“Töd­liche Wahn­vor­stel­lungen”: Europas Deradikalisierungsprogramme

Es war eine Tra­gödie der guten Absichten. “Jack Merritt starb beim Angriff auf die London Bridge. Ver­gesst nicht, wofür er stand”, schrieb Emma Goldberg in der New York Times. Merritt war eines der beiden Opfer von Usman Khan, einem isla­mi­schen Ter­ro­risten, der am 29. November auf der London Bridge zuschlug. Das andere Opfer war Saskia Jones, eine Stu­dentin auf der Kon­ferenz, die von dem Dschi­ha­disten aufs Korn genommen wurde. Sie träumten beide davon, daran zu arbeiten, ihren Mörder zu retten und zu beschützen.
(von Giulio Meotti)

Hier bestellen!

London hatte den fünften Jah­restag von Zusammen Lernen aus­ge­richtet, einer Ver­an­staltung, bei der ehe­malige Gefangene, Mit­ar­beiter, Stu­denten und Kri­mi­no­logen aus dem ganzen Land zusam­men­kamen, um den Erfolg ihrer Initiative zur Dera­di­ka­li­sierung von Dschi­ha­disten zu feiern. Khan war als Vorbild des Reha­bi­li­tie­rungs­pro­gramms anwesend gewesen. Im Jahr 2012 wurde Khan zu einer Gefäng­nis­strafe ver­ur­teilt, weil er geplant hatte, zuerst die Lon­doner Börse, dann den dama­ligen Lon­doner Bür­ger­meister Boris Johnson und dann das Rie­senrad London Eye in die Luft zu sprengen. Laut dem Daily Tele­graph nutzte Zusammen Lernen Khan als “Fall­studie” dafür, wie Reinte­gra­ti­ons­pro­gramme in der Gesell­schaft funk­tio­nieren. Er hatte sogar ein Gedicht und eine Dan­kes­notiz an die Orga­ni­sa­toren geschrieben, auf einem Com­puter, der ihm von seinen Tutoren zur Ver­fügung gestellt worden war.
Merritt, eines der beiden Opfer, hatte mit ihm gear­beitet, während Khan hinter Gittern in Cam­bridge­shire war. Die Bilder aus der Fisch­händ­ler­halle wenige Minuten vor dem Ter­ror­an­schlag zeugen vom guten Willen des Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gramms. Merritt war die Erste, die ver­suchte, Khan während seiner Mord-Amoktour auf­zu­halten. Kurz bevor er angriff, wurde Khan im Bild gezeigt, wie er ruhig dasaß, durch die ganze Kon­fe­renz­sitzung hin­durch. Viele hielten ihn für eine Art “Mus­ter­schüler” des Deradikalisierungsprogramms.
Khan war auch in einem der News­letter von Zusammen Lernen zitiert worden, in dem es hieß, dass die Gruppe “einen beson­deren Platz in seinem Herzen hat”:
“Es ist mehr als nur eine Orga­ni­sation, die dazu bei­trägt, das Lernen ein­zelner aka­de­mi­scher Fächer zu ermög­lichen. Für mich ist der Haupt­vorteil, Men­schen durch das Lernen zusam­men­zu­bringen. Gemeinsam lernen bedeutet, den Ver­stand zu öffnen, Türen zu öffnen und jenen, die ver­schlossen sind, die vor dem Rest von uns ver­borgen sind, eine Stimme zu geben. Es hilft, die­je­nigen ein­zu­be­ziehen, die generell aus­ge­schlossen sind. Das ist es, was Zusammen Lernen für mich bedeutet”.
Khan gab auch der BBC ein Interview, in dem er die Stig­ma­ti­sierung ver­ur­teilte, unter der er litt:
“Ich bin in England geboren und auf­ge­wachsen, in Stoke-On-Trent, in Cobridge, und die ganze Kommune kennt mich und sie werden wissen, wenn man sie fragt, werden sie wie diese Eti­ketten wissen, die sie uns auf­kleben, wie Ter­rorist, dies, das, sie werden wissen, dass ich kein Ter­rorist bin”.
Der jüngste Angriff in London war eine töd­liche Mischung aus reli­giöser Täu­schung und west­licher Nai­vität. Er begräbt auch, so hofft man, alle bri­ti­schen Illu­sionen der Dera­di­ka­li­sierung von Dschi­ha­disten. Wie die Times berichtete, unter­suchte das Beha­vioural Insights Team (BIT), die soge­nannte “Nudge Unit”, die früher Teil des Kabi­netts­büros war, 33 Dera­di­ka­li­sie­rungs­pro­gramme in Groß­bri­tannien und stellte fest, dass nur zwei angeblich erfolg­reich waren. Der bri­tische Kri­mi­nologe Simon Cottee hat die Schuld “den töd­lichen Wahn­vor­stel­lungen der Linken Pro­fes­soren über die Heilung von Ter­ro­risten” gegeben.
Frank­reich hatte es bereits aus­pro­biert. Ein par­tei­über­grei­fender Bericht im fran­zö­si­schen Senat hatte das fran­zö­sische Dera­di­ka­li­sie­rungs­pro­gramm als “totales Fiasko” ver­ur­teilt, wie Philippe Bas, ein Senator der Mitte-Rechts-Partei der Repu­bli­kaner, sagte. Als die Sena­toren Esther Ben­bassa und Catherine Tro­endlé, die beide die Task Force leiten, das Dera­di­ka­li­sie­rungs­zentrum im Château de Pon­tourny besuchten, fanden sie nur einen ein­zigen Bewohner der Ein­richtung vor.
Frank­reich hat auch das Scheitern der Über­wa­chungs­me­cha­nismen durch­litten. In den letzten Jahren wurden viele Ter­ror­an­schläge von Dschi­ha­disten verübt, die bereits in der fran­zö­si­schen Spe­zi­al­da­tenbank zur Ter­ro­ris­mus­be­kämpfung mar­kiert waren: der Anschlag auf den Weih­nachts­markt in Straßburg, der Anschlag auf die Kirche in der Nor­mandie und der Anschlag auf den Super­markt in Trèbes, um nur einige zu nennen. Vor kurzem fand ein Dschihad-Angriff im Pariser Poli­zei­prä­sidium statt. Der Ter­rorist Mickaël Harpon arbeitete tat­sächlich in der Einheit zur Ver­folgung von Terroristen.
In ganz Europa hat sich keines der Dera­di­ka­li­sie­rungs­pro­gramme bewährt. “Es gibt nicht genügend zuver­lässige Daten, um end­gültige Schluss­fol­ge­rungen über die kurz­fristige, geschweige denn über die lang­fristige Wirk­samkeit der meisten bestehenden Dera­di­ka­li­sie­rungs­pro­gramme zu ziehen”, schloss ein RAND-Bericht. Mög­li­cher­weise liegt es außerhalb der Reich­weite der west­lichen Staaten, Men­schen zu dera­di­ka­li­sieren, die, wie der Ter­rorist der London Bridge, eine gefälschte Selbst­mord­weste tragen, um dazu zu ani­mieren, von der Polizei getötet und ein “Mär­tyrer” zu werden.
Was macht man also mit diesen Dschi­ha­disten? Ihnen zu ver­trauen kann tödlich enden, wie in London. Sie im Gefängnis zu behalten, könnte bedeuten, sie zum Teil von “einem der wich­tigsten Orte der Radi­ka­li­sierung” zu machen. Europa verfügt nicht über ein Guan­tanamo Bay, eine juris­tische Vor­hölle, die nach dem 11. Sep­tember 2001 für den Krieg der USA gegen den Ter­ro­rismus nützlich war. Gitmo könnte auch jetzt nützlich sein, wenn es in Europa um die mas­sen­hafte Rückkehr der aus­län­di­schen Kämpfer von ISIS geht.
Dem Jah­res­be­richt von Europol zufolge sind 45 % der Briten, die nach Syrien und in den Irak gereist sind, um sich ISIS anzu­schließen, bereits in ihr Hei­matland zurück­ge­kehrt. Von 714 ehe­ma­ligen Gefan­genen, die in Guan­tanamo Bay fest­ge­halten wurden, sind 124 (16,9%) zu ter­ro­ris­ti­schen Akti­vi­täten zurück­ge­kehrt, während 94 weitere von der Defense Intel­li­gence Agency ver­dächtigt werden, zum Ter­ro­rismus zurück­ge­kehrt zu sein. Die Abschiebung dieser Extre­misten aus Europa ist für viele euro­päische Poli­tiker äußerst umstritten. Der bri­tische Labour-Par­teichef Jeremy Corbyn wurde dabei gefilmt, wie er gegen die Aus­lie­ferung bri­ti­scher Ter­ror­ver­däch­tiger demons­trierte, dar­unter zwei Helfer Osama bin Ladens. Groß­bri­tannien kämpfte jah­relang mit Europa um die Abschiebung des radi­kalen Imams Abu Qatada nach Jordanien.
Hier bestellen!

