Die russische Staatsduma hat heute den neuen Premierminsister gewählt. Wer ist Michail Mischustin?
Schon einen Tag nach der Ankündigung Putins, eine Verfassungsreform durchzuführen und dem Rücktritt der bisherigen Regierung, hat Russland einen neuen Premierminister. Bevor wir zu seiner Person kommen, zunächst ein paar Worte über das russische politische System.
Russland ist, im Gegensatz zu Deutschland, keine Parteiendemokratie. In den Parlamenten sitzen auch unabhängige Kandidaten. Es wird nach dem sogenannten „Grabenwahlrecht“ gewählt, das bedeutet in diesem Fall, dass die Hälfte der 450 Abgeordneten über Parteilisten gewählt wird und die andere Hälfte wird in den Wahlkreisen direkt gewählt. So haben auch unabhängige Kandidaten eine Chance.
Auch die Regierung wird in Russland anders gebildet, als in Deutschland. In Deutschland machen die Parteien ab, wer in die Regierung kommt. In Russland schlägt der Präsident den Regierungschef vor, der sich dann seine Minister aussucht. So zumindest ist es bisher, die Verfassung soll ja demnächst geändert werden.
In Russland ist es so, dass der Präsident dann der Regierung die Ziele und Aufgaben vorgibt, in Frankreich ist es recht ähnlich. Das Parlament wiederum muss dann über die von der Regierung vorgeschlagenen Gesetze beraten und sie beschließen. Dabei gibt es übrigens entgegen den in Deutschland verbreiteten Meinungen zum Teil heftige Diskussionen und Streit. Das betrifft vor allem innenpolitische Fragen, in der Außenpolitik sind sich die Parteien in Russland weitgehend einig. Bei innenpolitischen Fragen gibt es jedoch mindestens genauso viel Streit und Diskussionen, wie in Deutschland.
Was also Russland von Deutschland unterscheidet ist, dass die Parteien viel weniger Macht haben. Entsprechend werden auch Regierungsposten nicht nach Parteibuch verteilt, viele Minister sind in Russland parteilos. Russland hat keine von parteipolitischen Interessen gebildeten Regierungen, wo Posten nach Parteizugehörigkeit, Geschlecht und regionaler Herkunft vergeben werden, sondern Technokratenregierungen, bei denen Fachleute die Ministerien leiten.
Das erklärt auch, warum es in Russland nicht so viel Streit um Personalien gibt, die Minister sind in der Regel anerkannte Fachleute. Der politische Streit in Russland ist wesentlich sachorientierter, als in Deutschland.
Daher war auch nicht zu erwarten, dass der neue Ministerpräsident Mischustin Probleme haben würde, vom Parlament gewählt zu werden. Auch er ist ein parteiloser Technokrat, dessen Leistungen als langjähriger Leiter der Steuerbehörde allgemein – und auch international – anerkannt werden. Er wurde mit 383 von 450 Stimmen gewählt. Es gab keine Gegenstimme, aber einige Enthaltungen, vor allem die Kommunisten hatte ihre Enthaltung angekündigt.
Mischustin hat Wirtschaft studiert und ist außerdem ein Computerexperte. Er war sein ganzes Leben im Staatsdienst, nur von 2008 bis 2010 war in der Wirtschaft als Präsident eines Investmentfonds tätig. Seit 2010 war er Leiter der Steuerbehörde und hat dort einen hervorragenden Job gemacht. Er hat die Steuer in Russland digitalisiert, was sie effektiv und transparent gemacht und vor allem die Steuereinnahmen stark erhöht hat, weil dabei viele Schlupflöcher geschlossen wurden. Das von ihm eingeführte System wurde auch von westlichen Fachzeitschriften als eines der fortschrittlichsten der Welt gelobt.
Mischustin ist also das, was Putin mag: Ein effektiver Arbeiter, der als Chef der Regierung durchaus Hoffnungen wecken kann, denn alles, was er in der Vergangenheit angefasst hat, war effizient und erfolgreich. Und Putin braucht jemanden, der die sozialen Projekte, die jetzt angestoßen wurden, effizient durchführt.
Die größten Baustellen in der russischen Innenpolitik sind wie gesagt, die Sozialprogramme für Familien mit Kindern, die Putin wesentlich stärker fördern will, das Gesundheitssystem, das zwar große Fortschritte gemacht hat, aber „auf dem platten Land“ noch sehr zu wünschen übrig lässt, die Frage der Abfallentsorgung, denn Russland hat ein Problem mit unzähligen, illegalen Mülldeponien und möchte im Eiltempo eine starke Recyclingindustrie aufbauen und auch natürlich die Korruption, die Russland derzeit durch eine massive Digitalisierung der Behörden in den Griff bekommen will, denn wo alles transparent und digital abläuft, ist es praktisch unmöglich, noch jemandem „Schmiergeld“ zu bezahlen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, das viele Behörden in Russland bereits sehr effektiv geworden sind, aber es gibt in der Bürokratie auch noch reichlich Baustellen.
Da über den neuen Ministerpräsidenten Mischustin wenig bekannt ist, außer dass er ein effektiver Arbeiter ist, der neben seiner erfolgreichen Tätigkeit auch zwei Doktorarbeiten zu Steuerthemen geschrieben und ca. 40 wissenschaftliche Artikel publiziert hat, ist es schwierig, ihn einzuschätzen. Er ist ein pragmatischer sach- und problemorientierter Arbeiter, viel mehr lässt sich kaum über ihn sagen. Interessant wird sein, welche Minister er ernennen wird, vielleicht kann man daran sehen, in welche Richtung es gehen wird. Aber ich wage die Vermutung, dass er ebenfalls auf eine Technokratenregierung mit Fachleuten als Minister setzen wird.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“