Das Coronavirus hat die russische Sendung „Nachrichten der Woche“ am Sonntag dominiert. Auch ein Bericht aus Europa wurde gesendet und es ist interessant, wie in einem Land darüber berichtet wird, das (noch) von der Epidemie verschont geblieben ist.
Nachdem ich schon den Bericht über die Situation in Russland übersetzt habe, kommt hier die Übersetzung des Beitrages des russischen Fernsehens über die Lage in Europa.
Beginn der Übersetzung:
Das Coronavirus nimmt bemerkenswerten Einfluss auf die Weltpolitik, die Wirtschaft und sogar den Sport. Die Tourismusbranche auf der ganzen Welt rechnet mit Milliardenschweren Verlusten. In Italien, in dem wegen der Krankheit Panik herrscht, werden große Sportwettkämpfe massenhaft abgesagt. Sogar die Verschiebung der Olympischen Sommerspiele in Japan auf den Herbst oder die Möglichkeit, die Wettbewerbe ohne Zuschauer durchzuführen, werden ernsthaft diskutiert.
Der italienische Ministerpräsident unterzeichnete ein Dekret, das die Ein- und Ausreise für 15 Provinzen im Norden des Landes vom 8. März bis zum 3. April verbietet. Die Lombardei, Modena, Parma, Piacenza, Venedig, Padua, Treviso, Asti und Novarra werden Beschränkungen unterworfen. Ausnahmen werden nur aus gut dokumentierten, arbeits- oder familiären Gründen gemacht. Allerdings dürfen Bewohner in diese Provinzen zurückkehren, wenn sie es wünschen. Mehr als 15 Millionen Menschen leben in Norditalien.
Die Filmindustrie erleidet enorme Verluste. Aus Angst, sich anzustecken, gehen die Menschen in vielen Ländern nicht mehr ins Kino. Es wurde bekannt, dass die Premiere des neuen James-Bond-Films vom Frühjahr auf Ende Herbst verschoben wird.
Wichtige internationale Treffen und Foren werden ebenfalls abgesagt. Der indische Premierminister Narendra Modi hat beschlossen, nicht zum „Indien-EU“-Gipfel nach Brüssel zu fahren. Russland hat das für Ende März geplante Wirtschaftsforum in Krasnojarsk verschoben. Das Wirtschaftsforum im Juni in St. Petersburg wurde abgesagt und der Juni-Gipfel Russlands mit der islamischen Welt in Kasan wird verschoben. Banken, Ölgesellschaften und Smartphone-Hersteller erleiden weltweit Verluste. Das neue Coronavirus verändert den Planeten.
China sieht bisher technologisch am stärksten mobilisiert aus und die Chinesen, für die die Gesellschaft über dem Individuum steht, sind eher auf diese kollektive Isolierung vorbereitet. In Europa ist das Hauptproblem Italien und Schengen scheint eher ein erschwerender Faktor zu sein.
Aus Europa berichtet unsere Korrespondentin.
Zwei Meter sind genau vier Schritte. Den dritten Tag bringt man den Italienern bei, Abstand zu halten. Bei der Post warten die Menschen auf der Straße, weil nur zwei Personen gleichzeitig hinein gelassen werden dürfen. In der operativen Zentrale des Katastrophenschutzministeriums wurden Stühle und Kameras verschoben, es ist schwierig für alle, auch für Ministerpräsident Giuseppe Conte. Hier kommt er zum Hauptquartier, aus Gewohnheit will er dem anderen die Hand geben und zieht sie sofort wieder weg. Das Virus ist näher herangerückt, als zwei Meter, er ist in der Regierung! Der Führer der Demokratischen Partei und der Gouverneur von Latium, Nicola Dzingaretti, wurde positiv getestet.
„Da haben wir´s! Ich habe auch das Coronavirus! Ich werde den Anweisungen folgen, denen alle folgen müssen. Ich fühle mich gut und werde ich mit meiner Familie in der häuslichen Quarantäne sitzen“, sagte Dzingaretti.