Was ist also die Lösung für Europa? Die Augen zu schließen und auf das Beste zu hoffen, kann man sich wahr­scheinlich nicht leisten. Zu viele Men­schen sind bereits auf den Straßen Europas gestorben.
“Jetzt bin ich viel reifer und will mein Leben als guter Muslim und auch als guter Bürger Groß­bri­tan­niens leben”, hatte Khan geschrieben, bevor er zwei junge bri­tische Bürger tötete.
Ein kürzlich ver­öf­fent­lichter Bericht der bri­ti­schen Regierung warnte davor, dass bri­tische Imame in 48 isla­mi­schen Schulen Gewalt und Into­leranz gepredigt haben. Es ist die bri­tische Gesell­schaft, die dera­di­ka­li­siert werden muss, nicht die Dschi­ha­disten. Groß­bri­tan­niens bekann­tester Hass-Pre­diger, Anjem Choudary, wurde kürzlich aus dem Gefängnis ent­lassen und geht nun als freier Mann durch die Straßen Londons. Kürzlich ist ein Bild des London Bridge-Ter­ro­risten Usman Khan mit seinem “per­sön­lichen Freund” Anjem Choudary auf­ge­taucht. Der Imam, der angeblich den Ter­ro­risten, der im Pariser Poli­zei­prä­sidium ange­griffen hat, radi­ka­li­siert hat, hat seinen Sitz in Gonesse und darf nach wie vor frei predigen.
Die Dera­di­ka­li­sierung funk­tio­niert nur, wenn sie sich dieser selbst­mör­de­ri­schen west­lichen poli­ti­schen Kor­rektheit ent­ge­gen­stellt, indem sie die tat­säch­lichen Ursachen für diese Art von Ter­ro­rismus bekämpft, die sich in den isla­mi­schen Texten befinden. “Tötet die Ungläu­bigen, wo immer ihr sie findet”, sagt der Koran (9,5). Usman Khan sah Jack Merritt und Saskia Jones offenbar schlicht als “Ungläubige”, nicht als “Helfer, die sie in die Gesell­schaft zurück­führen”. Wenn wir unsere Ein­satz­regeln nicht ändern, wird mehr des­selben die Folge sein.
———————————-
Giulio Meotti, Kul­tur­re­daktor für Il Foglio, ist ein ita­lie­ni­scher Jour­nalist und Autor.

Quelle: gatestoneinstitute.org