeich­netes Dokument vor­liegt, das das Scheitern der DDR-Plan­wirt­schaft kurz vor dem Mau­erfall dokumentiert.
Gerhard Schürer war von 1965 bis 1989 Vor­sit­zender der Staat­lichen Plan­kom­mission der DDR und legte am 30.10.1989 gemeinsam mit anderen Autoren eine Vorlage für das Politbüro des Zen­tral­ko­mitees der Sozia­lis­ti­schen Ein­heits­partei Deutschland (SED) mit dem Titel „Analyse der öko­no­mi­schen Lage der DDR mit Schluss­fol­ge­rungen“ vor. Hier einige Punkte in Kürze:

  • Es fehlten mate­rielle und finan­zielle Anreize zu Wirtschaften;
  • es gab ein Miss­ver­hältnis zwi­schen „Überbau“ und pro­duk­tiver Basis;
  • wichtige Bereiche der Ver­sorgung der Bevöl­kerung wurden vernachlässigt;
  • es gab nur geringe Investitionen;
  • inves­tiert wurde in den fal­schen Bereichen;
  • die eigene Planung wird „in bedeu­tendem Umfang nicht erfüllt“

Die Kern­bot­schaften des Schürer-Berichts sind der Hinweis auf die „unmit­telbar bevor­ste­hende Zah­lungs­un­fä­higkeit“ der DDR und die Ein­sicht, dass „ein funk­tio­nie­rendes System der Leitung und Planung“ nicht gegeben war. Das „unge­schminkte Bild“ zeigt: „Das bestehende System der Leitung und Planung hat sich … nicht bewährt, da öko­no­mische und Preis-Markt-Rege­lungen ausblieben“.
Es sei hier in Erin­nerung gerufen, dass dieser Bericht keine Beschreibung aus der Feder des „kapi­ta­lis­ti­schen Feindes“ war, sondern eine Ein­schätzung der staat­lichen Plan­kom­mission, also jener Insti­tution, welcher die Aufgabe der staat­lichen Planung und deren Kon­trolle oblag.
Mit anderen Worten: Die DDR-Wirt­schafts­planer selbst mussten zugeben, dass zen­trale Planung der Wirt­schaft nicht funk­tio­niert – ohne Markt­wirt­schaft geht es nicht.
„Sozia­lis­tische Planung zum Wohle des Volkes“ ist eine Illusion. Jede zen­trale Wirt­schafts­planung scheitert unver­meidlich. Die Ver­treter der öster­rei­chi­schen Schule haben die Gründe dafür schon lange vor dem Fall der Mauer beschrieben.
Der han­delnde Mensch in seiner Indi­vi­dua­lität und Sub­jek­ti­vität, das Wis­sens­problem sowie die Unmög­lichkeit einer Wirt­schafts­rechnung beim Fehlen von Markt­preisen führen unwei­gerlich zum Scheitern jed­weder zen­tralen Planung – unab­hängig davon wie diese benannt wird, wer diese durch­führt, welche Werk­zeuge zum Einsatz kommen oder aus welchen Motiven heraus diese erfolgt.
Die Sowjet­union unter Stalin, China unter Mao Tse-Tung, Kuba unter Fidel Castro, Nord­korea unter Kim Il Sung, Kam­bo­dscha unter den roten Khmer, Albanien unter Enver Hoxha, Vene­zuela unter Hugo Chàvez oder die DDR-Geschichte bis zum Mau­erfall sind insofern „nur Bei­spiele“: Tra­gische Bei­spiele, die viel Not und für unzählige Men­schen auch den Tod bedeuteten.
Es wäre schön, wenn die Erin­nerung an 30 Jahre Mau­erfall dazu bei­trägt sich bewusst zu machen, dass jeder ein­zelne Mensch mit seinen Hand­lungen etwas ändern kann. Jeder ein­zelne Mensch kann dem Wie­der­erstarken der alten roten oder braunen sozia­lis­ti­schen Ideen genauso ent­ge­gen­treten wie dem Auf­kommen der neuen grünen Plan­wirt­schaft – einer Art des Neo-Sozialismus.

Das Wissen um die Wirk­macht der eigenen Hand­lungen in Ver­bindung mit der Ein­sicht, dass die Inten­sität, die Eti­ket­tierung, die Technik, die Klugheit der Planer oder die poli­ti­schen Motive nichts daran ändern, dass zen­trale (poli­tische) Planung ihr Ziel nicht erreichen kann, führt so viel­leicht zur Wahr­nehmung des blinden Flecks und zu Wider­stand gegenüber der Aus­weitung poli­ti­scher Eingriffe.
30 Jahre nach dem Mau­erfall wird es Zeit, den blinden Fleck nicht länger zu igno­rieren und den Kampf gegen den Zombie, den Glauben an die zen­trale (poli­tische) Plan­barkeit von Wirt­schaft und Gesell­schaft aufzunehmen.
Aus diesem Grund gehört der Schürer-Bericht in den Schul­un­ter­richt, ebenso wie die Erkennt­nisse, warum Plan­wirt­schaft in den unter­schied­lichsten Spiel­arten nicht funk­tio­niert. Schon Kinder und Jugend­liche sollten – 30 Jahre nach dem Mau­erfall – in der Lage sein, kri­tisch nach­zu­fragen, wenn Wirt­schafts- und Gesell­schafts­planer aus Politik und Zivil­ge­sell­schaft ver­künden: Wir brauche diese Art der Mobi­lität oder jene Form der Ernährung und „wir“ haben den Plan dazu.
Ich hoffe auf diese Ver­än­derung – 30 Jahre nach dem Mau­erfall – damit nicht die nächsten Wirt­schafts- und Gesell­schafts­planer kommen und die Freiheit zerstören.
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Rainer Fass­nacht ist Autor des Buchs „Unglaub­liche Welt: Eta­tismus und indi­vi­duelle Freiheit im Dialog“.


Quelle: misesde.org