Das Virus ist in fast jedem Staat angekommen, selbst in so einem kleinen, wie dem Vatikan. Auch das ist bereits offiziell, der erste Fall wurde am 6. März registriert. Nach der letzten Volkszählung leben 600 Menschen vor den Toren des Vatikans, davon 70 Kardinäle, also ältere Menschen. Sie sind besonders gefährdet.
Eine so leere Piazza Navona gibt es sonst nur im Morgengrauen zu sehen. Aber es ist zwei Uhr nachmittags. Keine Touristen, keine Italiener. Sie sind verzweifelt. Alle Restaurants im Zentrum sind zur Mittagszeit leer. Der Wirt sagt, er habe an diesem Tag nur drei Gäste gehabt. Normalerweise hat er allein zum Mittagessen 300 Gäste.
Der Brunnen di Trevi. Es ist das erste Mal, dass man so dicht herankommt, dass man ihn sehen kann. Es gibt keine Touristen. Die Souvenirläden beginnen zu schließen: die Ladenmiete beträgt 15.000 Euro pro Monat, aber der Umsatz ist Null.
Genauso leer ist es auf der Piazza del Popolo. Vor einer Woche standen Touristen Schlange, um einen Segway zu mieten und heute ist nur einer belegt. Darauf steht der Besitzer der Segway-Vermietung. Er fährt herum auf der Suche nach Kunden, an diesem Tag hatte er noch nicht einen einzigen für seine dreißig Segways.
Die Touristen werden nicht zurückkehren, bevor das Virus verschwindet, aber man bittet sie in allen Sprachen darum. Der Bürgermeister von Mailand, Giuseppe Sala, veröffentlichte eine Videobotschaft in englischer Sprache: „Wir können es nicht erwarten, Sie wieder in unserer Stadt zu sehen! In unserer gastfreundlichen und modernen Stadt mit ihrem Design, Ihren Restaurants und ihrer Kultur.“
In Italien ist nicht nur der Tourismus zum Stehen gekommen, alle Räder stehen still. Die Gerichte verhandeln nicht, denn die Justiz wurde bis zum 31. Mai unter Quarantäne gestellt. Die Schulen sind für zwei Wochen geschlossen, aber höchstwahrscheinlich werden die Ferien um zwei weitere Wochen verlängert werden. Der Unterricht findet online statt. Für die älteren Schüler in der Konferenzschalte, für die jungen und unruhigeren Schüler nehmen Lehrer Videos auf und senden sie in die Elternchats.
Den gleichen Weg – Schulen zu schließen und Veranstaltungen abzusagen – gehen fast alle Länder Europas. Die Zahl der Menschen, die in Deutschland mit dem Virus infiziert sind, wächst so schnell, wie die Zahl der leeren Regale in den Supermärkten. Der Ausbruch findet in den Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen statt, aber Panik herrscht in Berlin. Die Deutschen hamstern Lebensmitteln.
Der britische Premierminister, der sich bei einem Laborbesuch gründlich die Hände wusch, kündigte eine beispiellose Investition in die Wissenschaft an – Europa braucht dringend einen Impfstoff und Schnelltests.
Frankreich schickte Studenten und Kinder aus drei Departements in die Ferien und erhöhte die Gefahrenstufe von der zweiten auf die dritte Stufe.
„Unsere Priorität ist es, ältere Bürger zu schützen. Es ist notwendig, dieses Problem mit aller Verantwortung anzugehen, diszipliniert, kaltblütig und ohne Panik, denn die Epidemie wird noch einige Zeit andauern. Ich kann nicht genau sagen, wie viele Wochen, aber sicher noch einige Wochen“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron.
Konferenzen, Sportveranstaltungen, Meisterschaften, Konzerte werden abgesagt oder verschoben. Im Juni wird es kein St. Petersburger Wirtschaftsforum geben, auch die Radrennen „Mailand – San Remo“, „Tirreno – Adriatico“ und der römische Marathon sind abgesagt. Zu Hause zu sitzen ist die einzige Möglichkeit, das Virus zu stoppen. Sogar gebetet wird vor dem Fernseher. Der römische Papst wird an diesem Sonntag nicht vor der Herde erscheinen, seine Ansprache wird im Fernsehen übertragen.
Ende der Übersetzung
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“