Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten hat Strafanzeige gegen Mitglieder der Bundesregierung gestellt. Eigentlich wollte ich darüber nichts schreiben. Hier erkläre ich, warum ich es nun doch tue.
Ich habe die Meldung bereits am Donnerstag bei der russischen TASS gefunden, die sich dabei auf eine Meldung der dpa bezogen hat. Einige Bundestagsabgeordnete der Linken haben Strafanzeige gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Außenminister Heiko Maas (SPD), Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) gestellt. Der Grund: Der Drohnenmord der USA an dem iranischen General Soleimani, der Anfang des Jahres fast zu einem Krieg am Golf geführt hätte.
Die Abgeordneten sind der Meinung, dass die US-Basis in Ramstein zur Übermittlung der Steuerungssignale der Drohne benutzt wurde und dass daher die genannten Mitglieder der Bundesregierung Verantwortung für den Mord tragen. Sie berufen sich auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, wonach die Bundesregierung sicherstellen muss, dass der Stützpunkt Ramstein in Deutschland nicht für völkerrechtswidrige Drohnenangriffe der USA genutzt wird. Dass der Angriff ein Bruch des Völkerrechts war, ist offensichtlich und wird bestenfalls von den USA selbst bestritten.
All das habe ich bereits am Donnerstag gelesen und wollte nicht darüber schreiben, weil die Strafanzeige keinerlei Folgen haben wird. Dazu gleich mehr.
Dass ich nun doch darüber schreibe, liegt daran, dass RT-Deutsch ausführlich über die Strafanzeige berichtet hat. Damit ist das Thema, über das die „Qualitätsmedien“ natürlich nicht berichtet haben, nun doch in Deutschland in die Medien gekommen.
Aber RT-Deutsch hat das wichtigste nicht berichtet: Die Strafanzeige wird keinerlei Folgen haben.
Der Grund ist schnell erklärt: In Deutschland gibt es das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und dort den Paragrafen 146. Er lautet:
„Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.“
Und wer der Vorgesetzte des Staatsanwaltes ist, regelt Paragraf 147 GVG: Es sind die jeweiligen Justizminister.
Von diesem Recht, dem Staatsanwalt Ermittlungen oder die Eröffnung eines Strafverfahrens zu untersagen, machen die Justizminister reichlich Gebrauch. Der berühmteste Fall ist der Fall Barschel. Es ist allgemein bekannt, dass die Politik – also konkret die schleswig-holsteinischen Justizminister der Lübecker Staatsanwaltschaft untersagt haben, in dem Fall zu ermitteln. Das hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss übernommen und natürlich nichts herausgefunden.
So werden politische Skandale in Deutschland immer entschärft. Der Staatsanwalt darf nicht ran, stattdessen sitzen die Politiker in Untersuchungsausschüssen über sich selbst „zu Gericht“, schreiben dann nach Jahren einen Abschlussbericht und die Sache ist vergessen. Für etwaige Straftaten wird niemand bestraft.
Untersuchungsausschüsse sind also nichts anderes, als eine Show für den dummen Wähler und ein Instrument, um zu verhindern, dass Fehlverhalten von Politikern auch Konsequenzen hat. Selbst beim Celler Loch, als der Verfassungsschutz 1978 ein Loch in ein Gefängnis in Celle gesprengt und das als Terroranschlag der RAF ausgegeben hat, wurde niemand bestraft. Es gab 1986, als das Ganze ans Licht kam, zwar einen Untersuchungsausschuss, der festgestellt hatte, wer alles daran beteiligt war (übrigens unter anderem auch der damalige Ministerpräsident Albrecht, also der Vater von Ursula von der Leyen), aber bestraft wurde niemand.
Ich habe schon viele solche Beispiele aufgeführt. Das aktuellste Beispiel ist von der Leyens Berateraffäre im Verteidigungsministerium. Gegen von der Leyen wurden mindestens drei Strafanzeigen gestellt, unter anderem wegen Veruntreuung. Das war schon 2018. Nur passiert ist nichts. Die Details finden Sie hier.
Und auch gegen Merkel gab es schon viele Anzeigen, weil einige der Bundeswehreinsätze nach dem Völkerrecht illegal und damit Angriffskriege sind. Nach deutschem Recht müsste Merkel deswegen vor Gericht und müsste mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen. Und Gerhard Schröder hat sogar ganz offen zugegeben, dass sein Jugoslawienkrieg gegen das Völkerrecht verstoßen hat. Auch er müsste – erst recht nach seinem öffentlichen Geständnis – lebenslang deswegen ins Gefängnis, so steht es in deutschen Gesetzen. Aber er macht sich keinerlei Sorgen deswegen, denn er kennt den Paragrafen 146 GVG. Die Details dazu finden Sie hier.
Und das ist nicht etwa eine Räuberpistole, die ich mir ausgedacht habe. Im Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof offiziell festgestellt, dass die Staatsanwälte in Deutschland – und damit die deutsche Justiz – nicht unabhängig sind. Die Details dazu – inklusive Aktenzeichen des Urteils zum Nachlesen – finden Sie hier.
Darum wollte ich eigentlich nichts über die neue Strafanzeige gegen Merkel & Co. schreiben, denn sie wird keinerlei Folgen haben. Aber weil RT-Deutsch darauf nicht eingegangen ist, wollte ich noch einmal erwähnt haben, dass Politiker in Deutschland über dem Gesetz stehen und auch für schwere Straftaten nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Nun wissen Sie auch, warum die „Qualitätsmedien“ nicht über die aktuelle Strafanzeige berichtet haben. Die Leser könnten die Frage stellen, warum die Strafanzeige keinerlei Folgen hat. Frei nach einem ehemaligen Innenminister: „Die Antwort auf die Frage könnte die Menschen ja beunruhigen.“
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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