Chef der rus­si­schen Medi­en­holding sieht Pres­se­freiheit in der EU bedroht

In Estland wurde Jour­na­listen, die für Sputnik arbeiten, mit Straf­an­zeigen gedroht, wenn sie nicht bis zum 1. Januar kün­digen. Worüber in Deutschland über­haupt nicht berichtet wird, schlägt in Russland hohe Wellen.

Ich habe darüber schon berichtet, aber da das rus­sische Fern­sehen das Thema am Sonntag in der Sendung „Nach­richten der Woche“ erneut auf­ge­worfen hat, habe ich den Beitrag über­setzt. Inter­essant daran ist, dass Estland die Straf­an­drohung gegen Sputnik-Mit­ar­beiter mit Sank­tionen begründet, die 2014 gegen den Chef der rus­si­schen, staat­lichen Medi­en­holding ver­hängt worden sind. Und dieser ist es, der die Sendung „Nach­richten der Woche“ mode­riert. Daher hat er in der Sendung per­sönlich dazu Stellung genommen. Ich habe seine Erklärung übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Estland ver­sucht, in der Euro­päi­schen Union, wie man sagt, päpst­licher zu sein, als der Papst. Jour­na­listen, die in Tallinn für die Nach­rich­ten­agentur Radio Sputnik arbeiten, eine Abteilung der rus­si­schen Medi­en­holding Russia Today, erhielten Briefe von den est­ni­schen Behörden mit der Androhung straf­recht­licher Ver­folgung, wenn sie nicht bis zum 1. Januar kün­digen. Die Dro­hungen kommen von der Polizei für Geld­wäsche und vom Grenz­schutz. Die Aktionen werden damit begründet, dass die Euro­päische Union 2014 gegen mich – Dimitry Kiselyev, den CEO von „Russia Today“ – Sank­tionen ver­hängt hat, unter denen alle meine per­sön­lichen Bank­konten in Europa ein­ge­froren wurden.

Ich muss dazu sagen, dass ich keine per­sön­lichen Bank­konten in Europa habe oder hatte, es gab nichts ein­zu­frieren. Aber indem sie sich, offen gesagt, erbärmlich ver­halten haben, beschlossen die Esten, per­sön­liche Sank­tionen gegen den Leiter der Medi­en­holding auf die gesamte Medi­en­holding aus­zu­dehnen, als ob das Budget der staat­lichen Orga­ni­sation mein per­sön­liches Budget wäre. Das ist irgendwie ver­rückt. So etwas gibt es sonst nir­gendwo in der EU. Nur in Estland haben sie sich so etwas aus­ge­dacht. Der Druck ist da. Unter diesem Vorwand wurden die Dro­hungen aus­ge­sprochen, Sputnik-Jour­na­listen zu straf­rechtlich zu verfolgen.

Inter­es­san­ter­weise gibt es keine Vor­würfe gegen die Qua­lität der jour­na­lis­ti­schen Arbeit von Sputnik. Elena Cherysheva, Lei­terin des Büros der Inter­na­tio­nalen Nach­rich­ten­agentur Russia Today in Tallinn, hat Prä­sident Putin auf der Pres­se­kon­ferenz eine Frage zu dem akuten Problem gestellt.

„Anscheinend nur aus Angst vor Ihren Infor­ma­tionen, Angst vor Ihrem Ein­fluss auf die Köpfe der Men­schen. Aber die Infor­ma­ti­ons­freiheit ist eine der Grund­frei­heiten der modernen demo­kra­ti­schen Welt. Leider scheint nicht jeder nach diesem Para­digma zu handeln und statt­dessen nach anderen Regeln zu arbeiten, die sie sich selbst schreiben.“, sagte Putin.

Am Tag von Putins Pres­se­kon­ferenz wandte sich Valery Fadeev, Vor­sit­zender des Rates für die Ent­wicklung der Zivil­ge­sell­schaft und der Men­schen­rechte, an den OSZE-Beauf­tragten für Medi­en­freiheit und an die Men­schen­rechts­kom­mis­sarin des Euro­parats mit der Bitte um Schutz für das est­nische Büro von Sputnik.

„Der Rat bringt seine äußerste Besorgnis über das Vor­gehen der est­ni­schen Behörden gegen Jour­na­listen von Sputnik-Estland zum Aus­druck. Die For­de­rungen der ört­lichen Polizei und des Grenz­schutzes stehen ein­deutig im Wider­spruch zu wich­tigen inter­na­tio­nalen und vor allem euro­päi­schen Normen, die die Freiheit der Medien und die Unab­hän­gigkeit der Jour­na­listen garan­tieren. Der Rat ersucht Herrn Desir und Frau Mija­tovic, die Situation unter ihre per­sön­liche Kon­trolle zu nehmen und die est­ni­schen Behörden auf die Not­wen­digkeit auf­merksam zu machen, jeg­lichen Druck auf die Medien zu beenden und die strikte Ein­haltung der euro­päi­schen Normen in Bezug auf die Durch­setzung von Pres­se­freiheit und der Rechte der Jour­na­listen zu beachten“, sagte Fadeev.

Die Position der est­ni­schen Behörden gegenüber Sputnik ist auch deshalb gefährlich, weil auf diese Weise innerhalb der Euro­päi­schen Union ein Prä­ze­denzfall geschaffen wird, der eine Ket­ten­re­aktion in Europa her­vor­rufen kann. Daher ist die Frage des Status von Sputnik in Tallinn kein lokales Thema, sondern es geht um Prin­zipien für den gesamten Kon­tinent. Man kann nicht die per­sön­lichen Sank­tionen gegen mich breiter inter­pre­tieren, als sie sind. Wo soll das sonst enden? Und die Infor­ma­ti­ons­freiheit ist doch noch ein euro­päi­scher Wert. Oder nicht?

Zumindest der OSZE-Beauf­tragte für Medi­en­freiheit äußerte sich auf Twitter: „Ich habe der est­ni­schen Regierung wegen der Maß­nahmen gegen Jour­na­listen von Sputnik wegen der indi­vi­du­ellen Sank­tionen gegen Herrn Kiselyev geschrieben. Ich fordere die Regierung auf, von unnö­tigen Ein­schrän­kungen der Arbeit aus­län­di­scher Medien abzu­sehen, die den freien Fluss von Infor­ma­tionen beein­flussen können.“ Eine klare Position. Sie hätte auch nicht anders sein können.

Ende der Übersetzung


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“